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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Radcliffe-Brown 1929, jene Vorliebe der Selbstreflexion in den Kategorien der Natur<br />

hervorgebracht, die beibehalten in den Gesellschaften, die sich weiter differenzierten als die<br />

Wildbeutergesellschaften, das Phänomen des <strong>Totemismus</strong> hervorgebracht haben, und zwar<br />

allein durch diese soziale Weiterdifferenzierung in segmentäre Gesellschaften: "The so-called<br />

>social aspect< of clan totemism is simply the social aspect of the clan," 102 weil er sich auch<br />

dann nicht ändert, wenn man den <strong>Totemismus</strong> vom Clan-System subtrahiert und weil dementsprechend<br />

dieser Aspekt sich auch durch die Assoziation mit den totemistischen Inhalten funktional<br />

nicht verändert. Mit Goldenweiser: "The distinctiveness lies in the association of the<br />

totemic content with a clan system." 103 Und der totemic content erweist sich als das System<br />

der Selbstprojektion des Menschen in die Natur oder die Reflexion der Natur nach dem Bilde<br />

des Menschen, welche von Hegel als "Religion der Erhabenheit" begriffen worden ist, als das<br />

Übergehen des Geistes in sein Anderssein, der sich in die Bestimmungen des Andersseins auseinanderlegt,<br />

um sich in diesen Bestimmungen von ihnen her bestimmter zusammenfassen, d.h.<br />

bestimmen zu können. Die Momente und Bestimmungen, die er mit dem Anderen teilt, erscheinen<br />

dann als jene Gruppen der Klassifizierung, für welche die australischen Sections ein<br />

grandioses Beispiel abgeben.<br />

Die von C.G.von Brandenstein rekonstruierte gemeinaustralische Weltanschauung, in der alles<br />

Seiende nach den Konstitutionstypen und Temperamenten differenziert und klassifiziert wird,<br />

und in der demnach die Verbindungen des Seienden als Verbindungen dieser Art begriffen werden,<br />

vermittelt uns ein ebenso großartiges wie systematisches System der Anthropomorphisierung,<br />

Personifizierung oder Projektion als Verhältnis des Wildbeuters zur Natur, in dessem<br />

symbolischen System auch die sozialen Einheiten, ihre Integration und Differenzierung als<br />

Möglichkeiten dieser Kosmologie reflektiert und dargestellt werden. Damit wird speziell in den<br />

australischen Beispielen des <strong>Totemismus</strong> eben jene Voraussetzung greifbar, ohne die der <strong>Totemismus</strong><br />

nach der Vorstellung von Radcliffe-Brown und dann auch von Haekel und Baumann<br />

gar nicht hätte entstehen können, als das Weltbild der Wildbeuterkultur.<br />

Den Rückgriff von Radcliffe-Brown auf das rituelle Verhältnis zur Natur, das für eine bestimmte<br />

Kultur typisch ist, kann man deshalb auch gar nicht mit jener Reduktion der Natur auf<br />

das Eßbare verwechseln, die Levi-Strauss ihm unterstellt, weil er auf eine Form des Denkens<br />

bezogen ist, in der sich die Bewegung des Denkens selbst in der Natur anschaut.<br />

Das System der Weltanschauung, welche Kausalität vor allem als Kausalität aus Freiheit, d.h.<br />

moralisch, begreift und die Gegensätze aus der Wechselwirkung persönlichen Handelns, d.h.<br />

seiner moralischen Vergeltung -Bestimmungen, die unter dem Begriff der "Personifizierung"<br />

zusammengefaßt worden sind-, welches deshalb zu seiner Aufrechterhaltung ganz besonders<br />

einer ständigen rituellen Versicherung des Seienden bedarf, ist eben wegen dieser Bestimmungen<br />

auch zum bevorzugten Gegenstand psychoanalytischer Untersuchungen geworden.<br />

Die Hypothese von der Personifizierung als einem Grundzug des mythologischen Denkens<br />

stellt die Verbindung zur Neurosenlehre her.<br />

Unter Personifizierung versteht Ehrenreich "die Apperzeption einer Erscheinung als beseeltes,<br />

sich von selbst bewegenden Wesens und aller Vorgänge der Außenwelt als Handlungen solcher<br />

Wesen," 104 was Freud kurz in dem Begriff der Projektion zusammenfaßt.<br />

Die Projektion innerer Wahrnehmungen nach außen stellt einen nicht ausschaltbaren Begleitumstand<br />

des Vorstellungsvermögens dar und erscheint als die Projektion von Gefühls-und<br />

Denkvorgängen nach außen als ein wesentliches Moment der Bestimmung des Subjekts als<br />

Selbstbewußtsein, das sich auf diesem Wege sowohl in sich selbst als auch von Anderem unterscheidet,<br />

d.h. seiner Subjektivität inne wird.<br />

Die neurotische Form stellt jene Form der Möglichkeit subjektiven Ausdrucks dar, die sich des<br />

102 A.R.Radcliffe-Brown, The Sociological Theory of Totemism, ibid, S.117<br />

103 A.A.Goldenweiser, Form and Content in Totemism, ibid, S. 287<br />

104 P.Ehrenreich, Mythen und Legenden der südamerikanischen Urvölker, Zeitschr. f. Ethnologie, 37,<br />

1905, Suppl. S.22.<br />

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