Die Partei der Freiheit
Die Partei der Freiheit
Die Partei der Freiheit
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
234 Ralph Raico: <strong>Die</strong> <strong>Partei</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
zwangsweisen Gennanisierung polnischer Bevolkerungsteile .in den ostlichen<br />
Provinzen, wozu auch die Enteignung polnischen Grundbesitzes zur Ansiedlung<br />
deutscher Bauern zahlte. Einwande, denen zufolge das Privateigentum polnischsprachiger<br />
Burger in PreuBen und im Reich unverletzlich sei, wurden von<br />
Naumann und seinen Genossen als bloBes "Manchesteltum" verworfen.<br />
Naumanns "doktrinarer" Beistand fur Bulows polenfeindliches Programm war<br />
schlieBlich ein Hauptglund fur den Bluch mit mehreren seiner Verbundeten, darunter<br />
Brentano, den Naumann wegen. seines "Alldeutschtums" tadelte, und Barth,<br />
<strong>der</strong> eine Absplitterung <strong>der</strong> Freisinnigen Vereinigung anfuhrte (Krtlger, 1983, S.<br />
40,47).<br />
Naumanns Selbsttauschung hinsichtlich des Charakters Wilhelms II hielt noch<br />
lange, und zwar bis in seine "liberale" Phase hinein, an. Das Interview, das <strong>der</strong><br />
Kaiser im Jahre 1908 mit dem Daily Telegraph fuhrte, scheint ihn schlieBlich<br />
davon uberzeugt zu haben, daB, wie ein Bewun<strong>der</strong>er Naumanns sich ausdriickte,<br />
man unter Wilhelm II. "Deutschland niemals zum Volksstaat umgestalten konne,<br />
daB vielmehr das Reich durch Parlamentarisierung vor dem Monarchen geschutzt<br />
werden musse."(Stephan, 1970, S. 14) Somit erkannte Naumann ein Jahrzehnt<br />
vaT seinem Tod endlich, daB "eine durchgreifende Parlamentarisierung <strong>der</strong> Verfassung<br />
[und] <strong>der</strong> Aufstieg <strong>der</strong> <strong>Partei</strong>en zu politischer Verantwortung" (Theiner,<br />
1985, S. 52) notwendig war. Das war genau die Position, an <strong>der</strong> <strong>der</strong> verachtete<br />
Eugen Richter vom Beginn seiner politischen Laufbahn an festgehalten hatte.<br />
Ais Beispiel fur die Verblendung, mit <strong>der</strong> Naumanns Sympathisanten haufig<br />
geschlagen sind, sei erwahnt, daB Wilhelm Spael wohlwollend bemerkt: "Auch<br />
nach dem Krisenjahr 1908 fand Naumann in del' Offentlichkeit fur den Kaiser oft<br />
genug anerkennende, schutzende Worte, er wuBte zu sehr, wie <strong>der</strong> Glaube an den<br />
gottgegebenen HelTscher im deutschen Yolk verankert war, seine eigene Meinung<br />
behielt er dann bei sich." (Spael, 1985, S. 215) Bei weniger erlauchten Personen<br />
als Friedrich Naumann wird solch ein Verhalten gewohnlich Heuchelei genannt.<br />
1902 stellte Naumann die Veroffentlichung seiner regelmaBigen Andachten in<br />
<strong>Die</strong> Hilfe ein. 1m darauffolgenden Jahr vollzog er in den Brie/en tiber Religion<br />
seine offentliche Entkopplung von Christentum und Politik. <strong>Die</strong> Brie/e wurden ob<br />
ihrer Offenheit und Redlichkeit gepriesen; ein Herausgeber meinte, sie zeigten<br />
Naumann "als Seelsorger groBen Stils, Seelsorger nicht einzelner, SOndelTI einer<br />
Epoche." ([lhsadel, 1964, S. xxvii) Wie dem auch sei - das Werk ist von Interesse,<br />
da es offenbart, wie Naumann die geistigen Bewegungen seiner Zeit verstand,<br />
und es ist ein denkbar gutes Beispiel fur seine Gedankengange in <strong>der</strong> Reifephase.<br />
Naumann macht sich daran, zu erkHiren, wie er "gleichzeitig Christ, Dalwinist,<br />
und Flottenschwalmer" (Naumann, 1964a, S. 569) sein konnte. Obgleich dieses<br />
sehr zeitbedingte Anliegen verstandlich ist, scheint damals del' 43 Jahre alte ehemalige<br />
Kirchenmann gleichzeitig vom Christentum seIber velwini zu sein. £r<br />
fragt sich, was es heiBen mag, daB Jesus in Gethsemane von den Sunden <strong>der</strong> Welt<br />
erdriickt wurde. Ein denken<strong>der</strong> Mensch sei gezwungen, "sich zu fragen, ob seine