Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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Neben den Indizien (Yiirung und Djiitgun / Emu-Zaunkönig und blauer Zaunkönig) für ein<br />
Hälftensystem erfüllt die patrilineare Vererbung des Totems (thundung= älterer Bruder,<br />
bauung= ältere Schwester) auch eine gruppentotemistische Funktion, da auf diesem Wege der<br />
patrilinearen Zuschreibung sehr wohl verschiedene Totemgruppen differenziert werden<br />
können, welche die exogamen Lokalgruppen weiter als totemische Lineages reflektierten, was<br />
als statistische Tendenz von Howitt auch beobachtet wurde. Die außergewöhnlichen Regeln<br />
der Zuschreibung der Kurnai-Verwandtschaftsnamen reflektieren eine Gesellschaft von virilokalen,<br />
exogamen Lokalgruppen, die sich gegenseitig zusätzlich über die Zuschreibung ihrer<br />
Individualtotems abgrenzen und ihre Mitglieder ähnlich wie unilineare Deszendenzgruppen<br />
integrieren. Damit deutet sich weiter an, daß die totemistische Differenzierung hier unter der<br />
Bedingung unilinearer Verwandtschaftszuschreibung jene Funktion antizipieren kann, welche<br />
in der segmentären Verfassung von den unilinearen Körperschaften oder Lineages übernommen<br />
wird, deren Differenzierung schließlich über die Regeln der Allianz integriert wird in<br />
der Stammeseinheit.<br />
Der Brauch der Entdeckung des Totems während der Initiation (Offenbarung des geheimen<br />
Namens) schließt eine institutionalisierte Vererbung des Individualtotems nicht aus, sondern<br />
macht sie sogar wahrscheinlicher als die Annahme, daß die Zuschreibung des Individualtotems<br />
nur situationsabhängig oder mit aktuellen Interessen verbunden durchgeführt wird. 254<br />
Individual- und Gruppentotem erscheinen bei den Kurnai funktional in einer kongruenten<br />
Beziehung, weshalb die Kurnai eines der gesuchten Beispiele für die "american theory" in<br />
Australien bieten (siehe unten).<br />
Bei den Yuin wird das Individualtotem als budjan von dem Gruppentotem als jimbir ausdrücklich<br />
unterschieden, beide werden patrilinear vererbt. Eine direkte Assoziation beider<br />
Totems wird durch Howitts Beispiel, nach dem ein Vertreter des Känguru-Totems stets ein<br />
Wombat als Individualtotem besitzt, 255 nahegelegt. Die Deszendenzregel, nach der beide<br />
Totems bei den Yuin vererbt werden, läßt sich im Schema kurz zusammenfassen (siehe Schema<br />
nebenan).<br />
Totemzuschreibung der Yuin<br />
1Awk 1awk 1Bzn 1bzn<br />
2Awk 2awk 2Bzn 2bzn<br />
3Awk 3awk 3Bzn 3bzn<br />
1,2,3 = Generationen; A,B = Lokalgruppen / plin<br />
w,z = Gruppentotems; k,n = Individualtotems /<br />
mlin<br />
Bei den Yuin erscheint eine funktionale<br />
Kongruenz von Individual- und Gruppentotem<br />
wie bei den Kurnai, obwohl es bei den<br />
Kurnai keine expliziten Gruppentotems gibt<br />
(wohl weil das Individualtotem bei den<br />
Kurnai zugleich und de facto ein<br />
Gruppentotem ist), die sich weiter auf die<br />
Geltung der Tabus und die Schützerfunktion<br />
bezieht. Die Yuin bedienten sich nach<br />
Howitts Auskunft ihres Individualtotems<br />
ausdrücklich auch zum Schadenszauber.<br />
Howitt schreibt, daß ein Mann des Burnagga<br />
budjan (Lace-Lizard-Totem) sein Alter-Ego einem Manne des Schwarzen-Enten-<br />
Totems sandte, "and that it went down his throat, and almost ate his budjan (black duck),<br />
which was in his breast, so that he nearly died." 256<br />
Die enge Beziehung des Individualtotems zum Schamanen und Zauberer weist auch in der<br />
älteren Literatur deutlich auf den Zusammenhang zwischen dem Individualtotem und dem<br />
persönlichen Wesen (Seele, All-Seele) hin, das in Übereinstimmung mit sich zugleich Bestandteil<br />
des kosmischen Wesens (All-Seele, Substanz) ist, d.h. Bestandteil des Wesens des<br />
Seins ist, und sich nur deshalb zu den erwähnten magischen Attacken fähig erweist. Aus dem-<br />
254 Siehe: W.Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee I, Münster 1926, S.158 f<br />
255 A.W.Howitt, The Native Tribes of South-East Australia, London 1904, S.147<br />
256 A.W.Howitt, The Native Tribes of South-East Australia, London 1904, S.147<br />
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