Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Menschen zur Traumzeit und nicht jeder Akt der Übereinstimmung mit ihr (Traum, Trance,<br />
Vision, Mirage etc.), nicht jede Begegnung mit Geistkindern und Heroen führt zur menschlichen<br />
Inkarnation des Geistkindes. Im Falle der Vermehrungsriten ist sie z.B. der Vermehrung<br />
bestimmter, allerdings assoziierter Lebewesen (bestimmter Tierarten) gewidmet. Jede Gruppe<br />
betreut rituell auch das Gedeihen der Population einer Spezies, in welche sich ihr<br />
Traumzeitheros am Ende der Traumzeit verwandelt hat.<br />
Neben der engeren Bedeutung des Geistkindes als inkarnationsbereiter Seele müssen wir seine<br />
mythologische und religiöse Dimension berücksichtigen. Ya-yari ist nicht nur das Geistkind als<br />
Möglichkeit der Urzeit in der Gegenwart, sondern, inkarniert, auch speziell die Wirklichkeit<br />
der Urzeit in der Gegenwart, aber ya-yari ist auch die traumhaft reaktivierte Urzeit, das Sein<br />
des Lebewesens in der Urzeit, d.h. die Möglichkeit und Wirklichkeit der Traumzeit allgemein.<br />
Als Geistkind ist ya-yari eine Erscheinung Unguds oder Wondjinas und der Name des Geistkindes<br />
ist der Name Unguds oder des Wondjina, zu dessen Patrigruppe es gehört. "Das gefundene<br />
Geistkind nennt dem Vater seinen Namen und dieser Name ist jener der Ungud und des<br />
Wondjina, die das Geistkind einst hervorbrachten, ihm sein Dasein gaben." 207 Dieser Name<br />
wird seinem Träger erst später, und zwar im Verlaufe seiner Initiation, als sein geheimer Name<br />
offenbart und von dem Besitzer des Namens auch weiterhin geheim gehalten. Wenn also von<br />
der Offenbarung des Individualtotems während der Initiation die Rede ist und von der Übernahme<br />
des Individualtotems eines Elternteils, aber ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Vererbung<br />
des Individualtotems, dann darf man durchaus von seiner Vererbung ausgehen, da es sich<br />
bei der Offenbarung dieses Totems während der Initiation in der Regel um die Offenbarung des<br />
mit der Geburt vererbten Individualtotems oder geheimen Namens handelt. Dies gilt selbst für<br />
das ratapa der Aranda, das im Grunde patrilinear vererbt wird, d.h. in der Regel von dem Totemzentrum<br />
seines paternalen Großvaters stammt, und der auch das Recht der Namensgebung<br />
für die Kinder seines Sohnes besitzt.<br />
So bedeutet die Übergabe eines Geistkindes von einem Manne an seine Frau entweder die<br />
Inkarnation oder Reinkarnation eines Wondjina oder die eines seiner weniger machtvollen<br />
patrilinearen Nachkommen aus der Urzeit, die er vorbereitet hat, d.h. die Geiskindübergabe ist<br />
ein Akt der Vermählung der Traumzeit mit der Gegenwart. "Die Traumkinder sind Geschöpfe<br />
der Ungud und Wondjina, der als Mächte der Zeugung und Fruchtbarkeit in der Natur zeitlos<br />
wirkenden Ahnen der Lalan (myth. Urzeit). Ein Traumkind vom Vater >gefunden< und von<br />
der Mutter in ihrem Leibe empfangen, bringt das Leben der Menschen hervor, wird zum<br />
Urheber seiner physischen und spirituellen Existenz. Demnach ist der Mensch nichts anderes<br />
als die durch Wondjina vermittelte, wenn nicht gar vollständige Reinkarnation eines bestimmten<br />
Wondjina-Heroen der Urzeit." 208<br />
Mit dieser Wondjina-Persona oder Seele unternimmt eine Person auch ihre Exkursionen oder<br />
Seelenreisen, wenn sie über die dafür benötigte Kraft verfügt. ">In Ya-yariwalk about< zu gehen. Durch das Geschlechtsteil trete<br />
es als kleiner dünner Faden heraus." 209 Dies ist der Faden, an dem Walanganda zum Himmel<br />
aufgestiegen ist und Ya-yari erscheint damit als die reisende Seele. Die Kraft, die man zur Seelenreise<br />
benötigt, heißt dagegen Miriru.<br />
Leben heißt deshalb auch immer: die Erscheinung der Urzeit in der Gegenwart, und dieser<br />
Tatsache wird sich das Dasein inne, wenn es seiner Seele folgt und sich wenigstens zeitweise<br />
von der körperlichen Bindung freizumachen versteht, die das Erscheinen der Urzeit dem Dasein<br />
verhüllt. Diese Möglichkeit wird ihm im Traum geschenkt und kann von den Personen, die<br />
über die Mirirukraft verfügen, jederzeit ergriffen werden.<br />
Dieses Ringen um die Vergegenwärtigung der Traumzeit, demonstriert zugleich auch die Zeit<br />
207 H.Petri, Sterbende Welt in Nord-West Australien, Braunschweig 1954, S.164<br />
208 H.Petri, Sterbende Welt in Nord-West- Australien, Braunschweig 1954, S.166<br />
209 H.Petri, Sterbende Welt in Nord-West- Australien, Braunschweig 1954, S.157<br />
1<br />
1<br />
6