Die Partei der Freiheit
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150 Ralph Raico: <strong>Die</strong> <strong>Partei</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
urteilt (Heuss, 1949, S. 180). Theodor Barth, ein Vorganger von Heuss, spottet<br />
uber diese gleiche Eigenschaft Richters, als er auf die Frage, was del' Unterschied<br />
zwischen del' eigenen und del' Richterschen Fraktion sei, scherzhaft antwortet:<br />
Wennjemand Mosel- von Rheinwein unterscheiden konne, gehore er zur Freisinnigen<br />
Vereinigung, wenn nicht, zur Freisinnigen Volkspartei, d.h. Richters Gruppierung<br />
(Barth, 1923, S. 100). Ein weniger freundlicher Kommentator konnte auf<br />
die Idee verfallen, daB das wahre Zeichen del' Angehorigkeit zu Barths Griippchen<br />
darin bestand, sich einer eintdiglichen Verbindung zur Deutschen Bank zu<br />
erfreuen. Allerdings muB eingeraumt werden, daB Richter immer eine gewisse<br />
Aura mittelstandischer Gesinnung anhaftete. Doch genau diese Eigenschaft<br />
Richters gefiel seiner Anhangerschaft im deutschen Mittelstand, in den freien<br />
Berufen und den Kleinbetrieben, beson<strong>der</strong>s in den GroBstadten, und vor allem in<br />
Berlin. 79 Der treue linksliberale Anhanger findet eine klassische Beschreibung<br />
durch den loumalisten Alexan<strong>der</strong> Meyer, <strong>der</strong> fur Richters Freisinnige Zeitung<br />
schrieb. Meyer fand fur diesen Menschenschlag Worte, die ibn zur deutschen<br />
Version von William Graham Sumners "Vergessenem Menschen" (Sumner,<br />
1911) machen. Der Freisinn, schreibt Meyer, ist<br />
"die <strong>Partei</strong> des kleinen Mannes, cler sich auf sich selbst und seine eigenen Krafte<br />
verUiBt, <strong>der</strong> keine Geschenke von dem Staate verlangt, son<strong>der</strong>n nur wtinscht, daB<br />
man ihn nicht hin<strong>der</strong>e, seine Lage nach Kraften zu verbessern und dahin zu streben,<br />
daB er seinen Kin<strong>der</strong>n ein besseres Los hinterlaBt, wie ihm selbst zuteil geworden<br />
ist." (Miiller-Plantenberg, 1971, S. 146)<br />
Eine seltene, abel' bewegende Schil<strong>der</strong>ung eines solchen Menschen gibt Bluno<br />
Walter am Beispiel seines Vaters, eines Berliner luden:<br />
"Buchhalter in einer groBeren Seidenfirma, <strong>der</strong> er in allmahlich gesteigerter Stellung<br />
und mit wachsendem Einkommen tiber funfzig Jahre angehoren sollte. Er war<br />
ein stiller Mann von strengem Pflichtgefuhl und vollkommener Zuverlassigkeit und<br />
kannte auBer seinem Beruf nur seine Familie [...] [Politisch war er ein Mitglied <strong>der</strong><br />
Linken], <strong>der</strong> liberal wahlte und Rudolf von Virchow und Eugen Richter verehrte."<br />
(Walter, 1947, S. 16,21).<br />
Von Grund auf "kleinburgerlich", hegten solche Menschen keine Neigung fUr<br />
Weltpolitik und dramatische Kriege o<strong>der</strong> gar fur das Liebaugeln mit einer moglichen<br />
Umwalzung aller gesellschaftlichen Verhaltnisse im Zeichen del' marxistischen<br />
Utopie; und obwohl sie dem wechselnden BeschuB durch gegenteilige politische<br />
Meinungen von links und rechts ausgesetzt waren, hielten sie bis zuletzt an<br />
Richter fest. Es liegt viel Wahrheit in Franz Mehrings freilich sardonisch gemeintern<br />
Urteil, daB Richter "nicht die Freisinnige <strong>Partei</strong> nach seinem Ebenbild geschaffen<br />
habe, son<strong>der</strong>n daB sie ibn zu ihrem Fuhrer gewahlt habe, weil sie in ibm<br />
ihr treffendstes Ebenbild sah." (Mehring, 1966, S. 165)<br />
79 Vgl. Wegner (1968, S. 99£f.). <strong>Die</strong> einzigen beiden Wahlkreise im Kaiserreich, die in je<strong>der</strong><br />
Reichstagswahl von 1871 bis 1912 linksliberal stimmten, waren die Wahlkreise Hagen<br />
Schwelm (<strong>der</strong> von Richter) und Berlin-Mitte~ Goldberg (1993, S. 53, Fn. 8).