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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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von Rasmussen ist in verschiedenen deutschen Textausgaben erschienen. Bei der Mythe aus<br />

Alaska von der Einführung des Tanzfestes beziehen wir uns auf die Ausgabe von Aenne<br />

Schmücker. 116 In der freudlosen Zeit verschwanden die beiden ältesten Söhne einer isoliert lebenden<br />

Familie. Der jüngste Bruder, Teriaq (Hermelin), machte sich auf den Weg, das seltsame<br />

Verschwinden seiner Brüder zu erkunden. Unterwegs begegnete er einem Adler, der sich in<br />

seiner Nähe niederließ und in einen Menschen verwandelte. Der Adler sprach ihn daraufhin an:<br />

"Ich habe Deine beiden Brüder getötet und ich werde auch Dich töten, wenn Du mir nicht<br />

versprichst, regelmäßig Gesangsfeste abzuhalten, sobald du wieder zuhause bist." Hermelin<br />

antworte ihm, daß er an sich schon dazu bereit wäre, aber leider gar nicht wisse, was ein Gesang<br />

und ein Fest sei. Darauf entgegegnete der Adler: "Wenn Du mir folgst, wird Dich meine<br />

Mutter alles lehren. Ich habe Deine Brüder nur getötet, weil sie sich weigerten, den Gesang<br />

und das Feiern zu lernen."<br />

Die Mutter des Adlers zeigte Hermelin wie man ein Festhaus baut, das Qagsse, und wie man<br />

die Worte zu Gesängen formt und mit Tönen zu einer Melodie vereint. Sie zeigte ihm auch wie<br />

man eine Trommel baut und mit ihr den Gesang richtig begleitet, und sie schärfte ihm ein, daß<br />

man vor jedem Fest große Fleischvorräte anlegen muß, damit man viele Leute bewirten kann,<br />

weil auch das nötig ist, wenn viele Menschen in Freundschaft und zur Freude zusammenkommen<br />

sollen. Teriaq hielt der Adlermutter vor, daß er selbst außer seiner Familie keinen anderen<br />

Menschen kenne, daß die Menschen einsam seien, weil man ihnen das Fest noch nicht geschenkt<br />

habe, und daß er deshalb auch nicht wisse, wen er einladen solle. Adlermutter erklärte<br />

ihm: "Wenn Du alles vorbereitet hast, wie ich es Dir gezeigt habe, dann mußt Du hinausgehen<br />

ins Land und die Menschen suchen und zur Versammlung einladen. Du wirst sie stets zu zweit<br />

antreffen, aber Du sollst sie solange versammeln, bis es endlich viele sind, und sie alle zum Fest<br />

laden."<br />

Als Teriaq nach seiner Lehrzeit bei Adlermutter zu seinen Eltern heimkehrte, erklärte er ihnen:<br />

"Die Menschen sind einsam und leben ohne Freude, weil sie das Fest nicht kennen. Die Adler<br />

haben mir das heilige Geschenk des Festes gemacht und ich habe ihnen gelobt, dieses Geschenk<br />

mit allen Menschen zu teilen." Nun richtete man zuhause alles so her wie es die Adler gelehrt<br />

hatten. Das Festhaus wurde gebaut und ein großer Fleischvorrat wurde angelegt. Lieder<br />

wurden komponiert und auch die Trommel wurde gebaut. Dann begab sich Teriaq auf die Suche<br />

nach den Menschen. Jetzt begriff seine Familie: Frohe Menschen erhalten Gesellschaft.<br />

Überall traf Teriaq Menschen, die, wie Adlermutter gesagt hatte, zu zweit waren und teilweise<br />

auch recht seltsam. Einige trugen Kleider aus Wolfspelz, andere aus dem Fell des Vielfraßes,<br />

andere hatten Kleider aus Luchs- oder Fuchsfell an. Sie trugen Kleider aus den Fellen der<br />

verschiedensten Tierarten.<br />

Diese Menschen folgten der Einladung gerne. Man spielte auf, tanzte, lachte und lärmte, erzählte<br />

sich Neuigkeiten und schloß Freundschaften und vergnügte sich bis zum Morgengrauen.<br />

Dann aber hatten es plötzlich alle sehr eilig, aus dem Festhaus herauszukommen, drängelten<br />

sich zur Tür und fielen vornüber zur Tür hinaus auf die Hände und sprangen jetzt auf allen<br />

Vieren davon. Nun waren sie keine Menschen mehr, sondern Wölfe, Vielfraße, Luchse und<br />

Füchse. Das waren also die Gäste, die der Adler geschickt hatte, damit Hermelin und sein<br />

Vater nicht vergeblich das Fest ausrichteten. Die Gewalt des Festes war aber so groß, daß sich<br />

selbst die Tiere in Menschen verwandeln konnten. Aber auch die Menschen waren seit diesem<br />

Ereignis nie mehr einsam und die Adler verjüngten sich, denn solange die Menschen Feste<br />

feiern, bleiben die Adler jung.<br />

Die Kultur erscheint als die Sphäre der Feste. Einem erdverbundenen Nagetier, einem Jäger,<br />

der aber auch Beute eines noch größeren Jägers ist, und einem König der Lüfte, ebenfalls<br />

einem Jäger, gelingt es die tierhafte Feindschaft zu überwinden und eine solidarische Beziehung<br />

herzustellen, welche der Tod einleitet. Der Adler tötete zwei Brüder des Hermelin, weil sie<br />

116 A. Schmücker, Die Gabe des Adlers, Frankfurt 1948<br />

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