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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Zur totemistischen und protototemistischen Darstellung sozialer Beziehungen<br />

Bei den Eskimos, Andamanen oder Negritos erscheint das Tier als Symbol klimatischer<br />

Perioden und Ereignisse (Ente, Schneehuhn/ Sommer, Winter), als Omen besonderer Vorkommnisse,<br />

als Name der Persönlichkeit und als Bild der Seele oder des Charakters (wohlwollend<br />

/bösartig; egoistisch/altruistisch; begabt/ unbegabt, etc.) als Ahnfrau oder Ahnherr, ja<br />

sogar als Zeichen des sozialen Status (mündig/ unmündig), der Spezialisierung (Jäger,<br />

Sammler, Räuber, Kulturvermittler) und auch als Symbol ritueller oder kultischer Gruppen. Als<br />

Eigenname oder Emblem einer sozialen Körperschaft dient das Tier bei diesen Völkern<br />

dagegen nicht, noch nicht als Name, der die soziale Stellung oder Funktion der Gruppe für sich<br />

bezeichnete, weil die Differenzierungen, welche auf dem Wege dieser Assoziation markiert<br />

werden, zwar Individuen kennzeichnen und assoziieren, aber deren so herausgestellte Assoziation<br />

noch nicht als soziale Körperschaft ausweisen. Obwohl die Assoziation von Gruppen und<br />

Tierarten bei den Eskimos im Kontext zeremonieller Veranstaltungen eine dauerhafte, d.h.<br />

saisonweise wiederkehrende, durch die Natur der Jahreszeiten rhythmisch geprägte<br />

Gruppenbildung anzeigt und auch bei den Yanomamö mit der Herausstellung der Gruppen<br />

gleicher Außenseelenspezies auf eine Institution hingewiesen wird, deren Bedeutung in der<br />

rituellen Spezialisierung dieser Gruppen oder Lineages besteht, haben diese über die rituelle<br />

Arbeitsteilung oder weltanschauliche Differenzierung zustandegekommenen Gruppen nur den<br />

Charakter von Gelegenheitsgruppen, die sich durch dieses Merkmal deutlich von den ständigen<br />

sozialen Gruppen (Körperschaften) abgrenzen lassen.<br />

Bei den Semang wird die latente matrilineare Assoziation der Lokalgruppen (ausgedrückt in<br />

den Gruppen der Seelentiere oder Seelenbäume) förmlich greifbar, und zwar auch hier in<br />

Verbindung mit dem Seelenvogelglauben und der Geistimprägnierung der Frauen, der man<br />

sowohl bei den Andamanen als auch bei den Aetas begegnet, die wiederum in Verbindung mit<br />

dem Außenseelenglauben, aber auch ohne ihn an einige der Formen des Individualtotemismus<br />

von Australien erinnert, worauf besonders Josef Haekel hingewiesen hat, der den Individualtotemismus<br />

wie Frazer und Rivers vor ihm mit eben diesen Formen des Seelenglaubens<br />

und seinen Konsequenzen für die Gruppe in Beziehung gesetzt hat.<br />

In den hier erwähnten Fällen, dem Negrito-, Eskimo- wie dem Yanomamö-Beispiel, erscheint<br />

die Funktion des Tieres als Bezeichnung einer religiös oder kosmologisch bedeutsamen<br />

Aussonderung oder rituellen Spezialisierung der menschlichen Tätigkeit in einer Gesellschaft,<br />

welche die profane Arbeit funktional noch nicht ausdifferenziert hat, d.h. eben mit Radcliffe-<br />

Brown als Bezeichnung und Differenzierung moralischer oder sozialer Werte. Aber genau in<br />

dieser Funktion wird der Unterschied deutlich, der die Assoziation von Menschen nach religiösen<br />

oder rituellen Zwecken bestimmt, im Gegensatz zu der Segmentierung der Gesellschaft<br />

in totemistische Lineages und Clans. Substrahiert man nämlich von den zuerst genannten<br />

Assoziationen die religiöse oder rituelle Funktion, dann verschwindet mit der Substraktion<br />

auch die soziale Assoziation als religiöse oder Kult-Gruppe, was im Falle der Clanorganisation<br />

nicht passiert, wenn man von ihr das totemistische Design abstrahiert, da sie als Organisation<br />

von Abstammungsruppen sich über die Zuschreibungsregeln der Abstammung und die Organisation<br />

der Allianz konstituiert, ganz gleich welcher Namen, Abzeichen oder religiösen<br />

Rechtfertigungen sich das Zuschreibungsverfahren bedient.<br />

Wenn die Wildbeuterkultur die ursprüngliche (primäre, archaiische) Form der Kultur darstellt,<br />

dann kann man nur feststellen, daß die im religiösen System reflektierte und legitimierte<br />

Differenzierung der solidarischen, sozialen Einheit als rituelle Arbeitsteilung sozialer Gruppen<br />

jener profanen Organisation weiter gezogener politischer Beziehungen der Gruppen<br />

(organische Solidarität) vorangegangen ist und daß deshalb auch das Bedürfnis nach differenzierender<br />

Klassifizierung nur in diesem Bereich menschlichen Handelns, im Bereich des Ritus<br />

und Mythos, seine Vorbilder der Darstellung finden konnte, weshalb zur Ausbildung<br />

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