Befreundete Dienste (I) BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht ...
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Quelle: , 02.07.2013<br />
<strong>Befreundete</strong> <strong>Dienste</strong> (I)<br />
<strong>BERLIN</strong>/<strong>WASHINGTON</strong> (<strong>Eigener</strong> <strong>Bericht</strong>) - Im Skandal um die<br />
umfassende Überwachung von Internet und Telefon durch USamerikanische<br />
und britische Geheimdienste kündigt die deutsche<br />
Kanzlerin erste Schritte der Bundesregierung an. "Das ist<br />
inakzeptabel", teilt Angela Merkel mit Blick auf jüngste <strong>Bericht</strong>e zur<br />
US-Spionage unter anderem in EU-Einrichtungen über ihren<br />
Sprecher mit: Man sei schließlich "nicht mehr im Kalten Krieg".<br />
Weitere demonstrative Protest-Maßnahmen hat Berlin am gestrigen Montag in die<br />
Wege geleitet. Unbeantwortet ist dabei immer noch die Frage, wie intensiv deutsche<br />
Behörden in die Telefon- und Internet-Überwachung involviert sind. Schon seit<br />
Jahren ist bekannt, dass die Geheimdienst-Kooperation zwischen den westlichen<br />
Staaten nach einem NATO-Beschluss vom 4. Oktober 2001 erheblich intensiviert<br />
wurde. Über die Foren und den Umfang des geheimen Datenaustauschs schweigt<br />
die Bundesregierung bislang ebenso wie über die mutmaßliche deutsche Zuarbeit<br />
auch für US-Stellen. Aktuelle <strong>Bericht</strong>e verweisen auf alte Vereinbarungen zur<br />
Geheimdienst-Zusammenarbeit aus der Zeit des Kalten Kriegs, die als<br />
Geheimabkommen geschlossen wurden - und bis heute in Geltung sind.<br />
Umfassend ausspioniert<br />
Mit demonstrativer Empörung reagiert die Bundesregierung auf die jüngsten<br />
Medienberichte über US-Spionagemaßnahmen. Den <strong>Bericht</strong>en zufolge überwacht<br />
der US-Militärgeheimdienst NSA (National Security Agency) nicht nur ungefähr 500<br />
Millionen Telefonate, Kurznachrichten und E-Mails pro Monat allein in Deutschland.<br />
Außerdem höre die NSA, heißt es, EU-Einrichtungen in Washington, New York und<br />
Brüssel sowie darüber hinaus die diplomatischen Vertretungen Frankreichs, Italiens<br />
und Griechenlands bei der UNO ab. "Das ist inakzeptabel", teilt Bundeskanzlerin<br />
Merkel über ihren Sprecher mit. Innenminister Hans-Peter Friedrich fordert eine<br />
Entschuldigung von den USA. Auch der Bundespräsident erklärt, die <strong>Bericht</strong>e<br />
machten ihm "große Sorge".[1] Das Auswärtige Amt hat gestern zudem den US-<br />
Botschafter einbestellt. Die Debatte eskaliert, seitdem bekannt ist, dass die NSA<br />
nicht nur Privatpersonen, sondern auch staatliche Stellen ausforscht.<br />
Alltäglicher Austausch<br />
Jenseits der aktuellen Debatte um das Ausforschen diplomatischer Vertretungen und<br />
der EU durch die NSA bleibt die Frage nach der offenkundigen Kooperation<br />
deutscher und US-amerikanischer Stellen bei der Internet-Spionage in Deutschland<br />
unbeantwortet. Die Behauptung von Regierung und BND, man habe nichts von den<br />
NSA-Aktivitäten geahnt, hat bei Spezialisten von Anfang an nur ein müdes Lächeln<br />
ausgelöst. "Fachleute haben es längst gewusst", bekräftigt der BND-Experte Erich<br />
Schmidt-Eenboom. "Die Bundesregierung muss es über die Beurteilung des BND<br />
und durch Studien des Bundesamtes für Sicherheit (in der Informationstechnik,<br />
d.Red.) ebenfalls längst gewusst haben." Die "Aufregung" in Berlin sei "in diesem<br />
Punkt gespielt".[2] Dies ergibt sich auch daraus, dass die deutschen <strong>Dienste</strong><br />
umstandslos einräumen, von einigen Anschlagsplänen - etwa von denjenigen der<br />
islamistischen "Sauerland-Gruppe" - nur dank aus dem Internet gewonnener
2<br />
Hinweise "befreundeter <strong>Dienste</strong>" erfahren zu haben. Der Austausch über derlei<br />
"Fälle" bestimme "den Alltag der nachrichtendienstlichen Kooperation", heißt es in<br />
<strong>Bericht</strong>en; dies gelte keineswegs nur für die Behörden-Zusammenarbeit im Inland -<br />
etwa im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) -, sondern auch "in<br />
institutionalisierten" sowie "informellen Runden auf internationaler Ebene".[3]<br />
Geheimbeschluss<br />
Massiv ausgebaut worden ist internationale Spionage-Kooperation nach den<br />
Anschlägen vom 11. September 2001. Dabei hüllen sich die westlichen Staaten<br />
sowohl über den Umfang als auch über die konkreten Foren der Zusammenarbeit bis<br />
heute in striktes Schweigen. Ansatzpunkte bietet ein <strong>Bericht</strong>, den der Schweizer<br />
Jurist Dick Marty als Sonderermittler der Parlamentarischen Versammlung des<br />
Europarats erstellt und im Jahr 2007 veröffentlicht hat. Anlass und<br />
Untersuchungsgegenstand war damals die Folterkooperation auch deutscher Stellen<br />
mit der CIA, bei der Terrorverdächtige regelmäßig verschleppt und brutal misshandelt<br />
wurden (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Marty kam in seinem <strong>Bericht</strong> zu<br />
dem Schluss, die Grundlage für die Folter-Kooperation sei durch einen NATO-<br />
Beschluss vom 4. Oktober 2001 gelegt worden. Öffentlich ist bei der NATO zu<br />
erfahren, man habe sich an diesem Tag unter anderem darauf geeinigt, den<br />
Austausch von Geheimdienst-Erkenntnissen und die geheimdienstliche Kooperation<br />
auszuweiten - bilateral, aber auch im NATO-Rahmen. In Brüssel musste Marty sich<br />
allerdings bestätigen lassen, dass ein Teil des Beschlusses, der am 4. Oktober 2001<br />
von sämtlichen NATO-Staaten - Deutschland inklusive - gefällt wurde, geheim<br />
bleibe.[5] Das ist bis heute der Fall.<br />
Taktik und Tricks<br />
Bekannt ist, dass die NSA ihre Spionage-Aktivitäten nach dem 11. September 2001<br />
in gewaltigem Maße ausweitete. Bekannt ist ebenfalls, dass die westlichen<br />
Geheimdienste jenseits ihrer üblichen Zusammenarbeit neue Foren für den<br />
Austausch schufen. Eines dieser Foren namens "Alliance Base" arbeitete einige<br />
Jahre lang in Paris; beteiligt waren <strong>Dienste</strong> der vier angelsächsischen Mächte USA,<br />
Großbritannien, Kanada und Australien sowie Frankreichs und Deutschlands. Die<br />
Einrichtung ging über bloßen Informationsaustausch weit hinaus und organisierte die<br />
Inhaftierung von Verdächtigen, darunter auch deutsche Staatsbürger.[6] Wegen<br />
Unstimmigkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich wurde sie 2009<br />
aufgelöst. Über Nachfolgeprojekte ist nichts bekannt. <strong>Bericht</strong>en ist jedoch zu<br />
entnehmen, dass "Alliance Base" nicht einzigartig, sondern ein Beispiel für<br />
Kooperationen war, die - "oft in provisorischen Arrangements" - von je "einer<br />
Handvoll" Geheimdienstlern aus den beteiligten Ländern durchgeführt werden.[7]<br />
Über "Alliance Base" hieß es ausdrücklich, die Einrichtung ermögliche es deutschen<br />
<strong>Dienste</strong>n, über Behörden anderer mit Deutschland kooperierender Staaten Daten der<br />
deutschen Polizei zu erhalten, die in der Bundesrepublik aufgrund des<br />
Trennungsgebotes nicht weitergegeben werden dürften - ein Trick, der die öffentlich<br />
weithin unbekannten taktischen Vorteile internationaler Geheimdienst-Kooperation<br />
vor Augen führt.<br />
Gegenseitig beliefert<br />
Ein weiterer taktischer Vorteil, den deutsche <strong>Dienste</strong> offenkundig aus der<br />
Kooperation mit ihren westlichen Partnerdiensten ziehen können, ist der freie Zugang<br />
zu Informationen, die sie selbst im Inland aufgrund gesetzlicher Einschränkungen<br />
nicht sammeln dürfen. Die deutsche Spionage sei "auf Kooperation" geradezu
3<br />
"angewiesen", heißt es in <strong>Bericht</strong>en - auch "deswegen, weil nationale<br />
Datenschutzgesetze und Speicherungsverbote" ihren eigenen "Aktionsradius<br />
begrenzen".[8] Dabei bringt der BND allerdings auch seine eigenen Spionage-<br />
Kapazitäten und -Erkenntnisse in die Kooperation ein. Wie es in britischen <strong>Bericht</strong>en<br />
heißt, geht aus Dokumenten aus Europa und den USA hervor, dass mindestens<br />
sechs EU-Staaten formelle Übereinkünfte über die Lieferung von Spionagedaten an<br />
US-<strong>Dienste</strong> unterzeichnet haben. Dabei handele es sich neben Großbritannien,<br />
Dänemark, den Niederlanden, Frankreich und Spanien auch um Deutschland. Weiter<br />
heißt es, Experten bestätigten, dabei gehe es auch um die Übermittlung von aus<br />
Telefon- und Internet-Überwachung gewonnenen Daten. Die Grundlage dafür sei<br />
bereits vor Jahrzehnten gelegt worden; es handle sich um eine Übereinkunft aus<br />
dem Jahr 1955.[9]<br />
Eine Verwaltungsvereinbarung<br />
Über geheime Vereinbarungen aus dieser Zeit hat seit letztem Jahr mehrfach der<br />
Freiburger Historiker Joseph Foschepoth berichtet. Grundlage ist seine umfassende<br />
Studie "Überwachtes Deutschland" über die Post- und Telefonüberwachung in der<br />
frühen Bundesrepublik. Foschepoth hat nicht nur festgestellt, dass zeitweise 80<br />
Prozent aller Postsendungen aus der DDR in die BRD von den bundesdeutschen<br />
Behörden abgegriffen und von diesen wiederum 80 Prozent vernichtet wurden. Vor<br />
allem berichtet er von Übereinkünften über eine Kooperation der Geheimdienste.<br />
Demnach hat Bonn im Jahr 1968 eine geheime Verwaltungsvereinbarung<br />
abgeschlossen, die auf ältere Abkommen aus den 1950er Jahren zurückging und die<br />
Bundesregierung verpflichtete, "für die westlichen Siegermächte Post- und<br />
Fernmeldeüberwachungen durchzuführen oder von diesen selbst durchführen zu<br />
lassen". Foschepoth zufolge gilt die Verwaltungsvereinbarung "bis heute unverändert<br />
fort". Auf ihrer Grundlage sei es US-Militärdiensten unverändert erlaubt, bei Bedarf<br />
auch eigenständig in der Bundesrepublik "Überwachungsmaßnahmen des Post- und<br />
Fernmeldeverkehrs" durchzuführen.[10] Ob die praktische deutsch-USamerikanische<br />
Spionage-Kooperation auf dieser Vereinbarung oder eher auf den<br />
nach dem 11. September 2001 eingeleiteten Maßnahmen des "Anti-Terror-Krieges"<br />
beruht oder ob beides untrennbar verflochten ist, darüber schweigt sich die<br />
Bundesregierung bis heute ebenso aus wie über die Frage, wie weit sie reicht.<br />
[Alle folgenden GFP-links unter: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58636]<br />
[1] Merkel nennt NSA-Aktion "inakzeptabel"; www.zeit.de 01.07.2013<br />
[2] "Deutschland ist für Spione so wichtig wie China"; www.ovb-online.de 26.06.2013<br />
[3] So profitiert der BND von den NSA-Spähprogrammen; www.faz.net 27.06.2013<br />
[4] s. dazu Abgleiten in die Barbarei (II), Geprüft und vernommen und Schweigeboykott<br />
[5] s. dazu Oktober 2001<br />
[6], [7] Help From France Key In Covert Operations; www.washingtonpost.com 03.07.2005. S. auch<br />
Abgrundtiefe Doppelzüngigkeit und Interview mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger<br />
[8] So profitiert der BND von den NSA-Spähprogrammen; www.faz.net 27.06.2013<br />
[9] Key US-EU trade pact under threat after more NSA spying allegations; www.guardian.co.uk<br />
30.06.2013<br />
[10] Historiker Josef Foschepoth über den systematischen Bruch des Postgeheimnisses in der<br />
Bundesrepublik; www.badische-zeitung.de 09.02.2013<br />
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03.07.2013<br />
<strong>Befreundete</strong> <strong>Dienste</strong> (II)
4<br />
<strong>BERLIN</strong>/<strong>WASHINGTON</strong> (<strong>Eigener</strong> <strong>Bericht</strong>) - Bereits vor 25 Jahren<br />
hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) weitreichende Kenntnisse<br />
über umfassende Spionage-Aktivitäten der NSA in der<br />
Bundesrepublik. Dies geht aus einem in Teilen neu veröffentlichten<br />
Medienbericht aus dem Jahr 1989 hervor. Demnach sind die<br />
deutschen Geheimdienste schon damals von der NSA mit<br />
Informationen versorgt worden, die sie selbst zu beschaffen nicht in<br />
der Lage waren. Dabei operiert der BND, wie Experten bestätigen, heute keineswegs<br />
grundsätzlich anders als die NSA. Tatsächlich hat der Dienst nicht nur - wie die US-<br />
Behörde - Vorrichtungen zum Anzapfen der Telekommunikation direkt bei<br />
Netzbetreibern im eigenen Land angebracht, er spioniert auch Regierungen<br />
souveräner Staaten aus, etwa die afghanische, womöglich auch die syrische<br />
Regierung. Das zu Wochenbeginn in Kraft getretene neue<br />
Telekommunikationsgesetz eröffnet den <strong>Dienste</strong>n auch den Zugang zu den<br />
sogenannten Bestandsdaten deutscher Nutzer. Die parlamentarische Kontrolle der<br />
<strong>Dienste</strong> wird von Fachleuten als völlig unzureichend eingestuft. Vor wenigen Jahren<br />
hat der heutige Finanzminister dennoch dafür plädiert, sie abzuschaffen.<br />
"Die Amerikaner gefragt"<br />
Wie aus einem <strong>Bericht</strong> der Zeitschrift "Der Spiegel" vom Februar 1989 hervorgeht,<br />
den das Blatt aus aktuellem Anlass in Auszügen neu veröffentlicht [1], sind die<br />
bundesdeutschen Geheimdienste bereits Ende der 1980er Jahre über umfassende<br />
Spionage-Aktivitäten der NSA in der Bundesrepublik informiert gewesen. Mit Blick<br />
auf breite Abhörmaßnahmen der NSA hieß es in dem <strong>Bericht</strong>: "Westdeutsche<br />
Geheimdienstler wissen längst, dass das Fernmeldegeheimnis (...) nichts gilt." Ein<br />
hochrangiger bundesdeutscher Geheimdienstler wird mit den Worten zitiert, er könne<br />
sich "gut vorstellen", dass die NSA "abhört, was der Hamburger Senat mit dem<br />
bayerischen Innenministerium zu besprechen hat".[2] Bereits damals haben<br />
allerdings deutsche Behörden auch Nutzen daraus gezogen. So heißt es, es gingen<br />
immer wieder NSA-<strong>Bericht</strong>e in den bundesdeutschen Geheimdienstzentralen ein, die<br />
Insider problemlos als Mitschrift abgehörter Telefongespräche identifizieren könnten.<br />
Schon in der Amtszeit von Bundesinnenminister Hermann Höcherl (1961 bis 1965)<br />
sei dies gängige Praxis gewesen. Abhören "hatten wir gar nicht nötig", wird Höcherl<br />
zitiert; "wenn wir was wissen wollten, haben wir's den Amerikanern gesagt". Mit Blick<br />
auf die im Laufe der Jahre ausgeweitete Tätigkeit des BND rechtfertigte ein Vertreter<br />
der amerikanischen Seite die US-Spionagepraxis 1989 mit den Worten: "Warum<br />
auch nicht, ihr hört uns doch auch ab". Dem Historiker Josef Foschepoth zufolge sind<br />
die gesetzlichen Geheimgrundlagen der Spionage-Kooperation heute noch in Kraft<br />
(german-foreign-policy.com berichtete [3]).<br />
"Nicht so weit aus dem Fenster hängen"<br />
Dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) nicht grundsätzlich anders<br />
operiert als die NSA oder als britische Spionage-Organisationen, hat noch vor<br />
wenigen Tagen der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck bestätigt. "Wir<br />
machen das in Gestalt des Bundesnachrichtendienstes im Ausland selbst", erklärte<br />
Wieck letzte Woche: "Das ist nicht mehr Illegales drin als in anderen<br />
geheimdienstlichen Tätigkeiten."[4] Konkret gestattet es das sogenannte G-10-<br />
Gesetz [5] etwa, bei ernsten Gefahren für die Bundesrepublik den Datenverkehr mit<br />
dem Ausland zu kontrollieren, also die Auslandsknoten der in Deutschland tätigen<br />
Telekommunikations-Anbieter anzuzapfen. "Bei den Netzbetreibern, die die Verkehre
5<br />
ins Ausland leiten, hat der Bundesnachrichtendienst direkt seine Leitungen<br />
angelegt", erklärt Klaus Landefeld, "Vorstand Infrastruktur und Netze" beim "Verband<br />
der deutschen Internetwirtschaft": "Die deutschen Behörden sollten sich also zum<br />
Thema Prism nicht so weit aus dem Fenster hängen".[6] Auslandsknoten betreiben<br />
demnach etwa die Telekom, Vodafone, Telefónica und Verizon.<br />
Schleppnetz und Harpune<br />
Unmittelbar nach den Äußerungen von Wieck, die Tätigkeit des BND unterscheide<br />
sich nicht grundsätzlich von derjenigen der aktuell inkriminierten US-amerikanischen<br />
und britischen Stellen, sind in deutschen Medien mehrere <strong>Bericht</strong>e erschienen, die<br />
dies zu relativieren scheinen. Demnach könne man die angloamerikanischen<br />
Aktivitäten mit einem Schleppnetz vergleichen, während der BND sehr gezielt<br />
operiere: Er fische nicht wahllos im Datenmeer, sondern operiere mit Suchbegriffen,<br />
weshalb er in der Lage sei, präzise zu treffen und unnötigen Beifang zu vermeiden -<br />
vergleichbar dem Fischfang mit einer Harpune. Als Beleg wurden unter Berufung auf<br />
BND-Quellen sinkende Zahlen der gesammelten Verkehrsdaten genannt.[7] Selbst<br />
wenn dies zuträfe, bliebe festzuhalten, dass die Suchbegriffe aus dem gesamten<br />
Telefon- und Internetverkehr herausgefiltert werden müssen, also die Ausforschung<br />
nicht unterbleibt, sondern allenfalls verlagert wird. Gänzlich unklar ist außerdem die<br />
internationale Arbeitsteilung der westlichen <strong>Dienste</strong> und in ihr die besondere Rolle<br />
des BND, der sich offenkundig auf die "Schleppnetze" der "befreundeten <strong>Dienste</strong>"<br />
verlassen kann.<br />
Regierungen überwacht<br />
Zu den speziellen Arbeitsfeldern des BND gehört dabei das Ausforschen staatlicher<br />
Behörden via Internet in ausgewählten Zielstaaten. Bereits im Jahr 2009 hatte der<br />
stellvertretende BND-Präsident Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven bestätigt, der<br />
Dienst habe "in 90 Fällen" Festplatten in fremden Staaten mit Hilfe von Trojanern<br />
ausgespäht - unter anderem in Afghanistan und im Kongo. Davon betroffen gewesen<br />
seien nicht nur Privatunternehmen, sondern auch "politische Institutionen" und<br />
Behörden. In 2.500 nicht näher spezifizierten Fällen habe man zudem versucht, in E-<br />
Mail-Konten einzudringen.[8] Unlängst hat BND-Präsident Gerhard Schindler die<br />
BND-Praktiken konkretisiert. Demnach spioniert der BND unmittelbar die afghanische<br />
Regierung aus [9] - explizit auf Weisung des Bundeskanzleramts. Dabei fing der<br />
Dienst vor einigen Jahren auch E-Mails einer deutschen Journalistin ab, die<br />
elektronisch mit dem Handelsminister in Kabul kommuniziert hatte, obwohl das<br />
Ausforschen deutscher Staatsbürger dem Auslandsgeheimdienst explizit untersagt<br />
ist.[10] Schindler zufolge bezieht die BND-Internet-Spionage auch Syrien ein. Dies<br />
stellt erneut die Frage nach dem Ausmaß der deutschen Kriegsbeteiligung -<br />
schließlich ist bekannt, dass der Auslandsgeheimdienst seine Erkenntnisse mit<br />
"befreundeten <strong>Dienste</strong>n" und damit auch mit deren Kooperationspartnern teilt.[11]<br />
Eine Ordnungswidrigkeit genügt<br />
Der NSA-Skandal kommt für den BND zu einem recht ungünstigen Zeitpunkt, da er<br />
gegenwärtig seine Kapazitäten zum Ausspähen des Internets ausweiten will. Zu<br />
diesem Zweck verlangt er innerhalb der nächsten fünf Jahre 100 Millionen Euro, von<br />
denen die Regierung fünf bereits freigegeben hat. Einem <strong>Bericht</strong> zufolge soll die<br />
Abteilung "Technische Aufklärung" 100 neue Mitarbeiter erhalten; außerdem sollen<br />
die Rechen- und die Speicherkapazitäten vergrößert werden.[12] Günstig fügt sich,<br />
dass am Montag (1. Juli) das neue Telekommunikationsgesetz in Kraft getreten ist.<br />
Es erlaubt den Behörden unter bestimmten Bedingungen, auf sogenannte
6<br />
Bestandsdaten zuzugreifen - Daten, die Name, Adresse, IP-Adressen, persönliche<br />
Kennziffern sowie Passwörter eines Anschluss-Inhabers umfassen. Konnten derlei<br />
Daten zuvor nur bei schweren Straftaten abgerufen werden, genügt jetzt schon das<br />
Vorliegen einer einfachen Ordnungswidrigkeit.<br />
Kontrolle nur rudimentär<br />
Bei alledem ziehen Kritiker die Wirksamkeit der offiziellen Geheimdienst-Kontrolle in<br />
Frage, die deutsche Stellen regelmäßig hervorheben. Dies trifft nicht nur auf die<br />
Inlandsgeheimdienste zu, die im aktuellen NSU-Skandal beispielsweise zahlreiche<br />
Akten schredderten, bevor sie den zuständigen Untersuchungsausschüssen und<br />
Gerichten zugestellt werden konnten (german-foreign-policy.com berichtete [13]).<br />
Über seine Erfahrungen bezüglich des BND erklärt der Bundestags-Abgeordnete<br />
Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), der seit 2002 dem zuständigen<br />
Parlamentarischen Kontrollgremium angehört: "Die parlamentarische Kontrolle ist nur<br />
rudimentär möglich. Wir haben ganz selten durch eigene Kontrollmaßnahmen<br />
Skandale, Fehlentwicklungen oder Schlimmeres rausbekommen."[14] Dennoch kann<br />
nicht einmal die rudimentäre parlamentarische Geheimdienstkontrolle als gesichert<br />
gelten. Im September 2009 sprach sich der damalige Bundesinnenminister Wolfgang<br />
Schäuble dafür aus, sie abzuschaffen.[15] Als Grund nannte Schäuble, es gebe bei<br />
"befreundeten <strong>Dienste</strong>n" häufig "Zweifel" daran, dass ihre Kooperation und ihr<br />
Informationsaustausch mit mit dem BND sowie mit anderen deutschen Spionage-<br />
Organisationen "tatsächlich vertraulich" blieben. Dem Einwand, ließ Schäuble<br />
erkennen, müsse Rechnung getragen werden.<br />
[Alle folgenden GFP-links unter: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58637]<br />
Weitere Informationen finden Sie hier: <strong>Befreundete</strong> <strong>Dienste</strong> (I).<br />
[1] NSA-Lauscher: Das konnte doch keiner ahnen! Oder? www.spiegel.de 02.07.2013<br />
[2] NSA: Amerikas großes Ohr; Der Spiegel 8/1989<br />
[3] s. dazu <strong>Befreundete</strong> <strong>Dienste</strong> (I)<br />
[4] Ex-BND-Präsident hält Prism für legitim; www.mz-web.de 25.06.2013<br />
[5] Das "G-10-Gesetz" regelt, unter welchen Umständen die deutschen Geheimdienste das durch<br />
Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis außer Kraft setzen<br />
dürfen.<br />
[6] Nutzer bereiten Geheimdiensten leichtes Spiel; www.tagesspiegel.de 25.06.2013<br />
[7] So profitiert der BND von den NSA-Spähprogrammen; www.faz.net 27.06.2013<br />
[8] Trojaner im Dienst; Focus 13/2009<br />
[9] Der BND spioniert nur gezielt; www.mz-web.de 27.06.2013<br />
[10] s. dazu Lauschtechnik<br />
[11] s. dazu Verdeckte Kriegspartei und Im Bündnis mit der Diktatur<br />
[12] BND will Internet-Überwachung massiv ausweiten; www.spiegel.de 16.06.2013<br />
[13] s. dazu Von Spitzeln umstellt und Nicht nur Pleiten, Pech und Pannen<br />
[14] Lizenz zum Lauschen: Spionage beim G20-Gipfel; www.dw.de 17.60.2013<br />
[15] Bundestag bald ohne Geheimdienst-Kontrolle? www.handelsblatt.com 17.09.2009