Die Partei der Freiheit
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Kapitel 5: <strong>Die</strong> Rolle <strong>der</strong> Kathe<strong>der</strong>sozialisten beim Nie<strong>der</strong>gang des deutschen Liberalismus 211<br />
Tatsache, dafi del' gesamte WirtschaftsprozeB ein ineinan<strong>der</strong>greifendes Ganzes<br />
ist, bedeute vielmehr, daB zusatzlich die Ereignisse bei <strong>der</strong> Geldversorgung, auf<br />
den Kapital- und Gtitermarkten, in <strong>der</strong> Wirtschaft auBerhalb Wtirttembergs und in<br />
del' gesamten Kredit-, Preis- und Monopolpolitik hinsichtlich ihrer Wirkungen<br />
auf die Lohne studiert werden miisse. Dafiir sei eine Theorie erfor<strong>der</strong>lich: <strong>Die</strong><br />
ErkHirung entspringe nicht bereits den geschichtlichen Gegebenheiten an sich<br />
(Eucken, 1940, S. 493f.).<br />
Schmollers venneintliches Programm - das auch heute noch von Bewun<strong>der</strong>elTI<br />
als eine Form empirischer, realistischer Okonomie bejubelt wird - bestand seiner<br />
eigenen Aussage nach in einer "unbefangene[n] Forschung, welche sich bemiiht<br />
[...] nul' von den Dingen selbst auszugehen."51 Man stelle historische Daten zusammen<br />
und behandele Einzelfragen - frei von irgendwelchen "Schultheorien" <br />
in del' Erwartung, daB aus diesem Vorgehen schrittweise und letztlich eine allgemeine<br />
Wirtschaftstheorie entstehen werde. Wie Schmoller erkHirte: "Einer Epoche<br />
verfeinerter Empirie muBte stets wie<strong>der</strong> eine Zeit h6herer rationaler Beherrschung<br />
des Empirischen folgen." Doch wie Eucken darlegt, ist dies "ein unerfiillbares<br />
Programm":<br />
"Jede Einzelfrage, die sich auf den WirtschaftsprozeJ3 bezieht, muJ3 als Teil des<br />
Gesamtprozesses gesehen werden und ist deshalb ohne Anwendung des theoretisch-rationalen<br />
Apparates unlosbar. [...][Schmoller] verkannte, [...] daJ3 insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Erkenntnis des Gesamtzusammenhanges del' konkreten Wirtschaftsprozesse<br />
den Einsatz del' Theorie erfor<strong>der</strong>t". (Eucken, 1940, S. 496. Hervorhebung im<br />
Original.)<br />
Eucken betont, was eine Reihe prominenter deutscher Systembildner iibersah:<br />
"das Verstehen des Wirtschaftsprozesses <strong>der</strong> Verkehrswirtschaft [ftihrt] stets tiber<br />
das Verstehen <strong>der</strong> Preisbildung auf den Markten [...] bei Analyse del' wirklichen<br />
Wirtschaft - soweit sie Verkehrswirtschaft ist - [muft] die Markttheorie im Mittelpunkt<br />
stehen." (Eucken, 1940, S. 498. Hervorhebung im Original.)<br />
Somit lauft die Kritik an del' Methode Schmollers und seiner Kollegen letzten<br />
Endes darauf hinaus, daB sie vor-okonomisch ist. 1m Kern ist sie ein Atavismus,<br />
ein Ruckfall in eine Denkweise, die zu iiberwinden Aufgabe <strong>der</strong> Wil1schaftswissenschaft<br />
ist. Das spiegelte sich namrlich in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Fragen <strong>der</strong> praktischen<br />
Politik wi<strong>der</strong>. Schumpeter beobachtet, daB die Sozialpolitiker als Wirtschaftspolitiker<br />
dazu neigten, "von ihren Eindriicken, die ihnen die faktischen<br />
Gegebenheiten vennittelt hatten, unmittelbar zu Empfehlungen [uberzugehen],<br />
wie dies auch ein Amateurforschergetan haben wiirde." (Schumpeter, 1965, S.<br />
982) Angesichts ihrer Methodologie war das vollkommen versHindlich: Man<br />
konnte sagen, daB gerade hierin <strong>der</strong> Glund fur die Annabme <strong>der</strong>selben lag.Ohne<br />
51 Schmoller (1870, S. xii). Winkel (1977, S. 102) faBt hier Schmollers Position zusammen:<br />
"Damit wird zunachst die Theorie ganz zUrUckgedrangt: erst wenn das geschichtliche Material<br />
voll erfaBt sei, k6nne man an eine Verallgemeinerung denken," und fugt hinzu: "<strong>Die</strong> Ablehnung<br />
<strong>der</strong> abstrakt-isolierenden Methode, <strong>der</strong> Verzicht auf die individuelle volkwirtschaftliche<br />
Theorie, fuhrt zu einer Flucht aus <strong>der</strong> Theorie ganz allgemein."