Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Verwandte an, als von einem gemeinsamen Ahnherrn entsprossen.<br />
Möglich ist, daß die Tabutiere oder -pflanzen früher totemistisch gewesen sind, heute sind sie<br />
es nicht. Auch in der Sprache drückt sich aus, daß es sich um zwei verschiedene Dinge handelt,<br />
Totem heißt kasen, Tabu tea." 292<br />
Bei dem als matrilinear beschriebenen Abstammungssystem der Kpelle könnte man erwarten,<br />
daß eine Gemeinschaft wie die Tabugemeinschaft, die mit der Abstammung wirklich<br />
übereinstimmen soll, auch ihre Zuschreibung matrilinear bestimmt. Diese Erwartung wird aber<br />
von den Kpelle nicht erfüllt: "Das Tabu vererbt sich vom Vater auf die Kinder; häufig nehmen<br />
Das funktionale Verhältnis der Totemtypen bei den Kpelle:<br />
B C D A<br />
Am2U bn3V Bn4V co5W Co6W dp7X Dp8X am1U<br />
Ap8X bm3U Bm2U cn5V Cn4V do7W Do6W ap1X<br />
Ao6W bp3X Bp8X cm5U Cm2U dn7V Dn4V ao1W<br />
An4V bo3W Bo6W cp5X Cp8X dm7V Dm2U an1V<br />
Am2U bn3V Bn4V co5W Co6W dp7X Dp8X am1U<br />
A,B,C,D = Matriclans, Clantotemgruppen (matrilinear)<br />
m,n,o,p = Eigentum (patrilinear)<br />
1,2,3,4,5,6,7,8 = Individualtotems (parallele Filiation)<br />
U,V,W,X = Tabugruppen (patrilinear)<br />
diese daneben das der Mutter an. Die Frau behält bei ihrer Verheiratung ihr eigenes Tabu, fügt<br />
aber manchmal das ihres Mannes hinzu." 293 Regulär erben die Kinder das Tabu des Vaters, alle<br />
anderen Varianten können nur die Regel ergänzen, aber nicht ersetzen. Die Abstammung von<br />
dem Ahnherrn der Tabugemeinschaft wird also patrilinear und die vom Ahnherrn oder der<br />
Ahnfrau des Matriclans matrilinear gerechnet.<br />
Als Faktoren der sozialen Differenzierung und Integration der Kpellegesellschaft müssen also<br />
die folgenden Institutionen berücksichtigt werden: der Matriclan, der auch als Clantotemgruppe<br />
in Erscheinung tritt, das Individualtotem, das seine Träger in einer Kultgruppe zusammenfaßt,<br />
und das Tabu, das eine weitere rituelle wie Abstammungsgemeinschaft zum<br />
Ausdruck bringt, die als Patrisippe in Erscheinung tritt. Danach gibt es bei den Kpelle drei<br />
verschiedene Totemkategorien: zwei Gruppentotems, ein matrilineares, das kasen genannt wird<br />
wie das Individualtotem, und ein patrilineares, das tea genannt wird, das von Westermann begrifflich<br />
und sachlich richtig von dem kasen unterschieden worden ist, aber nicht funktional,<br />
weil auch das Tabu einen Totemtypus repräsentiert, nämlich das patrilineare Gruppentotem,<br />
und schließlich das Individualtotem, das nach der parallelen Deszendenzregel zugeschrieben<br />
wird.<br />
Die sozialen Funktionen dieser drei Totemkategorien werden besser transparent in einem<br />
genealogischen Schema (siehe oben).<br />
Das Schema zeigt, daß alle Frauen eines Matriclans nicht nur dasselbe Clantotem (matrilineare<br />
Deszendenz), sondern auch dasselbe Individualtotem (parallele Deszendenz) besitzen, während<br />
292 D.Westermann, Die Kpelle, Göttingen, Leipzig 1921, S.56-7<br />
293 D.Westermann, Die Kpelle, Göttingen, Leipzig 1921, S.57<br />
1<br />
6<br />
9