pdf-Format - Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie

pdf-Format - Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie pdf-Format - Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie

20.11.2013 Aufrufe

Published in Psychoanalyse im Widerspruch 48/2012:45-76 Zvi Lothane Psychiatrie Professor honoris causa Dr. jur. Daniel Paul Schreber ist immer noch eine Herausforderung für die Psychiatrie und die Psychoanalyse Und so glaube ich daß an meinen Namen eine Berühmtheit sich anknüpfte, die Tausenden von Menschen von ungleich größerer geistiger Begabung nicht zu Theil geworden ist (Paul Schreber). Es bleibt der Zukunft überlassen, zu entscheiden, ob in der Theorie mehr Wahn enthalten ist, als ich möchte, oder in dem Wahn mehr Wahrheit, als andere heute gläubig finden (Freud). Abstract: In dieser neuerlichen Durchsicht der Geschichte von Paul Schreber korrigiert der Autor die noch immer bestehenden Fehlwahrnehmungen und Fehler in der Darstellung, der Diagnose, der Dynamik und der ethischen Aspekte zu diesem berühmtesten Patienten in der Geschichte der Psychiatrie und der Psychoanalyse. Darüber hinaus gelingen Schreber, obwohl er Opfer einer „Psychiatrie ohne Seele“ war, wichtige und für die Psychiatrie und Psychoanalyse lehrreiche Einsichten. Die Ablösung der ersten so vielversprechenden dynamischen Psychiatrie durch die Hirnmythologie seit Mitte des 19. Jahrhunderts und später durch die organisch und statisch orientierte Psychiatrie, wie sie von Kräpelin und Jaspers etabliert wurde, hat zu einer Entpersönlichung im Umgang mit den Patienten und bei den psychiatrischen Behandlungen geführt, ein Problem das noch ganz aktuell ist. Deshalb sind die Einsichten Schrebers und die Lehren, die man aus seinem Fall gewinnen kann, gerade heute noch so wichtig. Und was therapeutische Psychoanalyse anbelangt: man soll nicht mit präformierten Formeln handeln sondern historisch und individuell ein Leben deuten, wie es die Dramatologie fordert. Absurderweise wurden Vater und Sohn Schreber mit Hitler und der Naziideologie in Verbindung gebracht, was am Beispiel einiger Autoritäten erläutert wird. Schlüsselwörter: Dynamische Psychiatrie, Psychiker versus Somatiker, Fehldiagnostik und Fehlbehandlung von Schreber, Schreber als Lehrer von Psychiatrie und Psychoanalyse, Kraepelin und Jaspers, politische und Massenparanoia, Hitler, Naziideologie, Dramalogie und Interaktion. Abstract: In this new survey of Paul Schreber’s story the author corrects the still lingering misconceptions and mistakes in the description, diagnosis, dynamics, and deontology (ethics) of this most famous patient in the history of psychiatry and psychoanalysis. Moreover, even as he was a victim of a “psychiatry without a soul,” Schreber was able to offer important insights and lessons for psychiatry and psychoanalysis. The dismantling of the first and 1

Published in <strong>Psychoanalyse</strong> im Widerspruch 48/2012:45-76<br />

Zvi Lothane<br />

Psychiatrie Professor honoris causa Dr. jur. Daniel Paul Schreber ist immer noch eine<br />

Herausforderung <strong>für</strong> die Psychiatrie <strong>und</strong> die <strong>Psychoanalyse</strong><br />

Und so glaube ich daß an meinen Namen eine<br />

Berühmtheit sich anknüpfte, die Tausenden von<br />

Menschen von ungleich größerer geistiger<br />

Begabung nicht zu Theil geworden ist (Paul<br />

Schreber).<br />

Es bleibt der Zukunft überlassen, zu entscheiden,<br />

ob in der Theorie mehr Wahn enthalten ist, als<br />

ich möchte, oder in dem Wahn mehr Wahrheit,<br />

als andere heute gläubig finden (Freud).<br />

Abstract:<br />

In dieser neuerlichen Durchsicht der Geschichte von Paul Schreber korrigiert der Autor die<br />

noch immer bestehenden Fehlwahrnehmungen <strong>und</strong> Fehler in der Darstellung, der Diagnose,<br />

der Dynamik <strong>und</strong> der ethischen Aspekte zu diesem berühmtesten Patienten in der Geschichte<br />

der Psychiatrie <strong>und</strong> der <strong>Psychoanalyse</strong>. Darüber hinaus gelingen Schreber, obwohl er Opfer<br />

einer „Psychiatrie ohne Seele“ war, wichtige <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Psychiatrie <strong>und</strong> <strong>Psychoanalyse</strong><br />

lehrreiche Einsichten. Die Ablösung der ersten so vielversprechenden dynamischen<br />

Psychiatrie durch die Hirnmythologie seit Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> später durch die<br />

organisch <strong>und</strong> statisch orientierte Psychiatrie, wie sie von Kräpelin <strong>und</strong> Jaspers etabliert<br />

wurde, hat zu einer Entpersönlichung im Umgang mit den Patienten <strong>und</strong> bei den<br />

psychiatrischen Behandlungen geführt, ein Problem das noch ganz aktuell ist. Deshalb sind<br />

die Einsichten Schrebers <strong>und</strong> die Lehren, die man aus seinem Fall gewinnen kann, gerade<br />

heute noch so wichtig. Und was therapeutische <strong>Psychoanalyse</strong> anbelangt: man soll nicht mit<br />

präformierten Formeln handeln sondern historisch <strong>und</strong> individuell ein Leben deuten, wie es<br />

die Dramatologie fordert. Absurderweise wurden Vater <strong>und</strong> Sohn Schreber mit Hitler <strong>und</strong> der<br />

Naziideologie in Verbindung gebracht, was am Beispiel einiger Autoritäten erläutert wird.<br />

Schlüsselwörter: Dynamische Psychiatrie, Psychiker versus Somatiker, Fehldiagnostik <strong>und</strong><br />

Fehlbehandlung von Schreber, Schreber als Lehrer von Psychiatrie <strong>und</strong> <strong>Psychoanalyse</strong>,<br />

Kraepelin <strong>und</strong> Jaspers, politische <strong>und</strong> Massenparanoia, Hitler, Naziideologie, Dramalogie <strong>und</strong><br />

Interaktion.<br />

Abstract:<br />

In this new survey of Paul Schreber’s story the author corrects the still lingering<br />

misconceptions and mistakes in the description, diagnosis, dynamics, and deontology (ethics)<br />

of this most famous patient in the history of psychiatry and psychoanalysis. Moreover, even<br />

as he was a victim of a “psychiatry without a soul,” Schreber was able to offer important<br />

insights and lessons for psychiatry and psychoanalysis. The dismantling of the first and<br />

1


promising dynamic psychiatry in the middle of the 19 th century by brain mythology, and later<br />

by an organically and statically oriented psychiatry à la Kraepelin and Jaspers, resulted in<br />

depersonalizing the interpersonal doctor-patient interaction, a still ongoing problem for<br />

psychiatry, making Schreber’s insights and lessons relevant today. And the lesson for<br />

psychoanalytic therapy: it should not operate with preformed formulas but interpret a life both<br />

historically and individually, as required by dramatology. It was absurd to invent a causal<br />

connection between Schreber father and son and Hitler and Nazi ideology, as suggested by a<br />

number of authorities.<br />

Keywords: dynamic psychiatry, psychologists vs. somaticists, misdiagnosis and mistreatment<br />

of Schreber, Schreber as teacher of psychiatry and psychoanalysis, Kraepelin and Jaspers,<br />

political and mass paranoia, Hitler, Nazi ideology, dramatology and interaction<br />

Ein mehrfaches Jubiläum 1<br />

2011 wurde ein Jubiläum gefeiert: der 100. Todestag Schrebers <strong>und</strong> H<strong>und</strong>ert Jahre Freuds<br />

(1911) Aufsatz über Schrebers Denkwürdigkeiten <strong>und</strong> noch zwei dazu: 200 Jahre seit der<br />

Ernennung von Johann Christian August Heinroth zum Professor <strong>für</strong> psychische Therapie an<br />

der Leipziger Universität <strong>und</strong> die Eröffnung der Heilanstalt Sonnenstein. In einem Brief an C.<br />

G. Jung begeisterte sich Freud über “den w<strong>und</strong>erbaren Schreber, den man zum Professor der<br />

Psychiatrie <strong>und</strong> Anstaltsdirektor hätte machen sollen”, was zur “Analyse unseres lieben<br />

geistreichen Fre<strong>und</strong>es Schreber” führte. Jung hat Freuds Begeisterung völlig geteilt: "Es hat<br />

mir wirklich Rührung <strong>und</strong> Freude verursacht, daß Sie die Größe des Schreberschen Geistes<br />

<strong>und</strong> die erlösenden hieroi logoi der Gr<strong>und</strong>sprache voll zu würdigen wissen. Es ist ein<br />

würdiges Buch, das schon um des 'kleinen Flechsig' willen den Ehrenplatz in jeder<br />

psychiatrischen Bibliothek verdient“.<br />

Schrebers Buch ist in der Tat w<strong>und</strong>erbar <strong>und</strong> ganz modern: ein kreatives, kunstvolles<br />

Gebilde, eine philosophische Abhandlung, eine Ideenquelle <strong>für</strong> Psychiater, Psychoanalytiker,<br />

Philosophen <strong>und</strong> Schriftsteller, alles zugleich. Nie zuvor war einem ehemaligen<br />

Anstaltsinsassen so viel Ehre zuteil geworden wie Schreber, der von nun an <strong>für</strong> Generationen<br />

als Prototyp eines Paranoikers galt, wenn nicht gar eines Schizophrenen, der er allerdings<br />

nicht war. Mehr noch, der Professor h.c. Schreber war nicht nur Augenzeuge <strong>und</strong><br />

Geschichtsschreiber der deutschen Psychiatrie zur Zeit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende, er war auch<br />

deren Kritiker in Sachen Diagnose, Behandlung <strong>und</strong> Ethik.<br />

Paul Schrebers Lebensdrama<br />

1 Eine Neubearbeitung des Eröffnungsvortrags gehalten am 13.4.2011 an der Tagung „Die<br />

Erfahrung der Moderne <strong>und</strong> die Performanz der Paranoia 100 Jahre Daniel Paul Schreber“,<br />

Dresden <strong>und</strong> Pirna-Sonnestein, 13-15.4.2011.<br />

2


Paul Schreber wurde 1842 geboren, das drittes Kind des angesehenen Arztes Dr. Moritz<br />

Schreber (1808-1861), Wissenschaftler, ärztlicher Pädagoge, <strong>und</strong> Vorkämpfer der modernen<br />

Reha-Medizin, <strong>und</strong> Mutter Pauline (1815-1907), die reiche Tochter eines Professorenhauses.<br />

Dem erstgeborenen Gustav (1839-1877) folgte Schwester Anna (1840-1944), die Urahnin<br />

aller Nachfahren, <strong>und</strong> nach Paul noch zwei Schwestern, 1846 <strong>und</strong> 1848 geboren. Paul<br />

Schreber lebte, liebte <strong>und</strong> litt zumeist in seiner Geburtsstadt Leipzig <strong>und</strong> in Dresden, <strong>und</strong><br />

verbrachte 13 seiner 69 Jahre in Irrenanstalten Sachsens, davon 8 gegen seinen erklärten<br />

Willen. Er erlitt drei depressive Schübe: mäßig 1884-5, massiv 1893-1897, tödlich 1907-<br />

1911. Der Vater litt auch an Depressionen <strong>und</strong> starb als Paul 19 Jahre alt war. Die Mutter<br />

Pauline, eine Matriarchin von überragender Kraft, hat ihren Paul stark beeinflußt. Es gibt<br />

keine Dokumente über die Beziehungen zwischen Paul, seinen Eltern, <strong>und</strong> seinen<br />

Geschwistern. Die zwei Quellen sind die Interessanten Berichte der Töchter Dr. Schrebers<br />

über ihren Vater (Fre<strong>und</strong> der Schreber-Vereine, 1909), die ein »Kinderparadies« im Haushalt<br />

schilderten, <strong>und</strong> ein langes Gedicht von Paul zum 90. Geburtstag Paulines 1905 enthalten. In<br />

der Wahl von Jura in Studium <strong>und</strong> Beruf, identifizierte sich Paul mit dem väterlichen<br />

Großvater, nicht mit dem Vater. 1867 trat Paul in den Staatsdienst beim Justizministerium ein<br />

<strong>und</strong> 1869 erlangte er den Titel »Dr. iur.« Die zweite schicksalhafte Wahl war die 1878 Ehe,<br />

nicht standesgemäß laut der Familie, mit Sabine Behr (1857-1912), Tochter eines<br />

Opernintendanten <strong>und</strong> Sängers, neun Monate nach dem Selbstmord Bruder Gustavs. Es muss<br />

eine schwere Zeit gewesen sein, denn »soll der Kranke soll schon z. Z. seiner Heirat<br />

hypochondrische Ideen geäußert haben.« Es war immer eine abhängige Liebe die Paul <strong>für</strong><br />

Sabine hegte. Über seine Sexualität schrieb Paul: »Es wird wenig Menschen geben, die in so<br />

strengen sittlichen Gr<strong>und</strong>sätzen aufgewachsen sind, wie ich, <strong>und</strong> die sich ihr ganzes Leben<br />

hindurch, namentlich auch in geschlechtlicher Beziehung, eine diesen Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

entsprechende Zurückhaltung in dem Maße auferlegt haben, wie ich es von mir behaupten<br />

darf.« Die Ehe war durch Streit gezeichnet <strong>und</strong> gar mit Pauls Scheidungsdrohungen<br />

verb<strong>und</strong>en. Franz Baumeyer merkte Sabines »etwas primitive, beinahe kindliche Schrift; Ihr<br />

Verhalten gegenüber ihrem geisteskrank gewordenen Mann ist weitgehend von einer hilflosen<br />

Angst getönt. In zahlreichen Briefen erk<strong>und</strong>igt sie sich nach seinem Befinden, verschiebt aber<br />

angekündigte Besuche mehrfach unter dem Hinweis auf äußere Gründe.“ Eine merkwürdige<br />

Lücke: es gibt keine Dokumente über Kontakte mit Bekannten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en, was den<br />

Eindruck eines ganz einsamen Mannes vermittelt.<br />

1884 in mitten seiner friedlichen aber wenig heldenhaften Existenz entschied sich<br />

Paul auf der Liste der Nationalliberalen Partei zur Wahl <strong>für</strong> den Reichstag aufstellen zu lassen<br />

3


<strong>und</strong> erlitt eine bedrückende Niederlage, die er nie direkt zugestanden hat. Verlieren,<br />

Niederlage, Irrtum sind <strong>für</strong> die deutsche Einzel- <strong>und</strong> Volksseele nicht leicht zu verarbeiten.<br />

Bei Paul heißt es nur: „Ich bin zweimal nervenkrank gewesen, beide Male in Folge von<br />

geistiger Ueberanstrengung; das erste Mal (als Landgerichtsdirektor in Chemnitz) aus Anlaß<br />

einer Reichstagskandidatur“. Darauf folgte die erste Depression <strong>und</strong> die erste Aufnahme bei<br />

Prof. Paul Flechsig. Paul schrieb dazu: „Nach der Genesung von meiner ersten Krankheit<br />

habe ich acht, im Ganzen recht glückliche, auch an äußeren Ehren reiche <strong>und</strong> nur durch die<br />

mehrmalige Vereitelung der Hoffnung auf Kindersegen getrübte Jahre mit meiner Frau<br />

verlebt.“ Die zuckerkranke Sabine erlitt vier Fehlgeburten <strong>und</strong> 1888 <strong>und</strong> 1892 gebahr sie zwei<br />

tote Kinder, das letzte ein Knabe.<br />

Das „zweite Mal [geschah] aus Anlaß der ungewöhnlichen Arbeitslast, die ich beim<br />

Antritt des mir neuübertragenen Amtes eines Senatspräsidenten beim Oberlandesgericht<br />

Dresden vorfand.“ Den Auftakt beschrieb er so: „In Juni 1893 wurde mir die Nachricht von<br />

meiner bevorstehenden Ernennung zum Senatspräsident beim Oberlandesgericht Dresden zu<br />

Theil. In diese Zeit träumte mir einige Male, daß meine frühere Nervenkrankheit wieder<br />

zurückgekehrt sei. Ferner hatte ich einmal gegen Morgen noch im Bette liegend (ob noch halb<br />

schlafend oder schon wachend weiß ich nicht mehr) eine Empfindung, die mich beim späteren<br />

Nachdenken in vollständig wachem Zustande höchst sonderbar berührte. Es war die<br />

Vorstellung, daß es doch eigentlich recht schön sein müsse, ein Weib zu sein, das dem<br />

Beischlaf unterliege. — Diese Vorstellung war meiner ganzen Sinnesart so fremd; ich würde<br />

sie bei vollem Bewußtsein mit Entrüstung zurückgewiesen haben.“ Dieser Traum war kein<br />

Zeichen eines homosexuellen Impulses (Bleuler, 1912b) sondern einer Identitäts-Suche, einer<br />

Identifizierung mit der Gestalt von Frau <strong>und</strong> Mutter, ein Lobgesang an das Ewig Weibliche<br />

<strong>und</strong> an die Mütter (Goethe). Es folgten andere derartige Fantasien: „Ich habe (<strong>und</strong> zwar zu der<br />

Zeit, als ich noch in der Flechsig’schen Anstalt war) zu zwei verschiedenen Malen bereits<br />

einen wenn auch etwas mangelhaft entwickelten weiblichen Geschlechtsteil gehabt <strong>und</strong> in<br />

meinem Leibe hüpfende Bewegungen, wie sie den ersten Lebensregungen des menschlichen<br />

Embryo entsprechen, empf<strong>und</strong>en: durch göttliches W<strong>und</strong>er waren dem männlichen Samen<br />

entsprechende Gottesnerven in meinen Leib geworfen worden: es hatte also eine Befruchtung<br />

stattgef<strong>und</strong>en“. Diese fantastische Frauwerdung war eine Wunscherfüllung, nämlich<br />

Nachkommenschaft zu kriegen <strong>und</strong> seine Frau zu trösten.<br />

Die obengenannte Phantasien waren Begleiterscheinungen einer tiefgreifenden<br />

existentiellen Krise, eines dramatischen Konflikts: er war nicht imstand weiter im Beruf <strong>und</strong><br />

in der Ehe zu leisten, er hatte zu viele Gewissensbisse, um sich entscheidend von der Arbeit<br />

4


zu distanzieren, sich von Sabine zu scheiden <strong>und</strong> eine ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> fortpflanzungsfähige Frau<br />

zu heiraten. Es bestand auch ein äußerer Konflikt zwischen Schreber <strong>und</strong> Gegenspielern, die<br />

gegen ihn spielten: Sabine, sein Chef im Oberlandesgericht, seine Ärzte Paul Flechsig <strong>und</strong><br />

später Guido Weber. Schreber war nicht imstand diese Entscheidungs-Dilemmata aufzulösen<br />

was zur Ursache des ganzen Dramas wurde.<br />

Dieser Zustand seelischer Zerrissenheit machte ihn ruhelos <strong>und</strong> trübte sein Schlaf:<br />

Methought I heard a voice cry "Sleep no more!<br />

Macbeth does murder sleep," the innocent sleep,<br />

Sleep that knits up the ravell'd sleave of care,<br />

The death of each day's life, sore labour's bath,<br />

Balm of hurt minds, great nature's second course,<br />

Chief nourisher in life's feast (Shakespeare).<br />

Schlaflosigkeit ist Zeichen der Depression, nicht einer Schizophrenie.<br />

Ab Februar 1894 <strong>und</strong> fortan verschlechterten sich Pauls Beziehungen zu Flechsig<br />

<strong>und</strong> zu seiner Frau. Etwa im März oder April hat Flechsig entschieden daß Schreber nicht<br />

mehr heilbar war <strong>und</strong> daß laut den Statuten der Anstalt der erlaubte Aufenthalt von sechs<br />

Monaten seinem Ende entgegenging. Schreber konnte entweder nach Haus oder in eine<br />

andere Anstalt gehen. Waren seine Mutter oder Sabine bereit Paul zu Hause zu pflegen oder<br />

im großen Haus seiner Mutter in der Zeitzerstraße 43 in Leipzig, wo r<strong>und</strong> um die Uhr Pfleger<br />

<strong>und</strong> Schwestern zur Verfügung ständen, bis die Suizidgefahr vorüber war? Zudem<br />

verkomplizierte sich die Situation zwischen den Eheleuten durch Geldstreitigkeiten, in welche<br />

auch das Justizministerium verwickelt war. Oberlanlandesgerichts Direktor Werner riet der<br />

„Frau Dr. Schreber , den Antrag auf Einleitung der Zustandvorm<strong>und</strong>schaft anheimzugeben.“<br />

So konnte der vom Gericht eingesetzte Vorm<strong>und</strong> zusammen mit Sabine das Vermögen<br />

Schrebers fortan kontrollieren. Die Krisis mit Flechsig kam zum in dem berühmten<br />

„Seelenmord“ zum Ausdruck, in dem gegen ihn „gerichteten Komplott (etwa im März oder<br />

April 1894), welches dahinging, nach einmal erkannter oder angenommener Unheilbarkeit<br />

meiner Nervenkrankheit mich einem Menschen in der Weise auszuliefern, daß meine Seele<br />

demselben überlassen.“ Die Überlassung, ein Abbruch des Vertrags Arzt-Patient <strong>und</strong> die<br />

Auslieferung nach Sonnenstein, bildeten den eigentlichen Seelenmord. Die Überweisung nach<br />

Sonnenstein war höchst traumatisch. Paul machte einen vergeblichen Fluchtversuch, erlebte<br />

einen „kurzen Ohnmachtsanfall,“ <strong>und</strong> war in einem langen psychotischen Angst- Depression<strong>und</strong><br />

Wutzustand versunken die er als metaphorische W<strong>und</strong>er, eigentlich W<strong>und</strong>en bzw.<br />

Traumen wie er es im l1. Kapitel beschrieb: „Eines der abscheulichsten W<strong>und</strong>er war das<br />

sogenannte Engbrüstigkeitsw<strong>und</strong>er, daß ich mindestens einige Dutzend Male erlebt habe; es<br />

5


wurde dabei der ganze Brustkasten zusammengepreßt, so daß der Zustand der durch<br />

Athemnoth verursachten Beklemmung sich dem gesamten Körper mittheilte.“ Es waren<br />

„Traum- <strong>und</strong> Wahnvorstellungen wirklich nichts Anderes seien als die gleichfalls organisch<br />

bedingten, sinnbildlichen Darstellungen eben jener Stimmungen <strong>und</strong> Sensationen«, wie 1858-<br />

1859 der Psychiker Dr. A. Krauss es definierte.<br />

Hinsichtlich dieser Vokabel, Engbrüstigkeit, die noch heute als Synonym <strong>für</strong><br />

Atemnot dient, hat der deutsch-jüdische Psychoanalytiker Niederland (1978) dieses Wort<br />

beim Sohn grob mißverstanden <strong>und</strong> mit Nutzen von Geräten beim Vater falsch beschrieben<br />

<strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en: „Der Vater erfand in seiner zwanghaften Besessenheit von Körperhaltung der<br />

Kinder eine Reihe von orthopädischen Apparaturen, den sogenannten Geradhalter, ... die<br />

zugleich am Brustkorb des Kindes <strong>und</strong> an dem Tisch befestigt wurde, ... das im<br />

„Engbrüstigkeits“-W<strong>und</strong>er erhaltene Stück historischer Wahrheit darstellt“. Der Geradhalter,<br />

eine horizontale eiserne Stange, war keineswegs am Brustkorb befestigt <strong>und</strong> Paul hat es<br />

keineswegs im Sinne gehabt wenn er das Gefühl der Beklemmung bildlich darstellte.<br />

Niederland hat Tatsachen tendenziös geändert <strong>und</strong> eine Metapher konkretisiert, also<br />

versteinert. In der schwarzen Pädagogik à la Schatzman wurden die Apparaturen zu<br />

Maschinen, zu Folter-Maschinen.<br />

Schreber erholte sich allmählich, war „im Vollbesitze seiner geistigen Kräfte in jeder<br />

anständigen Gesellschaft sich angemessen zu betragen wisse...mindestens schon seit dem<br />

Beginn des Jahres 1897recht wohl möglich gewesen “ (S. 425; Schrebers Hervorhebung), also<br />

fähig die Anstalt zu verlassen. In Anbetracht Webers Diagnose der Unheilbarkeit, der<br />

Entmündigung, wobei Schreber in rechtlicher Beziehung einem Kinde unter sieben Jahren<br />

gleichgestellt wurde, <strong>und</strong> der Ratlosigkeit seiner Frau, war er auch noch 5 Jahre einer<br />

Freiheitsberaubung ausgesetzt. Webers psychiatrisches Urteil war überdies mit Geldinteresse<br />

vermengt: der Aufenthalt kostete 2.100 Mark pro Jahr, ein Drittel von Schrebers Pension,<br />

gutes Einkommen <strong>für</strong> die Anstalt. Die Richter haben Schreber freigesprochen: „Denn dem<br />

Kläger ist auch darin recht zu geben, daß die Rücksicht, auf das Wohlbehagen dritter<br />

Personen, <strong>und</strong> wären es selbst die nächsten Familienangehörigen, hierbei nicht in Anschlag<br />

kommen darf. Die Entmündigung hat in erster Linie <strong>für</strong> das Wohl des zu Entmündigenden zu<br />

sorgen. Sie lediglich im Interesse anderer zu verfügen ist unstatthaft.“<br />

Anstaltdirektor Guido Weber hatte keine Ahnung von den psychologischen<br />

Einsichten von A. Krauss, der Freuds Methode in der Traumdeutung vorwegnahm. Für Weber<br />

waren die W<strong>und</strong>er Zeichen einer chronischen Form des Wahnsinns die „als Paranoia zu<br />

bezeichnen ist wo charakteristisch Wahnideen auftreten, sich bald fixieren <strong>und</strong> zu einem<br />

6


dauernden, uncorrigierten <strong>und</strong> unerschütterlichen Wahnsystem verarbeitet werden, also<br />

Verfolgungsideen <strong>und</strong> Überschätzungsideen die sich combinieren.“ Diese Wahnideen<br />

brauchte man gar nicht korrigieren, sondern verstehen, also im Sinne Freuds analysieren!<br />

Webers war eine parteiische, materialistisch-organische, statische Gesinnung eines<br />

forensischen Psychiaters. Mit Recht betonte Schreber: „An <strong>und</strong> <strong>für</strong> sich steht hier Behauptung<br />

gegen Behauptung“.<br />

Im Kräftespiel zwischen Patient <strong>und</strong> Psychiater war die Paranoia-Diagnose zu einer<br />

politischen Waffe geworden. Insofern Schreber ein System, einen vermutlichen Irrsinn hatte,<br />

insofern hatte Weber ein spiegelbildliches System der auf einen Irrtum beruhte, indem er<br />

Halluzinationen <strong>und</strong> Wahngebilde als eine organische Wahrnehmungsstörung <strong>und</strong> nicht als<br />

Fantasien ansah. Wie auch immer, warum sollte dies eine Angelegenheit <strong>für</strong> den Staatsanwalt<br />

sein? Darüber hinaus findet man in Webers Gutachten kein Krümelchen an biographischer<br />

Anamnese, so daß die Ergebnisse der psychiatrischen Untersuchung erzielt wurden, als ob es<br />

sich um eine neurologische Anamnese <strong>und</strong> Untersuchung gehandelt hätte. Aus gutem Gr<strong>und</strong><br />

kann Schreber daher schreiben: “Vor jener Zeit (d. h. etwa vor Ostern 1900) hat der Herr<br />

Sachverständige, ich möchte sagen, nur die pathologische Hülle kennengelernt, die mein<br />

wahres Geistesleben verdeckte.“ Es ist kein W<strong>und</strong>er daß Weber sich in seiner Funktion als<br />

Gerichtsarzt als Vertreter der Staatsmacht erwies <strong>und</strong> kein Fürsprecher seines Patienten<br />

gegenüber dem Staat war. Vor ihm hatte Flechsig schon dasselbe getan. Ein<br />

Gerichtspsychiater ist genauso wie ein Gerichtsmediziner nicht am Täter interessiert, sondern<br />

nur an der Tat, dem begangenen Verbrechen, an der Feststellung des Abnormen <strong>und</strong> der zu<br />

stellenden Diagnose. Tatsache ist, daß der Universitäts- <strong>und</strong> der Anstaltspsychiater<br />

gleichermaßen ihr Fachwissen in den Dienst des Staates <strong>und</strong> nicht des Einzelmenschen<br />

stellten, ohne jede Einfühlung <strong>für</strong> dessen Interessen (Lothane, 2010b). Die Loyalitäten eines<br />

Privatpsychiaters sind da ganz anders, er interessiert sich <strong>für</strong> den ganzen Menschen, <strong>für</strong> das<br />

Individuum, er sieht im weitesten Sinne das Ganze der sittlichen <strong>und</strong> geistigen Persönlichkeit,<br />

deren Drama <strong>und</strong> Geschichte, deren bewußtes <strong>und</strong> unbewußtes Seelenleben, das<br />

Wohlbefinden dieses Menschen. Darüber hinaus, war zur Zeiten Webers die erste, echte<br />

deutsche dynamisch-psychologische Psychiatrie der Psychiker der ersten Hälfte des 19ten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, wie sie durch Heinroth, A. Krauss <strong>und</strong> Blumröder repräsemtiert worden war,<br />

längst verschw<strong>und</strong>en. Die zweite, erstarrte, seelenlose Psychiatrie lebt in der Jaspers’schen<br />

Phänomenologie <strong>und</strong> im DSM-IV fort.<br />

Aber Weber hatte es mit seinem Patienten nicht leicht. Als Schreber ab 1895<br />

besser ging, war er “immer noch erregt. Doch läßt er sich zu Unterredungen über<br />

7


gleichgültige Dinge herbei. Spielt Klavier, Schach <strong>und</strong> liest wieder. Über seine<br />

Wahnvorstellungen ist nichts zu erfahren. Schreit oft nachts laut u. brüllend zum Fenster<br />

hinaus immer dieselben Schimpfworte oder «ich bin der Senatspräsident Schreber“<br />

(Krankenkarte). Das beschrieb Weber wie folgt: “Die Reaktion gegen die Halluzinationen<br />

wurde immer geräuschvoller <strong>und</strong> intensiver, er haranguirte eine Zeitlang den «Seelenmörder»<br />

Flechsig, wiederholte endlos «kleiner Flechsig», oder schrie zwar auch nachts […] mit<br />

solcher Kraftanstrengung hinaus, daß die Leute in der Stadt sich ansammelten <strong>und</strong> über die<br />

Störung laut wurden.“ Weber, der im Anstaltsgelände wohnte, muß das laute Schreien<br />

ebenfalls gehört haben. Es kam Weber nicht in den Sinn, daß Schreber wie ein Tiger im Käfig<br />

brüllte, weil er „in fast gefänglicher Absperrung lebte, namentlich vom Umgang mit<br />

gebildeten Menschen, selbst von der (den sog. Pensionären der Anstalt zugänglichen)<br />

Familientafel des Anstaltsvorstands ausgeschlossen war, niemals aus den Mauern der Anstalt<br />

herauskam usw.“, ohne <strong>Psychotherapie</strong>, nie ernst genommen, <strong>und</strong> ohne Möglichkeit <strong>für</strong><br />

Geschlechtsverkehr mit seiner Frau.<br />

Erstaunlicherweise hatte der sprichwörtliche Paranoiker mehr Einfühlung <strong>für</strong> seine<br />

Ärzte als diese <strong>für</strong> ihn, wie es Schreber erzählt:<br />

eine Zeit lang (wohl im Frühjahr oder Herbst 1895) habe ich die Füße oft während<br />

der Nacht bei offenem Fenster durch die Gitter des letzteren herausgesteckt, um<br />

sie dem kalten Regen auszusetzen; solange ich das that, konnten die Strahlen den<br />

Kopf nicht erreichen <strong>und</strong> befand ich mich daher vollkommen wohl. Dieses mein<br />

Verhalten irgendwie zu Ohren der Ärzte gekommen <strong>und</strong> dadurch Veranlassung zu<br />

einer Maßregel geworden ist, die meinen Unwillen im höchsten Grade erregte: an<br />

dem Fenster meines Schlafzimmers hatte man schwere hölzerne Läden anbringen<br />

lassen, die während der Nacht verschlossen wurden, sodaß nunmehr vollständige<br />

Finsterniß in meinem Schlafzimmer herrschte <strong>und</strong> auch am Morgen die<br />

eintretende Tageshelle so gut wie keinen Einlaß fand. Natürlich werden die Ärzte<br />

keine Ahnung davon gehabt haben, wie empfindlich mich diese Maßregel in<br />

meiner ohnedies so maßlos schwierigen Selbstvertheidigung gegen die auf<br />

Zerstörung meines Verstandes gerichteten Absichten traf. Auf der anderen Seite<br />

wird man begreiflich finden, daß sich meiner eine tiefe Verbitterung bemächtigte,<br />

die auf lange Zeit hinaus vorgehalten hat. Ich habe aber geglaubt, den Vorgang<br />

mit den Fensterläden ausführlicher besprechen zu sollen, um das tiefe Mißtrauen<br />

verständlich zu machen, das mich den Ärzten gegenüber jahrelang beherrscht hat<br />

<strong>und</strong> von dem dieselben vielleicht auch in meinem Verhalten manche Anzeichen<br />

gef<strong>und</strong>en haben werden. Die erwähnten Fensterläden (die einzigen auf dem von<br />

mir bewohnten Flügel der Anstalt) sind jetzt noch vorhanden, werden aber schon<br />

seit langer Zeit nicht mehr verschlossen. Sonst finden sich dergleichen<br />

Fensterläden nur in den <strong>für</strong> Tobsüchtige eingerichteten Zellen im Erdgeschosse<br />

<strong>und</strong> im ersten Stockwerke des R<strong>und</strong>flügels der Anstalt. In verschiedenen dieser<br />

Zellen habe ich während zweier Jahre (1896 - 98) geschlafen, wobei die durch die<br />

Verfinsterung erzeugten Übelstände <strong>für</strong> mich womöglich noch schlimmer<br />

hervortraten.<br />

8


So argumentiert kein Paranoiker, obwohl Schreber dem Despotismus der totalen<br />

Institution unterlag. Warum hat sich Schreber als Verfolgter empf<strong>und</strong>en? Eben weil er kein<br />

Paranoiker war. Letzten Endes war Schreber der Sieger, ein Sigfried, dessen Leitmotiv aus<br />

Wagners Oper über den Eingang an 15a Angelikastrasse in Dresden gemeißelt ist, wo<br />

Schreber nach der Entlassung aus Sonnenstein mit seiner Frau <strong>und</strong> Adoptivtochter Fridoline,<br />

die er mit Liebe erzog, 5 gute Jahre verbrachte. 1906 erschien in Deutsches Wochenschach<br />

<strong>und</strong> <strong>Berliner</strong> Schachzeitung Schrebers Artikel „Über Urheberrecht an Turnpartien.“ 1907,<br />

nach dem Tode der Mutter <strong>und</strong> dem Schlaganfall der Frau, kam der letzte Schub <strong>und</strong> vier<br />

Jahre später Tod durch ärztliche Fahrlässigkeit verursacht.<br />

Noch bei Flechsig spielte Paul <strong>für</strong> Sabine die Arie aus Händels Messias "Ich weiß,<br />

daß mein Erlöser lebt", Diese Hiobs-Rede ist eine doppelte Anspielung an den Prolog im<br />

Himmel im Buch Hiob <strong>und</strong> Goethes Faust. Gleich Satan, hat Mephisto-Flechsig Gott entführt<br />

um Schreber mit gräßlichen W<strong>und</strong>er zu martern. Auf diese Weise hat Schreber sein<br />

Alltagsdrama in ein Heldendrama umgestaltet (Lothane, 1998a).<br />

Freud über Schreber<br />

Dank meinem Meister Freud sind Paul <strong>und</strong> Moritz Schreber unsterblich geworden. Ende 1899<br />

erscheint Freuds Hauptwerk, Die Traumdeutung, vordatiert auf 1900, um das moderne<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert anzukündigen, in welchem der Kern der psychoanalytischen Methode als<br />

Verstehen, Forschen <strong>und</strong> Heilen vorliegt, die Gleichsetzung von Traum, Neurose, <strong>und</strong><br />

Psychose: „Was nun eigentlich die Untat Flechsigs <strong>und</strong> welches seine Motive dabei waren,<br />

das wird als eine besonders intensive Wahnbildungsarbeit angesehen werden dürfen, wenn es<br />

gestattet ist die Paranoia nach dem Vorbild des um so viel besser bekannten Traumes zu<br />

beurteilen“, also Wahnbildungsarbeit gleich wie Traumbildungsarbeit, Wahndeutung gleich<br />

Traumdeutung. Freud blieb aber seiner Traum Methode nicht treu <strong>und</strong> zwar aus zwei<br />

Gründen. Erstens, er vermischte Traum mit Trieb (Sexualtrieb), eine Reduktion; zweitens, in<br />

seiner Theorie der Psychopathologie griff er nach einer Verallgemeinerung <strong>und</strong> hoffte daß es<br />

ihm „gelingt, gerade den Kern der Wahnbildung mit einiger Sicherheit auf seine Herkunft aus<br />

bekannten menschlichen Motiven zurückzuführen“. Aber kein Knecht kann zwei Herren<br />

dienen: man kann entweder eine Fantasie bzw. Wahnidee wie einen Traum individuell <strong>und</strong><br />

historisch, mit den Einfällen des Analysanden, interpretieren; oder dieselbe unter einer<br />

Verallgemeinerungs-Formel schablonenartig subsumieren. Und da liegt das Problem: Freud<br />

versuchte Schrebers Idee, daß „Flechsig [...] an dem Kranken einen ‚Seelenmord’ begangen<br />

[hat]“ durch eine einfache Formel aufzulösen, <strong>und</strong> damit „alle Fäden des Komplotts“ zu<br />

9


erraten. Als Schreber sich an seine frühere Krankheit erinnerte, so Freud, erlebte er die<br />

„Sehnsucht, ich möchte Flechsig wieder einmal sehen, die eine Verstärkung zur Höhe einer<br />

erotischen Zuneigung gewann <strong>und</strong> der Kranke einen sexuellen Mißbrauch von seiten des<br />

Arztes <strong>für</strong>chtete. Ein Vorstoß homosexueller Libido war also die Veranlassung dieser<br />

Erkrankung... <strong>und</strong> das Sträuben gegen diese libidinöse Regung erzeugte den Konflikt, aus<br />

dem die Krankheitserscheinungen entsprangen.“ Falsche Beschreibung macht falsche<br />

Deutung. Diese reduktive Freudsche Deutung, das Reduzieren von Liebe als agape auf Sexus,<br />

ist weit hergeholt <strong>und</strong> haltlos, er hat Schrebers Frauenwerdung-Fantasie als homosexuelle<br />

Begierde umgeschrieben <strong>und</strong> umgedeutet, Entmannung als Kastration umgedeutet <strong>und</strong> damit<br />

den metaphorischen Sinn der Schreberschen Entmannung verpaßt. Konflikt stimmt, aber<br />

zwischen einer weiblichen <strong>und</strong> männlichen Identität, die C. G. Jung in der Typologie von<br />

Anima <strong>und</strong> Animus übernahm. Die Freudsche Umdeutung ist Freuds Wahn (siehe<br />

Leitspruch), während Schrebers Wahn die Wahrheit über Flechsig enthält. Schreber war<br />

weder ein offensichtlicher Paranoiker noch ein verborgener Homosexueller, diese ganze<br />

Konstruktion stürzt wie ein Kartenhaus ein, oder, wie er gestanden hatte, Kant zitierend, „in<br />

die lächerliche Rolle geraten, als des Mannes, der das Sieb unterhält, während ein anderer den<br />

Bock melkt“ (S. 268).<br />

Freud hat seine eigenen Zweifel bezüglich seiner Schreber-Analyse zum Ausdruck<br />

gebracht: An C. G. Jung schrieb er: “Der Schreber ist formell unausgebildet, wirklich nur<br />

flüchtig hingemacht aber er enthält einige schöne Momente. Im Gegensatz zu früheren<br />

Arbeiten bin ich diesmal über die innere Güte ganz urteillos, dank der dabei vorgefallene<br />

Bekämpfung innerer Komplexe (Fließ)“, also eigener Homosexualität. An S. Ferenczi schrieb<br />

Freud: "Der Schreber ist saure Arbeit. Hohngelächter oder Unsterblichkeit or both“; <strong>und</strong><br />

wiederholt an Binswanger: “Es wird ein kühner Vorstoß ins Herz der feindlichen Stellung in<br />

der Paranoiafrage werden”. Das mag wohl sein, aber Freud hat doch die falsche Paranoia-<br />

Diagnose gebilligt <strong>und</strong> Schrebers ganze Lebensgeschichte verkannt. Ein Genie kann sich<br />

wohl irren aber auch diese geniale Einsicht zum Ausdruck bringen: " W a s w i r f ü r<br />

d i e K r a n k h e i t s p r o d u k t i o n h a l t e n , d i e W a h n b i l d u n g , i s t i n<br />

W i r k l i c h k e i t d e r H e i l u n g s v e r s u c h , d i e R e k o n s t r u k t i o n “<br />

(1911, S. 308; Ergänzung bei Freud).<br />

Da Freud sich viel mit Drama, mit Sophokles <strong>und</strong> Ibsen, beschäftigte (Brandell,<br />

1976) wäre er mit meiner Dramatologie einverstanden (Lothane, 2009, 2010c, 2011c): „ein<br />

Paradigma das sich einerseits of Dramatisierung in Gedanken (in Träumen <strong>und</strong> Phantasien<br />

erlebte Bilder <strong>und</strong> Szenen) <strong>und</strong> andererseits im Handeln (in Dialogen <strong>und</strong> anderen<br />

10


Interaktionen der dramatis personae untereinander) bezieht, die in Handlungen von Liebe <strong>und</strong><br />

Hass, Treue <strong>und</strong> Betrug [Ehebruch], Ehrgeiz <strong>und</strong> Mißerfolg, Triumph <strong>und</strong> Niederlage, Angst<br />

<strong>und</strong> Tod, Verzweiflung <strong>und</strong> Hoffnung verstrickt sind“ (Lothane, 2010e, S. 98), Handlugen<br />

welche mit Emotionen <strong>und</strong> deren Ausdruck in Gespräch, Gestik, <strong>und</strong> Gebaren verb<strong>und</strong>en<br />

sind.<br />

Gruppen- <strong>und</strong> Massenparanoia<br />

Bislang haben wir uns nur mit der Paranoia des Einzelnen beschäftigt. Nietzsche lehrt: „Der<br />

Irrsinn ist bei einzelnen etwas seltenes, - aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die<br />

Regel.“ Paranoisch heißt feindlich, mißtrauisch, überheblich, destruktiv gegen Andere denken<br />

<strong>und</strong> handeln, <strong>und</strong> damit Verantwortung <strong>für</strong> das Denken oder die Handlung zu leugnen: da<br />

sieht man den Unterschied zwischen Schrebers vorübergehender mißtrauisch-paranoischer<br />

Stimmung <strong>und</strong> Webers festgelegte „unheilbare Paranoia“. Paranoisch waren Gruppen, z. B.<br />

die Kreuzfahrer gegen deutschen Juden während des Schwarzen Todes, Parteien, wie die<br />

Antisemiten-Fraktion im Reichstag, zur Zeiten Schrebers, Völker wie Türken gegen<br />

Armenier, <strong>und</strong> <strong>und</strong> Verfolgungsmaßnahmen gegen eine Bevölkerung durch den grausamsten<br />

Diktatoren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, Stalin and Hitler, inspiriert. Bei Einzel-Paranoia leidet ein<br />

Mensch der sich verfolgt fühlt durch reale bzw. gedachte Feinde weil er Liebe sucht. Bei<br />

Gruppen-Paranoia leiden unzählige Menschen wenn sie aktiv verfolgt sind weil die Gruppe<br />

oder ihr Führer Macht suchen, sodaß Paranoia Politik wird, eine Real-Politik dazu.<br />

Das kommt besonders klar bei Militarismus <strong>und</strong> Hurra-Patriotismus. Gruppen-<br />

Paranoia war zu erkennen in der englischen Form des letzteren, Jingoismus, im<br />

Amerikanischen Spread-Eagleismus, in der Außen- <strong>und</strong> Kriegspolitik des letzten Kaisers.<br />

Und damals so gut wie heute ist die Gruppen-Paranoia mit der Lüge eng verb<strong>und</strong>en, wie uns<br />

Nietzsche lehrt: „Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten <strong>und</strong> Bösen; <strong>und</strong> was er auch<br />

redet, er lügt - <strong>und</strong> was er auch hat, gestohlen hat er's.“ Unser Präsident Bush hat gelogen über<br />

Saddams weapons of mass destruction, eigentlich weapons of mass deception. Dagegen, mit<br />

Präsident Clinton: „when Clinton lied, nobody died“. Paranoisch war die Oberste<br />

Heeresleitung welche die Dolchstoßlegende, bzw. die Dolchstoßlüge, eine Komplott-Theorie,<br />

schuf: das Heer ist „im Felde unbesiegt“ geblieben aber die Niederlage des Deutschen<br />

Reiches ist erst durch einen „Dolchstoß von hinten“ verursacht, durch innere („heimatlose<br />

Zivilisten, Saboteure <strong>und</strong> Defätisten,“ Sozial-Demokraten). Damit wurde auch die deutsche<br />

Kriegsverantwortung verleugnet. Die Nationalsozialisten haben die Dolchstoßlüge fortgesetzt<br />

11


<strong>und</strong> die demokratischen Weimarer Politiker <strong>und</strong> das Internationale Judentum beschuldigt.<br />

Und so kam es zur Ermordung von Matthias Erzberger <strong>und</strong> Walther Rathenau.<br />

Paranoisch war auch Hitler, Führer <strong>und</strong> Verführer des deutschen Volkes vor <strong>und</strong><br />

nach der Machtergreifung. Der Jude, wie Hitler in Mein Kampf schreibt,<br />

„(Der Jude) ist <strong>und</strong> bleibt der ewige Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein<br />

schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger<br />

Nährboden dazu einlädt. Die Wirkung seines Daseins aber gleicht ebenfalls der<br />

von Schmarotzern: wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer<br />

Zeit ab. Wohl hängt er seine Frauen manchmal einflußreichen Christen an, allein,<br />

er erhält seinen männlichen Stamm gr<strong>und</strong>sätzlich immer rein. Er vergiftet das Blut<br />

der anderen, wahrt aber sein eigenes. Der Jude heiratet fast nie eine Christin,<br />

sondern der Christ die Jüdin. Die Bastarde aber schlagen dennoch nach der<br />

jüdischen Seite aus. Besonders ein Teil des höheren Adels verkommt vollständig.<br />

Der Jude weiß das ganz genau <strong>und</strong> betreibt deshalb diese Art der „Entwaffnung“<br />

der geistigen Führerschicht seiner rassischen Gegner planmäßig. Zur Maskierung<br />

des Treibens <strong>und</strong> zur Einschläferung seiner Opfer jedoch redet er immer mehr von<br />

der Gleichheit aller Menschen, ohne Rücksicht auf Rasse <strong>und</strong> Farbe. Die Dummen<br />

beginnen es ihm zu glauben.“<br />

Und aus Hitlers Reichstage Rede am 30. Januar 1939:<br />

„Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen<br />

Finanzjudentum in <strong>und</strong> außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal<br />

in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung<br />

der Erde <strong>und</strong> damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der<br />

jüdischen Rasse in Europa.“<br />

1960 versuchte Elias Canetti in Masse <strong>und</strong> Macht Hitlers angebliche Paranoia mit Paul<br />

Schrebers “Paranoia” gleichzusetzen, eine Verleumdung, wobei die Komplexität des<br />

Nazismus auf eine psychiatrische Banalität reduziert wird (Lothane, 1996). Der<br />

amerikanische Psychiater Morton Schatzman, Nachahmer Niederlands <strong>und</strong> Verfasser des<br />

Reissers Die Angst vor dem Vater, zitierte Canetti:<br />

„Wir werden bei Schreber ein politisches System von beunruhigender Vertrautheit<br />

finden. Es wurde in etwas roherer <strong>und</strong> weniger ‚gebildeter’ Fassung zum Credo<br />

eines grossen Volkes. Schrebers Ansprüche sind damit von seinen Jüngern<br />

nachträglich anerkannt worden“<br />

tja, ehrlich, jeder Schuljunge trug ein Exemplar der Denkwürdigkeiten in seinem Tornister<br />

<strong>und</strong> Adolf Hitler hat diese auch gelesen. Canetti verriet allerdings nicht daß er diese Idee von<br />

Freuds Bew<strong>und</strong>erer Arnold Zweig plagiierte. In seinem 1933 Buch Bilanz der deutschen<br />

Judenheit, wies Zweig Parallelen zwischen der “paranoiden” antisemitischen <strong>und</strong><br />

nationalistischen “Massenpsychologie” der Nazis <strong>und</strong> dem „Zeugnis der wahrhaft genialen<br />

Selbstbeschreibung des geisteskranken, entmündigten <strong>und</strong> ungewöhnlich scharfsinnigen<br />

12


Dresdener Senatspräsident Dr. Schreber“ auf. Zweig verglich Hitlers Mein Kampf, »diese<br />

Mischung von besessener Propaganda, abgestandenen Brocken einer kümmerlichen<br />

Autodidaktenbildung, schlagartig falschen Bildern«, »die unheimliche Geschwätzigkeit, den<br />

affektgedrängten Vortrag <strong>und</strong> von Gedankenflucht ausgehende Schachtelsätze« mit dem<br />

»unheimliche[n] Durch- <strong>und</strong> Nebeneinander von Wahn <strong>und</strong> geistiger Schlagkraft« im Werk<br />

Schrebers. Mit dieser Logik meinte A. Zweig, »den maßlosen Uniformtrieb des<br />

Deutschnationalismus« <strong>und</strong> die »völkischen Agitatoren <strong>und</strong> Gläubigen« durch Vergleiche mit<br />

Schreber erklären zu können. Die Antwort auf die Frage, warum diese Propaganda so viele<br />

Vollstrecker hatte, soll man in der Dynamik der Massenpsychologie suchen (Freud, 1921;<br />

Lothane, 2006).<br />

Moritz Schreber wurde gleichermaßen verunglimpft. Laut Schatzman, sind „Dr.<br />

Schrebers Ansichten ein Vorspiel der Ideologie der Nazis, die 80 Jahre später Menschen aus<br />

Gründen der ‚Rassenhygiene’ oder ‚Ges<strong>und</strong>heit’ töteten. Hitler <strong>und</strong> seinesgleichen wuchsen<br />

in einer Zeit auf, als Dr. Schreber Sr. den Familientotalitarismus predigte“, so daß die „mikrosoziale<br />

Despotie der Familie Schreber“ den Weg zur „makro-sozialer Despotie des Nazi-<br />

Deutschlands“ ebnete. Unsinn! Die Auflagen Schrebers Bücher waren ganz bescheiden <strong>und</strong><br />

enthielten keine ähnliche Ideologie. Hitler <strong>und</strong> seine Zeitgenossen wurden nicht mit seinen<br />

Büchern erzogen. Der Hitler-Jugend Nachwuchs unterlag der NS-Ideologie von Hitler, Baldur<br />

von Schirach, Goebbels <strong>und</strong> Dr. Johanna Haarer (siehe unten) dessen unzählige Nachfolger<br />

im Stalingrad-Kessel (Plievier, 1952) <strong>und</strong> anderen Schlachtfeldern ihren Tod fanden.<br />

Seelenmord <strong>und</strong> Vernichtungsparanoia: der Holocaust als Mord <strong>und</strong> Seelenmord<br />

Paul Schreber warnte die Psychiatrie „vor unwissenschaftlicher Generalisierung <strong>und</strong><br />

vorschneller Aburtheilung [um nicht] mit beiden Füßen in das Lager des nackten<br />

Materialismus [zu] treten“ (S. 80). Ihren Höhepunkt erreichte die erstarrte, materialistische<br />

seelenlose Psychiatrie ihren schrecklichen Höhepunkt mit der Publikation des Buches von<br />

Jurist Binding <strong>und</strong> Psychiater Hoche (1920), Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten<br />

Lebens Ihr Maß <strong>und</strong> ihre Form. Der Jurist verband die „Tötung von Nebenmenschen“ mit der<br />

rechtmäßigen Euthanasie <strong>und</strong> betrachtete die Freigabe der Tötung der „zufolge Krankheit<br />

oder Verw<strong>und</strong>ung unrettbar Verlorenen,“ beifügend die Bewußtlosen, Idioten <strong>und</strong> unheilbaren<br />

Geisteskranken, als „Pflicht gesetzlichen Mitleids. Das Gute <strong>und</strong> das Vernünftige müssen<br />

geschehen trotz allen Irrtumsrisikos. “ Hoche, zuvor als prominenter Freud-Feind bekannt,<br />

verwies auf „Ballastexistenzen“ <strong>und</strong> sah vor daß „wir werden vielleicht eines Tages zu der<br />

Auffassung herantreten, daß die Beseitigung der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine<br />

13


unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Roheit, sondern einen erlaubten, nützlichen Akt<br />

darstellt.“ 1936 schrieb Hoche:„ich lehne den Standpunkt ab, daß der Arzt die bedingunglose<br />

Pflicht hat, das Leben zu verlängern...es gibt Umstände, unter denen <strong>für</strong> dem Arzt das Töten<br />

kein Verbrechen bedeutet“ (S. 290).<br />

Während des NS-Regimes wurde Sonnenstein unter seinem Direktor Dr. Nitzsche -<br />

verurteilt <strong>und</strong> hingerichtet wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – wurde Sonnenstein<br />

zu einem Euthanasiezentrum <strong>für</strong> die planmäßige Ermordung von Siechen, psychisch Kranken<br />

<strong>und</strong> sowjetische Kriegsgefangenen verwandelt (Böhm, 2000). Die planmäßige Ermordung<br />

von Siechen, psychisch Kranken, <strong>und</strong> sowjetischen Kriegsgefangenen mit Gas wurde zur<br />

Generalprobe <strong>für</strong> Auschwitz, wie es Harry Friedlander in seinem Buch The origins of Nazi<br />

genocide From euthanasia to the final solution, 1995 darstellte.<br />

Schreber contra Flechsig<br />

Seelenmord war keine Wahnidee bzw. -system sondern eine Reaktion auf die Art, wie<br />

Schreber behandelt wurde: Es war die iatrogene Wirkung bzw. die Wirkungslosigkeit der<br />

Behandlung, die Mißhandlung durch rohe Wärter, <strong>und</strong> endlich die Überlassung durch<br />

Flechsig. Wie gesagt, Schreber gestaltete dieses Gesamt-Trauma in ein Drama in der Art eines<br />

Hiob <strong>und</strong> eines Faust um (Lothane, 1998a, 2008). Er dramatisierte (Lothane, 2009, 2011)<br />

seine traumatischen Erlebnisse unter Verwendung von zweierlei Stilmittel: einerseits<br />

nüchterne Erzählprosa <strong>und</strong> andererseits Sprache der Phantasie <strong>und</strong> des magischen Realismus à<br />

la Goethe. Infolgedessen sah Schreber in Flechsig eine mephistophelische Gestalt, welche<br />

Gott versuchte, wie Satan im Buch Hiob, einen unschuldigen Mann verfolgen <strong>und</strong> bestrafen:<br />

„Daß Gott selbst der Mitwisser, wenn nicht gar der Anstifter des auf den an mir zu<br />

verübenden Seelenmord <strong>und</strong> die Preisgabe meines Körpers als weibliche Dirne gerichteten<br />

Plans gewesen sei, ist ein Gedanke, der sich mir erst sehr viel später aufgedrängt hat, ja zum<br />

Theil, wie ich sagen darf, mir erst während der Niederschrift des gegenwärtigen Aufsatzes zu<br />

klarem Bewußtsein gekommen ist“ (S. 59). In der phantasierten "Seelensprache" wurde<br />

Flechsig "Seelenmörder" genannt <strong>und</strong> selbst noch in dem “Offenen Brief an Herrn Geh. Rath<br />

Prof. Dr. Flechsig“ von 1903, Schreber war bereits ein freier Mann, ist er noch vorsichtig<br />

genug, Flechsig nicht offen des Kunstfehlers zu bezichtigen: „ob nicht vielleicht das ganze<br />

Stimmengerede, daß irgend Jemand Seelenmord getrieben habe, darauf zurückzuführen sei,<br />

[...] den Seelen (Strahlen) überhaupt als etwas Unstatthaftes erschienen sei <strong>und</strong> daß man zu<br />

möglichst kräftiger Kennzeichnung dieser Unstatthaftigkeit mit der den Seelen durchaus<br />

eigenen Neigung zu hyperbolischer Ausdrucksweise in Ermangelung eines anderen gleich zur<br />

14


Verfügung stehenden Ausdrucks des irgendwie von früher her geläufigen Ausdrucks<br />

"Seelenmord" sich bedient habe“ (S. X-XI). Seelenmord war also kein psychotischer<br />

Neologismus Schrebers sondern ein juristischer Begriff, den Anselm Feuerbach (1775-1833)<br />

auf die Gefangenhaltung des berühmten Kaspar Hauser angewandt hatte. Schreber sah sich<br />

wie Kaspar Hauser als ein Opfer eines „Verbrechen am Seelenleben“, der „in fast<br />

gefänglicher Absperrung lebte, namentlich vom Umgang mit gebildeten Menschen, selbst von<br />

der (den sog. Pensionären der Anstalt zugänglichen) Familientafel des Anstaltsvorstands<br />

ausgeschlossen war, niemals aus den Mauern der Anstalt herauskam usw.“ (S. IV). Schreber<br />

beschuldigte Flechsig, er habe ihn "liegen gelassen", er habe seinen Statut auf ihn angewandt,<br />

nach welchen ein Patient nur sechs Monate in einer Universitätsklinik liegen durfte, anstatt<br />

daß er von seiner Macht als Direktor Gebrauch gemacht hätte, um ihn bis zur Besserung zu<br />

behalten. Mehr noch, kurz vor Ende der sechs Monate geriet Schreber mit seiner Frau in Streit<br />

um Geld. Sabine Schreber hatte sich an den Vorgesetzten ihres Mannes gewandt, Direktor Dr.<br />

Karl Edm<strong>und</strong> Werner (1835-1898), der ihr riet, eine gerichtliche Entmündigung anzuregen,<br />

was dann 1895 geschah; damit, <strong>und</strong> mit Webers Diagnose der chronischen Paranoia, war<br />

Schrebers Schicksal doppelt besiegelt<br />

Schreber contra Weber<br />

Schrebers Einwände gegen Weber sind in seiner sorgfältig verfaßten Berufungsbegründung<br />

enthalten <strong>und</strong> in seiner forensisch-psychiatrischen Schrift “Unter welchen Voraussetzungen<br />

darf eine <strong>für</strong> geisteskrank erachtete Person gegen ihren erklärten Willen in eine Heilanstalt<br />

festgehalten werden?” (Schreber, 1903, S. 363-376), wo das Wort Freiheitsberaubung 13 Mal<br />

auftritt, zugleich der meist fortgelassene Untertitel der Denkwürdigkeiten, weshalb er das<br />

Buch überhaupt geschrieben hat, nämlich die Aufhebung der Entmündigung zu erreichen <strong>und</strong><br />

den Sonnenstein noch als Lebender verlassen zu dürfen, wie Schreber darin ausdrücklich<br />

erklärt hatte: “Ich muß den Wunsch hegen, daß, wenn einmal mein letztes Stündlein schlägt,<br />

ich nicht mehr in einer Heilanstalt, sondern in geordneter Häuslichkeit in der Umgebung<br />

naher Angehöriger mich befinde, da ich vielleicht einer liebevolleren Pflege bedürfen werde,<br />

als mir in einer Anstalt zuteil werden kann’’ (1903, S. 338).<br />

Nach der als traumatisierend erlebten Verlegung nach der Sonnenstein-Anstalt<br />

machte Schreber einen Fluchtversuch, erfolglos. Während des ersten Jahres hat Gott dem<br />

Schreber allerlei quälende W<strong>und</strong>er oder W<strong>und</strong>en auferlegt, die in Kapitel XI beschrieben<br />

werden. Ab 1895 trat eine Besserung ein, was folgendermaßen in das Krankenblatt<br />

eingetragen wurde: “Immer noch erregt. Doch läßt er sich zu Unterredungen über<br />

15


gleichgültige Dinge herbei. Spielt Klavier, Schach <strong>und</strong> liest wieder. Über seine<br />

Wahnvorstellungen ist nichts zu erfahren. Schreit oft nachts laut u. brüllend zum Fenster<br />

hinaus immer dieselben Schimpfworte oder «ich bin der Senatspraesident Schreber.“ Weber<br />

beschrieb dieses Verhalten als „Reaktion gegen die Halluzinationen,“ ohne den<br />

psychologischen Sinn bzw. die dynamische <strong>und</strong> reaktive Struktur der Halluzinationen zu<br />

verstehen. Webers Beschreibung war allerdings eine voreingenommene Vermutung auf<br />

Gr<strong>und</strong> einer falschen Theorie. Es kam Weber nicht in den Sinn, daß Schreber wie ein Tiger<br />

im Käfig brüllte, <strong>und</strong> er wie folgt argumentierte: „Die Brüllzustände, die mit den<br />

Lärmausbrüchen katatonischer Kranker kaum etwas gemein haben dürften. Bei Paranoikern -<br />

zu diesen will man mich ja nun einmal zählen - scheinen dieselben ein sehr ungewöhnliches<br />

Vorkommnis zu sein: Das Gutachten des Geh. Rat Dr. Weber vom 5. April 1902 weiß nur von<br />

einem einzigen Fall, in dem angeblich ähnliches an einem Paranoiker beobachtet worden sein<br />

soll, zu berichten“ (S. 355).<br />

Obwohl Weber in seinem Bericht (1899) korrekt bestätigt hatte: „Insofern indes<br />

konnte etwa seit dem Frühjahr 1897 eine Wandlung bei dem Patienten wahrgenommen<br />

werden“ (S. 385), wollte Weber nicht gehenlassen <strong>und</strong> die Frau weigerte sich ihn nach Hause<br />

zu nehmen, weil sie Angst vor seinem Schreien hatte. So mußte Schreber bis 1902 kämpfen<br />

um freigesprochen zu werden. Weber war auch aus folgenden Gründen total empört:<br />

„Überblickt man den Inhalt seiner Schrift, berücksichtigt man die Fülle der Indiskretionen,<br />

[…] so würde man es ganz unverständlich finden, daß ein Mann, der sich sonst durch Takt<br />

<strong>und</strong> Feingefühl ausgezeichnet hat, eine ihn vor der Öffentlichkeit so schwer<br />

kompromittierende Handlung beabsichtigen könne“ (S. 402). Die Richter am<br />

Oberlandesgericht ergriffen jedoch Schrebers Partei <strong>und</strong> gaben ihm seine Freiheit zurück <strong>und</strong><br />

retteten die Denkwürdigkeiten vor der Zerstörung. Der Schreber-Fall wurde in der<br />

forensischen Psychiatrie zu einem forensisch wichtigen Präzedenzfall.<br />

In jeder klinischen Begegnung spielen kulturbedingte Vorstellungen über Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> Krankheit <strong>und</strong> die Härte, in welcher diese aufeinander treffen, eine herausragende Rolle.<br />

Daher ist es notwendig, bei einer Störung alle möglichen individuellen, sozialen, natürlichen<br />

oder übernatürlichen in der Kultur liegenden Erscheinungen <strong>und</strong> Perspektiven in Betracht zu<br />

ziehen, auch wenn diese einander zu widersprechen scheinen. Der Arzt wird dadurch<br />

toleranter, dem Patienten verschafft es Entlastung <strong>für</strong> sein Leiden. Es ermöglicht die Klärung<br />

der Frage, was normal oder unnormal ist, auch transkulturelle Gesichtspunkte zu<br />

berücksichtigen. Wenn man die Ursachenfrage in dieser Weise berücksichtigt, dann können<br />

Arzt <strong>und</strong> Patient besser miteinander kommunizieren, dann können sie die kommunikative<br />

16


interpersonelle Bedeutung von Körperzeichen <strong>und</strong> Symptomen besser verstehen <strong>und</strong> können<br />

gemeinsam herausfinden, was hinsichtlich einer Behandlung nützlich <strong>und</strong> wirksam ist.<br />

Die Richtung meiner Analyse wird vermutlich als antipsychiatrisch gebrandmarkt<br />

werden, ein nicht völlig harmloses, jedoch entschuldbares Mißverständnis. Die Idee der<br />

Antipsychiatrie stammt von Bernhard Beyer (1912): “Die St<strong>und</strong>e, in der die Irrenärzte die<br />

Geisteskranken zu Menschen machten, war auch die Geburtsst<strong>und</strong>e des Mißtrauens, aus dem<br />

dann wieder die a n t i p s y c h i a t r i s c h e Bewegung herauswuchs. Die „Irrenreform-<br />

Bewegung“ ist unbedingt als eine a n t i p s y c h i a t r i s c h e , d. h. eine gegen die<br />

Psychiatrie resp. deren Vertreter, die Irrenärzte, im a l l g e m e i n e n gerichtete anzusehen“<br />

(S. 10; Sperrung Beyer). Beyer bemerkte auch, daß der Leipziger Verleger Oswald Mutze mit<br />

demselben Pinsel arbeite wie "die T h e o s o p h i s c h e Z e n t r a l - B u c h h a n d l u n g<br />

in Leipzig" <strong>und</strong> nicht nur "Machwerke" wie “Alexander N. Aksakows Animismus <strong>und</strong><br />

Spiritismus, Versuch einer kritischen Prüfung der mediumistischen Phänomene mit<br />

besonderer Berücksichtigung der Hypothesen der Halluzinationen <strong>und</strong> des Unbewußten“<br />

veröffentlichte, sondern ebenfalls „die antipsychiatrischen Schriften von P. Schreber,<br />

Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" (S. 58-59). Allerdings, wenn Antipsychiatrie zwar<br />

nicht nur eine bösartige Bewegung der "Feinde" der Psychiatrie war, dann waren doch die<br />

Mißbrauchsfälle nicht nur Wahnprodukte querulatorischer Paranoiker, sondern die vielen<br />

Fälle von Freiheitsberaubung waren in rechtlicher <strong>und</strong> sozialer Hinsicht ein Faktum, das zu<br />

den berühmten Debatten im Reichstag führte <strong>und</strong> wurde am Ende auch eine Stimme der<br />

Selbstkritik innerhalb der Profession selbst: “Da der Laie die therapeutische Ohnmacht des<br />

Psychiaters sieht <strong>und</strong> seine widersprechenden Gutachten hört, glaubt er mit seinem «ges<strong>und</strong>en<br />

Menschenverstand» ebenso oder besser zu verstehen. Über einen Staatsanwalt, der sich<br />

souverän über das Gutachten unserer Autoritäten bewußt hinwegsetzt, regt sich schon heute<br />

niemand mehr auf“ (Dobrick, 1911, S. 382; 1912; vgl. die Kapitel über Flechsig <strong>und</strong> Weber in<br />

Lothane 2004). 50 Jahre später hat Goffman (1973) in Asyle die Anstalt as totale Institution<br />

geschildert <strong>und</strong> wie diese, nicht nur die Krankheit, das Drama des Patienten prägt. Schreber<br />

würde von Bleuler im Burghölzli, von C. G. Jung , von Riklin, A. Maeder ganz anders<br />

behandelt.<br />

Schreber contra Kraepelin<br />

Emil Kraepelin, der noch heute in dem amerikanischen DSM <strong>und</strong> dem europäischen ICD<br />

lebendig ist, erreichte seine Ziele indem er tausende von Einzelbeobachtungen <strong>und</strong> Berichten,<br />

wie sie auf den legendären Zählkarten festgehalten worden waren, durch Abstraktion,<br />

17


Verallgemeinerung <strong>und</strong> Schematisieren in seine neue Taxonomie psychischer Krankheiten<br />

einbrachte. Das fing schon mit der ersten Auflage seine Lehrbuchs 1883 an. Als Schüler von<br />

W<strong>und</strong>t (der eine schicksalhafte Rolle in seinem Leben spielte, Vertreibung aus Leipzig durch<br />

Flechsig, Exil in Dorpat <strong>und</strong> triumphale Rückkehr nach Heidelberg) dachte Kraepelin weit<br />

mehr in psychologischen Kategorien als seine Zeitgenossen. Kraepelin war sich bewusst der<br />

„Unmöglichkeit einer durchgreifenden Scheidung zwischen ges<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

krankhaften Zuständen, … zwischen den einzelnen schulmässigen<br />

«Krankheitsformen» alle möglichen Uebergänge im Leben anzutreffen. Sehen wir<br />

doch auch in der inneren Medicin […] die Menge der selbst die eigenartigsten<br />

Krankheitsgruppen … sich allmählich in anders benannte «Krankheitsspecies»<br />

hinein verlieren. […] [<strong>und</strong>] somit von einer glatten Eintheilung der<br />

Seelenstörungen, etwa im Sinne Linnés [auch Sydenhams Konzept der species<br />

morbosa, Z. L.], <strong>für</strong> alle Zeiten, <strong>und</strong> von einer Aufstellung wissenschaftlich fest<br />

begründeten Typen <strong>für</strong> jetzt noch absehen müssen“ (1896, S. 312).<br />

Dies war auch Freuds Anliegen. Die zeitliche Mitte zwischen 1811 <strong>und</strong> 1911 sah den<br />

Übergang von den Psychikern, wie Heinroth, zu den Somatikern. Die Psychiker waren sowohl<br />

durch die rationalistischen Denker, etwa durch Immanuel Kant, angeregt worden wie auch<br />

von romantischen Schriftstellern wie Schlegel oder Novalis sowie von den Philosophen wie<br />

Schelling <strong>und</strong> romantischen Medizinern wie Jacob Joseph Görres, C. G. Carus, Heinroth <strong>und</strong><br />

Hufeland, ganz abgesehen von dem Einfluß, den Goethe ausübte. Die phantasiereiche<br />

romantische Medizin auch Wissenschaft war (Leibbrand, 1956) <strong>und</strong> hat bedeutende<br />

psychologische Beiträge zur Psychiatrie geliefert, vor allem mit ihrer Betonung der Einheit<br />

von Körper <strong>und</strong> Seele, der Bedeutung der Sexualität, der Polarität in den sexuellen<br />

Beziehungen, der sexuellen Identitäten, der Beziehungen von Psyche <strong>und</strong> Soma <strong>und</strong><br />

schließlich der <strong>Psychotherapie</strong>. Durch den Triumph der Neuroanatomie in der zweiten Hälfte<br />

des Jahrh<strong>und</strong>erts ging das Pendel von der dynamischen zur organischen, hirnorientierten,<br />

statischen Seite hinüber <strong>und</strong> wurden vor allem in den Heilanstalten praktiziert, z. B. von<br />

Flechsig <strong>und</strong> Weber. Auf der anderen Seite war Freuds Methode des Biographischen <strong>und</strong> des<br />

Psychotherapeutischen eine Rückkehr zu den Psychikern <strong>und</strong> damit zu einer Humanisierung<br />

der Psychiatrie (Lothane, 1992a, 2004, 2008a). Im Zusammenhang mit Schreber ist der<br />

Psychiker Blumröder zu erwähnen.<br />

Was wäre, wenn Schreber den Blumröder gelesen hätte?<br />

Über Psychikern wie Heinroth <strong>und</strong> Gustav Blumröder (1836) goß Kraepelin (1917) viel Spott<br />

aus. Blumröder, der, wie Schreber, über persische Gottheiten nachdachte, Schelling anrufend:<br />

„Man hat aus Gott <strong>und</strong> Natur, Ormuzd (Licht) <strong>und</strong> Ariman (Finsternis), dem<br />

Chinesischen Yang <strong>und</strong> Y[i]n, dem guten Gott <strong>und</strong> dem bösen Gott, Gott <strong>und</strong><br />

18


Teufel, Intensiven <strong>und</strong> Extensiven, Beharrendem <strong>und</strong> Wechselndem, Freien <strong>und</strong><br />

Unfreien, Bewußtseyendem <strong>und</strong> Bewußtlosen, Kraft <strong>und</strong> Materie das Daseyende,<br />

das All construirt; Der Mensch besteht aus Blut (Ariman) <strong>und</strong> Hirnmark<br />

(Ormuzd), welches in ihm auf das Innigste verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zu Eins verwachsen ist;<br />

der Gott Ariman, das Blinde , das Basische, Plastische, das Treibende, der<br />

Treiber, das Wechselnde, Viele, die Phantasie in Dir ist Dein Blut; — das Licht,<br />

der Phosphorus, der Gott Ormuzd, das Wollende, Höhere, Erkennende,<br />

Urtheilende, Beharrende, Eine, das Denkende in Dir ist Dein Hirn, <strong>und</strong> Du selbst<br />

bist die Einheit dieser zwei Gegensätze zu Eins verwachsen. Ohne diese<br />

Gegensätze wärest Du nicht. Erst durch sie, wird Trieb, Verlangen, Lust <strong>und</strong><br />

Schmerz, Wollen, Streben <strong>und</strong> Leben; ohne sie wäre eitel Leere, Unthätigkeit,<br />

dumpfe Nichtigkeit. So aber ist Impuls gegen Impuls gegenseitig aus sich selber<br />

<strong>und</strong> somit Leben. Er ist beides in Eins, er ist die Eine Ganzheit dieser beiden<br />

Gegensätze, er ist sonst nichts, als diese, <strong>und</strong> diese sind sonst nichts, als er selber."<br />

Leibbrand hat das Ganze somatische Mystik genannt, <strong>und</strong> Freud wäre einverstanden: .<br />

„Ferner waltet <strong>und</strong> wirkt die Phantasie in überwiegendem Grade nach<br />

geschlechtlicher Richtung hin <strong>und</strong> es mag hier unerörtert bleiben, welch grossen<br />

Antheil Geschlechtslust an den bei weitem meisten ästhetischen Phantasien<br />

überhaupt habe. In der Brautkammer der Schädelhöhle feiert die plastische<br />

Phantasie ihre fortwährende Begattung mit der Hirnmasse...Nach jeder Nacht ist<br />

sie wiederjungfräulich <strong>und</strong> der Bräutigam Phosphorus immer rüstiger. In dieser<br />

Ehe, solange sie harmonisch Eintracht heiliget, feiert auch Ariman durch den<br />

Ormuzd seine fortwährende Erlösung. Bei der produktiven Phantasie ist das Blut<br />

das schwängernde Prinzip.“<br />

Und Blumröder hatte Folgendes über Halluzinationen zu sagen: „Die<br />

Hallucinationen <strong>für</strong> sich aber sind noch kein Irreseyn, obschon es veranlassend <strong>und</strong><br />

begleitend. Erst wenn der Kranke die subjektive Sinnestäuschung <strong>für</strong> objektiv Reales oder<br />

ausser ihm Wirkliches hält, ist er ein Irrer"; klar genug, nicht alle Phantasien werden zu<br />

Wahnerscheinungen erklärt.<br />

Es gibt <strong>für</strong> mich zwei Gründe, warum ich Blumröder zitiere. Erstens, weil er ebenso<br />

wie Schreber persische Gottheiten erwähnt, um etwas Wahres in poetischer Weise zu<br />

erklären; <strong>und</strong> zweitens, weil Schrebers Phantasien ihm irreführend als “wahnhafte<br />

Vermischung” oder “wahnhaftes Material” (Niederland, 1978, S. 130) oder gar als<br />

“Wortsalat” (S. 11) ausgelegt wurden. Phantasie ist im Alltagsleben wie in der Literatur ein<br />

psychologisches Geschehen <strong>und</strong> Begriff, ein Bild der Einbildungskraft, eine Vorstellung.<br />

Wahn dagegen ist ein psychiatrisches <strong>und</strong> forensisches Konzept mit ernsthaften rechtlichen<br />

Konsequenzen, was sich etwa daraus ergibt, wie Schreber durch seine Psychiater behandelt<br />

worden ist (Lothane, 1992a, 2004, 2010b).<br />

Da Kraepelin der Generation angehörte, welche mit den Psychikern brach, ordnete er<br />

die Halluzinationen als gr<strong>und</strong>legende "Erscheinung des Irreseins" <strong>und</strong> als “Störungen des<br />

Wahrnehmungsvorganges” ein (1896, 1899) <strong>und</strong> nicht als Erscheinungen der Einbildung.<br />

19


Man vergleiche dies mit dem methodologischen Ansatz des Psychikers Leubuscher (1852)<br />

aus der anthropologischen Perspektive heraus:<br />

„das Wort Sinnestäuschung [ist] nicht anzuerkennen, denn die Sinne selbst<br />

täuschen sich nicht, <strong>und</strong> wir dürfen eigentlich nur von T ä u s c h u n g e n<br />

d u r c h d i e S i n n e r e d e n (S. 2). Sie entsteht 1) durch <strong>und</strong> bei dem<br />

u n w i l l k ü r l i c h ablaufenden p h a n t a s t i s c h e n Spiel der<br />

V o r s t e l l u n g e n ; 2) durch einen Affekt oder eine Leidenschaft; 3) durch den<br />

Willen, durch auf eine bestimmte Vorstellung gerichtete <strong>und</strong> fixierte Intention (S.<br />

27). Man könnte die letztere Weise der Hallucinationen als p s y c h i s c h e<br />

bezeichnen, insofern sie a l l e i n von der Erregung der den Vorstellungen,<br />

Gefühlen <strong>und</strong> Willensäusserungen dienenden Nerventheile abhängen, die selbst<br />

durch psychische Ursachen hervorgerufen ist; […] Die specielle Darstellung der<br />

Ursachen zeigt, wie oft die Hallucination des Einzelnen nur die<br />

V e r d i c h t u n g dieser allgemein in der Zeit schwebenden Vorstellung<br />

gewesen ist“ (S. 32) (Sperrung im Original).<br />

Dagegen lehrte Kraepelin, daß das “Gemeinsame dieser ganzen Gruppe von<br />

Sinnestäuschungen liegt in der vollkommen s i n n l i c h e n D e u t l i c h k e i t<br />

derselben. […] Die Kranken g l a u b e n nicht nur, zu sehen, zu hören, zu fühlen, sondern<br />

sie sehen, hören, fühlen w i r k l i c h “ (1896, S. 100; Sperrung im Original) Aber da ist<br />

das Problem: was ist “wirklich” <strong>und</strong> <strong>für</strong> wen? Wer hat da das Recht zu urteilen? Wir können<br />

unter keinen Umständen wissen, was die Patienten sehen. Schreber unterschied sehen mit dem<br />

„leiblichen Auge“ (S. 157) von „mit dem geistigen Auge sehen" (S. 123). Es ist daher nicht<br />

Aufgabe des Psychiaters zu entscheiden ob die Kranken etwas „wirklich“ sehen sondern<br />

ausschließlich, dem Patienten zuzuhören, den Sinn seiner Erfahrung zu verstehen <strong>und</strong> sein<br />

Verstädnis dem Kranken mitteilen, wie es Freud sah: “in jedem Wahn steckt auch ein<br />

Körnchen Wahrheit, es ist etwas an ihm, was wirklich den Glauben verdient, <strong>und</strong> dieses ist<br />

die Quelle der also so weit berechtigten Überzeugung des Kranken” (Freud, 1907, S. 108).<br />

Freud nannte das psychische Realität, ich schlage da<strong>für</strong> emotionale Realität vor. Schreber war<br />

einverstanden: „Ich bin der Meinung, daß den meisten Vorstellungen des Volksaberglaubens<br />

irgendein Körnchen Wahrheit, irgendeine Ahnung übersinnlicher Dinge zugr<strong>und</strong>e liegt“<br />

(Schreber, S. 339), so daß Schrebers Visionen <strong>und</strong> Vorstellungen seine emotionale Realität<br />

waren.<br />

Schreber stimmte diesen Worten Kraepelins zu: „Ich will durchaus nicht bezweifeln,<br />

daß man es in sehr vielen derartigen Fällen mit bloßen Sinnestäuschungen zu thun haben mag,<br />

als welche sie in dem genannten Lehrbuche durchweg behandelt werden“ (S. 78). Aber er<br />

stimmte durchaus nicht Kraepelins Meinung über den "ü b e r n a t ü r l i c h e n<br />

Charakter der gehörten Stimmen” zu (S. 110; Sperrung im Original), angewandt auf sich<br />

selbst, da er sich selbst nicht als Geisteskranken sah, sondern als einen Mystiker:<br />

20


„Allein, die Wissenschaft würde meines Erachtens doch sehr unrecht thun, wenn<br />

sie alle derartige Erscheinungen als jeder objektiven Realität entbehren als<br />

„Sinnestäuschungen“ in die allgemeine Rumpelkammer der unwirklichen Dinge<br />

werfen wollte, wie dies vielleicht bei den von Kräpelin Seite 108 ff. behandelten,<br />

mit übersinnlichen Dingen nicht in Zusammenhang stehenden Sinnestäuschungen<br />

gerechtfertigt sein mag. Ich halte es durchaus nicht <strong>für</strong> ausgeschlossen, daß es<br />

sich wenigstens in einer gewissen Anzahl derartiger Fälle um wirkliche<br />

Geisterseher niederen Grades“ (S. 78-79; Schrebers Hervorhebungen).<br />

Ganz ähnlich urteilte Schreber über die Medien:<br />

„Auch die sogen. Medien der Spiritisten dürften, wenn schon in vielen Fällen<br />

Selbsttäuschung <strong>und</strong> Betrug mit unterlaufen mag, doch in einer nicht geringen<br />

Zahl von anderen Fällen als wirkliche Geisterseher niederen Grades in dem<br />

angegebenen Sinne anzusehen sein. Man hüte sich also in solchen Dingen vor<br />

unwissenschaftlicher Generalisierung <strong>und</strong> vorschneller Aburtheilung“ (S. 79-80).<br />

Und Schreber debattierte Kraepelin, wie er zuvor Weber disputierte:<br />

„Auf der andern Seite wird man von einer «Unfähigkeit des Kranken zu scharfer<br />

<strong>und</strong> durchgreifender Berichtigung der neuen Vorstellungen an der Hand der früher<br />

gemachten Erfahrungen», S. 146 <strong>und</strong> von einer „Urtheilsschwäche“, Kräpelin S.<br />

145 bei mir nach dem gesamten Inhalt der gegenwärtigen Arbeit wohl schwerlich<br />

etwas entdecken können. Ich glaube bewiesen zu haben, daß bei mir [Ergänzung<br />

Schrebers] nicht bloß eine «gedächtnismäßige Beherrschung feststehender<br />

Gedankenreihen <strong>und</strong> früher erworbener Vorstellungen» vorliegt, sondern daß<br />

auch die «Fähigkeit zu kritischer Berichtigung des Bewußtseinsinhaltes mit Hilfe<br />

von Urteil <strong>und</strong> Schluß» (S. 146) in voller Schärfe vorhanden ist“ (Fussnote No.<br />

42).<br />

Bleibt die Frage, wie erkennt man nun einen wirklichen Mystiker? Man kann vielleicht beim<br />

Propheten Hesekiel, beim Heiligen Johannes vom Kreuz, bei der Heiligen Theresa von Avila,<br />

wie Schreber, aber ebenso bei der Hildegard von Bingen, der Mechtild von Magdeburg oder<br />

Jakob Böhme (Buber, 1923). Und Schreber erklärt:<br />

„ Dabei betone ich von neuem, wie schon an anderer Stelle (Kap. VI der<br />

Denkwürdigkeiten) geschehen, daß ich nicht im mindesten Anstand nehme, das<br />

Vorhandensein eines krankhaft erregten Nervensystems als Voraussetzung <strong>für</strong> das<br />

Hervortreten aller derartiger Erscheinungen [„Stimmen“, „Visionen“]<br />

anzuerkennen. [...]" Der Mensch mit ges<strong>und</strong>en Nerven ist eben demjenigen<br />

gegenüber, der infolge seiner krankhaften Nervenverfassung übersinnliche<br />

Eindrücke empfängt, sozusagen geistig blind, er wird daher den Visionär<br />

ebensowenig von der Unwirklichkeit der Visionen überzeugen können, wie etwa<br />

der körperlich sehende Mensch von dem (körperlich) Blinden sich einreden läßt,<br />

daß es keine Farben gebe, Blau nicht Blau, Rot nicht Rot sei usw.“ (S. 306-308).<br />

Ganz ähnlich haben andere stationäre Patienten von sich aus behauptet, daß ihnen während<br />

psychotischer Episoden wichtige mystische Einsichten zuteil geworden seien (Boisen, 1936,<br />

1960; Custance, 1952, 1954). Zuletzt hat Obeyesekere (2012) Schrebers als Visionär<br />

gutgeheißen. Wie dem auch sei, bleibt auch die Frage übrig: was ist Halluzination?<br />

Wahn <strong>und</strong> Halluzination<br />

21


Keine andere Manifestation des Seelenlebens hat unter Psychiatern so viele Diskussionen<br />

hervorgerufen wie die Theorien über Wahn <strong>und</strong> Halluzinationen, endend in unzähligen<br />

Antinomien <strong>und</strong> Aporien. Goethe hat das Problem auf den Punkt gebracht: „Die Sinne trügen<br />

nicht, aber das Urteil trügt.“ Um das besser zu verstehen, habe ich eine methodologische<br />

Analyse vorgenommen (Lothane, 1982, zitiert bei Spitzer, 1988). Die Mißverständnisse über<br />

die Natur der Halluzinationen rühren von daher, daß Wahrnehmung <strong>und</strong> Vorstellung<br />

miteinander vermischt werden (Russell, 1921; Ryle, 1949; Sartre, 1940; Strauss, 1962). Die<br />

Psychiater wurden Opfer eines philosophischen Fehlers, indem sie Wahrnehmung mit<br />

Vorstellung gleichsetzten, d. h. in Bildern zu denken, was auf David Hume (1711-1776)<br />

zurückgeht: “Leute fortwährend Dinge mit ihrem geistigen Auge sehen <strong>und</strong> im Geiste hören,<br />

kein Beweis kein Beweis da<strong>für</strong>, daß die Dinge existieren, die sie sehen <strong>und</strong> hören, oder daß<br />

diese Leute wirklich etwas sehen oder hören. So wie etwa ein Bühnenmord ein Opfer fordert<br />

<strong>und</strong> kein Mord ist, kann man etwas im Geiste sehen unabhängig von der Existenz des<br />

Gesehenen oder dem Ereignis von Sehakten“ (Ryle, 1949, p. 245; Übersetzung S. 335f.).<br />

Denken in Bildern bzw. Vorstellungen hat Freud (1900) methodologisch klargestellt:<br />

„Der Traum denkt also vorwiegend in visuellen Bildern [<strong>und</strong>] auch mit<br />

Gehörsbildern <strong>und</strong> in geringerem Ausmaße mit Eindrücken [Bildern, Z. L.] der<br />

anderen Sinne. Vieles wird auch im Traum einfach gedacht oder vorgestellt<br />

(wahrscheinlich also durch Wortvorstellungen vetreten), ganz wie sonst im<br />

Wachen. Charakteristisch <strong>für</strong> den Traum sind aber doch nur jene Inhaltselemente,<br />

welche sich wie Bilder verhalten, d.h. den Wahrnehmungen ähnlicher sind als den<br />

Erinnerungvorstellugen.... [D]er Traum h a l l u z i n i e r t, daß er Gedanken<br />

durch Halluzinationen ersetzt. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied<br />

zwiszchen visullen <strong>und</strong> akustischen Vorstellungen ... <strong>und</strong><br />

Erinnerungsvorstellung[en]. ... Aus diesen Bildern gestaltet der Traum eine<br />

Situation, er stellt etwas als gegenwärtig dar, er d r a m a t i s i e r t eine Idee“ (S.<br />

52-53; Sperrung Freuds).<br />

1937 verknüpfte Freud das Halluzinieren mit Erinnerungen in der psychoanalytischen Kur:<br />

„(die Patienten) bekamen lebhafte Erinnerungen, von ihnen selbst als<br />

‘überdeutlich’ bezeichnet, [die] Details z. B. die Gesichter der [in der<br />

Konstuktion] genannten Personen überscharf, oder die Räume. Diese<br />

Erinnerungen hätte man Halluzinationen nennen können, wenn zu ihrer<br />

Deutlichkeit der Glaube an ihre Aktualität hinzukommen wäre bei anderen, gewiß<br />

nicht psychotischen Fällen. Vielleicht ist es ein allgemeiner Charakter der<br />

Halluzination, bisher nicht gewürdigt, daß in ihr etwas in der Frühzeit Erlebtes<br />

<strong>und</strong> dann Vergessenes wiederkehrt. Und bei der nahen Beziehung der<br />

Halluzinationen zu bestimmten Formen von Psychose sind die Wahnbildungen<br />

nicht so unabhängig vom Antrieb des Unbewußten <strong>und</strong> von der Wiederkehr des<br />

Verdrängten. Das ist doch auch der uns bekannte Mechanismus des Traumes, den<br />

schon uralte Ahnung dem Wahnsinn gleichgesetzt hat“ (S. 53-54).<br />

22


Es ist klar genug, daß die altehrwürdige Definition, Halluzinationen seien<br />

Sinneswahrnehmungen ohne Objekt, in sich widersprüchlich <strong>und</strong> daher falsch ist. Es ist<br />

absurd, ein positves Phänomen, eine Vorstellung, als defekte Wahrnehmung zu definieren, als<br />

etwas, was einen Defekt des Gehirns oder der Nerven zur Ursache hat; es ist absurd, passiv<br />

erlittene Defekte der Sinnesorgane oder des Muskelapparates mit Vorstellungen, also aktiven<br />

seelischen Vorgängen, zu verwechseln. Wenn man das Phänomen Halluzination wirklich<br />

verstehen will, muß man sich in Analogie zum Träumer als Person, d.h. dem Halluzinanten,<br />

zuwenden, denn er ist der Autor der Halluzinationen. Bislang war es üblich, den Unterschied<br />

zwischen Sinneswahrnehmung <strong>und</strong> Vorstellung am Beispiel der optischen Wahrnehmung <strong>und</strong><br />

lebhaften optischen Halluzinationen zu erläutern. Wenn es um akustische Wahrnehmung<br />

einerseits <strong>und</strong> akustische Halluzinationen in Form von gesprochenen Worten <strong>und</strong> dem lauten<br />

Hören der eigenen Gedanken andererseits geht, sind die phänomenologischen Unterschiede<br />

komplexer: "Weitaus die meisten Halluzinationen sind solche des Hörens, Wort-<br />

Halluzinationen, ... eher diskursartig <strong>und</strong> intellektuell, woraus sich die Beziehung zu<br />

Wahnideen erklärt." (Lothane, 1982, p. 341), <strong>und</strong> so auch Kraepelin:<br />

„G e h ö r s t ä u s c h u n g e n welche als «Stimmen» auftreten, ein Ausdruck, den der<br />

wahre Gehörshallucinant fast immer sogleich versteht. Der Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> liegt offenbar in der<br />

tiefgreifenden Bedeutung, welche die Ausbildung der S p r a c h e <strong>für</strong> unser Denken besitzt”<br />

(1896, S. 108). Klar, das Gehirn ist zwar das lebendige Organ, welches Gedächtnisfunktionen,<br />

Einbildungsbilder, Gedanken <strong>und</strong> Gefühle des ganzen Menschen ermöglicht, im wirklichen<br />

Leben ist es aber der Mensch, der die psychischen Funktionen bewirkt. Man kann zum<br />

Zwecke der Analyse das Ganze philosophisch, empirisch oder experimentell in seine Teile<br />

zerlegen, an der psychischen Realität ändert das aber nichts. Dagegen neigen die<br />

Neurophilosophen dazu, einzelne Teile des Gehirns zu personalisieren <strong>und</strong> zugleich den<br />

Menschen, die Person, zu depersonalisieren.<br />

Jaspers versus Freud<br />

Jaspers (1973) setzte Kraepelins Lehre der Halluzinationen fort indem er diese definierte als<br />

künstlich abstrahierte "Einzelphänomene" <strong>und</strong> "Elementarerscheinungen", “die f<strong>und</strong>mentalen<br />

Phänomene des Daseinbewußtseins, die isoliert zu betrachtenden Einzephänomene, wie z. B.<br />

Truwahrnehmungen, Gemütszustände, Triebregungen“ (p. 49). Jaspers (1973) selbst<br />

bezeichnete seine Betrachtungsweise als statisch, nicht genetisch (s. 23), also nicht<br />

dynamisch. In Folge davon gab er der Somatisierung eine neue Bedeutung, indem er<br />

"Lebhaftigkeit", das frühere dynamische Charakteristikum in Bezug auf Träumen,<br />

23


Imagination <strong>und</strong> Halluzinationen, durch das statische Konzept der Körperlichkeit oder<br />

"Leibhaftigkeit" ersetzte: “die [leibhaftigen] pathologischen Bewusstheiten [treten] völlig<br />

primär auf <strong>und</strong> mit diesem Charakter des Eindringlichen, Gewissen, Leibhaftigen“ (Jaspers,<br />

1973, S. 67) (Lothane, 1982). Diese „Leibhaftigkeit,“ vermutlich ein Kriterium der<br />

Objektivität, hat Jaspers von dem Russischen Psychiater Viktor Chr. Kandinskii, der selbst<br />

einen psychotischen Schub erlitt, übernommen, um das Konzept der "echten Wahnideen" zu<br />

formulieren, im Sinne Urphänomene, welche “psychologisch nicht weiter zurückzufolgen,<br />

sind phänomenologisch etwas Letztes. Bei [den echten Wahnideen] werden wir versuchen<br />

müssen, dem eigentlichen Wahnbestand des Wahnerlebnisses näherzukommen, wenn es auch<br />

nicht gelingt, uns in dies so fremdes Geschehen klar <strong>und</strong> anschaulich zu vergegenwärtigen“<br />

(S. 78). Gegen diese Auffassung wurden Einwände erhoben durch Kurt Goldstein (1912),<br />

Hüter (1929), <strong>und</strong> Schorsch 1934). Kurz <strong>und</strong> gut: der Phänomenologe sich wesentlich <strong>für</strong> die<br />

Form <strong>und</strong> das Physiologische des Krankhaften interessiert <strong>und</strong> nicht <strong>für</strong> dessen Inhalt. Jaspers<br />

war der Meinung, daß die Suche nach der Bedeutung des Inhalts zu endlosen Interpretationen<br />

zweifelhafter Art führen werde, wogegen das Auffinden von Formen des Bewußtseins ein<br />

sinnvolles Ziel <strong>für</strong> die deskriptive Psychopathologie sei. Da Jaspers seine Aufmerksamkeit<br />

vor allem den organisch definierten endogenen Psychosen zuwandte, war er an reaktiven<br />

Psychosen weniger interessiert, erstere als geeignet <strong>für</strong> die statische <strong>und</strong> organisch erklärende<br />

Psychologie, die lezterere dagegen <strong>für</strong> eine "verstehende Psychologie", die doch eine gewisse<br />

Affinität zu Freuds dynamischen <strong>und</strong> psychoanalytischen Psychologie hat. Niederland (1984)<br />

hat auch auf diese „ambiguity“—um nicht Feindlichkeit zu sagen—in Jaspers hingewiesen (S.<br />

166).<br />

Die Bedeutung von Emotionen<br />

Goethe lehrt: „Gefühl ist alles, Name Schall <strong>und</strong> Rauch.” Emotionen hat auch Kraepelin<br />

betont:<br />

„unter den Namen der Paranoia fasst eine grosse Zahl Deutscher Irrenärzte<br />

zusammen daß die Störung [Paranoia] sich hauptsächlich oder ausschliesslich<br />

a u f d e m G e b i e t e d e r V e r s t ä n d l i c h k e i t abspielt. In<br />

Gegensatz zu Manie <strong>und</strong> Melancholie, bei denen man die massgebenden<br />

Störungen auf dem Gebiete des Gefühlslebens erblickte, die bei [Paranoia]<br />

gelegentlich beobachteten Affectschwankungen sollten auschliesslich «sec<strong>und</strong>är»,<br />

durch Vermittlung von Wahnbildungen oder Sinnestäuschungen, zu Stande<br />

kommen. Es bedarf wohl kaum einer besonderer Ausführung, daß ich diese<br />

Entwicklung der Paranoiafrage <strong>für</strong> eine völlig verfehlte halten muss“ (1896, S.<br />

653- 655; Sperrung Kraepelin).<br />

24


Diese Ansicht, die auch Schreber teilte (d. h. daß er an einer Gemütskrankheit litt) <strong>und</strong> wird<br />

auch von Störring (1900), von Bleuler (1906, 1912a), Peters (1995), <strong>und</strong> schließlich von mir<br />

selbst geteilt (Lothane, 2004, 2009, 2010c, 2010d, 2010e).<br />

Weitere F<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Einsichten<br />

Wie gesagt, daß Schreber Vater <strong>und</strong> Sohn als Vorkämpfer der Nazi Ideologie zu bezichtigen<br />

eine plumpe Lüge <strong>und</strong> ein historischer Rufmord sei (Lothane, 1996). In seinem Reisser hat<br />

Morton Schatzman (1974) Moritz Schreber als Verfechter der Nazi Losung „Blut- <strong>und</strong> Boden<br />

Bekenntnis“ dargestellt (S. 208), als „Vorspiel der Ideologie der Nazis die 80 später<br />

Menschen aus Gründen der „Rassenhygiene“ oder „Ges<strong>und</strong>heit“ töteten“ (S. 211). Das<br />

„Boden“ Schrebers waren die Schrebergärten hingegen mit Blut <strong>und</strong> Boden waren „zwei der<br />

wichtigsten Begriffe in der Weltanschauung des Nationalsozialismus gemeint: die Rasse <strong>und</strong><br />

der Heimatboden auf dem sie entstanden, mit dem sie durch ihre Arbeit veb<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

verwachsen ist“ (Schmidt, 1934, S. 83). Die Nazis haben sich mit Moritz Schreber<br />

geschmückt (siehe auch Lothane, 2010d), genauso wie der prominenteste Nazi Ideologe,<br />

Alfred Rosenberg, der sich die geistigen Ideen Meister Eckharts aneignete. Nun entdecke ich<br />

letztens die Schriften von Dr. Johanna Haarer (1934, 1936, 1943) <strong>und</strong> über Haarer<br />

(Chamberlain, 1996, 1997), die bislang von keinem Schreber-Biograph erwähnt worden sind,<br />

deren Schriften bis 1987 eine Gesamtauflage von ca. 1,2 Millionen erreichten <strong>und</strong> noch in den<br />

1960er Jahren als Lehrbuch in Berufs- <strong>und</strong> Fachschulen dienten (Wikipedie). Hitler <strong>und</strong> seine<br />

Jünger waren gewiß nicht mit Schrebers Kallipädie erzogen. Hitler hatte seien eigene<br />

Jugenderziehungsmethode, welche die nächste Generation <strong>und</strong> die Hitlerjugend inspirierte:<br />

„Meine Pädagogik is hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. In meinen<br />

Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken<br />

wird. Eine gewalttätige, herrische, unbeschrockene, grausame Jugend will ich.<br />

Jugend muß das alles sein. Schmerzen muß sie ertragen. Es darf nichts Schwaches<br />

<strong>und</strong> Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muß wieder aus ihren<br />

Augen blitzen. Stark <strong>und</strong> schön will ich meine Jugend. Ich werde sie in allen<br />

Leibesübungen ausbilden lassen. Ich will eine athletische Jugend. daß ist das<br />

Erste <strong>und</strong> Wichtigste... Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen<br />

verderbe ich mir die Jugend. ... Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die<br />

Todesfurcht besiegen lernen“ (zitiert in Hofer, 1957, S. 88).<br />

In seiner homosexuellen Deutung Paul Schrebers Phantasien hat Freud die<br />

Androgynität außer Acht gelassen, obwohl er Alfred Adlers Aufsatz, „Der psychische<br />

Hermaphroditismus in Leben <strong>und</strong> in der Neurose. Fortschritte der Medizin 1910, Nr. 10“<br />

(1911, S. 277) zitierte. Erstaunlicherweise, Freud scheint seinen Prioritätstreit mit Fliess <strong>und</strong><br />

Swoboda über Bisexualität vergessen zu haben!(Lothane, 2010d). Schreber fantasierte seine<br />

25


Frauenwerdung als eine „Rückbildung oder eine Umkehr desjenigen Entwicklungsprozesses,<br />

der in jeder menschlichen Leibesfrucht im vierten oder fünften Monate der Schwangerschaft<br />

stattfindet, je nachdem die Natur dem künftigen Kinde das männliche oder das weibliche<br />

Geschlecht zuertheilen will. In den ersten Monaten der Schwangerschaft sind bekanntlich<br />

beide Geschlechter angelegt“ (S. 53), vielleicht eine Anspielung an Ernst Heinrich Weber, des<br />

Vaters Biographen, der 1846 die Prostata <strong>und</strong> die Gebärmutter als homologe Strukturen<br />

gleichsetzte. Relevant im Zusammenhang mit psychischem Hermaphroditismus sind auch<br />

zwei Aufsätze (1983, 1986) Günter Ammons, aber ohne Schreber oder Freud über Schreber,<br />

zu erwähnen.<br />

Schreber hat mehrmals den „Machtfaktor“ (S. 247) erwähnt: „Macht“,<br />

„Machtenfaltung“, „Machtmittel“ <strong>und</strong> „Willensmacht“, die „Machtfrage..., in welchen das<br />

Recht des Stärkeren entscheidet (S. 60); ironisch, dass die „Machtbefugnisse des Professor<br />

Flechsig als Verwalter einer Gottesprovinz bis nach Amerika erstreckt haben müssen“ (S. 98);<br />

sachlich, dass die „tatsächlichen Macht, die den Leitern derartiger Anstalten über die Person<br />

der darin Aufgenommenen eingeräumt werden muß“ (S. 364). Freud hat wenig über Macht<br />

geschrieben, dagegen war der Machtrieb ein Gr<strong>und</strong>begriff Adlers, den Nietzsche’s Wille zur<br />

Macht inspirierte.<br />

Ich vermute daß auch Schreber von Nietzsche inspiriert worden war. Als Referendar<br />

in Chemnitz könnte Schreber Nietzsches ersten Verleger (Morgenröthe, Also Sprach<br />

Zarathustra), Ernst Schmeitzner, begegnet haben. Schon das vielgelesene Zarathustra könnte<br />

ihn auf Ariman, Ormuzd <strong>und</strong> Zoroaster aufmerksam gemacht haben. Man findet bei ihm<br />

etliche Parallelen zu Nietzsche <strong>und</strong> zwar: (1) die Idee des „ewigen Kreislaufs der Dinge, der<br />

der Weltordnung zugr<strong>und</strong>e liegt“ (S. 19) – die Lehre von ewiger Wiederkehr; (2) „Der Begriff<br />

der Schuld oder der Sünde ist ein menschlicher Begriff, der sich auf Seelen vermöge ihrer von<br />

der menschlichen abweichenden Eigenart im eigentlichen Sinne gar nicht anwenden läßt. Von<br />

Seelen kann man eben die menschlichen Tugenden der Ausdauer, Entsagungsfähigkeit usw.<br />

nicht verlangen (S. 162)—Umwertung Aller Werte, „Jenseits von Gut <strong>und</strong> Böse“,<br />

„Genealogie der Moral“; (3) „[in Betreff] den Glaubenssätzen unserer positiven Religion...<br />

will ich keineswegs gesagt haben, daß ich alle christlichen Glaubenssätze im Sinne unserer<br />

rechtgläubigen Theologie als wahr anerkenne“ (S. 3); „meine „Denkwürdigkeiten“ – die<br />

gegenwärtige Arbeit – dereinst eine wichtige Erkenntnisquelle <strong>für</strong> den Aufbau eines ganz<br />

neuen Religionssystems werden sollten (S. 189)—„Gott ist tot,“ „Antichrist“; (4) "Neue<br />

Menschen aus Schreber‘schem Geist" (S. 288)—der Übermensch. Eine vollständigere Studie<br />

wird der Zukunft vorbehalten.<br />

26


Zum Schluß. Heute ist die Psychiatrie nochmals in einer Krise <strong>und</strong> einem Dilemma: haben<br />

wir es mit Hirn-Pathologie oder mit seelischen <strong>und</strong> sozialen Problemen zu tun? Vielleicht<br />

schmunzelt der Hirnanatom Flechsig in seinem Grabe: das Gehirn hat die Seele besiegt. Das<br />

chinesische Ideogramm <strong>für</strong> «Krise» läßt sich als Gefahr <strong>und</strong> Chance lesen. Hoffen wir, daß<br />

trotz aller Probleme dennoch Humanismus <strong>und</strong> Engagement <strong>für</strong> den Leidenden als das<br />

Leitlicht der Psychiatrie als Heilkunst erhalten bleiben wird. Wie es Buber sagte, wer eine<br />

Seele rettet, rettet die Welt.<br />

Literatur<br />

Ammon, G. (1983). Der androgyne Mensch. In Ammon (1988), Vorträge 1969-1988.<br />

München: Pinel-Verlag, S. 322-341,<br />

Ammon, G. (1986). Androgynität <strong>und</strong> ganzheitliches Menschenbild. In Ammon, 1988, S.<br />

354-367.<br />

Binding, Karl <strong>und</strong> Hoche, Alfred (1920). Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten<br />

Lebens. Ihr Maß <strong>und</strong> Ihre Form. Von den Professoren Dr. jur. et phil. Karl Binding<br />

früher in Leipzig <strong>und</strong> Dr.med Alfred Hoche in Freiburg. Leipzig: Meiner.<br />

Beyer, B. (1912). Die Bestrebungen zur Reform des Irrenwesens. Material zu einem Reichs-<br />

Irrengesetz, Für Laien <strong>und</strong> Ärzte. Halle: Marhold.<br />

Bleuler, E. (1906). Affektivität Suggestibilität <strong>und</strong> Paranoia. Marhold: Halle.<br />

Bleuler, E. (1912a). Das autistische Denken. Jahrbuch f. psychoanalytische u.<br />

psychopathologishe Forschungen, 4:1-39.<br />

Bleuler, E. (1912b). Rezension von Freud, 1911. Zentrallblatt <strong>für</strong> <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Psychotherapie</strong>, 2:343-348.<br />

Blumröder, Dr. Gustav (1836). Über das Irreseyn, oder anthropologisch-psychiatrische<br />

Gr<strong>und</strong>sätze. Für Aerzte <strong>und</strong> Psychologen. Leipzig:Wigand.<br />

Boisen, A.T. (1936). The exploration of the inner world A study of mental disorder and<br />

religious experience. Chicago: Willett, Clark & Co.<br />

Boisen, A.T. (1960). Out of the depths An autobiographical study of mental disorder and<br />

religious experience. New York: Harper & Brothers.<br />

Brandell, G. (1976). Freud – Kind seiner Zeit. München: Kindler.<br />

Buber, M (1923). Ekstatische Konfessionen. Gesammelt von MARTIN BUBER. Leipzig: Insel-<br />

Verlag.<br />

Chamberlain, S. (1996), Aus der Kinderstube des Herrenmeschen Über zwei deutsche<br />

Erziehungsbücher. psychosozial, 19(1, Nr, 63), pp. 95-114.<br />

Chamberlain, S. (1997). Adolf Hitler, die deutsche Mutter <strong>und</strong> ihr erstes Kind, Über zwei NS-<br />

Erziehungsbücher, Giessen: Psychosozial-Verlag.<br />

Custance, J. (1952). Wisdom, madness, and folly. The philosophy of a lunatic. New York:<br />

Pellegrini & Cudahy (pseudonym of Harry Powys Greenwood).<br />

Custance, J. (1954). Adventures into the unconscious. London: Christorpher Johnson.<br />

Dobrick-Kosten (1911). Videant consules ...! Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift, Nr.<br />

27, 265-269.<br />

Dobrick-Kosten (1912). Odium psychiatricum. Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift,<br />

Nr. 38, 381-383.<br />

Freud, S. (1900). Die Traumdeutung. Gesammelte Werke, Bd. 2/3.<br />

Freud, S. (1907). Der Wahn <strong>und</strong> die Träume in W. Jensens „Gradiva“. GW, Bd. 7.<br />

Freud, S. (1911). Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch<br />

beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides). GW, Bd. 8.<br />

27


Freud, S. (1937). Konstruktionen in der Analyse. GW, Bd. 16.<br />

Friedlander, H. (1995). The origins of Nazi genocide From euthanasia to the final solution.<br />

Chapel Hill, NC/London: The University of North Carolina Press.<br />

Goffman, E. (1973). Asyle.Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten <strong>und</strong> anderen<br />

Insassen. Frankfurt: Suhrkamp.<br />

Goldstein, K. (1912). Die Halluzination ihre Entstehung, ihre Ursachen <strong>und</strong> ihre Realität.<br />

Wiesbaden: Bergmann.<br />

Haarer, J. (1934). Die deutsche Mutter <strong>und</strong> ihr erstes Kind, München: Lehmann.<br />

Haarer, J.(1936). Unsere kleinen Kinder, München: Lehmann.<br />

Haarer, J.(1943). Mutter, erzhähl von Adolf Hitler! Ein Buch zum Vorlesen, Nacherzählen<br />

<strong>und</strong> Selbstlesen <strong>für</strong> kleinere <strong>und</strong> größere Kinder. München: Lehmann.<br />

Hoche, A. (1936). Jahresringe Innensicht eines Menschenlebens. München: Lehmann. .<br />

Hofer, W. (1957). Der Nationalsozialismus Dokumente 1933-1945. Frankfurt: Fischer.<br />

Hüter, P. (1929). Das Halluzinationsproblem in der deutschen Literatur seit Jaspers. Halle:<br />

Marhold.<br />

Jaspers, K. (1973). Allgemeine Psychopathologie. Neunte, unveränderte Auflage. Berlin:<br />

Springer-Verlag.<br />

Kraepelin, E. (1896). Psychiatrie Ein Lehrbuch <strong>für</strong> Studirende <strong>und</strong> Aerzte. Fünfte,<br />

vollständing umgearbeitete Auflage. Leipzig: Barth. 6. Auflage, 1899.<br />

Kraepelin, E. (1917). H<strong>und</strong>ert Jahre Psychiatrie. Lecture, 1917, expanded and published in<br />

Zeitschrift <strong>für</strong> die gesamte Neurologie <strong>und</strong> Psychiatrie, 1918, 38: 161-275.<br />

Krauss, A.(1858-1859).Der Sinn im Wahsinn. Eine psychiatrische Untersuchung. Allgemeine<br />

Zeitschrift f. Psychiatrie, 15:617—671;16:10—35; 222-281.<br />

Leibbrand, W. (1956). Die spekulative Medizin der Romantik. Hamburg: Claassen.<br />

Leubuscher, R. (1852). Über die Entstehung der Sinnestäuschung. Ein Beitrag zur<br />

Anthropologie. Berlin: Ferd. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung.<br />

Lothane, Z. (1982). The psychopathology of hallucinations—a methodological analysis.<br />

British Journal of Medical Psychology, 55:335-348.<br />

Lothane, Z. (1989a). Freud, Flechsig and Weber revisited: an inquiry into methods of<br />

interpretation. Psychoanalytic Review, 79:203-262.<br />

Lothane, Z. (1989b). Vindicating Schreber's father: neither sadist nor child abuser. Journal of<br />

Psychohistory, 16:263-285.<br />

Lothane, Z. (1992a). In defense of Schreber Soul murder and psychiatry. Hillsdale,<br />

NJ/London: The Analytic Press.<br />

Lothane, Z. (1992b). The missing link -- Schreber and his doctors. History of Psychiatry,<br />

3:339-350.<br />

Lothane, Z. (1993a). Schreber's soul murder: a case of psychiatric persecution. In: De Goei L,<br />

Vijselaar J, eds. Proceedings 1st European Congress on the History of Psychiatry<br />

and Mental Health Care. Rotterdam: Erasmus, p. 96-103.<br />

Lothane, Z. (1993c). Le meurtre d'âme de Schreber: un cas de persécution psychiatrique. In<br />

Prado de Oliveira LE, ed., Le cas Schreber, la paranoïa et la culture. Paris:<br />

L'Harmattan; p. 193-208.<br />

Lothane, Z. (1993d). Schreber's feminine identification: paranoid illness or profo<strong>und</strong> insight?<br />

International Forum of Psychoanalysis, 2:131-138.<br />

Lothane Z. (1995a). Freudsche Fehlleistung. Die Zeit, 1995c; #18, April 28, p. 44.<br />

Lothane, Z. (1995c). Der Mann Schreber: Ein Leben, Neue Sicht <strong>und</strong> Einsicht. <strong>Psychoanalyse</strong><br />

im Widerspruch, 14:5-15.<br />

Lothane, Z. (1995d). Die Wahrheit über Schreber: ein Leben, neue Sicht <strong>und</strong> Einsicht. In:<br />

Berger F(Hg.), H<strong>und</strong>ert Jahre psychoanalytische Methode. Wiesbaden: Herbsttagung<br />

der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung; p. 95-101.<br />

28


Lothane, Z. (1996). Die Verknüpfung von Sohn <strong>und</strong> Vater Schreber mit Hitler: ein Fall vom<br />

historischen Rufmord. Werkblatt, #36:108-127.<br />

Lothane, Z. (1997). The schism between Freud and Jung over Schreber: its implications for<br />

method and doctrine. International Forum of Psychoanalysis, 6(2):103-115.<br />

Lothane, Z. (1998a). Goethe, Schreber, Freud: Themes in metamorphosis.<br />

In: Marchioro, F, ed. Il divano, l'immaginario e la cura. Bolzano:<br />

Ricerche-IMAGO-Forschung; 1998a. p. 67-86.<br />

Lothane, Z. (1998b). Pour une défense de Schreber: meurtre d'âme et psychiatrie. In<br />

Devreese, D., Lothane Z., & Schotte, J., (Réd), Schreber revisité, Louvain: Presses<br />

Universitaires de Louvain, pp.11-29.<br />

Lothane, Z. (2000). Die Verteidigung Paul Schrebers: Selbstbiographie <strong>und</strong><br />

Seelenbehandlung. psychosozial (Giessen), 23(80):105—117.<br />

Lothane, Z. (2002a). Article “Schreber” in: de Mijolla, ed. Dictionnaire de la psychanalyse,<br />

Paris: Calmann-Levy.<br />

Lothane Z. (2002b). Article “Schreber” in: Erwin E, Encyclopedia of Psychoanalysis. New<br />

York: Garland.<br />

Lothane, Z. (2002c). Paul Schreber’s sexual desires and imaginings: Cause or consequence of<br />

his psychosis? In: Socarides C.W. & Freedman, A. eds. Objects of desire The sexual<br />

deviations. Madison, CT: International Universities Press; 2002c.<br />

Lothane, Z. (2004). Seelenmord <strong>und</strong> Psychiatrie. Zur Rehabilitierung Schrebers. Gießen:<br />

Psychosozial-Verlag.<br />

Lothane, Z. (2005). Daniel Paul Schreber on his own terms, or how interpretive fictions are<br />

converted into historical facts. In: Holger Steinberg (Hrsg.) Leipziger<br />

psychiatriegeschichtliche Vorlesungen. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, pp. 129-<br />

156.<br />

Lothane, Z. (2006). Mass psychology of the led and the leaders, With some thoughts on<br />

current world events. International Forum of Psychoanalysis, 15(3):183-192.<br />

Lothane, Z. (2008a). Mit Schreber Freud die Stirn geboten. <strong>Psychoanalyse</strong> im Widerspruch,<br />

Nr. 40:61-90.<br />

Lothane, Z. (2009). Dramatology in life, disorder, and psychoanalytic therapy: A further<br />

contribution to interpersonal psychoanalysis. International Forum of Psychoanalysis,<br />

18, issue No. 3, “Dramatology and Interaction”, pp. 135-148.<br />

Lothane, Z. (2010a). Schreber as interpreter and thinker. Schweizer Archiv f. Neurologie u.<br />

Psychiatrie, 161(1):42-45.<br />

Lothane, Z. (2010b). Romancing psychiatry: Paul Schreber, Otto Gross, Oskar Panizza –<br />

personal, social, and forensic aspects. In: Felber, W., Heuer, G. M., Götz von<br />

Olenhusen, A., Nitzschke, B.Hg. Expressionismus <strong>und</strong> <strong>Psychoanalyse</strong>. 7.<br />

internationaler Otto-Gross-Kongress, Dresden, 2008. Marburg:<br />

LiteraturWissenschaft.de, S. 461-493.<br />

Lothane, Z.(2010c).Sandor Ferenczi dramatologist of love. Psychoanalytic<br />

Perspectives,71(1):165-182.<br />

Lothane, Z. (2010d). The legacies of Schreber and Freud. In: Schreber Revisited, guest-editor<br />

Zvi Lothane. European Journal of Psychoanalysis, N. 31 2010 II, pp. 9-68.<br />

Lothane, Z. (2010e). Dramatologie im Alltagsleben, bei Erkrankungen <strong>und</strong> in der analytischen<br />

Therapie : Ein weiterer Beitrag zur interpersonellen <strong>Psychoanalyse</strong>. Texte, 30(10):<br />

96-128. Wien: Passagen Verlag.<br />

Lothane, Z. (2011a). The teachings of honorary professor of psychiatry Daniel Paul Schreber<br />

J.D. to psychiatrists and psychoanalysts, or dramatology’s challenge to psychiatry<br />

and psychoanalysis. Psychoanalytic Review, 98(6):775-815<br />

Lothane, Z. (2011b). Lektionen zur Psychiatrie, erteilt von Professor h.c. <strong>und</strong> Dr. jur. Daniel<br />

Paul Schreber, Senatspräsident beim kgl. Oberlandesgericht a. D. In: Marneros, A.,<br />

29


Rohde, A. (Hrsg.) Festschrift zum 80. Geburtstag von Uwe Henrik Peters. Köln:<br />

ANA Publishers, pp. 135-198.<br />

Lothane, Z. (2011c). Dramatology vs. narratology: a new synthesis for psychiatry,<br />

psychoanalysis, and interpersonal drama therapy (IDT). Archives of Psychiatry and<br />

Psychotherapy, 4:29–43.<br />

Niederland, W. G. (1978). Das psychoanalytische Profil einer paranoiden Persönlichkeit.<br />

Suhrkamp.<br />

Niederland, W.G. (1984). Epilogue. 2te Auflage von Niederland, 1978.<br />

Obeyesekere, G. (2012). The awakened ones Phenomenology of visionary experience. New<br />

York: Columbia University Press.<br />

Peters, U. H. (1995). Daniel Paul Schrebers, des Senatspräsidenten Krankheit. Fortschitte<br />

Neurologie Psychiatrie, 63:469–479.<br />

Plievier, T. (1952). Stalingrad. München: Desch.<br />

Russell, B. (1921). The analysis of mind. London: Allen & Unwin.<br />

Ryle, G. (1949). The concept of mind. New York: Barnes & Noble.<br />

Sartre, J. P. (1940). L’Imaginaire. Paris: Gallimard.<br />

Schatzman, M. (1974). Die Angst vor dem Vater. Reinbek: Rohwolt.<br />

Schmidt, H. (1934). Philosophisches Wörterbuch. Leipzig: Kröner.<br />

Schorsch, G. (1934). Zur Theorie der Halluzinationen. Leipzig: Barth.<br />

Schreber DP. (1903). Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken nebst Nachträgen <strong>und</strong> einem<br />

Anhang über die Frage:“ Unter welchen Voraussetzungen daß eine <strong>für</strong> geisteskrank<br />

erarchtete Person gegen ihren erklärten Willen in einer Heilanstalt festgehalten<br />

werden?“ von Dr. jur. Daniel Paul Schreber, Senatspräsident beim kgl.<br />

Oberlandsgericht Dresden a. D. Leipzig: Oswald Mutze.<br />

Spitzer, M. (1988). Halluzinationen Ein Beitrag zur allgemeinen <strong>und</strong> klinischen<br />

Psychopathologie. Berlin: Springer.<br />

Störring, G. (1900). Vorlesungen über Psychopathologie in ihrer Bedeutung <strong>für</strong> die normale<br />

Psychologie mit Einschluss der psychologischen Gr<strong>und</strong>lagen der Erkenntnistheorie.<br />

Leipzig: Engelmann.<br />

Strauss, E.W. (1962). Phenomenology of hallucinations. In: West, J.L., ed., Hallucinations.<br />

New York: Grune & Stratton.<br />

Weber, E.H. (1846). Zusätze zur Lehre vom Baue <strong>und</strong> den Verrichtungen der<br />

Geschlechtsorgane. Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung.<br />

Wikipedie. http://de.wikipedia.org/wiki/Johanna_Haarer<br />

30

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!