Die Partei der Freiheit
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76 Ralph Raico: <strong>Die</strong> <strong>Partei</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
Wie die Mehrheit del' preuBischen Liberalen sprachen die Freihandler nun von<br />
"Realpolitik" und von del' "Macht del' Tatsachen"; namrlich setzten sie sich eifrig<br />
fur die IndemniHitsvorlage ein, mit dem Bismarck den Ausgleich mit del' Opposition<br />
tiber die Verfassungsfrage suchte, wahrend er sich aller Zusicherungen hinsichtlich<br />
des ktinftigen Verhaltens del' Regielung enthielt. <strong>Die</strong> entschiedenen<br />
Liberalen wie Waldeck, Schulze-Delitzsch, Hoverbeck, Virchow und - damals<br />
noch nicht im Parlament - del' junge Eugen Richter wiesen den Antrag zuriick.<br />
<strong>Die</strong> Freihandler waren unter den ersten, die die Fortschrittsfraktion 1867 verlie<br />
Ben, urn, nicht ohne Kritik an ihren frtiheren WaffengeHihrten, die neue Nationalliberale<br />
<strong>Partei</strong> zu bilden. Michaelis bezeichnete sich und seine Verbundeten<br />
als "Abgeordnete, die iiberhaupt an <strong>der</strong> heftigen temperamentvollen Weise del'<br />
Fraktion keinen Gefallen fanden." Da die Sorge del' Freihandler del' Wi11schaft<br />
galt, hatten sie "selbst unter dem Konflikt eine sehr starke und positive Gemeinsamkeit<br />
mit <strong>der</strong> Regierungspolitik und <strong>der</strong>en personlichen Vertretem." (Schunke,<br />
1916, S. 50)<br />
Otto Michaelis war eine Hauptfigur unter den Freihandlem. Er war del' Herausgeber<br />
des Wirtschaftsteils del' Nationalen Zeitung und spater Vortragen<strong>der</strong><br />
Rat unter Rudolf Delbrtick im Finanzministerium, wo er bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong><br />
Wirtschaftsgesetzgebung und insbeson<strong>der</strong>e del' Bankgesetze von 1870 und 1875<br />
mitwirkte. Ihm wurde eine "gouvemementale Natur" bescheinigt, denn er war<br />
stets zu Kompromissen bereit. Ja er erhob Kompromisse zu einem Wert an sich.<br />
Er schrieb:<br />
"Es ist ein oft wie<strong>der</strong>holter Satz, daB die praktisehe Entwieklung sieh in Kompromissen<br />
bewege. Ieh bin so weit entfernt, in dieser Wahrheit eine QueUe <strong>der</strong> Entmutigung<br />
zu sehen, daB ieh vielmehr in <strong>der</strong> Dialektik dieser Kompromisse die sehopferisehe<br />
Kraft erkenne, we1che die Einriehtungen sehaffi, die so genau den Ansehauungen<br />
und Bedurfnissen <strong>der</strong> Zeit entspreehen, daB die Fortsehritte im Sinne<br />
unserer Prinzipien, welehe sieh in diesem Kompromisse vollziehen, gegen jede<br />
Reaktion gesiehert sind". (Michaelis, 1873, S. vi.)<br />
Sehr bald sollte sich zeigen, daB Michaelis' Ansicht weniger eine elfahrene<br />
politische Weisheit als naives Wunschdenken war.<br />
Wie an<strong>der</strong>e Freihandler fluchtete Michaelis sich in die Hoffnung, daB sich die<br />
Reichsverfassung von selbst in eine liberale Richtung entwickeln wiirde. Statt mit<br />
<strong>der</strong> Regierung im Streit zu liegen, sei es notwendig, "daB wir vielmehr del' historischen<br />
Bildungskraft unseres Volkes vertrauen mussen." (Schunke, 1916, S. 82)<br />
Das wiirde zu einer spontanen Evolution nach englischem Muster fuhren. Was<br />
Michaelis jedoch verkannte, war die Tatsache, daB im Laufe <strong>der</strong> englischen<br />
Geschichte in kritischen Augenblicken entschiedenes und militantes Handeln gefor<strong>der</strong>t<br />
war, urn den freiheitlichen Charakter <strong>der</strong> englischen Verfassung zu wahren<br />
und zu mehren. Selbst Wilhelm I. hatte - andel'S als die Freihandlel' - die Re-