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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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weiter treiben: Jene vergöttlichten Menschen, die Heiligen, stehen zu Gott wie die Wondjina<br />

der nordwestaustralischen Stämme (Ungarinyin, Nyigina, Unambal etc) zu Ungud, der Regenbogenschlange,<br />

die dort sowohl als männliches als auch als weibliches Wesen vorgstellt wird.<br />

Diese Analogie wird speziell gestützt durch Radcliffe-Browns Ausführungen zur Regenbogenschlange:<br />

"Von der Regenbogenschlange, so wie sie im Glauben der australischen Aborigines<br />

vorgestellt wird, kann mit einiger Berechtigung gesagt werden, daß sie den Status einer<br />

Gottheit besitze und vielleicht sogar die bedeutendste Naturtgottheit darstelle... In der<br />

Regenbogenschlange darf also das bedeutendste Inbild der schöpferischen und destruktiven<br />

Kräfte der Natur gesehen werden, und zwar ganz speziell in Verbindung mit Regen und Wasser."<br />

150<br />

Die hier exemplarisch zitierten Wildbeutervölker gebrauchen die von den Notes and Queries<br />

postulierten zwei Kategoriensysteme: ein System der natürlichen- und ein System der sozialen<br />

Kategorien, um einerseits ihre soziale Binnenorganisation, d.h. die Verhältnisse mechanischer<br />

Solidarität oder der Gemeinschaft (Tönnies), sowohl positiv zu bewerten als auch von den<br />

Außenbeziehungen der Gruppen zu Fremden oder anderen Gruppen, die primär feindgetönt<br />

sind, und von den akzidentellen Beispielen gelungener organischer Solidarität, die noch nicht<br />

institutionalisiert worden sind, abzugrenzen. Mit der Feindtönung des Gruppenaußen oder<br />

Fremden korrespondiert die negative oder ambivalente Projektion der Wildnis als einer Sphäre<br />

des egoistischen Kampfes und Streits oder der Überraschung, dargestellt in den Beziehungen<br />

einzelner natürlicher Arten. Das soziale Kategoriensystem reflektiert die positiven sozialen<br />

Gleichungen, die freundschaftlichen Beziehungen innerhalb der eigenen Gruppen, den Frieden<br />

der Solidarität, das Gruppenterritorium als Heimat, die gezähmte Natur und das zur Verfügung<br />

stehende Zeug als Kultur, während das natürliche Kategoriensystem die Außenbeziehungen der<br />

Gruppe als Gefahr oder Feindschaft, die Anderen als Feinde oder Fremde, das Anderssein<br />

selbst als die gefährliche oder überraschende Natur setzt. Diese Polarisierung der Welt des<br />

sozialen und des gefallenen Menschen, als der das egoistische Tier begriffen wird,<br />

verabsolutiert aber nicht den Riß zwischen Mensch und Tier, sondern entwirft über eine eigentümliche<br />

Umkehrung der Bewertung der Sphären, welche die Kategoriensysteme beleuchten,<br />

die Möglichkeit der Versöhnung, in dem sie auf mögliche Außenbeziehungen der Gruppen<br />

hinweisen, die nicht negativ, feindgetönt erscheinen, sondern im Lichte des Glanzes der positiven<br />

sozialen Beziehungen, und das, obwohl auch sie, weil sie eben Außenbeziehungen<br />

reflektieren, in den natürlichen Kategorien reflektiert werden, d.h. das friedliche, soziale Tier<br />

vorstellen und dieses dem animal sociale gleichsetzen. Als Spezies des Alter-Ego einer Gruppe<br />

ist es längst als freundliches Wesen gegenwärtig, wartet es förmlich auf seine Sozialisierung.<br />

Jene Umkehrung der Bewertung der Verhältnisse, welche prinzipiell in den natürlichen Kategorien<br />

reflektiert werden, weil sie Außenbeziehungen reflektieren, findet ihren Grund in der<br />

Entdeckung positiver Bereicherung durch Verhältnisse der organischen Solidarität, die, da sie<br />

hier erst als Möglichkeit erscheinen, noch nicht institutionell fixiert sind, und deshalb auch noch<br />

keine selbständige soziale Einrichtung darstellen können, deren Existenz aber die Bedingung<br />

dessen abgibt, was die soziologische Theorie (Radcliffe-Brown) <strong>Totemismus</strong> nennt. Die erste<br />

Form der Institutionalisierung organischer Solidarität auf verwandtschaftlicher Basis ist die<br />

positive Regelung der Heiratsbeziehungen zwischen Gruppen (Allianz), die wegen des festen<br />

Verhältnisses zwischen ihnen, das diese Regeln herstellen und voraussetzen, Abstammungsgruppen<br />

korporativen Charakters sind und sein müssen. Hat man bereits die Gruppen<br />

gleicher Alter-Ego-Tiere wie die Yanomamö oder Negrito-Stämme als solche<br />

zusammengefaßt, dann liegt der Schritt der Erweiterung einfacher Familiengruppen, wenn er<br />

denn erforderlich wird, in der Richtung dieser patrilinear oder matrilinear erweiterten<br />

Kultgruppen nahe, die nun als Abstammungsgruppen mit anderen Abstammungsgruppen in<br />

geordente Allianzverhältnisse treten und dabei ihren Status als rituelle Gruppen zugunsten des<br />

150 A.R. Radcliffe-Brown, The Rainbow-Serpent Myth in South-East-Australia, Oceania 1(3), 1930, 3, 8<br />

9<br />

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