20.11.2013 Aufrufe

James Cook und die Entdeckung der Südsee - Spektrum CP

James Cook und die Entdeckung der Südsee - Spektrum CP

James Cook und die Entdeckung der Südsee - Spektrum CP

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W<br />

ie ein riesiger weißer Vogel nähert sich<br />

<strong>der</strong> Segler dem Strand. Er ist größer als<br />

jedes Kanu, das Te Horeta je gesehen hat. Der staunende<br />

Junge <strong>und</strong> sein Maori-Klan sammeln Herzmuscheln<br />

auf <strong>der</strong> Nordinsel Neuseelands, als <strong>die</strong><br />

»Endeavour« im Herbst 1769 den Anker setzt. Seit<br />

mehr als sechs Jahrh<strong>und</strong>erten hat hier niemand<br />

mehr ein Schiff gesehen, das sich vom offenen<br />

Ozean <strong>der</strong> Insel nähert. Die Ältesten überlegen, ob<br />

das Ungetüm aus <strong>der</strong> Geisterwelt kommt. Als<br />

bleichhäutige Männer aus seinem Bauch klettern<br />

<strong>und</strong> in einem kleinen Boot mit dem Rücken zum<br />

Land auf <strong>die</strong> Küste zuru<strong>der</strong>n, nicken <strong>die</strong> Weisen:<br />

»Ja, es ist so: Diese Kreaturen sind Kobolde, sie haben<br />

<strong>die</strong> Augen im Hinterkopf.«<br />

Zunächst geben sich <strong>die</strong> Kobolde harmlos. Sie<br />

suchen Austern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Nahrung, sammeln<br />

Muscheln <strong>und</strong> Blumen, klopfen auf Steine <strong>und</strong><br />

lassen sie in Beutel verschwinden. »Wir strichen<br />

über ihre Klei<strong>der</strong> <strong>und</strong> erfreuten uns am Weiß ihrer<br />

Haut <strong>und</strong> an den blauen Augen, <strong>die</strong> manche<br />

hatten«, wird Te Horeta später den Kolonialherren<br />

erzählen, <strong>die</strong> seinen Bericht aufzeichnen.<br />

Plötzlich zeigt einer <strong>der</strong> Kobolde mit seinem<br />

Gehstock in <strong>die</strong> Luft. »Ein Donner ertönte, <strong>und</strong><br />

ein Blitz war zu sehen.« Dann stürzt ein Vogel zu<br />

Boden. Doch was hat ihn getötet? Das erfahren<br />

<strong>die</strong> Maori erst, als einer ihrer Krieger den Fremden<br />

einen Handel anbietet. Doch statt dem Kobold<br />

den Umhang aus H<strong>und</strong>efell zu übergeben,<br />

reißt er ihm <strong>die</strong> zum Tausch gebotenen Klei<strong>der</strong><br />

aus den Händen <strong>und</strong> ru<strong>der</strong>t davon. Der Gehstock<br />

blitzt erneut auf, <strong>der</strong> Krieger fälltn – mit einem<br />

Loch im Rücken. Der Klan bestattet ihn in den<br />

Klei<strong>der</strong>n des Kobolds; da er seinen Tod selbst verschuldet<br />

hat, gibt es keine utu, keine Rache.<br />

Eines Tages fährt <strong>der</strong> Klan in Kanus los, um <strong>die</strong><br />

Wohnstätte <strong>der</strong> Kobolde zu besuchen. Die Kin<strong>der</strong><br />

weigern sich, das Schiff zu betreten. »Wir hatten<br />

Angst, sie könnten uns verhexen«, berichtet Te<br />

Horeta. Doch sie lassen es zu, dass <strong>die</strong> Fremden<br />

ihnen das Haar zerzausen. »Sie machten schnatternde<br />

Geräusche beim Sprechen. Wir lachten, da<br />

wir sie nicht verstehen konnten, <strong>und</strong> sie lachten<br />

mit uns.«<br />

Vor ihrer Abfahrt schenkt ihm <strong>der</strong> Anführer<br />

<strong>der</strong> Fremden ein kleines, scharfes Stück Metall. Er<br />

soll ein großer Kapitän sein, <strong>der</strong> Kuku heißt. Te<br />

Horeta ist beeindruckt von dessen ruhiger Ausstrahlung.<br />

Dafür gibt es in seiner Sprache ein<br />

Sprichwort: »E koro te tino tangata e ngaro i roto i<br />

te tokomaha« – »Ein Edler ist auch unter H<strong>und</strong>erten<br />

nicht zu übersehen«.<br />

Te Horeta verliert seinen Gott<br />

Te Horeta trägt das metallene Geschenk als heitiki,<br />

Talisman, um den Hals. Er steckt es auf <strong>die</strong><br />

Spitze seines Speers, graviert damit Holzschachteln<br />

<strong>und</strong> repariert <strong>die</strong> Kanus seines Klans: »Ich<br />

hütete den Nagel, bis ich eines Tages in einem<br />

Kanu fuhr <strong>und</strong> es auf dem Meer kenterte. Ich bin<br />

danach getaucht, aber ich habe ihn nicht mehr gef<strong>und</strong>en.<br />

Ich hatte meinen Gott verloren.«<br />

Te Horetas Schil<strong>der</strong>ungen gehören zu den wenigen<br />

Quellen <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong>sfahrten, aus denen<br />

sich ablesen lässt, wie <strong>die</strong> Ureinwohner <strong>die</strong><br />

Ankunft <strong>der</strong> Europäer erlebt haben. Die Tagebücher<br />

von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> seinen Männern bestätigen,<br />

dass <strong>der</strong> Klan <strong>die</strong> Fremden fre<strong>und</strong>schaftlich<br />

aufgenommen hat.<br />

Doch <strong>Cook</strong>s erste Schritte auf Neuseeland im<br />

Jahr 1769 hätten auch seine letzten sein können –<br />

»Sie machten<br />

schnatternde<br />

Geräusche beim<br />

Sprechen. Wir<br />

lachten, da wir<br />

sie nicht verstehen<br />

konnten,<br />

<strong>und</strong> sie lachten<br />

mit uns«<br />

Te Horeta<br />

Auf <strong>der</strong> ersten <strong>Entdeckung</strong>sfahrt<br />

von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> ist <strong>der</strong><br />

britische Maler Sydney<br />

Parkinson mit an Bord. Er<br />

zeichnet einen tätowierten<br />

Maori (links). Den Blick in<br />

<strong>die</strong> Maitavie-Bucht (unten)<br />

<strong>der</strong> Insel Tahiti malt William<br />

Hodges 1776 in England.<br />

BILDKOMPOSITION: BRITISH LIBRARY, LONDON (MAORI-KOPF); NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />

epoc.de 29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!