Die Partei der Freiheit
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Kapitel 4: Der Aufstieg des mo<strong>der</strong>nen Wohlfahrtsstaates und die liberale Antwort 159<br />
Bismarcks Sozialistengesetze waren angesichts des ideologischen Beistands,<br />
den die Konservativen <strong>der</strong> sozialistischen Sache leisteten, beson<strong>der</strong>s absurd. An<br />
die Rechten im Parlament gewandt, fragte Bamberger, worin eigentlich <strong>der</strong> Sinn<br />
bestehe, die Propaganda <strong>der</strong> offiziellen sozialistischen <strong>Partei</strong> zu verbieten, wenn<br />
genau die gleichen Ideen "in Ihrer kleinen Presse, zum Teil auch in Ihrer groBen<br />
Presse, in Reden und Vesammlungen und sogar in Ausfiihrungen hier im<br />
Reichstag" verbreitet wiirden. <strong>Die</strong> Ausflusse konservativer Propaganda zogen<br />
"mit allen korrupten Ideen sozialdemokratischer Natur gegen Eigentum, gegen<br />
Kapital, gegen aIle feststehenden Begriffe, auf denen die biirgerliche Ordnung<br />
beluht, mit allen Mitteln, allem Raffinement, allen Argumenten tagtaglich zu<br />
Felde." Wahrend die Gesetze sozialistischen Aufruhr bestrafen, wiirden "die sozialistischen<br />
Ideen, die scheinbar mit diesem Gesetz bekampft werden sollten,<br />
tiefer und immer tiefer in das BewuBtsein, in die Ideen <strong>der</strong> Nation hineingetragen."<br />
"Wenn Sie die Verbrecher suchen, welche die sozialdemokratischen Ideen<br />
in Deutschland verbreiten", erkltirte Bamberger den Reichstagsabgeordneten, so<br />
sollten sie auf sich selbeI' schauen. <strong>Die</strong> wahren Feinde des Sozialismus seien<br />
Bamberger und seine <strong>Partei</strong>; unter Hohnrufen von del' Rechten bekundete er<br />
stolz, "daB ich immer ein hartgesottener Manchestermann gewesen bin, und daB<br />
ich a1s solcher zu leben und zu sterben denke." 12<br />
<strong>Die</strong> scharfe Reaktion Bambergers und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Liberalen auf die Konservativen,<br />
die sozialistische Ideen salonfahig machten, sollte nicht iiberraschen.<br />
Ihre Emporung entsprang del' besorgten Einsicht in die glundlegenden Bedingungen<br />
des von ihnen verteidigten Systems: <strong>Die</strong> Marktwi11schaft ist ihl'er Natur nach<br />
eigenartig undurchsichtig und po1itisch zerbrechlich.<br />
<strong>Die</strong> "umfassende Ordnung" des Marktes ist, wie F. A. von Hayek betont, solcherart,<br />
daB ihre Rationa1itat - einschlieB1ich del' funktionalen Notwendigkeit<br />
einiger ihrer Kembestandteile, wie Handel, Geld, Waren- und Terminborsen usw.<br />
- nicht leicht durch den Augenschein erfaBt werden kann, sondem groBtenteils<br />
erst durch einen abstrakten Denkvorgang einsichtig wird (von Hayek, 1988, S.<br />
89ff. und passim). <strong>Die</strong>sel' Grundzug gewinnt mit wachsen<strong>der</strong> Komp1exitat del'<br />
Ordnung, beson<strong>der</strong>s mit Verstarkung <strong>der</strong> Arbeitstei1ung, immer mehr an Gewicht.<br />
FUr die meisten Leute ergeben groBe Teile del' Marktordnung - VOl' allem die<br />
Griinde fur das Einkommen vieler hochbezahlter Marktteilnehmer - schlichtweg<br />
keinen Sinn. 13<br />
Zul' intellektuellen Undurchdringlichkeit des Marktes gesellt sich ein weiterer<br />
Zug, <strong>der</strong> seine Existenz standig gefahrdet. Wie Schumpeter spater betonen sollte,<br />
hat <strong>der</strong> Kapitalismus als Gesellschaftssystem mit dem schweren Handicap zu<br />
kampfen, daB er in einem Zeitalter des Rationalismus und Sakularismus groB<br />
12 SBR (1888, S. 577f.). Vgl. Bambergers Bemerkung in: Bamberger (1886, S.32): "Das groBte<br />
Obel ist, falsche Ideen zwar mit auBeren Mitteln zu bekampfen, ihnen aber selbst innerlich<br />
Nahrung zuzufiihren."<br />
13 Zur Feindlichkeit <strong>der</strong> ostelbischen Grundbesitzer gegeniiber <strong>der</strong> Borse, die von ihrer Unfahigkeit<br />
herriihrt, die Funktionen <strong>der</strong> Borse zu verstehen, vgl. Meyer (1885, S. 8ff.).