Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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erst ihren Sinn gibt. Der Winter ist die Zeit der Aggregation der Lokalgruppen consanguin und<br />
affinal verwandter Familien, der Sommer, die Zeit der Auflösung der größeren Lokalgruppen<br />
zugunsten der kleinen beweglichen Familieneinheiten, die jede für sich auf Wanderschaft,<br />
Handelstour und auf die Sommerjagd geht. Wer im Sommer geboren wird, wird also während<br />
der Landpartie, der Karibu- und der Lachssaison geboren und wer im Winter geboren wird,<br />
während der Zeit des seßhaften Siedelns und der Meerestierjagd.<br />
Mit dieser Unterscheidung nach den Jahreszeiten korrespondiert also eine zweite nach dem<br />
Raum der Jagd: Land und Meer, und der Differenzierung der Beutetiere: Land- und Meerestiere.<br />
Das Karibu beginnt im Frühjahr seine Wanderung in den Norden, aus dem es sich erst im<br />
Herbst wieder zurückzieht. Der Sommer ist die Zeit der Karibujagd. Zum Frühjahrsbeginn<br />
werden auch die Fallen für die Eichhörnchen, Murmeltiere und Grisleybären aufgestellt. Und<br />
auch der Fischfang (Lachs) gehört zu den Tätigkeiten des Sommers, der auch die Zeit des Handels<br />
ist. Außer den Schneehühnern gehören alle Landtiere, von denen man sich ernährt, zu den<br />
Sommertieren und die Meerestiere dementsprechend zu den Wintertieren; der Lachs zählt hier<br />
nicht zu den Meerestieren, sondern seinem Fangort (Flüsse) gemäß zu den Landtieren,<br />
während der Wal zwar im Sommer gejagt, aber der größte Teil der Jagdbeute erst im Winter<br />
gegessen wird.<br />
Das Schema oben läßt sich den verschiedenen ethnographischen Berichten zweifelsfrei<br />
entnehmen.<br />
Während für das Wetter der Jahreszeiten jeweils eine Hälfte der Siedlung verantwortlich ist,<br />
die damit bestimmt, in welcher Jahreszeit der Beuteanteil am größten ist, müssen bei der Jagd<br />
auf die einzelnen Tiere, besonders wenn sich die Jagd zu Lande und zu Wasser abwechselt,<br />
spezielle Vorschriften berücksichtigt werden:<br />
Bevor man vom Fleisch eines Landtieres ißt, muß man sich die Hände immer dann waschen,<br />
wenn man zuvor von einem Meerestier gegessen hat.<br />
Walroß- und Rentierfleisch dürfen nicht am selben Tag genossen werden.<br />
Fährt man zur Jagd aufs Meer hinaus, dann müssen alle Jagdwaffen und Renfellkleider über<br />
einem Feuer aus Tang ausgeräuchert werden, um ihnen den Geruch des Landes zu nehmen.<br />
Bei der Atemlochjagd (Robbenjagd) ist das Tragen von Karibufellkleidung grundsätzlich verboten.<br />
Frauen dürfen während der Zeit der Atemlochjagd Karibufelle weder flicken noch zu Kleidung<br />
vernähen.<br />
Diese Rituale unterstreichen die Bedeutung der Unterscheidung von Land- und Meerestieren,<br />
der Welt in Sommerwelt und Winterwelt; sie beziehen sich auf Verhaltensweisen, die man als<br />
Anpassung an die ökologischen Kreisläufe der Landes- und der Wasserfauna begreifen kann,<br />
welche beide in letzter Instanz von den jahreszeitlichen Temperaturmaxima bestimmt werden,<br />
die den Reichtum der Karibu- und Meeressäugerherden oder ihr Ausbleiben verheißen. Auch<br />
die anderen rituellen Vorschriften vor und nach der Jagd, dürfen nicht außerhalb des ökologischen<br />
Zusammenhangs wahrgenommen werden. Auch sie stellen eine Garantie gültiger<br />
Gesetze dar, deren Übertretung spezifische Reaktionen des ökologischen Systems herausfordern.<br />
Es bleiben nicht nur die Tiere aus, sondern auch das Klima reagiert negativ auf diese<br />
Verfehlungen, die deshalb alle gefährden. Die bekanntesten Vorschriften sind:<br />
*Dem abgetrennten Kopf der Beute ist ein Trunk anzubieten.<br />
*An den Rumpf der Beute sind Gaben für den inua des Tieres anzubringen; ist er männlich, ein<br />
Jagdmesser, ist er weiblich, Fingerhut und Nadel.<br />
*Sobald man den Kopf des Tieres abgetrennt hat, muß man seinen Geist bitten, wiederzukehren.<br />
*Von der Jagdbeute ist stets ein Teil dem Meer zurückzuerstatten.<br />
*Die Knochen des ersten Seehundes, den ein Junge erlegt hat, müssen an der Stelle ins Meer<br />
geworfen werden, an der das Tier erlegt worden ist.<br />
*Die Frauen müssen ihre Arbeit solange ruhen lassen, bis der Seehund enthäutet ist.<br />
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