Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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einer bestimmten Person aus der Not hilft, andererseits stellt er kein Bestandteil der Person<br />
oder keine besondere persönliche Verbindung dar, sondern gilt als der Schutzgeist, der allen<br />
Namas im Bedarfsfall behilflich ist. Somit steht auch dieses Tier sowohl als Exemplar einer<br />
Person (zeitweise) gegenüber als auch als Artbegriff einer Gruppe (dauernd). Bei den Namas<br />
wird die erste Relation (Exemplar-Person) durch die zweite Relation (Art-Gruppe) begründet<br />
und aller Wahrscheinlichkeit nach als Epiphanie eines Wesens vorgestellt, daß sich zwar bevorzugt<br />
der Exemplare einer bestimmten Spezies bedient, um in Erscheinung zu treten, aber selbst<br />
nicht durch diese Erscheinungsform bestimmt wird.<br />
A.I. Hallowell interpretiert das Manitukonzept der Ojibwa genau in diesem Sinne, wenn er<br />
schreibt, daß "man den allgemein bekannten Begriff manitu als Synonym für die Personen der<br />
nicht-menschlichen Klasse (Großväter, ätiso'kanak, pawaganak) betrachten kann," 70 welche<br />
einem sowohl bei klarem, wachen Verstande (Waussauyauh-bindimiwin) als auch im Schlaf<br />
(Apowawin) erscheinen können. Solche Personen nichtmenschlicher Natur sind auch die Wesen,<br />
welche sich in der Gestalt der Tiere und auch der Totemtiere offenbaren, was soviel besagt,<br />
daß unter den Bedingungen persönlicher Offenbarung jedes Totemtier auch als Manitu zu<br />
begreifen ist, während es außerhalb der religiösen Einstellung als säkulares Objekt mit den<br />
verschiedenen sozialen Funktionen behandelt wird. Wann ein natürliches Objekt Gegenstand<br />
profanen oder heiligen Interesses ist, hängt also von den entsprechenden Bedingungen und<br />
Einstellungen ab, unter denen das Verhältnis zu ihm besteht.<br />
Während man in den Ojibwa nach der herkömmlichen Aufassung einen Repräsentanten des<br />
<strong>Totemismus</strong> erkennt, weil sie ihre patrilinear und patrilokal organisierten Clans nach Totemnamen<br />
differenzieren, gehört die Schutzgeistvorstellung der Namas und die Doppelgängervorstellung<br />
der Yanomamö und d.h. dann auch folgerichtig die Schutzgeistvorstellung der Ojibwa<br />
nach seiner konventionellen Bestimmung als einem Mittel der sozialen Differenzierung nicht<br />
zum <strong>Totemismus</strong>, wohl weil sie alle mit dem Manitukonzept die Idee der Epiphanie einer<br />
transzendenten Wesenheit in den Gestalten des natürlichen Lebens teilen, d.h. weil ihnen die<br />
"Religion der Erhabenheit" (Hegel) gemeinsam ist. Übereinzustimmen scheint zunächst die<br />
Art des Denkens der Yanomamö, Nama und Ojibwa, während seine Anwendung auf verschiedene<br />
Institutionen die Differenzen markiert, welche auf die Verschiedenheit ihrer Kultur<br />
und sozialen Organisation zurückgehen. Yanomamö und Nama verwenden eben keine Speziesnamen<br />
zur Differenzierung ihrer sozialen Gruppen, haben keine totemistischen Lineages<br />
oder Clans, obwohl die Assoziation von Spezies und Gruppe bei den Yanamamö religiös fixiert<br />
ist und aus diesem Grunde ohne weiteres auch die Funktion der Differenzierung ihrer Lineages<br />
durch die Artbegriffe erfüllen könnte, zu denen ihre Noureshi gehören. Es wären dementsprechend<br />
in die Tabelle der komplementären Funktionen von Individualtotemismus und<br />
Gruppentotemismus oben die Noureshi in die Spalte der differenzierenden Funktion einzutragen<br />
und die Kehr-Hasen oder Drehschakale der Namas in die Spalte der integrierenden Funktion,<br />
und zwar komplementär zur sozialen Organisation, mit der sie verbunden sind. Die Regeln<br />
der Zuschreibung der Noureshi (Außenseelen) bei den Yanomamö und die damit verbundene<br />
soziale Gliederung erscheint aber außerdem wie ein in verharrendes, nur auf den<br />
rechten Augenblick wartendes Vorspiel des <strong>Totemismus</strong>, das von seiner Verwirklichung nur so<br />
weit entfernt ist, wie seine naheliegende Verwendung zur Indikation einer sozialen und politischen<br />
Verbindung (Allianz), kurz in einem Zustand, den Baumann Proto- <strong>Totemismus</strong> nennt<br />
und dessen Erscheinung er in Afrika beschrieben hat.<br />
Man kann also die rein nominalistische Definition des <strong>Totemismus</strong> nur dann aufrechterhalten,<br />
wenn man die Schutzgeistvorstellung der Ojibwa künstlich von dem <strong>Totemismus</strong> der Ojibwa<br />
isoliert, wie dies Andrew Lang als erster getan hat, und damit die Korrespondenz von individuellem<br />
Schutzgeist und Gruppentotem einerseits und die soziale Funktion des individuellen<br />
70 A.I.Hallowell, Ontologie, Verhalten und Weltbild der Ojibwa, in: D. und B. Tedlock, Über den Rand<br />
des tiefen Canyon, ibid, S.161-2<br />
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