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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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enthaltenen Wesens, an den rituellen Zuwendungen, an den damit verbundenen Ge- und<br />

Verboten abgelesen, die soziale an der Funktion der Gruppenidentifizierung und Gruppendifferenzierung,<br />

an Vorschriften der Hilfeleistung, des Bündnisses, an Formen der Freundschaft<br />

und der Verwandtschaft. Daß alle diese Verhaltensweisen und ihre Begründungen auch psychologisch<br />

bedeutsam sind, Identifizierung, Projektion, Verehrung, Furcht, Respekt, Rücksicht,<br />

Verzichtsbereitschaft und Leistungsgewinn als Formen libidinöser Besetzung und emotionalen<br />

Kalküls, als Abwehrhaltung oder als Gefühlsbindung der Faszination zu begreifen sind,<br />

ist evident. Die Gefahr einer Dialektik des: Alles hängt mit Allem zusammen, besonders nach<br />

der Versicherung durch Frazer, daß das so definierte Phänomen in fast allen Kulturen<br />

konstatierbar ist, unter Jägern, Hack- oder Gartenbauern, Hirten, Ackerbauern und Viehzüchtern<br />

gleichermaßen, provoziert geradezu den analytischen Verstand, die Erscheinung nach den<br />

Bezugsgesichtspunkten der Betrachtung, d.h. in religionsphänomenologische oder religionshistorische,<br />

in psychologische und soziologische Perspektiven aufzuteilen.<br />

So weist schon Goldenweiser 1910 daraufhin, daß der <strong>Totemismus</strong> weder historisch noch psychologisch<br />

ein einheitliches Phänomen darstellt. All die sozialen wie religiösen Merkmale, mit<br />

denen man den <strong>Totemismus</strong> in Verbindung zu bringen suchte: Exogamie, Tabu, Verehrung,<br />

rituelle Beziehung, Abstammung, Namengebung, sind keine totemismusspezifischen Merkmale.<br />

Sowohl ihre Verbreitung als auch ihre Ursprünge variieren beträchtlich. Goldenweiser stellte<br />

auch fest, daß der <strong>Totemismus</strong> ein Phänomen des Scheins ist, Schein, der sich der Konvergenz<br />

verschiedener Merkmale verdankt. Die Kombination des Namens einer natürlichen Erscheinung<br />

mit einer Familie, einer exogamen Gruppe, mit einer Deszendenzgruppe, mit einer<br />

Kultgruppe, mit Personen, mit mystischen Wesenheiten, Riten, Zeremonien, Tabus und<br />

Geboten erzeugt rein äußerlich das ähnliche Phänomen der Bezeichnung von Gruppen mit<br />

Namen natürlicher Erscheinungen, das hinter seiner Aufdringlichkeit aber leicht die unterschiedlichen<br />

Ursachen oder Ursprünge ihrer Erscheinung vergessen macht. Was diesen verschiedenen<br />

Erscheinungen aber gemeinsam ist und bleibt, so Goldenweiser, ist der emotionelle<br />

Wert, den sie für die Gruppen repräsentieren, die sich mit ihnen schmücken, weshalb Goldenweiser<br />

auch in dem totemistischen Komplex vor allem eine psychologische Erscheinung<br />

fragiler Natur als seinem gemeinsamen Nenner erkennt und Durkheim aus einem annähernd<br />

ähnlichen Grund eine soziale Tatsache, denn mit dem gleichen Recht kann man auch feststellen,<br />

daß die emotional aufgeladenen Objekte Gruppen repräsentieren und als Medium der<br />

Identifizierung deren Solidarität verstärken. Die Übertragung der Gruppensolidarität oder der<br />

Identifizierung mit der Gruppe auf das repräsentative Objekt nicht als ein selbst hergestelltes<br />

Ergebnis zu durchschauen, nicht zu erkennen, daß man mit ihr im religiösen Phänomen nur sich<br />

selbst als Gruppe reflektiert und ihre Solidarität versichert, kurz ein Verhalten, das Freud mit<br />

den Begriffen der Verdrängung und der Verschiebung zu bestimmen unternimmt, behauptet<br />

Durkheim als das typische Merkmal aller religiösen Handlungen, d.h. als den Schein des<br />

Religiösen überhaupt, der die Selbstanbetung der Gesellschaft vor sich selbst versteckt, während<br />

Thurnwald diesen Schein als Fehler des primitiven, will sagen ungeschulten, Denkens hinstellt,<br />

das die Ursache für die Wirkung bestimmter Dinge (Totems) auf den Menschen vergessen<br />

oder verdrängt hat, nämlich Gefühle der Furcht, der Achtung oder der Verbundenheit<br />

auszulösen, weshalb diese Gefühlsreaktionen als Qualitäten jener Dinge selbst angesehen werden<br />

(stat pro aliquid, Verschiebung). Aber Thurnwald betont in diesem Kontext wie Goldenweiser<br />

mehr die psychologischen Aspekte, indem er anders als Durkheim von der Übertragung<br />

oder Projektion jener Gefühle der Abhängigkeit und Furcht auf natürliche Erscheinungen<br />

spricht und den <strong>Totemismus</strong> eigentlich wie Freud als ein Problem der Abwehrreaktion begreift,<br />

deren Projektionen von einer bestimmten (primitiven) Art des Denkens als Realität der<br />

Außenwelt reifiziert werden. Was für Goldenweiser eine Eigenart der sog. Sache <strong>Totemismus</strong><br />

ist, nämlich eine ähnlich Wirkung zu zeigen, trotz unterschiedlichster Ursachen und die Verwechslung<br />

des Verschiedenen deshalb also eher als Fehler den Vertretern jener Wissenschaft<br />

unterläuft, welche sich diesen Gegenstand geschaffen hat, erlaubt Thurnwald sich den Rückfall<br />

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