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MEISTER ECKHART – DER „LESEMEISTER“ ALS „LEBEMEISTER“

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Bartosz Wójcik<br />

Dinge geworden ist“. Solange also der Mensch nicht die innere Einsamkeit sich zu eigen<br />

gemacht hat, herrscht in seinem Herzen der Eigenwille. Daraus entspringt wiederum<br />

Unfriede, da die Seele nicht mit Gottes Geist erfüllt ist.<br />

Gleichzeitig empfiehlt aber der Gelehrte keine konkrete Vorgehensweise, kein<br />

Muster, das fertig zu übernehmen wäre und aus dem sofort das Einswerden mit Gott<br />

resultieren würde (nach der Art: Schweigen ist besser als Sprechen, Einsamsein ist<br />

besser als Dasein unter den Leuten). Ohne eine benützungsfertige Schablone anzubieten,<br />

erweist sich Eckhart nochmals als „lebemeister“: Er behauptet, jeder solle seinen eigenen<br />

persönlichen Weg, seine private „weise“ zu Gott finden. In einer solchen Weise sollen<br />

sich alle guten Weisen finden, denn der Weg ist höchst persönlich, aber zugleich ist das<br />

der einzig richtige Weg.<br />

Ein gutes Beispiel dafür bildet das biblische „bîspel“ über Marta und Maria, von<br />

Eckhart in der Predigt 28 „Intravit Jesus in quoddam castellum“ geschildert. Das der<br />

Bibel entnommene Gleichnis (Luk. 10, 38ff.) erzählt von dem Besuch Jesus´ im Hause<br />

Martas und Marias. Dabei wurden die unterschiedlichen Verhaltensweisen der beiden<br />

Schwestern gegenübergestellt. Als Marta „durch die viele Bewirtung ganz beansprucht“<br />

war (Luk. 10, 40), setzte sich Maria zu den Füßen Jesu, um auf sein Wort zu hören.<br />

Während die erste frei mit den Dingen der Welt umgeht, so daß sie sie nicht in Beschlag<br />

nehmen, weil sie alles zeitliche und ewige Gut besaß, das ein Geschöpf besitzen sollte,<br />

sucht Maria die geistige Lust und Erfüllung „für sich selbst“. Eckhart negiert keine der<br />

beiden Lebensauffassungen, die man als vita activa <strong>–</strong> für die ein „lebemeister“ plädieren<br />

könnte <strong>–</strong> und vita contemplativa <strong>–</strong> die von einem „lesemeister“ für vorbildlich gehalten<br />

werden soll <strong>–</strong> entziffern kann. Man dürfte die Vermutung anstellen, daß Eckhart selbst,<br />

auch als Dominikaner, eher auf der Seite der vita activa, repräsentiert von Marta, stehen<br />

soll. Das bezeugt er beispielsweise mit seinem Lebenslauf, erfüllt mit seelsorglichen<br />

Pflichten. Die vita contemplativa, verkörpert durch die Gestalt Marias, wird jedoch nicht<br />

negativ ausgewertet. Auch der beschauliche Typus befindet sich auf dem richtigen Weg<br />

zu Gott. Was Eckhart macht, ist lediglich Hinweisen auf Endziel und dessen<br />

Überlegenheit über allem anderen Denkbaren, Beschreibbaren und Unbeschreibbaren.<br />

Anders als etwa Johannes Tauler, dessen Anliegen es eher war, seiner Hörerschaft<br />

die Voraussetzungen für den bestmöglichen Zurücklegen des Weges zur <strong>–</strong> um bei der<br />

Terminologie des Meister Eckharts zu bleiben <strong>–</strong> Abgeschiedenheit beizubringen. Der<br />

wahrscheinliche Schüler Albertus´ Magnus konzentriert sich vor allem auf das<br />

endgültige Ziel des angestrebten Weges. Die Abgeschiedenheit, ein Terminus, der durch<br />

ihn selbst erfunden wurde, bedeutet so viel wie In-Sich-Selbst-Ruhen, in Abkehr vom<br />

Menschen; das In-Sich-Selbst-Verharren, also gewissermaßen eine Art ataraxia der<br />

Stoiker <strong>–</strong> also ein Zustand, in dem man nicht mehr erschüttert werden kann. Bei Eckhart<br />

heißt es, „in seiner weise“ zu sein, „unbeweglich wie ein bleierner Berg“ 26 , oder, wie er<br />

auch Gott definiert, anhand des Bibelzitats „der, der da ist“ (Exodus 3, 14), „der, der<br />

unwandelbar an sich selber da ist“. Im Traktat „Von Abgeschiedenheit“ spricht Eckhart<br />

26 Meister Eckhart, Die deutschen Werke, hrsg. von J. Quint, B. 5, Traktate, Stuttgart 1963.<br />

Textkritische Ausgabe. Traktat Die rede der underscheidunge. Von abegescheidenheit, S. 412,<br />

Übersetzung Die Reden der Unterweisung. Von Abgeschiedenheit, S. 541.

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