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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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persönlichen Kategorien ausdrücken. Nur durch die Überwindung der Differenzen und die<br />

Achtung des Wesens wie der alles einenden Einheit kann das Ganze so bleiben wie es ist, das<br />

Sein, d.h. die Welt, erhalten werden. Und alle Anstrengungen, die diesem Ziele dienen, nämlich<br />

mit dem Wesen eins zu sein, werden von Radcliffe-Brown das rituelle Verhältnis zur Natur<br />

genannt.<br />

Mit dem Status, den der Aboriginal dem Lebendigen oder Natürlichen in seiner sozialen wie<br />

rituellen Organisation anweist, demonstriert er mit Radcliffe-Brown "the problem of how<br />

opposition can be used as a model of social integration." 101<br />

Deshalb kann auch in Australien der klassifizierende <strong>Totemismus</strong> nicht für sich allein seine<br />

nominalistische Funktion erfüllen, der er nur gerecht wird, wenn die Handlungen der Kultgruppen<br />

und die durch das Individualtotem mögliche Verbindung des Menschen mit dem Wesen<br />

des Seienden, d.h. in Australien die Verbindung mit der Traumzeit, sie bestätigen, welche<br />

in letzter Instanz alle Regeln, alles Wissen und alle Klassifizierungen tragen oder deren<br />

Neuformulierung veranlassen.<br />

Die Reflexion sozialer Beziehungen in den Ausdrücken natürlicher Arten ist, worauf Boas<br />

hingewiesen hat, nicht per se ein Spezifikum des <strong>Totemismus</strong>, da man unter dieser Bedingung<br />

auch den Eskimos, Yanomamö oder Menri totemistische Praktiken zuschreiben müßte, sie<br />

wird erst unter der Bedingung totemistisch, wenn die sozialen Gruppen, die sich ihrer bedienen,<br />

sich nach den Regeln der unilinearen Deszendenz, Residenz und nach positiven Heiratsvorschriften<br />

differenzieren und integrieren und die natürlichen Kategorien zur Abbildung<br />

der politischen Beziehungen (Differenzierung und Integration) und politischen Einheiten benutzen.<br />

Im <strong>Totemismus</strong> vergegenständlicht sich also die soziale Dimension der organischen<br />

Solidarität (Durkheim), der Gesellschaft im Sinne von Tönnies. Im <strong>Totemismus</strong> wird der Fremde<br />

das erstemal nicht nur als der Feind an sich begriffen, sondern als ein potentieller<br />

Bündnispartner, allerdings unter der Bedingung, daß er sich durch sein Totem in das totemistisch<br />

offenbarte System der organischen Solidarität fügt. Radcliffe-Brown reserviert wie Boas<br />

und Goldenweiser dem <strong>Totemismus</strong> auf der sozialen Seite die unilineare Abstammungsrechnung,<br />

damit die Abbildung sozialer Beziehungen in natürlichen Kategorien, <strong>Totemismus</strong> genannt<br />

werden kann, und gewinnt damit eine gemeinsame Basis für die jägerkulturelle Weltanschauung<br />

und den <strong>Totemismus</strong> in der Selbstvergegenständlichung durch natürliche Kategorien,<br />

die nur noch durch die soziale Organisation, in der sie ihre Rolle spielt, unterschieden werden<br />

kann; der <strong>Totemismus</strong> ist damit für ihn zu einem genuin soziologischen Problem geworden.<br />

Die Reflexion der sittlichen Welt in den natürlichen Kategorien, das System, in dem sich das<br />

Verhältnis des Geistes zur Natur ausdrückt, das von der Völkerkunde zu Unrecht <strong>Totemismus</strong><br />

genannt wird, ist der Gegensatz, in dem sich der Geist durch seine Manifestationen hindurch<br />

setzt, in denen der Geist endlich wird. Die Natur gilt auch hier als die Erscheinung des Geistes,<br />

deren Gestalten und Erscheinungen als Akzidenz nicht für sich bestimmt sind, sondern als<br />

Form seiner Äußerung. Rituell ist das Verhältnis, das der Aufhebung dieses Gegensatzes gewidmet<br />

ist, das den Geist in sich weiß und mit sich zu versöhnen sucht. Der Ritus ist die aktive<br />

Umsetzung dieses Wissens; er ist Handeln, das der Vereinigung des Menschen mit dem Geiste<br />

über die Aufhebung der akzidentellen Manifestationen seiner selbst verschrieben ist. Der Ritus<br />

ist, wie Hegel es ausdrückte, "der ewige Prozeß des Subjekts, sich mit seinem Wesen identisch<br />

zu setzen." Das von Radcliffe-Brown angenommene "rituelle Verhältnis zur Natur" setzt die<br />

"Religion der Erhabenheit" voraus, das Wissen, daß der Geist in den hinfälligen Gestalten, in<br />

denen er erscheint, nicht schwach ist, sondern mächtig, d.h. daß er als der Erhabene, Mächtige<br />

erscheint, dessen Bestimmungen zwar Güte und Gerechtigkeit sind, der aber selbst in diesen<br />

Bestimmungen nicht aufzugehen vermag, sondern über diese Bestimmungen hinaus als<br />

unbestimmte, d.h. in der Mythologie vor allem als unberechenbare, bedrohliche Macht<br />

erscheint. Die Religion der Erhabenheit hat, so jedenfalls Goldenweiser 1910 und 1918 und<br />

101 A.R.Radcliffe-Brown, The Comparative Method in Social Anthropology, ibid, S.22<br />

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