Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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sam geteilten nichtmenschlich seienden Welt begegnen (Sonderform der sozialen Gruppen), die<br />
sich mit den Kategorien dieser anderen Welt der außermenschlichen Erscheinungen identifizieren<br />
sowie unterscheiden und sich auf diese Weise kategorial als Allianzpartner, Frauengeber<br />
oder Frauennehmer, als Handelspartner oder Kultgenossen zu erkennen geben, und dann auch<br />
als Solidargemeinschaft erfassen, deren Identifizierungen oder gemeinsamen Interessen sich<br />
eben auf die Bewährung in jener fremden oder anderen Welt der gewagten Verträge beziehen,<br />
in der sie sich gemeinsam behaupten müssen.<br />
Indem man sich selbst verfremdet in der anderen Natur findet man die Ebene des Vergleichs<br />
mit dem Fremden, den man, vorgestellt in natürlichen Kategorien, dann auch in den natürlichen<br />
Kategorien wiederfindet, in denen man sich selbst reflektiert.<br />
Diese Welt, in der alles entweder als Manifestation des Heiligen begriffen wird oder als<br />
Resultat des Wirkens neidischer oder übelwollender Geister, ist deshalb stets heilig und gefährlich<br />
zugleich, segensreich und unglückbringend zugleich, so daß alles menschliche Verhalten<br />
in der Welt des nichtmenschlichen Seienden entweder zum Wohl und Heil oder zum Unglück<br />
und Verderben des Menschen sich auswirkt, so auch die Kämpfe, Abgrenzungen, Allianzen<br />
und Beziehungen des Menschen mit den nichtmenschlichen Lebewesen, zu denen ja der<br />
Fremde ausgezeichnetermaßen gehört, und über deren Regelung der Mensch sich mit dem Anderssein<br />
in vielfältiger Weise verbindet, verschwägert, vermischt oder trennt, abschließt und<br />
aussondert.<br />
Der <strong>Totemismus</strong> reflektiert das Verhältnis des Menschen zum Anderssein, die Außenbeziehungen<br />
seiner eigenen Gruppen, in den Kategorien des Andersseins, weil sich der Mensch, d.h.<br />
die Verwandtschaft, die sich exclusiv als Menschheit begreift, durch dieses Verhältnis selbst<br />
verändert, weil der Mensch durch seine Interaktion mit dem Anderssein selbst anders wird und<br />
in jenen natürlichen Kategorien sich dieses Anderswerdens bewußt wird, d.h. weil er sich, um<br />
selbst Mensch bleiben zu können, in jenem Anderssein wiederfinden muß, das ihm als der in die<br />
Menschheit aufgenommene Fremde als sein eigenes Menschsein begegnet.<br />
Da es sich bei der Abbildung sozialer Vertrags- oder Allianzbeziehungen durch den <strong>Totemismus</strong><br />
um die Abbildung regulierter Beziehungen zu Fremden oder anderen Gruppen handelt,<br />
stellt er den Gebrauch der Kategorien, welche das Verhältnis des Menschen zu seiner Natur als<br />
dem an und für sich Fremden darstellen, zur Abbildung jener sozialen Außenbeziehungen dar,<br />
welche ihrerseits als Binnenbeziehungen einer übergeordneten politischen Einheit, z.B. des<br />
Stammes, erscheinen. So verbindet der <strong>Totemismus</strong> eine ungeregelte Allianz von<br />
Lokalgruppen mit ähnlichen Verbänden zu ihrer organischen Solidarität, vor- und dargestellt in<br />
natürlichen Kategorien, weil man selbst wie die anderen das eigene Verhältnis zum Kosmos,<br />
das eigene Wesen in natürlichen Kategorien reflektiert hat.<br />
Die Antwort auf die Frage: why animals?, die Antwort auf die Frage, warum also diese speziellen<br />
sozialen Beziehungen in natürlichen Kategorien dargestellt werden, vermitteln eben jene<br />
Formen des <strong>Totemismus</strong>, welche neben der Abbildung dieser sozialen Funktion noch die religiöse<br />
Bedeutung und Funktion dieser Kategorien zur Regulierung der Beziehungen des<br />
Menschen zum Anderssein bewahrt haben, wie z.B. der Individual- und Geschlechtstotemismus<br />
Australiens, wie der Individualtotemismus in Afrika und Amerika, welche den von<br />
Goldenweiser, Radcliffe-Brown, Haekel oder Baumann postulierten Rückgriff der Reflexion<br />
und Abbildung sozialer Beziehungen auf die Kategorien des religiösen und rituellen<br />
Verhältnisses der Wildbeuter zur Natur nicht nur wahrscheinlich machen, sondern beispielhaft<br />
demonstrieren.<br />
Wo unter dem Zeichen des <strong>Totemismus</strong> die Deszendenz- und Exogamieregeln inhaltlich<br />
vorherrschen, verliert die traditionell religiöse Konnotation der natürlichen Kategorien ihre<br />
Bedeutung, dann endlich auch den totemistischen Charakter, und wo die religiösen und rituellen<br />
Beziehungen im Gebrauch dieser Kategorien vorherrschend sind wie etwa in Polynesien<br />
oder bei den Yanomamö, haben die sozialen Konnotationen nur eine latente oder gar keine<br />
eigene Bedeutung, während in der Mitte dieser Skala, die hier erwähnten australischen und<br />
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