Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
der Selbstübereinstimmung nicht besitzen oder ausgebildet haben, eben weil er durch die Verfügung<br />
über die Miriru-Kraft mit seinem Ungurwesen oder ya-yari auch mit Ungud und den<br />
Wondjina (d.h. mit sich selbst) verkehren kann, weil er sich in der Traumzeit nach Absicht<br />
oder, wann immer er will, aufzuhalten vermag und von dort gesteigerte Kraft für das Leben der<br />
Seinen hervorzubringen vermag, weil schließlich die Erscheinung seiner Mirirukraft selbst ein<br />
untrügliches Anzeichen der Anwesenheit des Göttlichen darstellt und seines Schutzes, unter<br />
dem die Gruppe steht.<br />
Die soziale Relevanz des Individualtotems erscheint in seinem Beitrag zur Komposition der<br />
Großen Gruppe (Stamm), welche sich auch in der Begabung des Schamanen spiegelt, die<br />
latent mit dem Ya-Yari in jedem Individuum steckt. Wo das Individualtotem in Australien nur<br />
noch mit dem Schamanen assoziiert wird, wird seine Einheit initiierende Funktion in einer<br />
stellvertretenden Institution (Ausdifferenzierung eines Spezialisten) ausgeübt, welche die<br />
Nichtspezialisten von der dauernden Bereitstellung dieser Begabung entlastet, d.h. welche dieses<br />
Bedürfnis nach Übereinstimmung mit dem Wesen als besondere Leistung erfüllt, die auf<br />
dem Wege religiöser und d.h. beruflicher Spezialisierung garantiert wird. Die Verbindung jedes<br />
Einzelnen mit dem Wesen des Kosmos, d.h. mit seinem Wesen, über das Individualtotem wird<br />
unter dieser Voraussetzung deaktiviert, zugunsten seiner Reservierung für den Schamanen, der<br />
sie stellvertretend für alle aufrechterhält. Aber selbst unter dieser Bedingung kann das<br />
Verhältnis von latenter Möglichkeit und manifest werdender Wirklichkeit der Begabung nicht<br />
vollständig ausgeblendet werden, was der besondere Initiationsaufwand demonstriert oder die<br />
Übertragung auf ein fremdes Mitglied, wenn der Schamane kinderlos geblieben oder durch besondere<br />
Umstände kinderlos geworden ist. Wo immer es Schamanen gibt, ganz gleich wie<br />
exklusiv ihre Institution fortgeschrieben wird, gibt es auch die Möglichkeit der Aktivierung<br />
schamanischer Begabung jenseits der Rekrutierungsbedingungen des Kreises der Spezialisten<br />
des Heiligen.<br />
Das Verhältnis des Lebens zu seinem eigenen ya-yari bestimmt also die Nähe oder Ferne, die<br />
größere oder geringere Übereinstimmung mit der Ungurzeit und dem Wirken ihrer Heroen und<br />
macht auf diese Weise die Möglichkeit und das Risiko der menschlichen Existenz sinnfällig:<br />
"Immer droht die Gefahr, daß er (der ban-man/ H.S.) durch irgendwelche Umstände seine<br />
Kräfte verliert und damit seine Berufung erlischt... Unachtsamkeit, Tabuverletzungen und vor<br />
allem das magische >Singen fremder und feindlicher Medizinmannkollegen< können Ursachen<br />
des miriru-Verlustes sein." 228 Solange die Manifestation schamanischen Könnens dermaßen<br />
umstandsabhängig ist, solange die Manifestation der Begabung nicht umstandsunabhängig<br />
versichert werden kann, solange die Vererbung des Individualtotems die Institution alleine<br />
nicht garantiert und auch die Übertragung der Tradition durch Schulung potentieller<br />
Aspiranten nicht auf Dauer gestellt worden ist, solange muß das latente Vermögen aller, d.h.<br />
das Individualtotem bei allen Clanmitgliedern rituell gepflegt werden; andernfalls wäre der<br />
Verlust der Institution des Schamanen durch die eigene Gruppe nicht abzuwehren.<br />
Die Übung, die Regelbeachtung, die Moral und die innere Einstellung werden überall, wo der<br />
Schamanismus und der Wiedergeburtsglauben praktiziert werden, als angemessene Voraussetzungen<br />
jener Selbsterweckung der inneren Gottheit, der Gottheit im Menschen, genannt,<br />
wenn die Begabung dazu noch nicht monopolisiert worden ist, die Methoden der Selbstübereinstimmung<br />
noch nicht zu wohlfeilen Geheimlehren geworden sind, welche bestimmte Familien,<br />
Lineages, Clans, Geheimgesellschaften oder Orden monopolisiert und für andere nur nach<br />
der Erfüllung von Bedingungen geöffnet haben.<br />
In Australien wird diese Auffassung der Inkarnation der Traumzeitheroen auf alles Lebendige<br />
ausgedehnt. "Bemerkenswert ist die Ausdehnung der Traumkinder-Vorstellung auf die Tierwelt.<br />
Nicht allein der Mensch >findet< die präexistierenden Geister seiner Kinder >in yari< am<br />
228 H.Petri, Sterbende Welt in Nord-West- Australien, Braunschweig 1954, S.233<br />
1<br />
2<br />
0