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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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ist, aus und fordert die unilineare Abstammung (...), weil sie als einzige strukturell ist." 84 Die<br />

"unsystematische" soziale Organisation der Eskimos erscheint als eine Folge ihrer Reduktion<br />

der exogamen Einheit auf die Familie. Boas schreibt: "In those cases in which, perhaps owing<br />

to the ever-recurring breaking-up of the tribes into smaller units, cohesion was very slight,<br />

the exogamic group always have remained restricted to the kinship group in the narrow sense<br />

of the term, so that there must always have been a large number of small co- ordinate independent<br />

family groups. A condition of this type, which is exemplified by the Eskimo, could<br />

never lead to totemism." 85<br />

Die family group wird unter diesen Bedingungen selbst zum Inbegriff aller positiven sozialen<br />

Verhältnisse: Freundschaft, Geborgenheit, Gemeinschaft, der gegenüber die Gegensatzbeziehungen:<br />

Feindschaft, Gefahr, Verwaistsein, als Fremdbeziehungen außerhalb der Familie nur<br />

als Eingriffe oder Reaktionen der Natur gedacht werden können, welche allerdings durch das<br />

Handeln der Menschen verursacht worden sind.<br />

Natur Einsamkeit Gefahr Feindschaft Tier<br />

Kultur Gemeinschaft Sicherheit Solidarität Mensch<br />

Tatsächlich reflektiert die<br />

Mythologie der Eskimos den<br />

Gegensatz von Kultur und<br />

Natur als Gegensatz, der auf<br />

der einen Seite die Werte der Gemeinsamkeit, Sicherheit und Freundschaft (Solidarität) und<br />

auf der anderen Seite die Werte der Einsamkeit, Gefahr und der Feinschaft gegenüberstellt,<br />

und zwar symbolisch zusammengefaßt in dem Gegensatzpaar: Mensch- Tier:<br />

Die Mythen und Märchen der Eskimo offenbaren uns nicht nur die zwei von den Notes and<br />

Queries geforderten Kategoriensysteme, sondern auch deren Funktion, nämlich die Unterscheidung<br />

zweier sozialer Dimensionen, die Durkheim mit den Begriffen der mechanischen und<br />

der organischen Solidarität unterscheidet, Tönnies kurz als Gemeinschaft und Gesellschaft.<br />

Unter diesen sozialen Bedingungen kann eine Gesellschaft, deren exogame und lokale Gruppen<br />

Kosmos<br />

Mensch<br />

nichtmenschliches Seiendes<br />

körperliches Seiendes<br />

nichtkörperliches Seiendes<br />

fremde Gruppen Tiere Pflanzen Seelen Geister<br />

mit der fraternal und conjugal erweiterten Familie zusammenfallen, gar nicht anders als die<br />

positiven Werte mit dem Menschsein, das mit der eigenen Verwandtschaft zusammenfällt, und<br />

die negativen Werte mit dem Gegenüber, das dem Menschen von allem Anderssein am<br />

ähnlichsten ist, bezeichnen, und damit zwischen den Werten der Solidarität und des Altruismus,<br />

vertreten durch den Menschen, und den Werten der Feindschaft und des Egoismus, vertreten<br />

durch das Tier, einen Gegensatz setzen, der nur noch jenseits der konkreten Erscheinung, d.h.<br />

auf der Grundlage ihres Wesens, zur Versöhnung gebracht werden kann, auf der auch die<br />

Möglichkeiten der Verwandlung der Gestalten im Mythos erscheinen. Dies wäre die religiöse<br />

Erklärung des Phänomens der Gestaltverwandlung, die beispielsweise auch der Schamane für<br />

sich in Anspruch nimmt.<br />

Aber der gleiche Gedankengang führt auch zu einer profanen Auflösung des Problems: Wenn<br />

im Zentrum des Kosmos die relativ isoliert lebende fraternal oder conjugal erweiterte Familiengruppe<br />

steht, die mit dem Menschsein identifiziert wird, dann stellt alles andere körperlich<br />

Seiende um sie herum das Nichtmenschliche, d.h. die außermenschliche Natur, dar, das nach<br />

der Ähnlichkeit mit der sich verabsolutierenden Gruppe differenziert oder nach den Malen der<br />

84 C.Levi-Strauss, Das Ende des <strong>Totemismus</strong>, ibid, S.21-2<br />

85 F.Boas, The Origin of Totemism, ibid, S.324<br />

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