Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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Der Schamane unterscheidet sich also von seinen Stammesgenossen vor allem durch den Besitz<br />
der Mirirukraft, d.h. der Fähigkeit zum direkten Verkehr mit Ungud, d.h. durch die Tatsache,<br />
daß er für sich jene Möglichkeit, die jeder Verkörperung Unguds gegeben ist, zu realisieren<br />
vermag, nämlich seine Seele selbst in die Traumzeit zu führen oder mit ihr auf Exkursion zu<br />
gehen. "Die Eingeborenen sagen, ein wirklicher ban-man sei Ungud sehr nahe, von ihr habe er<br />
ein besonders starkes ya-yari erhalten und die Gabe des miriru. Unter miriru verstehen die<br />
Eingeborenen die Fähigkeit, das eigene ya-yari zu jeder beliebigen Zeit in die Ferne zu senden,<br />
auf Wanderschaft zu schicken, und zwar in yari, dem Zustand des Traumes, der Trance oder<br />
der Vision. Miriru ist es auch, wenn ein Medizinmann in die Tiefe der Erde oder des Wassers<br />
hinabsteigt, um mit Ungud zu sprechen und von ihr neue Quarzkristalle zu erhalten. Durch sein<br />
miriru ist ein ban-man tüchtiger als jeder Mensch, denn diese Gabe macht ihn Wondjina gleich.<br />
Diese Ansicht spiegelt eine in Australien weit verbreitete Vorstellung wieder, nach der ein<br />
Medizinmann noch die gleichen Gaben und Fähigkeiten hat wie die mythischen Ahnen der<br />
Urzeit. In seiner Gestalt hätte sich dann also die Epoche der Schöpfung verewigt." 216 Die Urzeit<br />
hat sich im Schamanen allerdings weniger verewigt als vielmehr gezeitigt, d.h. endliche<br />
und sinnlich wahrnehmbare Gestalt angenommen, ohne aber deren individuelles Schicksal zu<br />
teilen, denn sie ist es ja, der das Kriterium der Dauer zukommt.<br />
Auch der Stammesgenosse ist eine Reinkarnation Wondjinas durch sein ya-yari, wenn auch<br />
nicht eines so mächtigen wie das des ban-man, der diese Tatsache zu nutzen vermag und sich<br />
damit allen anderen gegenüber hervortut und deswegen für sie von elementarer Bedeutung ist.<br />
"Zu jeder Zeit," sagt Petri über den ban-man, "kann er sich in den miriru-Zustand versetzen,"<br />
217 zu jeder Zeit kann er also seine Seele auf Reisen schicken. Die Miriru-Kraft erweist<br />
sich damit als das Vermögen der Auseinanderlegung des Zusammengesetzten (die totemischen<br />
Elemente, aus denen das Individuum besteht), welche notwendig ist, wenn man die Seele auf<br />
Reisen schicken will, und als die Fähigkeit der Wiederzusammensetzung seiner selbst, nachdem<br />
man sich auseinandergelegt hat. Dieser Prozeß reproduziert auf mikrokosmischer Stufe die<br />
Vorgänge der Differenzierung und Integration, welche die Stammesgruppen als Totemgruppen<br />
im Makrokosmos unterscheidet und zur machtvollen Einheit verbindet, d.h. die Vorgänge des<br />
Makrokosmos, welche die arbeitsteilig ausgeführten Gruppenrituale bestimmen.<br />
Jede Person ist Inhaber von mindestens 4 oft aber viel mehr, zwischen 8 oder 13 Totems, die<br />
sie in Raum und Zeit lokalisieren und unterscheiden, durch die ihr fester Platz im Kosmos<br />
bestimmt wird, die sie territorial binden. Durch sie wird die Person verbunden mit Lokalgruppen,<br />
Clans, Sections, Hälften, Kultgruppen, heiligen Plätzen (Schnittstellen von Diesseits und<br />
Jenseits) in den verschiedenen Gemarkungen der Lokal- und Stammesgruppen. Die zeitweilige<br />
oder im Tode endgültige Abtrennung des Ya-Yari aus dieser Verbindung bedeutet zugleich<br />
auch ein Auseinanderlegen all dieser Totems, das in gewissem Sinne, d.h. richtig praktiziert,<br />
die Voraussetzung der Seelenreise ist, deren Rückkehr das Vermögen zur Wiederzusammensetzung<br />
oder Reintegration des Auseinandergelegten voraussetzt. So vollzieht der mit<br />
seiner Seele reisende Schamane mit sich, was das Stammeshandeln als Ganzes im Kosmos<br />
vollzieht, die heilige Hochzeit aller Elemente, aus denen er sich zu seiner lebendigen Einheit<br />
zusammensetzt. Da die Totemkategrorien auch Körperteile und Seelenelemente repräsentieren,<br />
wird dieser Vorgang sozialer und kosmologischer Plazierung, Sezierung und Wiederzusammensetzung<br />
auch individuell als Selbstzerteilung und Selbstzusammensetzung erfahrbar und<br />
zum kategorialen Gerüst für die Reflexion der ekstatischen Erlebnisse.<br />
"Nach dem Glauben der Ungarinyin entsteigt dem >Ungudgleichen