Die Partei der Freiheit
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Kapitel 1: Deutscher Liberalismus - ein llberblick 39<br />
Wahrend des Ringens von 1878 und 1879 waren die Freihandler durch eine<br />
seltsame Apathie geHihmt. Volker Hentschel schreibt: "<strong>Die</strong> Industriellen organisierten<br />
sich, die Freihandler beschlossen bis 1879 ungezahlte Male, sich zu organisieren."<br />
(Hentschel, 1975, S. 240) Doch das sollte nicht tiberraschen. Denn die<br />
Liberalen waren sich durchaus im Klaren tiber die public-choice Dynamik, die<br />
hier am Werk war. Schon in den Zeiten des Aufschwungs des Liberalismus stellte<br />
August Lammers fest:<br />
"die schutzzollnerischen Interessen konzentrieren sich regelma13ig in wenigen, aber<br />
stark und lebhaft interessierten, gewohnlich angesehenen und einfluBreichen Personen,<br />
die es vergleichsweise leicht finden, das Ohr dieses o<strong>der</strong> jenes Regierungsmitgliedes<br />
zu gewinnen; wahrend <strong>der</strong> Freihandel, als ein dunner und gleichmaBiger<br />
verteiltes Interesse <strong>der</strong> konsumierenden Masse, was er immer ist [... ] in <strong>der</strong> Regel<br />
unvertreten bleibt". (Lammers, 1869, S. 29)<br />
Zwar begannen die "nattirlichen Sachftihrer, die Kaufleute in den SeehandelssHidten<br />
[...] sich zu regen" - obwohl "das konsumierende Publikum [...] noch<br />
stumm" (Lammers, 1869, S. 30) blieb. Zehn Jahre spater war die Btindelung <strong>der</strong><br />
Produzenteninteressen so weit gediehen, daB die kleine Schar jener, die noch mit<br />
den Interessen <strong>der</strong> Verbraucher tibereinstimmten, leicht majorisiert werden<br />
konnte. Eine auf Grundsatzen basierende politische Idee konnte einer Politik, die<br />
auf offenkundig selbststichtigen Gruppeninteressen beruhte, keinen ausreichenden<br />
Wi<strong>der</strong>stand entgegensetzen.<br />
Theodor Barth, zu jener Zeit ein Manchestermann, gab die tibliche liberale<br />
Klage mit den Worten wie<strong>der</strong>, daB "die volkswirtschaftliche Bildung in unserem<br />
Volke unverhaltnismaBig gering geblieben ist."Daher "muB es die unablassige<br />
Aufgabe <strong>der</strong> liberalen Opposition sein [...] stets aufs Neue den Zusammenhang<br />
<strong>der</strong> Dinge klar zu machen." (Barth, 1885, S. iii-iv) Somit bestand das liberale<br />
Rezept und die letzte Verteidigungslinie <strong>der</strong> Marktwirtschaft wie<strong>der</strong> einmal in<br />
Erziehung - o<strong>der</strong> genauer gesagt: in ideologischer Mobilisierung. Viel spater war<br />
dies auch die Strategie Ludwig Erhards. Franz Bohm berichtet, wieviel Energie<br />
Erhard in seine "unenntidliche Aufklarungsarbeit [steckte]. Sie war einer <strong>der</strong><br />
Hauptprogrammpunkte <strong>der</strong> Erhardschen Politik [...]" (Bohm, 1972, S. 419)<br />
Glticklicherweise sah sich Erhard aber einer vollig an<strong>der</strong>en Bedingungskonstellation<br />
gegentiber. Nach den Jahren des nationalsozialistischen Dirigismus und <strong>der</strong><br />
Mobilisierung zum totalen Krieg war die deutsche Offentlichkeit fur eine Abwendung<br />
vom Interventionsstaat aufnahmeHihig.<br />
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhundet1s verbreitete sich jedoch bereits<br />
eine "gesellschaftskritische Unterstromung" im deutschen Bildungsbtirgertum,<br />
die als "Sozialisierung <strong>der</strong> Gesinnung" bezeichnet wurde. 46 1893 konnte Theodor<br />
46 Conze (1950, S. 357)~ sowie Hellpach (1948, S. 196), def die Erfahrung dieser "Sozialisierung<br />
<strong>der</strong> Gesinnung" machte als "das jungmenschliche Bekenntnis zu einer neuen Welt, welche<br />
bereit stand, die alte abzulbsen." Der marktwirtschaftliche Okonom Ludwig Pohle gab<br />
zu, daB er sein Studium als begeisterter Sozialist begonnen harte: "In dem Jahrzehnt zwischen<br />
1880 und 1890 ging eine so starke sozialistische Welle durch das bffentliche Leben Deutsch-