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Die Partei der Freiheit

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36 Ralph Raico: <strong>Die</strong> <strong>Partei</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

fehlte, sondem <strong>der</strong> auch keinerlei Respekt vor religiosen Anschauungen hatte:<br />

Nur "das unvollkommene, unwissenschaftliche BewuBtsein" konnte in seinen<br />

Augen "das Menschengeschlecht zur Transzendenz treiben." (Bussman, 1978, S.<br />

278) Virchow machte sich ein Vergntigen daraus, Christen zu verhohnen, etwa<br />

mit seiner beriihmten ErkHirung: "Ich habe Tausende von Leichen seziert, aber<br />

keine Seele darin gefunden." (Vasold, 1988, S. 127)<br />

Virchows Motto "Politik ist Medizin im GroBen" verhieB nichts Gutes fur die<br />

individuelle <strong>Freiheit</strong>. Manfred Vasold schrieb tiber ihn: "Virchow zog es vor,<br />

Menschen durch AufkHirung zu vetuunftigem Handeln zu bewegen; aber er hatte<br />

auch nichts dagegen, vemunftige MaBnahmen mit staatlichen Zwangsmitteln<br />

durchzusetzen, wo es nicht an<strong>der</strong>s ging." (Vasold, 1988, S. 185) In del' Tat war<br />

Virchow in Deutschland <strong>der</strong> groBe Wegbereiter dessen, was Thomas S. Szasz<br />

"den therapeutischen Staat" (Szasz, 1976, 1980) genannt hatte. Er argumentierte<br />

fur "ein neues Verhaltnis zwischen Staat und Medizin," und faBte datunter auch<br />

die Errichtung eines Reichsministeriums fur die offentliche Gesundheitspflege,<br />

sowie dessen Erweiterung, urn die medizinische "Behandlung" Krimineller zu<br />

gewahrleisten (Bussman, 1978, S. 276).<br />

Eine Rundreise in Schlesien, wo er die unhygienischen Lebensbedingungen<br />

<strong>der</strong> Bevolkerung beobachtete, bestarkte Virchow in seinem Hochmut gegenuber<br />

<strong>der</strong> - "im Interesse <strong>der</strong> Mutter Kirche" aufrechterhaltenen - Ruckstandigkeit <strong>der</strong><br />

katholischen Unterklassen und in seinem Glauben an die Notwendigkeit "einer<br />

Art vormundschaftlicher Leitung." <strong>Die</strong>ses Anliegen verallgemeinerte er. Es oblag<br />

dem Staat, alle Menschen zu erziehen; zu diesem Zweck war "die gesamte Leitung<br />

des Unterrichts in seiner Hand" erfor<strong>der</strong>lich, urn "das Yolk mit gemeinsamem<br />

Wissen zu durchdringen." (Vasold, 1988, S. 20, 135 und Bussman, 1978, S.<br />

282) Er hatte keine Bedenken, offentliche Schulen dazu zu nutzen, urn Treue<br />

zum Papst in <strong>der</strong> jungeren Generation zu beseitigen. (Boyd, 1991, S. 162)<br />

Je<strong>der</strong> intellektuelle Fot1schritt, so erklat1e Virchow, sei "ketzerisch" gewesen:<br />

"Wann hat die Kirche den intellektuellen Fot1schritt zu fordetu gesucht? Gar<br />

nicht. <strong>Die</strong>ser Fortschritt hat sich vollziehen mussen trotz <strong>der</strong> Kirche, gegen die<br />

Kirche." (Vasold, 1988, S. 289) Virchow demonsttiet1e die fur das 19. Jalu'hun<strong>der</strong>t<br />

charakteristische Besessenheit <strong>der</strong> Freidenker mit Fallen wie dem Galileos.<br />

Doch wie ungerecht diese auch immer waren - Virchow ging niemals <strong>der</strong> Frage<br />

nach, wie die modeme Wissenschaft aus einer Kultur hatte hervorgehen konnen,<br />

uber die eine Kirche herrschte, die so gegen die Wissenschaft eingestellt war, wie<br />

er das von <strong>der</strong> katholischen Kirche behauptete. Mit an<strong>der</strong>en deutschen Liberalen<br />

schlug Virchow alte Schlachten aufs Neue - eine Haltung, die dem letzten Teil<br />

des 19. Jahrun<strong>der</strong>ts kaum angemessen war.<br />

In ahnlicher Weise wie zuvor John Stuart Mill bekundete Virchow, sein Ziel<br />

sei das freie, sich selbst bestimmende Individuum. Doch wie auch Mill weigerte<br />

er sich, die Entscheidung des Individuums, einer religiosen Lehre Gehorsam zu<br />

leisten, und die freiwillige Fugsamkeit gegenuber religiosen Autoritaten als mit<br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> vereinbar anzusehen. Genau wie Mill in seinem beriihmten Essay On

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