James Cook und die Entdeckung der Südsee - Spektrum CP
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POLYNESIEN:<br />
VIELFÄLTIGE KULTUREN<br />
Die meisten Inseln, <strong>die</strong><br />
<strong>Cook</strong> besucht hat, gehören<br />
zu Polynesien. Jede besitzt<br />
eine eigene Religion <strong>und</strong><br />
Sprache. Die unterschiedlichen<br />
Kulturen gehen auf<br />
ähnliche Vorstellungen<br />
zurück, <strong>die</strong> auf den Begriffen<br />
mana <strong>und</strong> tapu beruhen.<br />
Mana bezeichnet<br />
<strong>die</strong> übernatürliche Macht,<br />
<strong>die</strong> mit <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Stellung verb<strong>und</strong>en<br />
ist. Sie wird geschützt<br />
durch Verbote (tapu, von<br />
dem das deutsche Wort<br />
Tabu abstammt).<br />
Häuptlinge, <strong>die</strong> ihren<br />
Rang vererben, nautische<br />
Experten, Kunsthandwerker<br />
<strong>und</strong> Krieger bilden<br />
zu <strong>Cook</strong>s Zeit <strong>die</strong> wichtigsten<br />
gesellschaftlichen<br />
Stände <strong>der</strong> Inseln. Die<br />
soziale Struktur gleicht<br />
einer Pyramide mit wenigen<br />
einflussreichen Vertretern<br />
an <strong>der</strong> Spitze. Die<br />
Stämme auf den Tongainseln<br />
sind am stärksten<br />
hierarchisch geglie<strong>der</strong>t. Im<br />
Unterschied zu an<strong>der</strong>en<br />
polynesischen Gesellschaften<br />
gibt es bei den<br />
Maori keine zentra lisierte<br />
Macht. Die Gesellschaft<br />
ist nach aristokratischen<br />
Prinzipien organisiert.<br />
Heilige Orte <strong>und</strong> <strong>der</strong> gemeinsame<br />
rituelle Genuss<br />
von kava, dem Aufguss<br />
eines tropischen Pfeffers,<br />
sind für Polynesien charakteristisch.<br />
Die Entdecker<br />
haben keine Vorstellung<br />
von den Traditionen<br />
<strong>der</strong> Ureinwohner, <strong>die</strong> sich<br />
mit <strong>der</strong> Erschaffung des<br />
Universums beschäftigen,<br />
von den Ritualen <strong>und</strong> ihrer<br />
Bedeutung im täglichen<br />
Leben.<br />
»Alles, was sie zu begehren<br />
schienen, war, dass wir<br />
wie<strong>der</strong> verschwanden«<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
wäre Tupaia nicht gewesen. Der hochrangige Priester<br />
aus Tahiti begleitet <strong>die</strong> Englän<strong>der</strong> seit einigen<br />
Wochen. Er hilft ihnen nicht nur, sich in <strong>der</strong> Inselwelt<br />
Polynesiens zu orientieren, er schlägt auch<br />
eine Brücke zwischen <strong>der</strong> Mannschaft <strong>und</strong> den<br />
Maori. »Es war eine freudige Überraschung für<br />
uns, dass sie ihn ohne Schwierigkeiten verstanden«,<br />
notiert <strong>Cook</strong> anschließend. Obwohl <strong>die</strong><br />
Maori H<strong>und</strong>erte von Jahren in völliger Isolation<br />
gelebt haben, gleicht ihre Sprache am Ende des<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>erts noch immer <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> Inseln,<br />
von denen ihre Ahnen vor über 3000 Jahren<br />
kamen.<br />
Die Maori respektieren Tupaia sofort – <strong>und</strong> damit<br />
auch <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> seine Mannschaft. Sie betrachten<br />
den Priester als Anführer <strong>der</strong> seltsam aussehenden<br />
weißen Männer. Die Nachricht seiner Ankunft<br />
verbreitet sich schnell unter den Stämmen<br />
<strong>der</strong> Nordinsel. Tupaia <strong>und</strong> sein Gefolge werden<br />
auf Dorfplätzen empfangen, wo sie Geschenke<br />
austauschen, über <strong>die</strong> Abstammung <strong>der</strong> Familien<br />
diskutieren <strong>und</strong> gemeinsam feiern.<br />
Die Begeisterung <strong>der</strong> Maori über <strong>die</strong> Ankunft<br />
<strong>der</strong> Fremden wie<strong>der</strong>holt sich bei den späteren Besuchen<br />
<strong>Cook</strong>s auf <strong>der</strong> Insel nicht. Tupaia ist inzwischen<br />
gestorben. Zwar stößt auf <strong>der</strong> zweiten Pazifikreise<br />
wie<strong>der</strong> ein Einheimischer zu den Fremden<br />
– Omai –, doch ihm fehlt das Format Tupaias.<br />
Neben friedlichen Kontakten kommt es nun auch<br />
immer wie<strong>der</strong> zu blutigen Konflikten.<br />
Für <strong>die</strong> Ureinwohner <strong>der</strong> pazifischen Inselwelt<br />
markieren <strong>die</strong> <strong>Entdeckung</strong>sreisen von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
den Beginn eines katastrophalen sozialen, politischen<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlichen Umbruchs. Trotzdem<br />
sehen <strong>die</strong> Maori bis heute – zumindest in Tupaia –<br />
einen Helden: Noch immer tragen Orte <strong>und</strong> Menschen<br />
seinen Namen.<br />
Auch <strong>die</strong> Bewohner Tahitis haben Kapitän<br />
<strong>Cook</strong> auf seiner ersten <strong>Entdeckung</strong>sfahrt 1769 als<br />
taio, Fre<strong>und</strong>, begrüßt. Obwohl Tupaia <strong>die</strong> Europäer<br />
erst von <strong>die</strong>ser Station an begleiten wird, überreichen<br />
<strong>die</strong> Tahitianer den Fremden bei ihrer Ankunft<br />
duftende Tücher <strong>und</strong> Bananenzweige als<br />
Friedenssymbole. Sie bewirten <strong>die</strong> Mannschaft<br />
mit Fisch <strong>und</strong> Kokosmilch. Die Frauen deuten auf<br />
Matten <strong>und</strong> »nötigten uns bisweilen mit Gewalt,<br />
uns darauf zu setzen«, hält <strong>der</strong> englische Botaniker<br />
Joseph Banks fest.<br />
Doch <strong>die</strong> Begegnungen auf <strong>der</strong> para<strong>die</strong>sisch<br />
anmutenden Insel verlaufen nicht ohne Konflikte.<br />
Als ein Tahitianer eine Muskete stiehlt, erschießt<br />
ihn ein Matrose. <strong>Cook</strong> versichert den Ureinwohnern,<br />
»dass wir noch immer ihre Fre<strong>und</strong>e<br />
waren«, schreibt er kurz darauf in sein Tagebuch.<br />
Wie <strong>die</strong> Inselbewohner <strong>die</strong>sen Vorfall erlebten, ist<br />
nicht überliefert. Ihre Gedanken aus den englischen<br />
Tagebüchern zu erraten, ist so, als würde<br />
man einen Film ohne Ton anschauen: »Kein Zeichen<br />
<strong>der</strong> Vergebung war in ihren Mienen zu lesen;<br />
sie blickten verdrossen <strong>und</strong> beleidigt drein«,<br />
wird Banks über einen späteren Konflikt notieren.<br />
Trotz einiger Auseinan<strong>der</strong>setzungen sind <strong>die</strong><br />
Europäer von den »edlen Wilden« begeistert – <strong>und</strong><br />
von ihren Frauen hingerissen: »Sie versichern<br />
sich unserer Fre<strong>und</strong>schaft auf eine Art <strong>und</strong> Weise,<br />
<strong>die</strong> alles an<strong>der</strong>e als platonisch ist«, hält Segelmeister<br />
Robert Molyneux fest.<br />
Die drei Reisen von <strong>Cook</strong> scheinen untrennbar<br />
verb<strong>und</strong>en mit erotischen Abenteuern, mit<br />
schönen, sinnlichen <strong>und</strong> scheinbar lie<strong>der</strong>lichen<br />
Frauen. Doch <strong>die</strong> sexuellen Berichte <strong>der</strong> Entdecker<br />
beschränken sich vor allem auf <strong>die</strong> Erlebnisse<br />
auf Tahiti <strong>und</strong> Hawaii. Auf den Neuen Hebriden<br />
(Vanuatu) <strong>und</strong> in Neukaledonien gibt es solche<br />
Begegnungen nicht. Die Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Berichte, <strong>die</strong><br />
auf den <strong>Entdeckung</strong>sfahrten entstehen, bestätigen<br />
<strong>die</strong>s: Während <strong>die</strong> Frauen <strong>der</strong> westlichen<br />
Pazifikinseln bei den europäischen Seeleuten als<br />
»hässlich«, »abstoßend« <strong>und</strong> »verunstaltet« gelten,<br />
stellen sie <strong>die</strong> Frauen <strong>der</strong> östlichen Inseln als<br />
schöne, klassisch proportionierte Frauenkörper<br />
in einer glückseligen Landschaft dar.<br />
Europäische Wissenschaftler werden lange<br />
glauben, <strong>die</strong> Polynesierinnen zu <strong>Cook</strong>s Zeit seien<br />
Nymphomaninnen, <strong>die</strong> es auf erotische Abenteuer<br />
mit Auslän<strong>der</strong>n anlegen. Heute weiß man,<br />
dass <strong>der</strong> Sex mit Fremden für <strong>die</strong> Frauen eine<br />
Möglichkeit zum Handel bedeutete: Stoff, Perlen,<br />
rote Fe<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Beile tauschten sie gegen sexuelle<br />
Be ziehungen ein. Außerdem sahen <strong>die</strong> hawaiianischen<br />
Frauen in den mächtigen Auslän<strong>der</strong>n<br />
eine Chance, einflussreiche Kin<strong>der</strong> zu zeugen <strong>und</strong><br />
sich so innerhalb ihres Stamms Macht zu sichern.<br />
Erzählungen zufolge stopften <strong>die</strong> Frauen <strong>die</strong> Nabelschnüre<br />
ihrer Neugeborenen in <strong>die</strong> Risse von<br />
<strong>Cook</strong>s Schiff: »Welche Frau hätte nicht <strong>die</strong> piko<br />
(Nabelschnur) ihres Babys dort haben wollen?«<br />
Aus Sicht <strong>der</strong> indigenen Bevölkerung haben<br />
<strong>die</strong> sexuellen Kontakte mit den Europäern vor<br />
allem einen gewalttätigen Aspekt: Viele junge<br />
Mädchen werden von ihren Verwandten gezwungen,<br />
<strong>die</strong>se »heiligen Ehen« einzugehen, <strong>die</strong> in <strong>der</strong><br />
Regel <strong>die</strong> Entjungferung bedeuten. Treibende<br />
Kraft ist laut Wissenschaftlern <strong>der</strong> kollektive<br />
30 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>