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Totemismus Illusion - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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Exogamie angesehen. "Atkinson scheint zuerst erkannt zu haben, daß die Verhältnisse der<br />

Darwinschen Urhorde die Exogamie der jungen Männer praktisch durchsetzen mußten. Jeder<br />

dieser Vertriebenen konnte eine ähnliche Horde gründen, in welcher dasselbe Verbot des Geschlechtsverkehrs<br />

dank der Eifersucht des Oberhauptes gälte." 179 Mutter-Sohn- und Bruder-<br />

Schwester-Inzest mögen auf diese Weise weitgehend ausgeschaltet werden können, aber nicht<br />

der Vater-Tochter-Inzest, es sei denn die Geschwisterliebe hätte es vermocht, die Schwestern<br />

dazu zu bewegen, ihren Brüdern in die Fremde zu folgen; dann stünde aber dem Geschwisterinzest<br />

nichts mehr im Wege. Der Übergang von der Sozialstruktur der Affen zu der des<br />

Menschen kann, so Freud, nicht allein aus der Sozialstruktur der Affen als Ausgangsbedingung<br />

abgeleitet werden. "Die Darwinsche Urhorde hat natürlich keinen Raum für die Anfänge des<br />

<strong>Totemismus</strong>... Dieser Urzustand der Gesellschaft ist nirgends beobachtet worden." 180 Aber<br />

dieses Eingeständnis hindert ihn nicht an dem Versuch einer Konjektur. "Was wir als<br />

primitivste Organisation finden, was noch heute bei gewissen Stämmen in Kraft besteht, das<br />

sind Männerverbände, die aus gleichberechtigten Mitgliedern bestehen und den Einschränkungen<br />

des totemistischen Systems unterliegen, dabei mütterliche Erblichkeit. Kann das eine aus<br />

dem anderen hervorgegangen sein und auf welchem Wege war es möglich?" 181 Freud folgt hier<br />

Gewährsleuten wie Howitt, der das Mutterrecht als die älteste soziale Organisationsform in<br />

Australien ausgab oder Durkheim, dessen Inzest- und Religionstheorie die australischen<br />

Verhältnisse als die archaischsten Kulturverhältnisse hinstellt und im <strong>Totemismus</strong> die<br />

Urreligion der Menschheit begreift. Freuds psychologische Interpretation der ethnologisch präsentierten<br />

Phänomene ist daher auch mit der Zurückweisung dieser Behauptungen nicht<br />

wiederlegt. Er nahm die Aussagen seiner ethnologischen Gewährsleute jedenfalls für kurante<br />

Münze und versuchte sie mit dem, was er aus der Klinik wußte, in Einklang zu bringen. Das<br />

Studium der ethnologischen Berichte über die Magie, die Hypothese der Anthropo-Paläontologen<br />

und Prähistoriker vom Kannibalismus des Archanthropus und das Studium der<br />

Opfertheorie von Robertson-Smith boten ihm die Versatzstücke, mit denen ihm die gewünschte<br />

Konjektur gelingen sollte.<br />

Mit Darwin durfte er als das treibende Motiv die aggressiven Gefühle der Söhne gegen den<br />

Vater wegen der ihnen vorenthaltenen Frauen und der Austreibung aus der väterlichern Horde<br />

voraussetzen, eine Haltung, die im Ödipuskonflikt bis in die Gegenwart überlebt zu haben<br />

schien. "Die Berufung auf die Feier der Totemmahlzeit," so fährt Freud dann fort, "gestattet<br />

uns eine Antwort zu geben: Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Brüder zusammen, erschlugen<br />

und verzehrten den Vater und machten so der Vaterhorde ein Ende. Vereint wagten<br />

sie und brachten zustande, was dem einzelnen unmöglich geblieben wäre (...). Daß sie den<br />

Getöteten auch verzehrten, ist für den kannibalischen Wilden selbstverständlich. Der gewalttätige<br />

Urvater war gewiß das beneidete und gefürchtete Vorbild eines jeden aus der Brüderschar<br />

gewesen. Nun setzten sie im Akte des Verzehrens die Identifizierung mit ihm durch, eigneten<br />

sich ein jeder ein Stück seiner Stärke an. Die Totemmalzeit, vielleicht das erste Fest der<br />

Menschheit, wäre die Wiederholung und die Gedenkfeier dieser denkwürdigen, verbrecherischen<br />

Tat, mit welcher so vieles seinen Anfang nahm, die sozialen Organisationen, die sittlichen<br />

Einschränkungen und die Religion." 182<br />

In das Panorama, das Darwins und Atkinsons Theorie von der polygynen Affenhorde zeichnen,<br />

in der den subadulten Männchen die Weibchen durch den Hordenführern vorenthalten werden,<br />

was sie also rasend und tötungswillig macht, und weiter in das Übertragungsschema, das die<br />

Opfertheorie von Robertson-Smith vorstellt, welche das spätere Opfer auf einen früheren<br />

Brauch der Tötung des Clantotemtiers zurückführt und das Tötungstabu gegenüber diesem<br />

Tier aus seiner Totemfunktion (Übertragung) erklärt, das wegen seiner Verwendung beim Op-<br />

179 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1981, S.130-131<br />

180 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1981, S.145<br />

181 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1981, S.145<br />

182 S.Freud, Totem und Tabu, Frankfurt 1981, S.145-6<br />

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