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Die Partei der Freiheit

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Kapitel 4: Der Aufstieg des mo<strong>der</strong>nen Wohlfahrtsstaates und die liberale Antwort 157<br />

Zwei Schliisselphrasen <strong>der</strong> marktfeindlichen Rhetorik wurden von Bismarck<br />

unter das Yolk gebracht. Er behauptete, seine Sozialreformen seien einfach<br />

"praktisches Christentum", und er stempelte private Unfallversicherungsunternehmen<br />

als unmoralisch ab, weil sie "Dividenden aus menschlichem Elend" zogen.<br />

7<br />

"Praktisches Christentum" war Teil einer Gruppe von ebenso emotional geladenen<br />

wie nebulosen Worten, zu denen auch "GroBmut", "Menschenliebe" und<br />

"Hartherzigkeit" zahlten und die im Kampf gegen den Wit1schaftsliberalismus<br />

zugunsten <strong>der</strong> Sozialpolitik verwendet wurden. Bamberger lieB keines davon<br />

gelten. In seinen Augen waren diese Worte ihrem Bedeutungszusammenhang im<br />

privaten Leben entrissen und unzulassigerweise in die Sprechweise von Gesetzgebem<br />

eingefiihrt worden. GroBmut zum Beispiel "iibt zunachst doch je<strong>der</strong> an<br />

seiner eigenen Person, an Opfem, die er mit sich, mit Gut und Blut bringt." Ihn<br />

jedoch im Namen des Volkes zu praktizieren, "das ist GroBmut aus <strong>der</strong> Tasche<br />

<strong>der</strong> Steuerzahler." (SBR, 1883, S. 2332) Was Bismarcks Gleichsetzung <strong>der</strong> Sozialpolitik<br />

mit "praktischem Christentum" anbelangt, so fiihlt sich Bamberger durch<br />

sie stark an einen <strong>der</strong> Ursprungstexte des europaischen Sozialismus erinnert, an<br />

Saint-Simons Le Nouveau C:hristianisme, wo <strong>der</strong> Gedanke vorgetragen wird, daB<br />

<strong>der</strong> Sozialismus einfach die <strong>der</strong> Modeme angemessene Form des Christentums<br />

sei (SBR, 1881d, S. 1543f.). Doch die Ausiibung christlicher Tugend soUte, genau<br />

wie die auch in an<strong>der</strong>en Religionen gepredigte Nachstenliebe, dem freien Willen<br />

des Individuums iiberlassen bleiben und nicht zu einer Sache des Gesetzes gemacht<br />

werden. 8<br />

Bismarcks Argument, es sei unanstandig, "Dividenden aus menschlichem<br />

Elend" zu ziehen, wurde von liberalen Sprechem lacherlich gemacht. Zunachst<br />

einmallegten sie recht aufmerksam dar, daB "nicht das Eintreten eines UnfaUs<br />

[...] die Unterlage fiir die Dividenden [abgibt], sondem umgekehrt das Ausbleiben."<br />

(Vogel, 1951, S. 49) Alsdann gab Bamberger die eigentlich naheliegende<br />

Antwort - ein an die konservativen ostelbischen Getreideproduzenten gerichtetes<br />

tu quoque, in dem auch die ausbeuterischen Getreidezolle nicht unerwahnt blieben:<br />

"Wird man es nun deshalb als etwas emporendes bezeichnen, daB beim<br />

Brotbacken Gewinn gezogen wird? [...] ist da je behauptet worden, daB aus Liebe<br />

7 Gegenuber Moritz Busch erkHirte Bismarck, was er unter "praktischem Christentum" verstand:<br />

"Mitleid, hilfreiche Hand, wo Not ist [...] <strong>der</strong> Staat mull die Sache in die Hand nehmen.<br />

Nicht als Almosen, sondem als Recht auf Versorgung [...]" Busch (1899, S. 44). Offensichtlich<br />

kam es Bismarck nicht in den Sinn, daB das Christentum die Lin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Amlut stets<br />

als "Almosen" betrachtete, das aus Liebe gegeben wird, und nicht als ein "Recht," das beim<br />

Staat eingeklagt wird.<br />

8 SBR (1881a, S. 680). Wie Bamberger scharfsinnig bemerkt, wi<strong>der</strong>spricht die Berufung auf<br />

"praktisches Christentum" auch einem an<strong>der</strong>en vorgebrachten Argument: daB Sozialpolitik<br />

<strong>der</strong> sozialistischen Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen werde. Es sei unvereinbar mit<br />

dem Geist des Evangeliums, bei <strong>der</strong> Mildtatigkeit darauf zu sehen, "einen Effekt aufden Verpflichteten<br />

hervorzubringen.'" Soleh eine Haltung zur Religion sollte als "heidnisch, mehr, das<br />

ist casarisch [.. .]''' bezeichnet werden. SBR (1881d, S. 1541).

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