Die Partei der Freiheit
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Kapitel 6: Friedrich Naumann - ein del-ttscher Modelliberaler? 235<br />
Sunde etwas ist, was gleichsam neben ihm liegt und nach Gethsemane.getragen<br />
werden kann." Wie<strong>der</strong>um ist die Bergpredigt ein argerliches Ratsel. JeSl1s riet:<br />
"Sorge nicht fur den morgigen Tag and frage nicht: was werden wir essen, was<br />
werden wir trinken!" In aller Unschuld fragt Naumann: "Was aber sagt unsere<br />
Volkswirtschaftslehre" zu soleh einer Idee? (Naumann, 1964a, S. 599, 605) Ibn<br />
peinigt <strong>der</strong> Urnstand, "daB wir praktisch keine Christen im genauen Wortsinne<br />
des Evangeliums sein konnen." Der Grund fur die Unmoglichkeit liegt nicht<br />
darin, daB, wie ein Glaubiger sagen mag, wir es hier eher mit RatschHigen start<br />
mit Geboten <strong>der</strong> Bergpredigt zu tun haben, o<strong>der</strong> daB, wie ein Unglaubiger behaupten<br />
mag, Jesu Ermahnungen in ihrem buchstablichen Sinne unvereinbar mit<br />
dem organisierten Leben <strong>der</strong> Gesellschaft sind. Vielmehr liegt dieser Grund<br />
darin, daB "wir [...] im ZeitaIter des Kapitalismus [leben]." (Naumann, 1964a, S.<br />
606)<br />
Dennoch beschaftigen Naumann hauptsachlich jene Probleme, die durch die<br />
geistigen Stromungen <strong>der</strong> Zeit geschaffen wurden. "Geschichtserkenntnis" und<br />
"Naturerkenntnis" haben seinen Glauben erschutteli. "<strong>Die</strong> Geschichtsphilosophie<br />
<strong>der</strong> Neuzeit," wie sie von Saint-Simon, Auguste Comte und Marx hervorgebracht<br />
werde, habe unsere alten Denkkategorien umgeworfen: "Man redet nicht mehr<br />
vom einzelnen, sondem von Klassen, Schichten, Rassen, und sieht iiberall, auch<br />
in allen geistigen Vorgangen, Folgeerscheinungen von Klassen- o<strong>der</strong> Rassenbewegung."<br />
Foiglich haben wir "eine Ati Logik," die unseren Vatern unbekannt<br />
war:<br />
"Wir sagen: Herr X muB infolge seiner sozialen Lage so o<strong>der</strong> so denken! <strong>Die</strong>se<br />
Art, das Geistesleben zu betrachten, ist gewiB nicht die einzige, aber sie ist, urn ein<br />
frUheres Wort zu wie<strong>der</strong>holen, die unsrige, uns notwendig geworden durch unser<br />
Zeitalter" (Naumann, 1964a, S. 603).<br />
Namrlich trifft das auch auf Jesus zu. "Wir fangen also an, Jesus nach Rasse<br />
und Klasse zu beobachten. [...] FIiiher war Jesus ,<strong>der</strong> Mensch an sich', ein farbloser,<br />
geschichtsloser, volkloser, heiliger Heldenbegriff." (Naumann, 1964a, S.<br />
603f.) Lei<strong>der</strong> bricht Naumann die Analyse jedoch an dieser Stelle ab und unternimmt<br />
es nicht weiter, den Lesern Sendung und Botschaft Jesu vor dem Hintergrund<br />
<strong>der</strong> "Logik" <strong>der</strong> von ibm entworfenen Klassen- (gelernter Handwerker) und<br />
Rassenzugehorigkeit (Jude) darzulegen.<br />
Es hat niemals einen bosaliigeren Angriff auf den Liberalismus - und beson<strong>der</strong>s<br />
den Universalismus, <strong>der</strong> <strong>der</strong> liberalen Idee innewohnt - gegeben, als die<br />
Lehre, die Naumann hier predigt. Es handelt sich urn genau das, was Ludwig von<br />
Mises spater "Polylogismus" nannte (von Mises, 1944, S. 143ff.). 1m Verlaufe<br />
dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde diese Lehre zur wissenschaftstheoretischen Grundlage<br />
(wenn dieser Ausdluck sie nicht zu sehr ehti) von Kommunismus und Nationalsozialismus.<br />
Beide Ideologien wahlten jedoch ein Merkmal aus, von dem angenommen<br />
wurde, daB es die Wahtnehmungsvorgange des Individuums bestimme.<br />
Es konnte durchaus sein, daB Naumann <strong>der</strong> einzige politische Denker ist, <strong>der</strong> un-