Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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Zapletal 189 und Frazer 190 haben, worauf Wilhelm Schmidt affirmativ hingewiesen hat, die<br />
Opfertheorie von Robertson-Smith für die Religion Israels und den <strong>Totemismus</strong> zurückgewiesen,<br />
und eine Untersuchung von Levi-Strauss 191 geht sogar soweit, den <strong>Totemismus</strong> als<br />
wirklichen Gegenstand der Ethnologie zu negieren, da sie unter diesem Begriff nur oberflächlich<br />
Vergleichbares, zusammengestellt hat, der <strong>Totemismus</strong> ihr zufolge also ethnologische<br />
<strong>Illusion</strong> ist. Eine Position, die tatsächlich zu weit geht, aber wieder in Erinnerung gerufen hat,<br />
daß der Begriff des <strong>Totemismus</strong> in der Ethnologie alles andere als übereinstimmend und klar<br />
bestimmt ist. Wir dürfen also feststellen, daß Freuds psychologische Hinweise von den meisten<br />
als <strong>Totemismus</strong> ausgegebenen Erscheinungen abstrahierbar sind.<br />
Aus kulturhistorischer Sicht sprechen mit P.W.Schmidt 192 gegen Freuds Theorie die folgenden<br />
Punkte:<br />
1. Der <strong>Totemismus</strong> repräsentiert nicht die älteste Form der menschlichen Kultur. (Freud nennt<br />
ihn "die erste sozial- religiöse Institution der Menschheit" 193 ). Dieser Einwand richtet sich aber<br />
speziell gegen Durkheim, einem der Gewährsleute von Freud.<br />
2. Der <strong>Totemismus</strong> ist keine allgemeine kulturelle Entwicklungsstufe. Auch dieser Einwand<br />
geht an die Adresse der ethnologischen Gewährsleute von Freud, z.B. u.a. wieder an Durkheim.<br />
3. Das rituelle Töten des Totemtiers ist im <strong>Totemismus</strong> Ausnahme und nicht die Regel. Dieser<br />
Hinweis gilt Robertson-Smith.<br />
4. Die ältesten Kulturen vor dem <strong>Totemismus</strong> kennen keinen Kannibalismus. Das Kannibalismusvorurteil<br />
ist besonders unter Ethnologen, Anthropologen, Paläontologen und Prähistorikern<br />
verbreitet und spielt bei Freud argumentativ eigentlich keine Rolle, Rhetorisch aber<br />
versucht er mit dem Hinweis auf diesen Brauch den Widerspruch gegen die Annahme des Vatermords<br />
zu lähmen.<br />
5. Die Ehe- und Gesellschaftsformen der ältesten Kulturen sind mit den Hypothesen: Gruppenehe,<br />
Promiskuität und Frauenmonopol des Hordenführers, unvereinbar. Thesen, die Freud<br />
sich auch nicht zu eigen gemacht hat, sondern nur von seinen ethnologischen Gewährsleuten<br />
formuliert worden sind.<br />
6. Die Projektion der sexualneurotischen Symptome auf die kulturgeschichtlich älteste Vergangenheit<br />
ist methodisch problematisch.<br />
Dieser Einwand aus dem Munde eines berühmten Vertreters der kulturhistorischen Schule<br />
überrascht hier deshalb, weil Freuds Vergleich mit dem Grundsatz der historischen Methode,<br />
den Bernheim formulierte, vollkommen übereinstimmt: Es müsse die Anschauung von der<br />
Einheitlichkeit des menschlichen Wesens vorhanden sein, da nur von einem einheitlich Angeschauten<br />
auch gedacht werden kann, daß es sich zusammenhängend entwickele 194<br />
Die oben zitierten Beispiele der Kritik richten sich gegen Nebenschauplätze des psychoanalytischen<br />
Anliegens, treffen nur Versatzstücke der Argumentation und werden Freuds Intention<br />
deshalb auch nicht gerecht. Wollte man seine Aussagen über den <strong>Totemismus</strong> und das Inzestverbot<br />
auf das heute eher schrullig wirkende Produkt seiner ethnologischen Lektüre reduzieren,<br />
dann hätte man erhebliche Schwierigkeiten die psychoanalytische Argumentation darin<br />
wiederzufinden. Vergleicht man dagegen die aktuellen ethologischen Einsichten mit seinen<br />
klinischen Befunden, dann entdeckt man doch mehr Übereinstimmungen als man nach der<br />
Lektüre der konjekturellen Passagen von "Totem und Tabu" 195 zu vermuten gewagt hätte.<br />
189 Zapletal, Der <strong>Totemismus</strong> und die Religion Israels, Freiburg 1901<br />
190 J.G.Frazer, Der goldene Zweig, Frankfurt,Berlin, Wien 1971, ipse, Totemism and Exogamy, London<br />
1913<br />
191 C.Levi-Strauss, Ende des <strong>Totemismus</strong>, Frankfurt 1968<br />
192 P.W.Schmidt, Handbuch der vergleichenden Religionsgeschichte, Münster 1930, S.100-113<br />
193 S.Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, ibid, S.264<br />
194 E.Bernheim, Einleitung in die Geschichtswissenschaft, Berlin Leipzig 1912, S.11<br />
195 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1956<br />
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