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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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nicht feiern wollten und die Lehre des Festes verweigerten. Ihr jüngster Bruder tritt aus der<br />

Einsamkeit und Isolation seines Lebens hinaus, die es als tierhaft ausweisen, weil der Tod<br />

seiner Brüder ihn dazu veranlaßt hat, und mit dem Überschreiten dieser Grenze, d.h. auf der<br />

Suche nach dem Ursprung des Todes, begegnet er dem Adler, dem Herrn des Festes, der ihm<br />

einen Weg zeigt, den Tod zu überwinden, nämlich das Fest, und der ihm damit auch erklärt,<br />

warum seine Brüder gestorben sind. Diese haben sich dem Fest verweigert und damit ihrer<br />

Chance des menschlichen Lebens. Auch hier ist also der Egoismus der Ursprung allen Übels,<br />

zumindest aber die Ursache des Todes, dessen Grund hier erkundet wird.<br />

Teriaq übernimmt die Lehre des Adlers und gibt sie seinen Eltern weiter, die ihr Leben nach<br />

dieser Lehre umstellen, indem sie das Fest ausrichten, das zur Bedingung des Lebens von<br />

Teriaq und den Seinen geworden ist. Mit dem Fest hört die Einsamkeit auf, das Zeitalter der<br />

Feste wird zum Zeitalter der Gesellschaft, die Einsamkeit ist vorüber, denn die feindlichen<br />

Jäger haben einen Weg zu freundschaftlicher Verbindung gefunden, den Weg in die Welt<br />

solidarischer Verbundenheit. Das Fest hebt alle Gegensätze auf, die noch in den verschiedenen<br />

Tierfellen der Gäste durchscheinen und verkörpert die Idee des Menschseins, des Inua (=sein<br />

Mensch, sein Besitzter), die jedem Wesen eigen ist, und die Verwandlung der Gestalten, der<br />

Menschen in Tiere und der Tiere in Menschen verbürgt.<br />

Dieser Mythos vermittelt folgende Gleichungen:<br />

1. Fest = Freundschaft = Solidarität = Gemeinschaft<br />

2. ohne Fest = Feindschaft = Streit = Isolation<br />

3. Tod = Vergeltung = Schuld = negative Gegenseitigkeit<br />

4. Mensch = Allgemeines = Kooperation<br />

5. Tier = Besonderes = Spezialisierung<br />

und folgende Transformationen:<br />

1. durch den Tod, die einzige Form der Gegenseitigkeit des vom Egoisimus beherrschten<br />

Naturzustands: Feinde werden Freunde,<br />

2. durch das Fest: Tiere werden Menschen (Variation des Themas: Feinde werden Freunde).<br />

3. nach dem Fest: Menschen werden Tiere (Freunde werden Feinde oder drohen, Feinde zu<br />

werden)<br />

Diese Gleichungen des Mythos von der Gabe des Adlers werden durch andere Eskimomythen<br />

bestätigt. Hier soll mit einem weiteren Mythos nur noch die Ausführung der Gleichungen:<br />

4. Mensch= Kooperation,<br />

5. Tier= Spezialisierung,<br />

die im Mythos von der Adlergabe nur schwach ausgeführt sind, deutlicher herausgestellt<br />

werden. In Konitzkys Sammlung "Nordamerikanische Märchen" 117 befindet sich die mythische<br />

Erzählung der Eskimos vom Cape Prince of Wales: "Die Wolfsbraut". Eine Tochter lebt<br />

einsam mit ihren Eltern an der Eismeerküste. Ihr Leben ist entbehrungsreich und hart. Eines<br />

Tages entdeckt die Tochter während ihrer üblichen Tätigkeiten am Horizont landeinwärts einen<br />

dunklen Fleck; neugierig geht sie darauf zu und findet ein frisch erlegtes Karibu. Sie zeigt<br />

es dem Vater, der sich über diese Beute freut. Das Tier wird ausgeweidet, das Fell verwertet<br />

und das Fleisch verspeist. Nach diesem Ereignis spürt die Tochter nachts immer einen Wolf in<br />

der Nähe, aber jede Überprüfung bleibt ergebnislos. Unterdessen geht das Leben dieser Familie<br />

wie gewohnt weiter. Und während die Tochter den üblichen Verrichtungen nachgeht, entdeckt<br />

sie eines Tages seewärts am Horizont wieder einen schwarzen Fleck, auf den sie zueilt, und<br />

dort eine frisch erlegte Robbe findet. Der Vater wird geholt, das Tier heimgeschafft, ausgeweidet,<br />

ausgewertet und verspeist. Es war schon lange her, daß die Familie in so kurzen Abständen<br />

mit so viel guter Beute versorgt worden ist. Auch nach diesem Ereignis spürte die<br />

117 G.A. Konitzky, Nordamerikanische Märchen, Düsseldorf, Köln 1978<br />

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