Die Partei der Freiheit
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Kapitel 5: <strong>Die</strong> Rolle <strong>der</strong> Kathe<strong>der</strong>sozialisten beim Nie<strong>der</strong>gang des deutschen Liberalismus 207<br />
stertums" zuvor. 47 Insbeson<strong>der</strong>e hatten sich die Professoren mit unablassigen<br />
Angriffen auf "die Besitzenden" befaBt, mit dem Aufrtihren des sozialen Gewissens<br />
und mit <strong>der</strong> Proselytenmacherei fiir An<strong>der</strong>ungen in einem Wirtschaftssystem,<br />
das in ihren Augen von Grund auf mangelhaft war (Pohle, 1911, S. v, viii,<br />
4ff., 25, Fn. 1). Mittlerweile sei <strong>der</strong> Punkt erreicht, daB eine siiddeutsche satirische<br />
Zeitschrift die Nationalakonomie als das definieren kanne, was vor sich<br />
gehe, "wenn man Arbeiterwohnungen ausmiBt und sagt, die waren zu klein."<br />
(Pohle, 1911, S. 52)<br />
Der Hauptmangel <strong>der</strong> von den Reformprofessoren gewahlten Vorgehensweise<br />
ist nach Pohle ihre Methodologie. Der deduktive Ansatz <strong>der</strong> klassischen politischen<br />
Okonomie sei immer noch - und notwendig - die Methode <strong>der</strong> Wittschaftswissenschaft<br />
(Pohle, 1911, S. 95f.). Indem Schmoller und seine Anhanger sich<br />
von ihr abwendeten, fanden sie sich in einem Vakuum ohne eine schliissige<br />
Theorie iiber die wirtschaftlichen Zusammenhange wie<strong>der</strong>. In einer Kritik, die<br />
spater von Walther Eucken wie<strong>der</strong> aufgegriffen werden sollte, legt Pohle den<br />
Reformem zur Last, daB sie iiber keine allgemeine Theorie verfiigen und infolge<br />
dessen blind seien fur aIle Folgen ihrer Vorschlage - auBer fiir jene Folgen, die<br />
von ihnen und von ebenso wohlwollenden Gesetzgebeln beabsichtigt seien. Bei<br />
<strong>der</strong> Vorstellung ihrer Nachforschungen iiber den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en "sozialen<br />
MiBbrauch" verhielten sich die Kathe<strong>der</strong>sozialisten, als ob aus <strong>der</strong> bloBen Darbietung<br />
ohne weiteres folgen wiirde, daB del' Staat Abhilfe schaffen kanne<br />
(Pohle, 1911, S. 13f.).<br />
Ein weiterer Fall, <strong>der</strong> als Beispiel zitiert wird, ist die Raltung <strong>der</strong> Kathe<strong>der</strong>sozialisten<br />
gegeniiber Arbeitem und Gewerkschaften. <strong>Die</strong> Lehrbiicher von Rerkner,<br />
Brentano und an<strong>der</strong>en seien voll von kaum verhiillter moralischer Entrtistung<br />
iiber die miBliche Lage des "isolierten" Arbeiters, del' sich dem riesigen Betrieb<br />
gegeniibersehe, iiber seine "Machtlosigkeit" und seine faktische "Knechtschaft."<br />
Okonomisch ausgedrtickt: die Kathe<strong>der</strong>sozialisten unterstellten eine allgemeine<br />
und andauemde monopsonistische Situation auf dem Arbeitsmarkt. Daraus leiteten<br />
sie die Notwendigkeit ab, daB <strong>der</strong> Staat Arbeiterorganisationen und kollektive<br />
Lohnverhandlungen unterstiitzen miisse.<br />
Was diese Wirtschaftsprofessoren aber vernachlassigten, sei die eigentliche<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Wirtschaftswissenschaft: die Folgen zu erforschen, die solch eine<br />
Betatigung del' Gewerkschaften fiir Lohne, Beschaftigung usw. bedeute. Vor<br />
aHem wagten sie es nicht, daB WOlt "Monopol" in den Mund zu nehmen, obwohl<br />
es den unerlaBlichen Schliissel zum wissenschaftlichen Verstandnis verschaffe.<br />
Stattdessen lieBen sie sich iiber die moralischen Dimensionen <strong>der</strong> Frage aus - eine<br />
Obung, ftir die sie keine beson<strong>der</strong>e Eignung vorwiesen. 48 Del' selbstgel'echte Mo-<br />
47 Zur Verteidigung <strong>der</strong> letzteren sollte jedoch herausgestellt werden, daB sie sich im groBen und<br />
ganzen seIber als "Kreuzfahrer" und Publizisten ansahen und akademische ObjektiviUit nicht<br />
fur sich beanspruchten.<br />
48 Pohle (1911, S. 30ff.). Zu <strong>der</strong> endlos wie<strong>der</strong>holten Lehre von dem angeblich unliberwindlichen<br />
Nachteil des "isolierten Arbeiters" gegenliber dem Kapitalisten erklart Pohle, ebenda, S.