Die Partei der Freiheit
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Kapitel 1: Deutscher Liberalismus - ein Oberblick 29<br />
landwirtschaftlichen Gesellschaft wurde jedoch durch die Bevolkerungskrise zunichte<br />
gemacht. Mit Recht bemerkt Ludwig von Mises uber dieses Ideal so vieler<br />
Sozialrefonner, daB es an <strong>der</strong> historischen Entwicklung scheiterte. Sein Fehler<br />
war, daB ohne grundlegenden okonomischen und politischen Wandel "Bevolkerungs-<br />
wachstum in zunehmen<strong>der</strong> Armut enden muB." Da die Struktur <strong>der</strong> alteren<br />
Gesellschaft dem Druck des Bevolkerungswachstums nicht gewachsen war,<br />
fuhrte dies zu "Herausbildung einer riesigen Masse landloser Proletarier", die die<br />
Ran<strong>der</strong> einer Gesellschaft bewohnten, welche keine Verwendung fur sie hatte<br />
(vonMises, 1949, S. 831). Industrialisierung war die Lasung dieses Problems; sie<br />
rettete die Massen und brachte sie auf den Weg zu einem bescheidenen, aber<br />
guten Leben. DaB die groBen Kapitalisten und Untemehmer letztlich reicher als<br />
die groBten Grundbesitzer wurden, spiegelt den unermeBlich groBeren Wohlstand<br />
wi<strong>der</strong>, den das neue System hervorbrachte. 36<br />
v. "Manchestertum"<br />
Wenn dem deutschen Liberalismus als Ganzem eine relative Geringschatzung<br />
und selbst Verhohnung zuteil wurde, so gilt dies in noch hoherem MaBe fur den<br />
Wirtschaftsliberalismus und seine locker organisierte Erscheinungsfonn, die<br />
deutsche Freihandelsbewegung. Sie wird in <strong>der</strong> Literatur oft mit demselben<br />
Namen belegt, den ihr ihre politischen Feinde gaben: das deutsche Manchestertum.<br />
Wie ein Fuhrer <strong>der</strong> Freihandler vennerkte, war es Ferdinand Lassalle, <strong>der</strong><br />
das Schmahwort "Manchestertum" erfand. Alsdann durchlief es die konservative<br />
Presse und bildete nun "das A und a <strong>der</strong> politischen Weisheit", selbst fur Teile<br />
<strong>der</strong> preul3ischen Regierung, die Gefallen daran fand Schulze-Delitzsch mit beinahe<br />
den gleichen Worten zu brandmarken, die zuvor sein alter Gegenspieler<br />
Lassalle gebraucht harte (Faucher, 1870, S. 158).<br />
Der Angriff per Telminologie zeigte Lasalles politischen Schalfsinn; man<br />
kannte fast sagen, daB er den ganzen Fall von Anfang an entschied. Durch ihn<br />
wurden die deutschen GelehIten, Jounalisten und Politiker, die fur eine liberale<br />
Wit1schaft eintraten, als AuBenseiter gebrandmarkt, als Verfechter einer fremden<br />
Ideologie, und zwar <strong>der</strong> Ideologie einer Nation, England, die vielfach beneidet<br />
und <strong>der</strong> oft miBtraut wurde. Zusatzlicher Nutzen wurde daraus gezogen, daB man<br />
die Lehre yom intemationalen Freihandel mit dem Makel belastete, sie nutze eher<br />
den englischen als den deutschen Interessen. Das Manchestet1um setze sich fur<br />
den Freihandel ein, weil dieser im Interesse Manchesters, d.h. <strong>der</strong> britischen<br />
Industrie liege. SchlieBlich konnte die ganze Ladung antiliberaler Schlagworte<br />
ren Bildung und giinstigeren Lebensstellung <strong>der</strong> verschiedenen Volksklassen eine Mil<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Gegensatze und sozialer Friede entspringen wird."<br />
36 Ernst Noltes Untersuchung <strong>der</strong> ideologischen Folgen <strong>der</strong> Industrialisierung scheint den Tatsachen<br />
gerechter zu werden: eine Zusammenfassung findet sich bei Nolte (1977, S. 100f£.).