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Die Partei der Freiheit

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176 Ralph Raico: <strong>Die</strong> <strong>Partei</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

die Reichsidee gewonnen und an diese gekettet werden."33 Nachdem das Ziel<br />

schlieBlich darin bestand, jeden mittels einer enorm ausgeweiteten Sozialpolitik<br />

an die Gemeinschaft zu "ketten", wurde dieses Vorgehen von vielen Historikem<br />

sogar als "modetnisierendes Moment" interpretiert.<br />

Ebenso wie die Sozialpolitik die Autonomie <strong>der</strong> Individuen beschrankt, beeintrachtigt<br />

sie diese auch als Burger. Gleich den meisten an<strong>der</strong>en deutschen Liberalen<br />

teilen Bamberger und Richter das "staatsbiirgerschaftliche Ideal", das zur<br />

uberkommenen und vielfaltigen Tradition des burgerlichen Humanismus [civic<br />

humanism] im europaischen Denken gehort. Beson<strong>der</strong>s Richter halt an <strong>der</strong> Vorstellung<br />

fest, daB eine verantwortliche, burgerliche Teilnahme an den gemeinsamen<br />

Angelegenheiten del' Nation dem Leben ihrer Mitglie<strong>der</strong> Wurde und Wert<br />

verleiht. <strong>Die</strong> Abneigung, die die Liberalen gegenuber dem entstehenden Wohlfahrtsstaat<br />

empfinden, entspringt zum Teil ihrer Befurchtung, daB die Burger zu<br />

bloBen Empfangem materieller Wohltaten emiedrigt werden. Sie sehen darin eine<br />

Facette des von Bismarck ausgeklugelten Arbeitsplanes, urn die Politik auf ein<br />

Greifen und Grapschen nach finanziellen Vorteilen auf Kosten del' Mitbiirger<br />

herabzuwiirdigen. Auf diese Weise, stellt Bamberger fest, "wird das ganze Reich<br />

zu einer graBen Klientel." (Bamberger, 1886, S. 23) <strong>Die</strong> an Idealen orientierte<br />

Politik - das ganze liberale Programm individueller <strong>Freiheit</strong> und Autonomie ­<br />

werde von einer Politik geschluckt, die nichts an<strong>der</strong>es sei als eine fortwahrende<br />

Auktion von For<strong>der</strong>ungen gegen den Staat.34<br />

<strong>Die</strong> Liberalen sahen mit Grauen das Aufkommen dessen, was spfiter Jose<br />

Ortega y Gasset in seinem Werk Der Aufstand <strong>der</strong> Massen (1930) beschreiben<br />

sollte, namlich eine Bevolkelung, <strong>der</strong> je<strong>der</strong> herkommliche Sinn fur Staatsburgertum<br />

fehlte und die den Staat als ein magisches Werkzeug ansieht, das aus sich<br />

selbst heraus einen nicht versiegenden Strom von Wohltaten gebiet1:<br />

"In unserer Zeit ist <strong>der</strong> Staat eine gewaltige Maschine geworden [... ] [Der Massenmensch]<br />

sieht ihn, bewun<strong>der</strong>t ihn, weiB daB er da ist und fur die Sicherheit seines<br />

Lebens burgt; aber er hat kein BewuBtsein davon, daB er eine Menschenschepfung<br />

ist [...] Wenn die Masse irgendein Unbehagen o<strong>der</strong> einfach ein heftiges<br />

Gellist versplirt, bedeutet die sHindige Gewissheit, alles ohne Muhe, Kampf, Zweifel<br />

noch Gefahr erreichen zu kennen, einfach indem man auf einen Knopf driickt<br />

und die wun<strong>der</strong>tatige Maschine arbeiten laBt, eine grof3e Versuchung fur sie".35<br />

33 Stolleis (1979, S. 408). Uber Bismarcks Sozialpolitik macht Stolleis (ebenda, S. 394), folgende<br />

Beobachtung an: "Sie erwachst aber nicht aus einer beson<strong>der</strong>en ,Modemitat' des<br />

Bismarcksreiches, sondem aus <strong>der</strong> spezifischen und andauemden Labilitat <strong>der</strong> Reichsgriindung<br />

sowie alteren Schichten von Staatsverstandnis und Verwaltungstradition. '"<br />

34 Bamberger, SBR (1889, S. 1836)~ sowie Hartwig (1900, S. 55): die Regierung "wird von<br />

manchen Rilcksichten auf idealpolitische For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Regierten befreit. <strong>Die</strong> liberalen Bestrebungen<br />

werden von den materiellen For<strong>der</strong>ungen aufgesogen [...]"<br />

35 Ortega y Gasset (1956, S. 88f.). Vgl. die treffende Beschreibung des gegenwartigen Zustands<br />

durch Radnitzky (1995, S. 189): "Der Leviathan ist zur Milchkuh geworden and wachst und

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