Die Partei der Freiheit
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Kapitell: Deutscher Liberalismus - ein Oberblick 33<br />
Priestem und Bischofen und zur Vertreibung aIler religioser Orden mit Ausnahme<br />
<strong>der</strong>jenigen, die sich <strong>der</strong> Pflege Kranker widmeten. 1876 waren schlieBlich<br />
aIle Bischofe PreuBens entwe<strong>der</strong> im Gefangnis o<strong>der</strong> im Exit.<br />
Man kann die Ironie <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung darin sehen, daB sich gerade das<br />
Zentrum und die katholische Kirche konform zu den Grundsatzen des Liberalismus<br />
verhielten. Indem sie sich auf die Lehren des Naturrechts stiitzten, wi<strong>der</strong>sprachen<br />
die Katholiken <strong>der</strong> <strong>der</strong> Bismarckschen Politik zuglundeliegenden - und<br />
von den Liberalen geteilten - Pramisse "unbedingter Staatshoheit". Stattdessen<br />
for<strong>der</strong>ten sie einen Handlungsspielraum, <strong>der</strong> nicht dem staatlichen Zugriff ausgesetzt<br />
war, und bestanden darauf, daB es das Recht katholischer Organisationen<br />
sei, von <strong>der</strong> Staatsaufsicht unabhangig zu sein. <strong>Die</strong> katholische Position - die sicherlich<br />
auch die liberale Position hatte sein sollen - fand einen glanzenden Ausdruck<br />
in <strong>der</strong> 1878 gehaltenen Reichstagsrede des Zentrum-Fuhrers Ludwig<br />
Windthorst:<br />
"Wir horen auf vielen Stellen die Lehren yom omnipotenten Staate: Der Staat soll<br />
alle Lebensverhaltnisse <strong>der</strong> Menschen ordnen, auBer ihm ist gar nichts [... ] Wenn<br />
wir die Sozialdemokratie mit Erfolg bekampfen wollen, dann miissen wir zunachst<br />
diese Lehre yom omnipotenten Staate aufgeben, dann miissen wir vor allen Dingen<br />
anerkennen, daB es Rechte, Institutionen gibt, we1che eine an<strong>der</strong>e Basis haben als<br />
die des Staates, wir miissen anerkennen, daB es Rechte gibt, die alter sind als <strong>der</strong><br />
Staat, daB <strong>der</strong> Staat nicht <strong>der</strong> allein Recht erzeugende ist, daB er vielmehr nur<br />
darum ist, urn die gegebenen Rechte zu schutzen, nicht aber urn sie nach Willkur<br />
und nach ZweckmaBigkeitsgrunden zu modeln." (Becker, 1981, S. 433)<br />
Es ist richtig, daB die Katholiken auch den Erhalt des religiosen Charakters <strong>der</strong><br />
Volksschulen for<strong>der</strong>ten. Doch war dies mit liberalen Anschauungen nicht unvereinbar,<br />
denn es gab zum einen staatliche Schulen und zum an<strong>der</strong>en die Wtinsche<br />
<strong>der</strong> Eltem, die dieser For<strong>der</strong>ung entsprachen.<br />
Ein wichtiger Anfuhrer des katholischen Wi<strong>der</strong>standes war <strong>der</strong> Mainzer<br />
Bischof Wilhelm von Ketteler. Nach Ketteler hatte sich ein philosophischer<br />
Wandel innerhalb des deutschen Liberalismus voIlzogen. Wahrend die Liberalen<br />
von 1848 <strong>der</strong> Kirche ihre notwendigen <strong>Freiheit</strong>en zugestanden hatten, wurde<br />
nunmehr <strong>der</strong> Staat mit einem unzweifelhaften Vorrang gegenuber den Elementen<br />
<strong>der</strong> burgerlichen Gesellschaft versehen. 43 <strong>Die</strong> Kirche fand sich in ihrem Wirkungsbereich<br />
vom angeblich herrschenden Grundsatz <strong>der</strong> Gleichheit vor dem<br />
Gesetz ausgeschlossen. Ketteler erklarte:<br />
43 Ein ahnliches Abdriften zum Staat schritt jedoch innerhalb des deutschen Katholizismus<br />
voran - mit Bischof Ketteler als einem ihrer geistigen Fuhrer. Es ist wohl bekannt, daB<br />
Ketteler ein starker Verfechter staatlicher Interventionen war, urn sich <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Industrialisierung<br />
in Zusammenhang gebrachten Ubel anzunehmen. <strong>Die</strong>se Richtung verdrangte letztlich<br />
die friihere Orientierung, die etwa 1848 anlaBlich <strong>der</strong> ersten Generalversammlung <strong>der</strong> katholischen<br />
Vereine in Mainz zum Ausdruck kam. Bei dieser Gelegenheit sprach man "dem Staat<br />
die Kraft und den Beruf ab, die soziale Frage zu 16sen und behielt sie ganz <strong>der</strong> Kirche vor."<br />
<strong>Die</strong>se "staatsnegierende Richtung" <strong>der</strong> katholischen Sozialpolitik wurde noch 1858 von Peter<br />
Reichensperger verteidigt. Vogel (1951, S. 58).