Folge 119 - waldegg.spoe.at
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Nr.: 1/2011 www.Waldegg-Aktuell.<strong>at</strong><br />
Seite 9<br />
Waldegger Chronik<br />
Eine Serie von OSR Josef Mliner<br />
<strong>119</strong>. <strong>Folge</strong><br />
Unsere „Waldegger Chronik“ ist stets bestrebt, für Geschichtsinteressierte durch Rückblicke in<br />
die Vergangenheit interessante Begebenheiten in unserer Heim<strong>at</strong> festzuhalten. So befasste sich<br />
ein Beitrag in ihrer 16. <strong>Folge</strong> im Jahre 1983 unter dem Titel „Die Türkeninvasion von 1683“<br />
mit einem Geschichtsereignis, das in allen Bezirks- und Ortskunden Beachtung findet. Nun<br />
haben sich in den seit damals vergangenen 28 Jahren viele neue Fakten und Aspekte zu diesem<br />
Ereignis angesammelt, die einen neuen Beitrag verlangen.<br />
Der Vorstoß der Türken 1683 unter Kara Mustafa und<br />
die Belagerung Wiens bedrohte damals ganz Europa und<br />
ist daher in der Geschichtsliter<strong>at</strong>ur oft dokumentiert und<br />
beschrieben worden. Aber die Ereignisse im östlichen<br />
Niederösterreich und in unserem Piestingtal fanden<br />
meist nur in Ortschroniken Erwähnung, da sie zwar<br />
oft sehr schrecklich aber nicht kriegsentscheidend im<br />
Gesamtgeschehen waren.<br />
Nun erschien im Jahre 2009 ein Buch unter dem Titel<br />
„Niederösterreich brennt“, in dem der Autor Harald Lacom<br />
in präziser Kleinarbeit – unter Berücksichtigung auch<br />
osmanischer Quellen – auf neue Aspekte für die Beurteilung<br />
des Geschehens im Jahre 1683 hinweist, und die daher auch<br />
in unserem heutigen Beitrag aufgezeigt werden. (1)<br />
Für die meisten Ortschronisten ist 1683, die Zeit der<br />
„Türkeneinfälle“ mit all ihren Schrecken und Gräuel,<br />
obwohl oft nicht die Türken die wahren Täter waren.<br />
Während in der „Berndorfer Gemeindechronik“ noch 1999<br />
zu lesen ist: „Einen Sommer lang durchstreiften türkische<br />
Horden das Triestingtal, spürten mit Bluthunden die<br />
geflüchteten Einwohner auf, töteten sie oder verschleppten<br />
sie als Sklaven“, schreibt Gertrud Gerhartl schon 1977 (3):<br />
„Wie seinerzeit 1532 die „Akindschi“ unter Kasim Beg<br />
verbreiteten die „T<strong>at</strong>aren“ Angst und Schrecken“<br />
Wer waren nun diese „Akindschi“ und „T<strong>at</strong>aren“?<br />
Akindschi bedeutet türkisch „Stürmer“. In ihrem Kern<br />
waren sie T<strong>at</strong>aren aus der Krim. (1) Sie durchstreiften vor<br />
oder neben der osmanischen Hauptarmee die Gegend. Sie<br />
kamen angeritten und sprengten wieder davon wie es ihnen<br />
passte. Sie hockten wie Jockeys mit kurzen Steigbügeln<br />
auf ihren Pferden und waren treffsichere Bogenschützen.<br />
(1) 1683 stießen sie erst am 27. Juni zur osmanischen<br />
Hauptarmee. Der Großwesir h<strong>at</strong>te sie „eingeladen“. Sie<br />
waren keine regulären türkischen Truppen. Diese Muslime<br />
türkischer Kultur aus dem Khan<strong>at</strong> Krimm (Khan = türk.-<br />
t<strong>at</strong>arischer Herrschertitel) bewachten die Nordgrenze<br />
des damaligen osmanischen Reiches, wofür sie jährlich<br />
Subsidien (Hilfsgelder) aus Istanbul erhielten. Der Sultan<br />
war ihr Schutzherr und als Kalif (geistlicher Nachfolger<br />
Mohammeds) auch ihr geistiges Oberhaupt. (1) Die stolzen<br />
T<strong>at</strong>aren-Khane betrachteten sich als entfernte Nachkommen<br />
des Dschingis-Kahns, dessen Weltreich sich einst vom<br />
Chinesischen Meer bis Europa erstreckte. Im Kriegsfall<br />
forderte der Sultan den Kahn nicht zur Heeresfolge auf,<br />
sondern lud ihn vielmehr dazu ein. Folgte er der Einladung,<br />
gebührte ihm dafür eine hohe Geldsumme. (1) Um das<br />
Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten verbündeten sich<br />
die T<strong>at</strong>aren bald mit den Kosaken bald mit den Polen oder<br />
dem russischen Zaren. Sie gewährten Asyl und entsandten<br />
Gesandtschaften. So 1633 auch nach Wien.<br />
Die Kleidung dieser mobilen Reitertruppe war aus<br />
Schaffell, welche sie, je nach Witterung, mit der Pelzseite<br />
nach außen oder innen trugen. Sie bildeten Gemeinschaften<br />
von 10 – 20 Mann. Ihr Proviant war eine Art Mehl, das sie<br />
mit Pferdemilch oder Wasser zu einem Brei verkochten. Bei<br />
ihrer mobilen Kampfweise war eine geregelte Versorgung<br />
schwer möglich. Eingegangene Pferde wurden notfalls roh<br />
gegessen!<br />
Alle Beute, die sie nicht vor anderen verstecken konnten,<br />
wurde brüderlich geteilt. Ihre Pferde verbrachten<br />
Marschleistungen bis zu 13 Stunden am Tag. Jeder ihrer<br />
Krieger h<strong>at</strong>te Ers<strong>at</strong>zpferde, die sich ihr Futter selbst suchen<br />
mussten.<br />
Im Gefecht beherrschten sie alle Tricks und Taktiken der<br />
Steppenreiter. Ein hochentwickeltes Stück Technologie<br />
war ihr Reflexbogen. Seine Enden bogen sich in<br />
Schussrichtung nach vorn. Das Bogenspannen verlangte<br />
Kraft und seine Handhabung jahrelange Übung. Der<br />
Pfeil eines Reflexbogens mit dreikantiger Metallspitze<br />
vermochte einen Kettenpanzer, unter Umständen auch<br />
einen Pl<strong>at</strong>tenpanzer, zu durchschlagen. Bei Versuchen mit<br />
Reflexbogen in unserer Zeit durchschlugen ihre Pfeile auf<br />
20 Meter Pressspanpl<strong>at</strong>ten von 27 mm Dicke.<br />
Es waren aber nicht die T<strong>at</strong>aren allein, die raubten und<br />
plünderten. Oft fanden sich Überläufer und ungarische<br />
Rebellen in ihren Reihen, durch die sie mit den<br />
Ortsverhältnissen bestens vertraut waren. Daher waren<br />
Einheimische oft überrascht, wenn sie von „T<strong>at</strong>aren“<br />
deutsch angesprochen wurden. Wegen der Aussicht auf<br />
Beute bei ihren Raubzügen schlossen sich ihnen immer<br />
wieder Marodeure und Deserteure an. Niederösterreich h<strong>at</strong><br />
großteils unter den Gräuelt<strong>at</strong>en dieser Hilfstruppen gelitten<br />
Der Hubsteiger der Feuerwehr Wiener Neustadt<br />
Fortsetzung auf Seite 10
Nr.: 1/2011 www.Waldegg-Aktuell.<strong>at</strong><br />
Seite 10<br />
Waldegger Chronik<br />
Eine Serie von OSR Josef Mliner<br />
Fortsetzung von Seite 9<br />
<strong>119</strong>. <strong>Folge</strong><br />
Ernst K<strong>at</strong>zer schreibt in der Festschrift „859 Jahre<br />
Pfarre Waldegg“: „In der zweiten Juliwoche 1683 h<strong>at</strong><br />
mit der Belagerung Wiens durch die türkische Armee<br />
mit dem T<strong>at</strong>areneinfall unser Tal eine K<strong>at</strong>astrophe von<br />
unvorstellbarem Ausmaß getroffen. Die als Hilfstruppe<br />
vorauseilenden T<strong>at</strong>aren überrannten das ungeschützte<br />
Land, das Alarm- und Defensionssystem h<strong>at</strong>te versagt.<br />
Ganze Dörfer und Märkte, aber auch zahlreiche Einzelhöfe<br />
wurden abgebrannt.“ Die T<strong>at</strong>aren, die oft auch als „Renner<br />
und Brenner“ bezeichnet wurden, waren also keine<br />
reguläre türkische Truppeneinheit. Im Gegens<strong>at</strong>z zu diesem<br />
Erkenntnis kann man aber noch im Jahre 2000 in einer<br />
Publik<strong>at</strong>ion über unser Tal lesen: „Im Türkenjahr 1683<br />
drangen die Akindschi, beutegierige türkische Reiterhorden,<br />
bis nach Gutenstein vor und ließen brennende Höfe, Tod<br />
und weinende Menschen zurück…….. Viele Opfer nahmen<br />
sie als Sklaven mit sich.“<br />
Dem osmanischen Heer vorauseilend verbreiteten sie schon<br />
im Juli 1683 Schrecken in unserer Gegend. Besonders<br />
in Perchtoldsdorf, wo sich ihr Anführer als türkischer<br />
Pascha ausgab, und es nach Übergabeverhandlungen zu<br />
Massenmorden auf dem Hauptpl<strong>at</strong>z kam (2)<br />
Beim Fluchen und Verfluchen ruft man alles Böse<br />
oder Gottes Strafe auf jemand herab. Doch der Fluch<br />
„Kruzitürken“ h<strong>at</strong> mit Kruzifix (Christus am Kreuz)<br />
nichts zu tun, sondern der Wortteil „Kruzi“ steht hier für<br />
Kuruzzen, aufständische habsburgfeindliche Ungarn, die<br />
mit den Türken gemeinsame Sache machten.<br />
Am 31. März 1683 übersandte Kara Mustafa eine<br />
formelle Kriegserklärung nach Wien, „…. ein sonderbares<br />
Schriftstück, über das man bei Hof gewiss hätte lachen<br />
können, wäre die Lage nicht so bitter ernst gewesen.“ (4)<br />
Zum Schluss heißt es in ihr: „…..dass wir im Begriff sind,<br />
Dein Ländchen mit Krieg zu überziehen und führen Wir<br />
mit uns 13 Könige mit 1.300.000 Kriegern, Fußvolk und<br />
Reiterei und werden Dein Ländchen mit diesem Heer, von<br />
dem weder Du noch Deine Anhänger eine Ahnung h<strong>at</strong>ten,<br />
ohne Gnade und Barmherzigkeit mit Hufeisen zertreten und<br />
mit dem Feuer und Schwert überliefern“ (4)<br />
Das türkische Heer, das dann am 31. März 1683 von<br />
Konstantinopel nach Wien aufbrach, bestand aber nur aus<br />
etwa 180.000 Mann, davon an die 60.000 Elitesold<strong>at</strong>en,<br />
Janitscharen und Saphis. Der Rest verteilte sich auf<br />
leichtbewaffnete Hilfsvölker, T<strong>at</strong>aren, Rumänen usw.<br />
Könige zogen nicht mit! Der Kuruzzenführer Tököly<br />
schloss sich mit seiner Reiterschar an. Die Rumänen führten<br />
offen ihre Fahne mit, auf der das Kruzifix und das Bildnis<br />
der Jungfrau Maria zu sehen war. Sie unternahmen auch<br />
alles, was sie nur konnten, um die Oper<strong>at</strong>ion der Türken<br />
zu stören. Die Spannung zwischen dem Kahn und dem<br />
Großwesir wuchs von Tag zu Tag. Sie trug einige Wochen<br />
später wesentlich zur Niederlage des türkischen Heeres bei.<br />
Tölkölys Kuruzzen liefen scharenweise zu den Kaiserlichen<br />
über.<br />
Die Reiter des T<strong>at</strong>aren-Kahns plünderten die Dörfer,<br />
erschlugen die Bewohner und setzten Häuser in Brand.<br />
Interessant ist, dass zur gleichen Zeit eine österreichische<br />
Deleg<strong>at</strong>ion in Konstantinopel weilte, um die Verlängerung<br />
des Eisenburger Friedens zu verhandeln. Am Kaiserhof<br />
war daher die Besorgnis nicht übermäßig groß, weil<br />
man annahm, „der Türk wird doch nicht mitten in den<br />
Verhandlungen einen Krieg anfangen.“<br />
Aber schon am 2. Jänner 1683 brach das türkische Heer –<br />
von einem ungeheuren Tross begleitet – nach Belgrad auf.<br />
Nach der Einnahme Belgrads im März 1683, wurde der<br />
Großwesir Kara Mustafa zum Kommandierenden des<br />
Feldzuges ernannt. In Stuhlweißenburg gab er seine Absicht<br />
bekannt, Wien anzugreifen.<br />
Am 27. Juni 1683 war der T<strong>at</strong>aren-Kahn Musad Giraj mit<br />
ca. 30.000 Mann in Stuhlweißenburg eingetroffen und<br />
überfiel bereits am 2. Juli 1683 den rückmarschierenden<br />
kaiserlichen Tross östlich des Neusiedler Sees. (1)<br />
Kaiser Leopold war auf der Hirschjagd im Wienerwald,<br />
als Flüchtlinge zu Fuß und mit Wagen die Jagdgesellschaft<br />
belästigten. Während er bei Tafelmusik sein Mahl einnahm,<br />
balgten sich in Perchtoldsdorf die Bewohner schon um<br />
sichere Schlafplätze in der befestigten Wehrkirche. Ob<br />
Kaiser Leopold I. wirklich so gleichgültig und träge war<br />
oder absichtlich eine so unerschütterliche Ruhe zur Schau<br />
stellte? Der Jagdausflug musste also unter diesen Umständen<br />
abgebrochen werden.<br />
Das heranrückende osmanische Heer war nun schon vier<br />
Mon<strong>at</strong>e unterwegs. Der Tross war weit größer als die<br />
kämpfende Truppe, mit einer ungeheuren Schafherde an der<br />
Spitze. (1) Jeden Morgen wurden eine festgesetzte Anzahl<br />
von Tieren geschlachtet und die vorüberziehenden Sold<strong>at</strong>en<br />
fassten ihre R<strong>at</strong>ion aus. Unzählige schellenbehängte Kamele,<br />
Maultiere, Esel und Pferde trotteten in der Kolonne.<br />
Die reguläre Truppe marschierte diszipliniert unter der<br />
Rossschweifstandarte. Es waren die Janitscharen, ungefähr<br />
7.000 bis 8.000 Mann.<br />
Fortsetzung folgt<br />
Liter<strong>at</strong>ur:<br />
1.) Harald Lacom, „Niederösterreich brennt!“ T<strong>at</strong>arisch-Osmanische Kampfeinheiten<br />
1683, Verlag Stöhr, Wien 2009<br />
2.) Walter Maria Neuwirth, „Im Sch<strong>at</strong>ten und Glanz des goldenen Apfels“ ISBN<br />
3-900433-01-1, Perchtoldsdorf 1982<br />
3.) Gertrud Gerhartl, „WIENER NEUSTADT“ Geschichte, Kunst Kultur, Wirtschaft,<br />
VLG Braunmüller, Wien 1978<br />
4.) Stephan Vajda „Felix Austria“, Eine Geschichte Österreichs, Ueberreuther Verlag<br />
1980<br />
5.) Ernst K<strong>at</strong>zer, „Das zerstörte Land“, in Unser Neustadt Nr. 2/84, 3/84 u. 1/85