Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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perpetuiert, d.h. die sozialen und politischen Beziehungen und Funktionen der genannten sozialen<br />
Einheiten oder Gruppen wird vorgestellt und bezeichnet in den zu Gebote stehenden<br />
natürlichen Kategorien. Diese Kategorien werden besonders dann bemüht, wenn es gilt, die<br />
verschiedenen politischen Allianzbeziehungen der unilinearen Abstammungsgruppen herauszustellen.<br />
Durch seinen Vergleich der Funktion von Pflanzen- und Tiernamen in bestimmten sog.<br />
primitiven Gesellschaften mit der Funktion, welche die Fahnen, Uniformen, Regimentsabzeichen,<br />
Könige und Präsidenten in den neuzeitlichen europäischen Gesellschaften erfüllen, demonstriert<br />
auch Levi-Strauss im Anschluß an Durkheim und Radcliffe-Brown, daß diese Methode<br />
des Ausgleichs und der Darstellung persönlicher Ansprüche durch die Normierung und<br />
ausdrückliche Herausstellung reziproker Beziehungen in symbolischen Formen keine genuine<br />
Funktion des <strong>Totemismus</strong> ist. So stellt er mit Radcliffe-Brown die Frage: "Wie läßt sich erklären,<br />
daß die sozialen Gruppen (oder Segmente) der Gesellschaft voneinander unterschieden<br />
werden durch die Zuteilung jeder einzelnen zu einer besonderen natürlichen Gattung? Dieses<br />
Problem ist das Problem des <strong>Totemismus</strong> und überdeckt zwei weitere: wie denkt sich jede Gesellschaft<br />
die Beziehung zwischen den menschlichen Wesen und anderen natürlichen Gattungen<br />
(ein Problem das außerhalb des <strong>Totemismus</strong> liegt...); und wie werden andererseits soziale<br />
Gruppen vermittels der Embleme, Symbole oder emblematischer oder symbolischer Objekte<br />
identifiziert? Das zweite Problem geht gleichfalls über den Rahmen des <strong>Totemismus</strong> hinaus, da<br />
von diesem Gesichtspunkt aus ein und dieselbe Rolle je nach dem Typus der ins Auge gefaßten<br />
Gemeinschaft mit einer Fahne, einem Wappen, einem Heiligen oder einer Tierart verknüpft<br />
werden kann." 78<br />
Die kurze Frage: "Why animals?" heißt also längersinnig: Warum reflektiert eine Gruppe ihre<br />
Kollektivvorstellungen, Solidarität, ihr Einverständnis oder ihre vertraglichen Zweckverbindungen,<br />
d.h. auch ihre Gegensatzbeziehungen zu anderen Gruppen wie ihre Wertabstufungen,<br />
Fremdheit und Feindschaft, in den Kategorien natürlicher Arten und Gattungen, wenn sie diese<br />
Beziehungen genauso gut durch gemeinsame Uniformen, Flaggen, Abzeichen, Heilige,<br />
Märtyrer, Vorbilder, Ideale, durch eine besondere Kleiderordnung oder durch künstliche Umgangsformen,<br />
durch Feindbilder, Vorurteile und pejorative Stigmatisierung zum Ausdruck<br />
bringen kann? 79<br />
Die Antwort von Levi-Strauss auf diese Frage ist aber im Gegensatz zu Radcliffe-Browns<br />
Versuch von 1929 keine Antwort, sondern nur der Hinweis auf die Bedingungen der Möglichkeit<br />
einer Reflexion sozialer oder kultureller Gebilde durch natürliche Kategorien. Er pflichtet<br />
Radcliffe-Brown bei: "Die Tiere des <strong>Totemismus</strong> hören auf, nur oder besonders gefürchtete,<br />
bewunderte oder begehrte Geschöpfe zu sein: ihre sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit läßt<br />
Begriffe und Beziehungen durchscheinen, die vom spekulativen Denken von den Gegebenheiten<br />
der Beobachtungen aus erfaßt werden. Endlich begreift man, daß die natürlichen Gattungen<br />
nicht ausgewählt werden, weil sie >gut zu essen< sind, sondern weil sie >gut zu denken<<br />
sind." 80<br />
Den universalen und elementaren Assoziationsgesetzen, welche das Denken leiten und welche<br />
in einer gewissen Analogie zur Boolschen Algebra zu begreifen sind, so Levi-Strauss, genügen<br />
alle Begriffe, mit denen man Gegensätze und Übereinstimmungen abbilden kann, d.h. also auch<br />
die Begriffe, welche Aussagen über die Natur machen, welche die Natur in ihrer<br />
Mannigfaltigkeit ordnen. Hat man grundsätzlich zugestanden, daß der "Wilde" denkt, dann<br />
bleibt die Frage, welche auch die Frage des <strong>Totemismus</strong> ist, weiterhin ohne Antwort: Warum<br />
denkt der "Wilde" vor allem seine Kultur und Gesellschaft in den natürlichen Kategorien, wa-<br />
78 C.Levi-Strauss, Das Ende des <strong>Totemismus</strong>, ibid, S.111<br />
79 Siehe: E.Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, ibid, S.320; A.R.Radcliffe-<br />
Brown, The Sociological Theory of Totemism, ibid, S.125 und derselbe: The Comparative Method in Social<br />
Anthropology, ibid, S.17<br />
80 C.Levi-Strauss, Das Ende des <strong>Totemismus</strong>, ibid, S.116<br />
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