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Das Licht wird entzündet

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Quelle Ostthüringer Zeitung vom 02. 02. 2008<br />

Seite 0<br />

Ressort Beilage<br />

<strong>Das</strong> <strong>Licht</strong> <strong>wird</strong> <strong>entzündet</strong><br />

Heute vor 450 Jahren wurde in Jena die<br />

Gründung der Universität gefeiert - Von<br />

Angelika Bohn (Text) und Lutz Prager<br />

(Foto)<br />

E<br />

in Kaiser muss abdanken, der Nachfolger<br />

seinen Leibarzt an einen Weimarer<br />

Herzog verlieren, damit dieser Medicus<br />

später mit einer schwarzen Kasse nach<br />

Wien reisen und die Gründungsurkunde<br />

der Universität Jena besorgen kann.<br />

Hinter dem nüchternen Satz Heute vor<br />

450 Jahren wurde die Universität Jena<br />

gegründet steckt filmreifer Stoff. Mit<br />

Akteuren - betrachtet man alte Cranach-<br />

Bilder und zeitgenössische Stiche - vom<br />

Format eines Meat Loaf und - sieht man<br />

sich ihr Leben an - dem Temperament<br />

harter Actionhelden.<br />

Schauplatz ist die kleine Stadt Jena.<br />

Mitte des 16. Jahrhunderts leben hier etwa<br />

4400 Menschen. Ihre Häuser kuscheln<br />

sich innerhalb der Stadtmauern<br />

eng aneinander. Noch als Schiller 1789<br />

in Jena seine berühmte Antrittsvorlesung<br />

hält und sich dann kränkelnd und<br />

missgelaunt zum Dichten in seine Gartenzinne<br />

zurückzieht, ist das so. <strong>Das</strong><br />

Gartenhaus, heute vom innerstädtischen<br />

Verkehr umbraust, liegt da noch vor der<br />

Stadt im Grünen.<br />

Um 1550 leben die Jenenser von Wein-,<br />

Ackerbau und dem Marktrecht. Wegen<br />

des Klimawandels (die Durschnittstemperatur<br />

sinkt) ist der Weinbau im Niedergang.<br />

Reformation und Bauernkrieg<br />

hat Jena hinter sich und den Aufruhr<br />

1525, der die beiden Klöster der Stadt<br />

verwüstete, Mönche und Nonnen vertrieb.<br />

Auch das Blut der auf dem Markt<br />

gerichteten Rädelsführer ist verblasst.<br />

Der Landesherr hatte 1548 sogar eine<br />

Verwendung für das leerstehende Dominikanerkloster<br />

gefunden und dort die<br />

Hohe Schule, das akademische Gymnasium<br />

angesiedelt.<br />

Zu dieser Zeit ist der Landesherr Johann<br />

Friedrich I., später liebevoll Hanfried<br />

genannt, allerdings Gefangener von<br />

KarlV. Im Jahr zuvor wollte der ihn sogar<br />

dem Beil des Henkers überantworten.<br />

Schon als junger Mann hatte Hanfried<br />

mit anderen protestantischen Fürsten<br />

einen Bund gegen den katholischen<br />

Kaiser geschmiedet. Der musste die aufsässigen<br />

Deutschen vorerst gewähren<br />

lassen, denn er führte Krieg in Frankreich<br />

und gegen die Türken.<br />

Bis 1547 residiert Johann Friedrich I.<br />

als Kurfürst von Sachsen in Torgau. Johanns<br />

Vater hatte das Kurfürstentum<br />

von seinem Bruder Friedrich dem Weisen<br />

geerbt. Der wieder hatte im nahen<br />

Wittenberg eine Universität gegründet.<br />

Die erste nach der Leipziger Teilung,<br />

bei der sich die durch den Prinzenräuber<br />

Kunz von Kauffungen europaweit bekannt<br />

gewordenen Wettiner Prinzen<br />

Ernst und Albert über den Besitz ihres<br />

Vater geeinigt hatten. Männer wie Luther<br />

und Melanchthon machen in der ersten<br />

Hälfte des Jahrhunderts Wittenberg<br />

zum theologischen Zentrum. Hanfrieds<br />

Onkel Friedrich der Weise ist ein toleranter<br />

Katholik und leidenschaftlicher<br />

Sammler von Reliquien, Kunst und Büchern.<br />

Diese Sammlung <strong>wird</strong> Hanfried<br />

von seinem Erbe retten. Die Bücher<br />

werden zum Grundstock der Uni-<br />

Bibliothek.<br />

Aber noch lässt er sich's in Torgau gut<br />

gehen. Die Leibesfülle, wegen der<br />

schon der Onkel hinter vorgehaltener<br />

Hand das fette Murmeltier genannt worden<br />

war, liegt wohl in der Familie. Geistig<br />

schwerfällig, fromm und kleinlich,<br />

bei Wein, Bier und Spiel maßlos, soll<br />

der letzte ernestinische Kurfürst gewesen<br />

sein. Die zarte Schönheit der Kurfürstin<br />

Sibylle, Cranach malt sie mit<br />

kupferrot wallendem Haar, schlägt auch<br />

bei Hanfrieds Erstgeborenem nicht<br />

durch. Der wächst in Torgau gemeinsam<br />

mit Moritz von Sachsen auf, dem<br />

18 Jahre jüngere Vetter Hanfrieds.<br />

Moritz hasst Johann FriedrichI. und<br />

wechselt als Protestant ins Lager des katholischen<br />

Kaisers, als der seine Truppen<br />

gegen den Schmalkaldischen Bund<br />

schickt und 1547 in der Schlacht bei<br />

Mühlberg die Gegner besiegt. Der Anführer<br />

Hanfried soll sterben, doch der<br />

Kaiser lässt sich erweichen. Johann<br />

FriedrichI. verliert Kurwürde und Kurfürstentum<br />

und damit große Teile seines<br />

Territoriums einschließlich der Universität<br />

Wittenberg an den kaisertreuen<br />

Moritz. Hanfried muss mit dem Kaiser<br />

ziehen und <strong>wird</strong> auf dem Weg nach Wien<br />

in Jena als Gefangener zur Schau gestellt.<br />

Seine Frau und die drei Söhne,<br />

damals 18, 17 und 9 Jahre alt, machen<br />

Weimar zur Residenz. Doch auch das<br />

geschrumpfte Land braucht Beamte,<br />

Lehrer, Juristen, Theologen und Mediziner.<br />

Die Gründung der Hohen Schule ist<br />

da ein Anfang. Indes stehen die Aussichten<br />

schlecht, hier könnte eine mit<br />

dem glanzvollen Wittenberg vergleichbare<br />

Uni entstehen. Karl V. hat kein Interesse<br />

an weiteren protestantischen<br />

Universitäten.<br />

Aber, nach fünf Jahren Gefangenschaft<br />

darf Hanfried gehen. Er bringt den<br />

hochangesehenen Diagnostiker Schroeter<br />

mit, der in Wien der Leibarzt Ferdinands,<br />

Bruder des Kaisers, war und<br />

macht ihn zum Professor in Jena. Dann<br />

stirbt 1553 Moritz von Sachsen nach der<br />

Schlacht von Sievershausen an den Folgen<br />

eines Bauchschusses. Hanfried<br />

stirbt im Jahr darauf. Zwei Jahre später<br />

verzichtet Karl V. zugunsten seines<br />

Bruders Ferdinand auf die Kaiserwürde<br />

und Hanfrieds Erstgeborener, Johann<br />

FriedrichII., heiratet Moritz Witwe, was<br />

30 000 Taler in die Landeskasse spült.<br />

Johann Friedrich II., der im Einverständnis<br />

mit seinen Brüdern allein regiert,<br />

kann nun seinen Traum verfolgen,<br />

Besitz und Ansehen der Ernestiner so zu<br />

mehren, dass sie wieder mit den Albertinern<br />

gleich ziehen. Jena soll sich mit<br />

Wittenberg messen können. Doch es<br />

gibt Hindernisse. Der Kaiser würde ein<br />

Universitätsprivileg erteilen, aber er will<br />

Jena die Promotion von Theologen verweigern.<br />

Doch hat nicht der Mediziner Schroeter<br />

Connection am Wiener Hof? Ist sogar<br />

mit der Witwe des alten Kanzlers verheiratet<br />

und kennt den neuen Kanzler.<br />

Schroeter <strong>wird</strong> im Sommer 1557 mit<br />

zwei Geschenken für den neuen Kanzler<br />

an die Donau geschickt. 500 Gulden<br />

sind dem sicher, wenn Ferdinand das<br />

Universitätsprivileg unterzeichnet. 1000<br />

weitere Gulden kann er haben, wenn der<br />

Kaiser das Privileg unterzeichnet, ohne<br />

dass Jena auf die Promotion von Theologen<br />

verzichten muss.<br />

Der Plan funktioniert und Schroeter<br />

heißt folglich auch der erste Rektor der<br />

Universität Jena. Am 25. Januar unterzeichnet<br />

Johann Friedrich II. das Universitätsstatut,<br />

für den 2. Februar <strong>wird</strong><br />

die Gründungsfeier angesetzt. Sie findet<br />

1


in der Stadtkirche statt. Der Landesherr<br />

hält eine wohl stylisierte Rede auf Latein.<br />

Die Privilegien werden verlesen,<br />

die Honoratioren reden, das Festbankett<br />

<strong>wird</strong> im Rathaussaal genossen. Am<br />

Nachmittag gibt es Reiterspiele auf dem<br />

Markt, an denen sich die Herzöge beteiligen.<br />

Der Feiertag bedeutet für die kleine<br />

Stadt im Saaletal einen gewaltigen<br />

Schnitt. Sie hat jetzt einen Staat im<br />

Staate in ihren Mauern, an dessen Spitze<br />

ein Rektor steht, der Regierungsgewalt<br />

hat. Ihm unterstehen alle Universitätsangehörigen,<br />

aber auch alle Männer, die<br />

sich wegen der Wissenschaft in Jena<br />

aufhalten: Advokaten und Ärzte, Apotheker,<br />

Schriftsteller und Buchdrucker,<br />

Musiker, Maler und Mechaniker. Laut<br />

landesherrlichem Statut kann die Universität<br />

akademische Grade verleihen,<br />

was sie bis heute kann. Sie kann aber<br />

auch Gesetze und Verordnungen erlassen,<br />

Steuern erheben und über ihre Bürger<br />

Gericht halten. Ausgenommen sind<br />

Verbrechen, die eine Strafe an Leib und<br />

Leben nach sich ziehen.<br />

In der Folge werden letztere Privilegien<br />

Quell für Zank und Streit, Feindseligkeiten<br />

und Prozesse. So weigern sich<br />

die akademischen Bürger, Steuern an<br />

die Stadt abzuführen, wenn sie Grundbesitz<br />

erwerben. Was sie häufig tun. Innerhalb<br />

des ersten Jahrzehnts kaufen 14<br />

Professoren 18 Häuser und zwei Mühlen.<br />

Rektor Schroeter selbst besitzt die<br />

Rasenmühle, ein Haus am Markt, eines<br />

in der Löbdergasse, und als er 1593<br />

stirbt, noch zwei weitere. Ein weiterer<br />

Streitpunkt sind Bier und Wein. Schon<br />

die Hohe Schule durfte Bier brauen. Der<br />

Herzog stellt Bier und Wein zehntfrei,<br />

wenn sie von Professoren und Studenten<br />

getrunken werden. Aber die dürfen den<br />

Trank, außer Kranken, keinem Stadtbürger<br />

oder Fremden weiterreichen. Wie<br />

das die Krankenstatistik ansteigen ließ,<br />

ist unbekannt.<br />

Als der Herzog die Privilegien der<br />

Tranksteuerordnung canceln will, erheben<br />

die Akademiker Einspruch: Kein<br />

Dozent wäre nach Jena gekommen, hätte<br />

ihn die Tranksteuerfreiheit nicht dazu<br />

bestimmt. Angesichts der Preissteigerungen<br />

und der kläglichen Gehälter könne<br />

man sie ihnen nicht vorenthalten. Der<br />

Herzog knickt ein und hofft, die Erlaubnis<br />

zur Errichtung einer Universitätsschenke<br />

könnte ihn von weiterem Gezänk<br />

befreien. Die Uni kauft das<br />

Faulloch am Nonnenplan. Der Zuspruch<br />

soll gigantisch gewesen sein. Innerhalb<br />

weniger Tage gehen dort 15 000 Liter<br />

über den Tresen. Aber dieses Paradies<br />

ist viel zu klein. 1561 kauft die Universität<br />

die Rose in der Johannisgasse. Im<br />

Rosenprivileg von 1570 findet sich das<br />

Verbot von Kreide und Kerbholz, Würfel-<br />

und Kartenspiel, Hader und Gotteslästerung.<br />

Trotzdem sind 1617 laut Rosenrechnung<br />

20 Dozenten mit insgesamt<br />

2450 Gulden im Rückstand.<br />

Was ist aus den Protagonisten der Unigründung<br />

geworden? Der Mediziner<br />

Schroeter stirbt 80-jährig und wohlhabend<br />

in Jena. Kaiser Ferdinand I. stirbt<br />

mit 61 und von Fieberanfällen geplagt<br />

1564 in Wien. Johann Friedrich II. <strong>wird</strong><br />

zum Verhängnis, dass er sich, wie schon<br />

sein Vater, mit dem Kaiser anlegt. Er<br />

nimmt den Ritter Wilhelm vom Grumbach<br />

bei sich auf, der Wegen Landfriedensbruchs<br />

unter Reichsacht steht. Weil<br />

er Grumbach nicht ausliefert, verhängt<br />

der Kaiser auch über Johann Friedrich<br />

II. die Reichsacht. Wieder <strong>wird</strong> ein albertinischer<br />

Verwandter, diesmal August<br />

von Sachsen, mit der Ausführung<br />

beauftragt. August belagert Gotha, Johann<br />

Friedrichs Residenz, und die Burg<br />

Grimmenstein. Schließlich muss Johann<br />

Friedrich aufgeben und <strong>wird</strong>, wie einst<br />

Hanfried, Gefangener des Kaisers.<br />

29lange Jahre, bis zu seinem Tode, sitzt<br />

er in Festungshaft auf Schloss Steyr in<br />

Oberösterreich. Ein schweres, immerhin<br />

aber besseres Schicksal, als das seines<br />

Schutzbefohlenen Grumbach, der auf<br />

dem Marktplatz von Gotha gevierteilt<br />

<strong>wird</strong>.<br />

Doch 1572 werden die Söhne Johann<br />

Friedrichs wieder in die vom Vater ererbten<br />

Rechte eingesetzt. Schließlich<br />

teilen sie den ernestinischen Besitz zwischen<br />

sich und ihren Vettern. In der Folge<br />

zerfällt Thüringen bekanntlich in immer<br />

kleinere Territorien.<br />

Und Wittenberg? 1813 <strong>wird</strong> die Uni von<br />

Napoleon geschlossen. Mit dem Wiener<br />

Kongress fällt Wittenberg an Preußen,<br />

das 1817 die Universität Halle-<br />

Wittenberg gründet.<br />

Literatur: Geschichte der Universität Jena,<br />

Gustav Fischer Verlag Jena 1958,<br />

Herbert Koch, Geschichte der Stadt Jena,<br />

Gustav Fischer Verlag, Jena 1996<br />

© 2008 PMG Presse-Monitor GmbH<br />

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