Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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nennung oder Darstellung (in natürlichen Kategorien) oder als Ausdruck einer eigentümlichen<br />
Weltanschauung (Denken in Gleichnissen der Natur) und andererseits als eine besondere Form<br />
sozialer Differenzierung und Integration, welche mit Levi-Strauss ihr semantisches Feld durch<br />
die Relata: Exemplar (oder Individuum), Spezies (oder Kategorie), Person und Gruppe, abstecken,<br />
von denen die ersten beiden Kategorien auf die Natur und die anderen beiden Kategorien<br />
auf die Kultur oder die Institutionen reflektieren, womit sich der berühmte französische<br />
Autor offensichtlich die formalen Bedingungen des <strong>Totemismus</strong>, welche die Notes and<br />
Queries 11 formuliert haben, zueigen gemacht hat.<br />
Nach dieser terminologischen Autorität hat man nämlich 1. von der Existenz zweier Kategoriensysteme<br />
auszugehen, einem System natürlicher- und einem System sozialer (kulturelle) Kategorien,<br />
2. von der Möglichkeit der gegenseitigen Abbildung der Kategorien des einen Systems<br />
in denen des anderen und 3. von der Institutionalisierung einer darartigen Form der Abbildung<br />
sozialer in natürlichen Kategorien, in dem Fall, in dem die Möglichkeit, welche der 2.<br />
Punkt benennt, praktiziert wird.<br />
Die nominelle Funktion des <strong>Totemismus</strong> ist auch von jenen Autoren gesehen worden, die seine<br />
Erscheinung nicht auf sie reduzieren zu dürfen glaubten. Haddon wies daraufhin: "The totem is<br />
the crest and symbol of the kin." 12 (Bezeichnung einer Gruppe durch eine Spezies oder eine<br />
natürliche Kategorie) Lang stellte fest, "for sake of distinction, groups gave each other animal<br />
or plant names." 13 (Bezeichnung einer Gruppe durch eine Spezies) Rivers erinnerte daran:<br />
"Often the division takes its name from the totem, or this may be used as its badge or crest." 14<br />
Durkheim sagte: "Das Totem ist zuerst und vor allem ein Name und (...) ein Emblem," 15 und<br />
Radcliffe-Brown schrieb: "The function of the totem seems to be merely to act as the representative<br />
of the group." 16 Aber keiner der hier zitierten Autoren hat sich angesichts dieser<br />
Charakterisierung des Totems als eines Zeugs, das etwas (wenn auch metaphorisch) anzeigt,<br />
dazu hinreißen lassen, die Funktion des Totems auf jene eines Ausweises oder Abzeichens zu<br />
reduzieren, wie dies offensichtlich schon Ankermann tat.<br />
Vergegenwärtigt man sich die Funktionen, die mit dem <strong>Totemismus</strong> in Verbindung gebracht<br />
worden sind, als die Merkmale, mit denen der <strong>Totemismus</strong> bestimmt wird, dann begreift man,<br />
warum sich die Übereinstimmung dieser sonst einander widersprechenden Autoren auf die nominalistische<br />
Bestimmung bezieht und der Dissenz durch die anderen Bestimmungen und die<br />
theoretische Erklärung ihres Verhältnisses zu der nominalistischen Funktion hervorgerufen<br />
wird, denn welche Funktion oder welchen Zweck der <strong>Totemismus</strong> auch immer erfüllen mag<br />
oder soll, ohne die Funktion ihrer Anzeige (ohne die Bennungsfunktion) kann sie oder er nicht<br />
erscheinen.<br />
Neben der Übereinstimmung hinsichtlich der nominellen Funktion wird aber auch eine weitere<br />
Übereinstimmung sichtbar, nämlich die Feststellung des <strong>Totemismus</strong> als Schein, dessen<br />
Phänomen allerdings von Lang, Goldenweiser, Thurnwald, Radcliffe-Brown oder Levi-Strauss<br />
jeweils verschieden begründet, erklärt und bewertet wird.<br />
Keine Form des <strong>Totemismus</strong> kommt ohne die Erfüllung der nominellen Funktion, d.h. der Bezeichnung<br />
und Differenzierung der anvisierten Erscheinungen aus (weshalb man in ihr eine allerdings<br />
nicht zureichende Minimaldefinition begreifen kann); alle anderen Funktionen sind<br />
11 Notes and Queries on Anthropology, Revised and Rewrittten by a Committee of the Royal<br />
Anthropological Institute of Great Britain and Northern Ireland, London 1964<br />
12 A.C.Haddon, Presidential Adress to the Anthropological Section, Report of the British Association,<br />
Belfast 1902, S.108<br />
13 A.Lang, The Secret of the Totem, London 1905, S.140<br />
14 W.H.R.Rivers, Totemism in Polynesia and Melanesia, Journ. of the Anthropol. Inst. of GB and<br />
Ireland, XXXIX, 1909, S.156-7<br />
15 E.Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt 1984, S.155<br />
16 A.R.Radcliffe-Brown, The Sociological Theory of Totemism, in: derselbe: Structure and Function in<br />
Primitive Society, London 1963, S.121<br />
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