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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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atsbrauchs entnehmen kann.<br />

Die Austauschbeziehungen sind im Falle des Schwesterntauschs direkt und unmittelbar<br />

reziprok. Der Schwesterntausch läßt keine Schulden offen und führt deshalb auch nicht automatisch<br />

zur Institution der bilateralen Kreuzbasenheirat, denn nach jedem Austausch von<br />

Schwestern oder Töchtern zwischen den einzelnen Gruppen ist die Gläubiger-Schuldner-Bilanz<br />

zwischen ihnen ausgeglichen oder geschlossen und es steht jeder Sippe frei, die nächsten<br />

Frauen mit einer anderen Gruppe auszutauschen. Das bevorzugte Schwiegerverhältnis wird<br />

also nicht durch die Vorschrift der Gattenwahl institutionalisiert.<br />

Der Schwesterntausch affirmiert vielmehr die Allianzautonomie (politische Autonomie) der<br />

"Sippen", weil er die gegenseitigen Verpflichtungen gleichzeitig zum Abschluß bringt und stellt<br />

es damit jeder Sippe frei, die affinalen Bindungen bedarfsweise zu vertiefen und auszubauen<br />

oder auslaufen zu lassen bzw. abzubrechen. Die Wahrung der Sippeninteressen (mit Schebesta),<br />

d.h. der Lokalgruppeninteressen, kann durch diese Heiratspraxis also nicht behindert<br />

werden, während andererseits der exklusive Gebrauch der Schwesternheirat unter der Bedingung<br />

einer unilinearen Korporation der Sippen zu Clans nicht mehr möglich wäre, da diese<br />

Organisation die Autonomie der Sippen wie deren Mobilität beseitigt und schon deshalb zu<br />

dem genuinen Sozialsystem der Bambuti einen Widerspruch darstellt. Die Einrichtung der bilateralen<br />

Kreuzbasenheirat, die dem Schwesterntausch rein äußerlich sehr ähnlich sieht, schränkt<br />

den Dispositionsspielraum der sippenspezifischen Heiratspolitik auf die beiden vorgeschriebenen<br />

Heiratspartner (VaSwTo und MuBrTo) ein und legt die Sippenallianz auf eine<br />

einmal getroffene Wahl fest, d.h. die Gruppen, welche eine dauernde Allianz (politische Beziehung)<br />

eingehen. Heiratsregeln dieser Art (also auch die anderen Alternativen der Kreuzbasenheirat)<br />

korrespondieren andererseits mit der Fixierung eines festen Connubiums, das sich durch<br />

ein Totem selbst darstellt, d.h. eben mit jener Beobachtung des Clan-<strong>Totemismus</strong> der Pygmäen<br />

durch Schebesta.<br />

Die von Schebesta beobachtete Clanendogamie reduziert die Allianzalternativen der Lokalgruppen<br />

auf den endogamen Kreis und führt auf längere Sicht zur Fixierung spezifischer<br />

Heiratskreise, deren ausdrückliche Abwesenheit bei den Pygmäen aber sowohl den oberflächlichen<br />

Charakter dieses Clantotemismus als auch seine rezente Erscheinung anzeigen.<br />

Die Bambutisippen selbst unterscheiden sich nicht durch ein Totem, d.h. ihr primäres Sozialsystem<br />

korrespondiert nicht mit der Gruppenassoziation durch die Totems, und wegen der<br />

partiell geübten Totemclan-Exogamie, die in Wirklichkeit eine Konvergenzerscheinung der<br />

Lokalgruppenexogamie ist, kommt es auch vor, daß in der Sippe, d.h. der patrilateral erweiterten<br />

Familiengruppe, 140 die Frauen zu verschiedenen Totemclans zählen.<br />

Die Zuschreibung der Kinder zur Vatersippe gilt nur unter der Bedingung der Integration ihrer<br />

Mütter auf dem Wege der "Tauschheirat" (Schwesterntausch), während im anderen Fall (der<br />

allerdings nur ausnahmsweise konstatiert wurde) die Kinder zur Sippe ihrer Mütter gehören,<br />

d.h. solange die Tauschpflichten nicht erfüllt worden sind.<br />

Solange man das Verhältnis der Pygmäen zu den Negern außer Acht läßt, erscheint der<br />

Totemclan sozial funktionslos, denn es steht aus der Sicht der Bambuti jeder Sippe frei, sich<br />

einem Clanverband anzuschließen oder nicht. Da diese Mobilität und Autonomie der Lokalgruppen<br />

oder Sippen mit den Interessen der "Wirtsherrn", deren Vasallen die Pygmäen sind,<br />

nicht übereinstimmt, versuchen jene die Pygmäen-Sippen auf verschiedenen Wegen an sich zu<br />

binden. Die Zusammenfassung der Sippen unter einem Totemzeichen und die Teilnahme an<br />

rituellen Veranstaltungen der Neger, aus denen Pflichten für die Pygmäen erwachsen, lassen<br />

sich unschwer als ein Versuch der Neger begreifen, nicht nur die Pygmäen an sich zu binden,<br />

sondern sie auch einer besseren Kontrolle zu unterwerfen.<br />

Aus dieser Sicht erscheint der Totemclan der Pygmäen als eine von außen auferlegte<br />

Zwangsvergesellschaftung, deren Merkmal die Unterstellung dieser künstlichen Gruppe unter<br />

140 Siehe: P.Schebesta, Der Urwald ruft wieder, ibid, S.101<br />

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