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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Differenzierung unilinearer Deszendenzgruppen und ihrer Integration durch geregelte Allianz.<br />

Gruppen bedienen sich, so Boas, zu ihrer Unterscheidung eines Sytsems, das ihnen die<br />

gebrauchten Merkmale liefern kann, und das müssen sie nicht erst dann erfinden, wenn sich der<br />

Bedarf nach ihrer Unterscheidung einstellt, sie können vielmehr auf ein solches System<br />

zurückgreifen, nämlich auf das System ihres Denkens oder ihrer Weltanschauung, das sich hier<br />

wenigstens soweit eingrenzen läßt, als es sich durch den Gebrauch natürlicher Kategorien<br />

auszeichnet. "It is obvious", schreibt Boas, "that in such cases, when the characterization of<br />

the group is due to the tendency to develop a distinguishing mark, all these marks must be of<br />

the same type, but different in contents. It does not seem plausible that distinguishing traits<br />

should belong to entirely distinct domains of thought." 154<br />

Das System der Abbildung oder Selbstreflexion sozialer Differenzierung unilinearer Abstammungsgruppen<br />

in größeren Allianzeinheiten oder Stammesgruppierungen wird also aus<br />

einem fertigen, einheitlichen und schon im Gebrauch befindlichen Denk- oder Begriffssystem<br />

gebildet, das im Falle des <strong>Totemismus</strong> aus natürlichen Kategorien besteht und vor seiner<br />

Verwendung zu den genannten sozialen Zwecken im Dienste anderer Ziele oder Funktionen<br />

der Kultur gestanden haben muß, z.B. zur Differenzierung von Kult- oder Ritualgruppen. Auf<br />

diese Voraussetzung des <strong>Totemismus</strong> hat wiederum ausdrücklich Goldenweiser hingewiesen:<br />

"There exists in all primitive communities a complex of experiences and attitudes which has<br />

produced values of just the sort needed in the above social situation, has produced them long<br />

before any totemic complex or any clan system have made their appearence among men." 155<br />

Die kulturhistorisch oder evolutionstheoretisch signifikante Abgrenzung zweier Komplexe als<br />

einem früheren Stadium von einem späteren Zustand, der mit ihrer Konvergenz und institutionellen<br />

Überscheidung beginnt, ist in den Überlegungen Goldenweisers nicht zu übersehen.<br />

Radcliffe-Brown hat 1929 die Hypothese aufgestellt, daß dieses System, dessen Kategorien<br />

sich der <strong>Totemismus</strong> bedient, von den Wildbeuterkulturen erarbeitet worden sei, und daß der<br />

<strong>Totemismus</strong> nichts anderes darstelle, als eben den Rückgriff auf dieses System des Denkens in<br />

natürlichen Kategorien zum Zweck der Bezeichnung der sozialen Differenzierung und Integration<br />

der segmentären Gesellschaften und sich damit das Argument von Goldenweiser zu<br />

eigen gemacht: "That complex comprises the experiences resulting from man's contact with<br />

nature and the attitudes flowing thereform." 156 Er hat also schon 1929 in dieser Hinsicht das<br />

gleiche postuliert, was Levi-Strauss ihm erst in einem Aufsatz von 1951 konzediert, und damit<br />

im Grunde eine realistische Alternative zu der Hypothese von der ethnologischen <strong>Illusion</strong><br />

aufgestellt, die Levi-Strauss in seiner Abhandlung "Das Ende des <strong>Totemismus</strong>", vertritt,<br />

nämlich daß der <strong>Totemismus</strong> Schein ist, der sich einer bestimmten sozialen Konstellation<br />

verdankt oder historisch gesehen, einer bestimmten sozialen Situation, in der die Religion der<br />

Erhabenheit das Denken beherrscht und die Gesellschaft nach der deutlichen Bezeichnung<br />

jener fremden Gruppen verlangt, welche sie in sich zu integrieren anhebt und deren Integration<br />

sie zu ihrer signifikanten Institution macht. "Finally, my argument has brought out something<br />

of the conditions in which this universal element of culture is most likely to take the form of<br />

totemism. There are (1) dependance wholly or in part on natural productions for subsistence,<br />

and (2) the existence of a segmentary organization into clans and moieties or other similar<br />

social units. The Andamanese and the Eskimo have (1) but not (2), and they have no totemism,<br />

though they have the material out of which totemism could easily be made." 157<br />

Obwohl Radcliffe-Brown hier zwei Systeme und die Funktionen, die sie erfüllen, deutlich unterscheidet<br />

und ein drittes System als Synthese der beiden anderen zu erklären unternimmt,<br />

unterläßt er die Darstellung des dritten als System, das sich durch seine Funktionen von den<br />

bereits genannten unterscheiden ließe. Während die ersten beiden Systeme von ihm durchaus<br />

154 F.Boas, The Origin of Totemism, ibid, S.326<br />

155 A.A.Goldenweiser, Form and Content in Totemism, ibid, S.292-3<br />

156 A.A.Goldenweiser, Form and Content in Totemism, ibid, S.293<br />

157 A.R.Radcliffe-Brown, The Sociological Theory of Totemism, ibid, S.132<br />

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