Die Partei der Freiheit
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226 Ralph Raico: <strong>Die</strong> <strong>Partei</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
Beachtung schenkt, die sich im Deutschland seiner Generation aus einer Beendigung<br />
des Sparens fiir Investitionen und Produktivitat ergeben hatten.<br />
1m darauf folgenden Jahr (1895) durchlief Naumann jedoch seine erste groBe<br />
Wandlung - und zugleich die einzige, die ihm nicht von den Umstanden aufgezwungen<br />
wurde. Er begegnete Rudolf Sobm und Max Weber, zwei InteUektuellen,<br />
die einen nachhaltigen EinfluB auf sein Denken ausiiben soUten. Sohm erklarte,<br />
daB "<strong>der</strong> Staat ein Heide" sei, und Weber hielt an den eigenstandigen Anspriichen<br />
nationaler Macht fest. Wenn sie Naumann auch nicht gerade die Augen<br />
fur die ZentraliHit <strong>der</strong> Machtfrage und folglich fiir die Unerheblichkeit des Cht-istentums<br />
in <strong>der</strong> Politik offneten, so for<strong>der</strong>ten sie seine Entwicklung doch sicherlich<br />
in dieser Richtung (Heuss, 1949, S. 100) Naumann £lng an, den Kampf des<br />
Deutschen Reiches urn "Weltgeltung" als den Kembestandteil <strong>der</strong> Politik seiner<br />
Zeit zu begreifen. Es war nicht weniger als ein "imperialistische[r] Rausch, dem<br />
Naumann mit aller Gewalt seines Gefiihls im Jahre 1895 zu verfallen begann."7<br />
Er griindete seine eigene Wochenschrift, <strong>Die</strong> Hilfe, die er bis zu seinem Tode<br />
herausgeben soUte. Zwei Jahre spater gab er den Kirchendienst auf und zog nach<br />
Berlin.<br />
Doch Naumann muBte sich immer noch offentlich irgendwie dafur rechtfertigen,<br />
daB er das Christentum als Leitlinie in <strong>der</strong> Politik aufgegeben hatte. In Asia,<br />
Eine Orientreise versuchte er, seinen Sinneswandel unter Hinweis auf Enttauschungen<br />
und die Erschutterungen zu erklaren, die ibm eine Reise in den Mittleren<br />
Osten 1898 bereitet hatte. 8<br />
Naumann ist vor aUem von den Volkem angewi<strong>der</strong>t, denen er begegnet. Db<br />
untelworfene Christen o<strong>der</strong> helTschende Tiirken - "Laus' hat auch def beste," wie<br />
er von einem "alte[n] erfahrene[n] Deutsche[n]" (Naumann, 1964a, S. 539) erfahrt.<br />
Palastina stellt Naumann auf "eine harte Probe." Er £lndet, daB die Kirche<br />
daheim nachlassigelweise immer betont habe, daB den alten Gelmanen das Christentum<br />
so sehr zugute gekommen sei, und nicht, "daB erst die gesunde germanische<br />
Kraft aus dem Christentum etwas gemacht habe." Naumann ist vom nie<strong>der</strong>en<br />
Menschenmaterial Palastinas, dem Gebu11s1and des Christentums, delmaBen<br />
angeekelt, daB ibm ungebeten radikal-volkische Gedanken kommen: "Nicht nur<br />
einmal wurde in Palastina an Paul de Lagarde gedacht und seinen Traum eines<br />
wie<strong>der</strong>elWachten altdeutschen Glaubens." (Naumann, 1964a, S. 538, 552)<br />
Am schlimmsten aber ist, daB Naumann gezwungen ist, sich Jesus seIber im<br />
Rahmen dieser abstoBenden Welt vorzustellen, denn "Jesus ist die Seele<br />
7 Conze (1950, S. 363). Etwa drei Jahrzehnte spater blickte Leopold von Wiese auf die Zeit<br />
zuriick, in <strong>der</strong> das deutsche Burgertum <strong>der</strong> Verblendung durch die Macht zum Opfer fiel. Er<br />
bemerkt: "Allmahlich lernten auch die deutschen Burger, kosmopolitische Grundstimmung<br />
fur eine Schmach zu halten. Damit aber vollzog sich <strong>der</strong> verhangnisvollste Abfall von den alten<br />
Gottem des Freisinns. [...] Der Machtrausch hatte den wahren Liberalismus erstickt" von<br />
Wiese (1925, S. 25).<br />
8 <strong>Die</strong> politisch hedeutsamen Teile sind wie<strong>der</strong>gegeben in Naumann (l964a, S. 535ff.).