Gitterleben - Alltag im Knast - Ulmer Echo
Gitterleben - Alltag im Knast - Ulmer Echo
Gitterleben - Alltag im Knast - Ulmer Echo
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Gefangenenmagazin aus der JVA Düsseldorf <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />
ULMER<br />
ECHO<br />
Sonderausgabe 2007<br />
<strong>Gitterleben</strong><br />
<strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>
Liebe Leserinnen und<br />
Leser des ULMER ECHO,<br />
unsere Sonderausgabe „<strong>Gitterleben</strong><br />
– <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>” liegt<br />
nun inhaltlich überarbeitet mit<br />
völlig neuem Gesicht vor. Verschiedenen<br />
Aspekten des Lebens<br />
hinter Gittern gehen die Artikel<br />
von inhaftierten Männern nach.<br />
Wer sind die Adressaten? Wir denken an Presseleute,<br />
Studierende der Juristerei oder Sozialwissenschaften,<br />
Gruppen, Schulklassen, auch an Einzelpersonen:<br />
jedenfalls an Menschen, denen nicht egal ist, was Gefängnismauern<br />
dem Blick der Öffentlichkeit verbergen.<br />
Seien Sie herzlich begrüßt: Ihr Interesse freut uns<br />
und ehrt Sie!<br />
Wenn die für den Justizvollzug zuständigen Landesjustizministerien<br />
sich an die Öffentlichkeit wenden, stellt<br />
sich Vieles positiv dar. Auch wir finden z.B. schulische<br />
und berufliche Bildungsmaßnahmen <strong>im</strong> Vollzug absolut<br />
sinnvoll. Übersehen wird oft, dass für die Mehrzahl<br />
der Inhaftierten solche Maßnahmen gar nicht in Frage<br />
kommen: z.B. weil sie zu kurz inhaftiert sind oder fast<br />
die ganze Haftzeit in Untersuchungshaft verbringen.<br />
Weitgehend unsichtbar ist auch der trübe <strong>Alltag</strong> in den<br />
allermeisten Anstalten unseres Landes. Die Maßgaben<br />
des Strafvollzugsgesetzes (z.B. die Angleichung der<br />
Vollzugsbedingungen an die allgemeinen Lebensbedingungen;<br />
der Anspruch auf Wiedereingliederung)<br />
werden unzureichend umgesetzt. Der Staat selbst trägt<br />
so zu erneuten Straftaten bei. Ohne Unterstützung wird<br />
die Tür in die Freiheit für viele Entlassene zur Drehtür.<br />
Hier finden Sie die Perspektive der Betroffenen. Die<br />
Artikel in „<strong>Gitterleben</strong>” entspringen Erfahrungen und<br />
zeigen wie die Bilder, was Freiheitsentzug bedeutet<br />
und welche Zustände in JVAen herrschen. Damit soll<br />
Anstoß gegeben werden zu mehr Menschlichkeit <strong>im</strong><br />
Vollzug, vor allem aber zu energischer Suche nach<br />
Alternativen zum Freiheitsentzug. Wer anderen schadet<br />
und gegen Gesetze verstößt, wird in der Entmündigung<br />
des Vollzuges eher noch weiter verlernen, Freiheit verantwortlich<br />
zu leben. Inhaftierung schadet der Person,<br />
zerstört soziale Kontakte und n<strong>im</strong>mt in der Regel Wohnung<br />
und Arbeit.<br />
Wir verkennen nicht das Engagement Vieler <strong>im</strong> Vollzug.<br />
Ohne Unterstützung aus Politik und Öffentlichkeit<br />
verpufftt davon leider viel zu viel. Helfen Sie mit!<br />
I M P R E S S U M<br />
ULMER ECHO<br />
<strong>Ulmer</strong> <strong>Echo</strong> 2007<br />
Gefangenenmagazin aus der JVA Düsseldorf<br />
– seit 1975 –<br />
Sonderausgabe „<strong>Gitterleben</strong> – <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>”<br />
Komplett neu bearbeitet 2007<br />
Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich:<br />
P. Wolfgang Sieffert OP<br />
Redaktion dieser Ausgabe<br />
Oliver C. [oc]<br />
Alex B. [ab]<br />
Wolfgang Sieffert [ws]<br />
Titelgestaltung<br />
[ab/ws]<br />
Titelbild<br />
Tor zum Jugendhaus der <strong>Ulmer</strong> Höh’ [Foto: ws]<br />
Layout<br />
[ws/ab/oc]<br />
Auflage<br />
2.000 Exemplare (Erstdruck Neubearbeitung 2007)<br />
(Gesamtauflage 6.500 seit 1998)<br />
Druck<br />
Eigendruck auf Risograph RN 2000 EP<br />
Anschrift<br />
ULMER ECHO<br />
Ulmenstraße 95, 40476 Düsseldorf<br />
Emailadresse<br />
ulmerecho@gmx.de<br />
ULMER ECHO <strong>im</strong> Internet<br />
www.ulmerecho.de (mit Archiv u.v.a.m.)<br />
Träger<br />
Katholischer Gefängnisverein Düsseldorf e.V.<br />
Auskünfte<br />
0211/9486-230 oder -348<br />
Finanzierung<br />
Das ULMER ECHO finanziert sich ausschließlich aus<br />
Spenden und wird kostenlos abgegeben.<br />
Ohne Spenden kein ULMER ECHO.<br />
Spenden<br />
bitte an: Kath. Gefängnisverein,<br />
Postbank Köln; BLZ 370 100 50<br />
Kto.-Nr. 74558-506, Vermerk: ULMER ECHO<br />
Nachdruck erwünscht!<br />
Unter Angabe der Quelle und gegen Zusendung<br />
zweier Belegexemplare ist Nachdruck ausdrücklich<br />
gestattet.
<strong>Ulmer</strong> <strong>Echo</strong> 2007<br />
I N H A L T<br />
3<br />
<strong>Gitterleben</strong> – <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
1. Die JVA Düsseldorf<br />
Geschichte, Daten und Fotos der „<strong>Ulmer</strong> Höh’” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
Fotos und Daten der<br />
JVA Düsseldorf ........ ab Seite 4<br />
2. Ankunft & Alltägliches<br />
Eintritt in die Schattenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
Neu hier: Festnahme, Gewahrsam, Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
23 Stunden täglich auf 8 Quadratmetern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
0 bis 24 Uhr: Ein Tag in einer Notgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
Freistunde, Umschluss und Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
Laute Schlüssel und leise Schlüsselfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
3. Kommunikation & Besuch<br />
Endlich Besuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
Besuchsregelung auf der <strong>Ulmer</strong> Höh’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
Die Liebste am Telefon – ein seltenes Vergnügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
Trari, Trara, die Post – na, wo bleibt sie denn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Postzensur und Kommunikationsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
U-Haft: Enge Grenzen in der Pflege sozialer Kontakte . . . . . . . . . . . . . 17<br />
4. Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Das Revier – der richtige Ort für jedes Wehwehchen . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
Geschichtliches zum „Revier” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />
Da hilft nur noch Zahnziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
Hepatitis - die verkannte Volksseuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
Neu in der Ulm. Für viele ein<br />
Schock ................. ab Seite 13<br />
5. Sexualität<br />
Sexualität – was ist das eigentlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
Tabu: Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
Sexualität ist auch in der Haft nicht tot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />
Selbstbefriedigung unter Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
Das Thema berührt auch die Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
6. Besondere Härten<br />
Tumult in der Nacht (B-Zellenverlegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
Aufenthalte in der B-Zelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
Warten auf den Tag der Abrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
JVA-Tours (Rundreise <strong>im</strong> Justizexpress) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
Belegungsausgleich: Einmal JVA Essen und zurück . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />
In Eisen gelegt: Nachteile be<strong>im</strong> Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
Vollzugsalltag: auch harte Maßnahmen<br />
................ ab Seite 25<br />
7. Arbeit<br />
Der Bücherwurm (Büchereiarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
Putzen, schleppen, Esssen verteilen (Hausarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />
Schmutzige Wäsche (Ein Arbeitstag in der Wäscherei) . . . . . . . . . . . . . 38<br />
Der „Herr der Socken” (Kammerarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
Zwei zum Aufwischen (Der Revierhausarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
Zu wenig Arbeit für viel zu viele Gefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />
8. Integration/Migration<br />
Der Ausländerbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Moderne Verbannung (Abschiebung und Ausweisung) . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Es lebe der Sport (Integration) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
Abschiebehaft: politisch zu verantwortender Skandal . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
Arbeit: wichtig für Resozialisierung................<br />
ab Seite 34<br />
9. Entlassung<br />
Wiedereingliederung oder programmierter Rückfall? . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
Wirklich entlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
Ich hab’ mich so an Dich gewöhnt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />
Haft – was dann? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
4 Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />
Der Eingang der „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />
Die drei reinen Zellenflügel (heute A-, B- und C-Flügel<br />
genannt) zählten zusammen ca. 440 Hafträume; jeder<br />
hatte rund 8 qm. Hinzu kamen Zellen <strong>im</strong> D-Flügel, in dem sich<br />
heute unten neben Aufnahme und Kammer die K-Zellen für<br />
Transporter befinden, darüber Verwaltung und Kirche.<br />
Im Laufe des 20. Jahrhunderts geschahen einige bauliche<br />
Veränderungen: <strong>im</strong> CK-Gebäude (Chirurgisches Krankenhaus<br />
für ganz NRW) befinden sich heute Arbeitsräume und an den<br />
B-Flügel-Kopf wurde das Revier-Gebäude angesetzt. In den<br />
70er Jahren des 20. Jh. wurde zur Zeit der RAF-Prozesse nicht<br />
nur zur Ulmenstraße hin der E-Flügel mit ca. 65 Zellen<br />
gebaut, sondern auch die Besucherräume, die Fahrzeugschleuse<br />
und die „Hochsicherheitszellen”.<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Die JVA Düsseldorf wurde auf<br />
besonderem Boden erbaut.<br />
Im 17. Jahrhundert führte das Galgengässchen<br />
zu einem Hügel, auf<br />
dem damals in der Nähe des Aderhofes<br />
der Galgen stand, dort, wo heute<br />
die Ulmenstraße verläuft.<br />
Das heutige Gefängnis „<strong>Ulmer</strong><br />
Höh’” steht also an einer historisch<br />
nicht unbeleckten Stelle, was übrigens<br />
die Erbauer wohl nicht gewusst<br />
haben.<br />
Ab 1889 wurde das heutige<br />
Haupthaus (Männerhaus) als Kreuzbau<br />
errichtet, der heute noch besteht.<br />
1893 wurde die Ulm’als königlichpreußisches<br />
Gefängnis in Düsseldorf-Derendorf<br />
eröffnet.<br />
Belegung am 11.10.07:<br />
540 Gefangene <strong>im</strong> Männerhaus,<br />
78 <strong>im</strong> Jugendhaus<br />
Blick auf das CK-Gebäude (Werkbetriebe),<br />
davor der C-Hof<br />
Nur für Befugte: der Weg zwischen<br />
B-Flügelkopf und Außenmauer<br />
Von 1892 bis zum Jahre 1934 – also in einem Zeitraum von<br />
mehr als 40 Jahren – sind acht Mörder auf der <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />
hingerichtet worden. Auch der 2. Weltkrieg forderte seinen Tribut:<br />
durch Bombenabwurf starben in dieser Zeit 48 Häftlinge. Der<br />
Wiederaufbau der Strafanstalt von 1945 bis 1954 kostete nach der<br />
Währungsreform 1948 1,3 Millionen DM. Auch heute sind <strong>im</strong>mer<br />
wieder Renovierungen notwendig. Insoweit ist die Anstalt wie das<br />
Gesetz selbst, dem sie dient: alt und häßlich, <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Umbau, nie<br />
ganz fertig.
ULMER ECHO 2007<br />
Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />
5<br />
Blick über den A-Hof zum „Jugendhaus”<br />
Im Jugendhaus sind ausschließlich<br />
männliche<br />
Untersuchungsgefangene bis<br />
21 Jahre inhaftiert. Räumlich<br />
liegt das Gebäude direkt neben<br />
dem Gelände des Männerhauses:<br />
dennoch ist das Jugendhaus<br />
ein völlig separates<br />
Gefängnis mit Eingang von<br />
der Metzer Str., Werk- und<br />
Schulräumen sowie einem<br />
kleinen Sportplatz.<br />
Daten zur JVA Düsseldorf<br />
Zur JVA gehören Männerhaus und Jugendhaus in Düsseldorf<br />
Derendorf, Übergangshaus in D-Gerreshe<strong>im</strong> (Offener Vollzug<br />
mit 35 Plätzen) und Hafthaus Neuss (Frauen-Abschiebehaft,<br />
78 Plätze).<br />
Bedienstete <strong>im</strong> Allgemeinen Vollzugsdienst insegesamt: 256<br />
plus 17 AnwärterInnen.<br />
Jedes Jahr kommen ca. 3.000 Inhaftierte neu in die <strong>Ulmer</strong><br />
Höh’. Von ihnen werden ca. 2.000 in andere Anstalten verlegt,<br />
ca. 1.000 werden hier entlassen.<br />
Seit ca.150 Jahren erweist sich<br />
das Gefängnissystem als erfolglos<br />
zur Bekämpfung der Kr<strong>im</strong>inalität.<br />
Das Gefängnis lässt 2/3<br />
aller Inhaftierten rückfällig werden.<br />
Was machen sie mit einem<br />
Dienstleister, der zu fast 70%<br />
seine Aufgabe nicht erfüllt?<br />
Arbeit, Sport, Freizeit<br />
und Langeweile<br />
Strafgefangene sind zur Arbeit<br />
verpflichtet, Untersuchungsgefangene<br />
(das sind ca. die Hälfte<br />
der Gefangenen in der <strong>Ulmer</strong> Höh’)<br />
nicht. Die meisten möchten zwar<br />
arbeiten, ihnen kann aber keine Stelle<br />
zugeteilt werden, da zu wenig<br />
Arbeit in der Anstalt vorhanden ist.<br />
Es gibt zur Zeit in der <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />
ca. 130 Arbeitsplätze für zeitweise<br />
über 600 Gefangene.<br />
Es gibt eine Reihe von Freizeitangeboten<br />
wie Sport-, Sprach-, Kunstund<br />
andere Gruppen, deren Kapazität<br />
aber bei Weitem nicht für alle<br />
Gefangenen ausreicht. Die meisten<br />
Blick über den B-Hof auf den B-Flügel<br />
Plätze sind in den Sportgruppen,<br />
doch auch hier gibt es Wartelisten.<br />
Außerdem finden die meisten Sportgruppen<br />
nur einmal in der Woche statt.<br />
Leider fallen Sport und andere Gruppenangebote oft aus, weil Bedienstete krank sind oder anderweitig Lücken ausfüllen.<br />
Abhängen auf der Zelle und Langeweile ist daher für die Überzahl der Inhaftierten an der Tagesordnung.
6 Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Wer sitzt auf der Ulm?<br />
Die „Zuständigkeiten” einer JVA werden überörtlich<br />
festgelegt und können sich verändern. Heute<br />
befinden sich auf der Ulm’ alle Männer und Jugendlichen,<br />
die <strong>im</strong> Landgerichtsbezirk Düsseldorf in Untersuchungshaft<br />
genommen werden; außerdem aus dem gleichen<br />
Bezirk alle ausländischen erwachsenen Männer, die zwei<br />
bis vier Jahre Strafhaft abzusitzen haben. Diese beiden<br />
Gruppen bilden rund 80% der hier inhaftierten Menschen.<br />
Daneben sitzen auf der Ulm „Kurzstrafer”: verurteilte<br />
Männer mit Strafzeiten zwischen 3 und 18 Monaten aus<br />
dem Bezirk des LG Düsseldorf und anderer Landgerichte.<br />
Schließlich gibt es einzelne Inhaftierte, die wegen Tätertrennungen<br />
in Düsseldorf sitzen oder als besonders<br />
gefährlich gelten und deswegen hier in den Verstärkt<br />
Gesicherten Haftbereich (VGH, meist Hochsicherheit<br />
genannt) verbracht wurden.<br />
Welche Straftaten kommen vor?<br />
Kurz gesagt: alle. Da die Ulm’ die Untersuchungshaft<br />
für alle Düsseldorfer Gerichte vollzieht, finden<br />
sich hier auch die, die vor dem Landgericht wegen<br />
Mord, Betrug oder Untreue in größerem Umfang, schwerer<br />
Körperverletzung, sexuellen Missbrauch oder umfangreichen<br />
Rauschgifthandel angeklagt sind. Auch wer sich<br />
vor dem Oberlandesgericht z.B. wegen Terrorismus verantworten<br />
muss, sitzt in der Ulm’. Die Mehrheit der<br />
Gefangenen sitzen aber wegen kleinerer Straftaten und<br />
werden vor dem Amtsgericht angeklagt!<br />
7,8 bis 8,2 qm inkl. WC –<br />
ein Haftraum heute<br />
Jeweils eine der vier Ebenen eines<br />
Flügels bildet eine Abteilung<br />
8Quadratmeter, hier Wohnklo genannt. Da auch die <strong>Ulmer</strong><br />
Höh’ z.T. massiv überbelegt ist, wurden viele Einmannzellen<br />
durch Zugabe eines zweiten Bettes zu einer sogenannten Notgemeinschaft<br />
umgerüstet. In einer so kleinen Zelle gestaltet sich der Aufenthalt<br />
für zwei Leute schwierig.<br />
Fernseher und Radio gehören nicht zur Standardausrüstung, sondern<br />
müssen gekauft werden. Mittellose Gefangene können manchmal<br />
ein Fernsehgerät<br />
oder ein Radio von<br />
ihrer Abteilung leihen.<br />
In jeder Zelle gibt<br />
es seit den 60er Jahren<br />
des 20. Jh.<br />
Waschbecken und<br />
Toilette, vorher<br />
wurde „gekübelt”,<br />
also das Geschäft in<br />
einen E<strong>im</strong>er mit Dekkel<br />
verrichtet. Auch<br />
die sonstige Zelleneinrichtung<br />
war früher<br />
noch spartanischer.<br />
Private Gegenstände<br />
eines Gefangenen<br />
waren auf ein<br />
Haftraum um 1940<br />
Min<strong>im</strong>um reduziert.
ULMER ECHO 2007<br />
Die „Zentrale” der<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh’: von<br />
hier aus werden alle vier<br />
Flügel des Altbaus optisch<br />
überwacht. Mit der von<br />
Hand geschlagenen großen<br />
Glocke werden die regelmäßigen<br />
Tagesabschnitte eingeläutet<br />
(Wecken, Zellenaufschluss,<br />
Arbeitsbeginn<br />
etc.)<br />
Dieses „Nervenzentrum”<br />
befindet sich genau über<br />
dem „Spiegel”, der A-, B-<br />
und C-Flügel verbindet.<br />
Alle Gefangenen müssen<br />
diesen Bereich passieren um<br />
ihre Arbeitsplätze oder den<br />
Anwalt- und Besucherbereich<br />
zu erreichen. Der<br />
Zugang zum großen<br />
Duschraum befindet sich<br />
ebenfalls auf dem „Spiegel”.<br />
Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />
Die „Zentrale” über dem „Spiegel”<br />
7<br />
Wie eine kleine Stadt für sich<br />
So eine JVA ist wie eine kleine Stadt: da gibt es die verschiedenen<br />
„Wohnviertel”, das „Rathaus” mit JVA-Leitung und<br />
Verwaltung, das Sanitätsrevier, eine riesige Heizungsanlage,<br />
die Vollzugsgeschäftsstelle mit allen Akten der Gefangenen,<br />
Sportplatz, eine Küche (die bis zu 1.000 Essen kochen kann),<br />
die Garage mit Transportbussen, Schlosserei, Schreinerei,<br />
Wäscherei, eine Menge Büros für den Allgemeinen Vollzugsdienst,<br />
Sozialdienst, Psychologischen Dienst, eine Gefangenenbücherei<br />
und sogar die Redaktion einer eigenen Zeitung,<br />
des ULMER ECHOS.<br />
Platz für 350 Inhaftierte:<br />
die Gefängniskirche<br />
Gefängnisse zu<br />
bauen, um<br />
Verbrechen zu<br />
bekämpfen: das<br />
ist genau so, wie<br />
Friedhöfe gegen<br />
tödliche Krankheiten<br />
zu schaffen.<br />
uch ein eigener Kirchraum gehört zu<br />
Adieser abgeschotteten kleinen Stadt<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh’. Sie ist der einzige Raum ohne<br />
sichtbare Gitter. Hier werden regelmäßig<br />
katholische und evangelische, meist sehr gut<br />
besuchte Gottesdienste gefeiert. Der Raum<br />
steht auch fremdsprachigen und orthodoxen<br />
Gottesdiensten zur Verfügung. Hier probt die<br />
Rockband und auch bei Konzerten mit Gruppen<br />
von draußen wackeln schon mal die<br />
Scheiben. Dann sind die Bänke rammelvoll.<br />
Seelsorge <strong>im</strong> Gefängnis will in einer<br />
repressiven totalen Institution <strong>im</strong> Auftrag des<br />
Evangeliums als Mensch für Menschen<br />
dasein. Im Einzelgespräch wie in den Gottesdiensten<br />
versuchen die Seelsorger Kontakt,<br />
Trost, Selbstvergewisserung und Hoffnung<br />
zu vermitteln.
8 Ankunft & Alltägliches: Einfahren<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Letzte Einstellung<br />
Ein Traum? Ein Film? Mein Eintritt in die Schattenwelt <strong>Knast</strong><br />
Das letzte, was ich aus dem vergitterten<br />
Wagenfenster sehe,<br />
sind Menschen mit bunter Kleidung,<br />
die sich in Licht und Farbe auf der<br />
Straße bewegen. Könnte nicht jemand<br />
den Abspann einblenden? Hinter den<br />
Gittern beginnt schon die Welt der<br />
Schatten. Schmutziges Braun–Grau-<br />
Grün ... Quadratkilometer Mauern sind<br />
voll davon. Verfall und Geruch umgibt<br />
uns von nun an. Es riecht nach altem<br />
Männerschweiß, verdorbenem Essen;<br />
grauer Staub in allen Poren.<br />
Angst und Leid riechen schlecht,<br />
meine Damen und Herren. Man müsste<br />
hundert Jahre baden, um sich davon zu<br />
befreien. Verbinden Sie mir die Augen,<br />
drehen sie mich <strong>im</strong> Kreis und wir fahren<br />
Stunden übers Land: ich werde es<br />
am Geruch erkennen, wenn wir uns<br />
einem Gefängnis nähern.<br />
In der ersten Nacht halte ich stumme<br />
Zwiesprache mit der Tür, die sich<br />
nun nicht mehr einfach so nach meinen<br />
Wünschen und Bedürfnissen öffnen<br />
wird. Abenteuer und alle Wunder liegen<br />
<strong>im</strong>mer hinter den Türen. Mit der<br />
Wahrnehmung, was es eigentlich<br />
bedeutet, für unbest<strong>im</strong>mte Zeit seiner<br />
sprichwörtlichen Bewegungsfreiheit<br />
beraubt zu sein, schleicht sich Grauen<br />
unter die Haut. Von einem Moment auf<br />
Von Klaus H.<br />
den anderen aus der Welt gefallen. Und<br />
wie wenig es dazu bedarf – atemberaubend.<br />
speckiges Holz, bröckeliger<br />
Zement und hundertmal lackiertes<br />
Eisen. Alles atmet dumpfe Sinnlosigkeit.<br />
Hirnlose Vergeblichkeit in jeglichem<br />
Bemühen.<br />
Was unterscheidet den<br />
Menschen vom Tier?<br />
Der Rhythmus des <strong>Alltag</strong>s sind<br />
Schlüssel, die in Schlösser knallen,<br />
Stahltüren, die in ihren Angeln vibrieren,<br />
schwere Schritte <strong>im</strong> Auf und Ab<br />
der Flure und Treppen. Und er brennt<br />
sich ins Herz, Tag für Tag, wie die in<br />
ihrer Funktion erstarrten Menschen,<br />
die sich entschieden haben, ihr Leben<br />
mit der Verwaltung dieses Elends zu<br />
verbringen. Was mögen sie denken,<br />
wenn sie mit sich allein sind, welche<br />
Fragen mögen sie sich stellen?<br />
Oh, es gibt Gruppen für Sport,<br />
Betreuungsangebote dieser und jener<br />
Art; man kann für ein, zwei Euro pro<br />
Stunde Stecker in Tütchen verpacken.<br />
Es ist gerade so viel, dass wir nicht<br />
völlig irre werden an der Gewalt des<br />
Eingeschlossensein. Gerade so viel,<br />
dass wir die, die uns betreuen, nicht<br />
anfallen und in der Luft zerreißen.<br />
Gerade so viel, dass wir die Möglichkeit<br />
eines Weiterlebens danach an<br />
unseren guten Tagen erwägen können.<br />
Was den Menschen vom Tier unterscheidet,<br />
ist nicht so viel, wie es oft<br />
scheint. Der <strong>Knast</strong> ist die große geniale<br />
Maschine, die das Wesentliche auf<br />
biologische Bedürfnisse reduziert.<br />
Nahrungsaufnahme und –entsorgung<br />
sind hervorragend organisiert. Mindestbewegung,<br />
bemessen am mitteleuropäischen<br />
Durchschnitt, berechnet in<br />
verbrannten Kalorien, wird vom Veranstalter<br />
rückhaltlos garantiert. Im<br />
Namen des Volkes schreiten die Verurteilten<br />
<strong>im</strong> Uhrzeigersinn über den Freistundenhof,<br />
täglich eine oder zwei<br />
Stunden, jahrauf jahrab. Schließlich<br />
sind wir ja keine Unmenschen. •<br />
Aus UE 2/1998<br />
Neu hier<br />
Festnahme, Gewahrsam, Gericht, <strong>Knast</strong>: ein tiefer Fall ins Uferlose<br />
Bis vor ein paar Stunden verläuft<br />
mein Leben in so genannten<br />
ordnungsgemäßen Bahnen. Ich habe<br />
Familie, Beruf, Freunde und einige<br />
Hobbies. Dann kommt der Moment, in<br />
dem zwei Polizisten in Zivil vor meiner<br />
Tür stehen, mir den Haftbefehl<br />
eröffnen und durch Anlegen der Handschellen<br />
den Weg in ein anderes Leben<br />
weisen. Ich komme zunächst ins Polizeigewahrsam,<br />
wo ich jegliches Zeitgefühl<br />
verliere, da ich mich neben meiner<br />
Brille und aller persönlichen Dinge<br />
Von Uwe H.<br />
auch meiner Armbanduhr entledigen<br />
muss. Im Unterbewusstsein läuft mein<br />
bisheriges Leben als Film ab.<br />
Mein Leben als Film<br />
Ich sehe meine Frau, meinen 16-<br />
jährigen Sohn, meine Eltern: gut, dass<br />
sie diese Schmach nicht mehr erleben<br />
müssen. Alles Mögliche geht mir<br />
durch den Kopf; warum habe ich mich<br />
nur in diese Situation gebracht? Dann<br />
werde ich zum Verhör gebracht.<br />
Mein Anwalt konnte nicht erreicht<br />
werden. Bei der Gelegenheit wird mir<br />
offeriert, dass ich ohnehin keinen<br />
benötige, da ich sowieso bald wieder<br />
bei meiner Familie sein könne. Erst <strong>im</strong><br />
<strong>Knast</strong> wird mir von anderen Inhaftierten<br />
gesagt, dass dies die alte und<br />
<strong>im</strong>mer wieder angewandte Masche der<br />
Polizei sei: einer spielt den netten<br />
Onkel, zuständig für das Einlullen des<br />
Opfers, einer hört nur zu, und der dritte<br />
m<strong>im</strong>t den harten Verhörspezialisten.<br />
Ich hätte es aus unzähligen schlechten<br />
Kr<strong>im</strong>is wissen müssen.
ULMER ECHO 2007 Ankunft & Alltägliches: Einfahren<br />
9<br />
Jetzt beginnt der Alptraum<br />
Nach dem Verhör wird mir klar,<br />
dass mich die Beamten gelinkt haben.<br />
Ich gestehe ohne Not eine Tat: in der<br />
Hoffnung, auf die Zusagen der Beamten<br />
bauen zu können und später nach<br />
Hause entlassen zu werden. Natürlich<br />
lassen die mich nicht gehen. Sie erzählen<br />
mir, es habe am bösen Staatsanwalt<br />
gelegen. Wie <strong>im</strong> Kino.<br />
Am nächsten Morgen werde ich<br />
dem Haftrichter vorgeführt, der mir<br />
den Haftbefehl eröffnet und mich wie<br />
befürchtet in die U–Haftanstalt einweist.<br />
Ein paar Stunden muss ich in<br />
der Gerichtszelle warten, bis mich der<br />
Transportbus gemeinsam mit anderen<br />
Leidensgenossen, in mein vorübergehendes<br />
Exil, die <strong>Ulmer</strong> Höh', bringt.<br />
Jetzt wird es grausig. Im <strong>Knast</strong><br />
angekommen werden wir gemeinsam<br />
in eine Wartezelle gesperrt. Dann wird<br />
mein Name aufgerufen. In der „Kammer“<br />
muss ich mich ausziehen. Nicht<br />
nur meine rückwärtige Körperöffnung<br />
wird auf unerlaubte, versteckte Dinge<br />
in Augenschein genommen, alle<br />
meine privaten Sachen werden zum x-<br />
ten Mal ebenfalls durchsucht. Nach<br />
dieser Aktion darf ich auf eigenen<br />
Wunsch mein privates Bündel Anziehklamotten<br />
wieder an mich nehmen.<br />
Nachdem die Beamten mein Handy,<br />
Schlüsselbund, Personalausweis und<br />
4,21 Euro Kleingeld vereinnahmt<br />
haben – 1.200 Euro wurden schon<br />
nach der Festnahme durch den Haftrichter<br />
beschlagnahmt – werde ich mit<br />
den üblichen Utensilien Decke, Bettzeug<br />
und Geschirr auf die Zugangsabteilung<br />
gebracht. Die Zellentür knallt<br />
hinter mir zu, und ich befinde mich mit<br />
vier Mann auf einer „Hütte“. Glücklicherweise<br />
treffe ich hier Leute, die mir<br />
dabei behilflich sind, mich in meiner<br />
neuen Umgebung zurechtzufinden.<br />
Was wird jetzt nur auf mich zukommen?<br />
In meiner Hilflosigkeit wende<br />
ich mich bei der Abendessenausgabe<br />
mit ein paar Fragen an den begleitenden<br />
Beamten. Statt einer vernünftigen<br />
Auskunft speist er mich mit einem völlig<br />
überflüssigen Spruch ab. Es ist<br />
mittlerweile 18.15 Uhr, Nachteinschluss.<br />
Der Albtraum geht weiter ...<br />
Hotelvollzug? Nur geträumt<br />
Natürlich hatte ich mir infolge<br />
unterschiedlicher Medienberichte ein<br />
best<strong>im</strong>mtes Bild vom <strong>Knast</strong> gemacht –<br />
der wird ja <strong>im</strong>mer so dargestellt, als<br />
würden die Gefangenen mit Hotelservice<br />
verwöhnt. Eine Illusion, die total<br />
an der Realität vorbei geht.<br />
Die Zellentür bleibt bis zum nächsten<br />
Morgen geschlossen. Grauen<br />
schleicht sich bei mir ein, als mir<br />
bewusst wird, dass sich mein Leben in<br />
den nächsten Monaten, vielleicht sogar<br />
Jahren, auf einer Fläche von 8,5 qm<br />
abspielen wird, die eventuell sogar<br />
geteilt mit einem anderen Häftling.<br />
Übernächtigt werde ich um 06.15<br />
Uhr durch Schlüsselgerassel aus einem<br />
Traum gerissen. Ich soll das Frühstück<br />
entgegen nehmen. Mit 4 Scheiben Brot<br />
und einem Kännchen Muckefuck soll<br />
es mir gelingen, meinen Hunger zu<br />
stillen. Auf einem Stuhl stehend<br />
schaue ich durch die min<strong>im</strong>ale Wandöffnung,<br />
die sich Fenster nennt, auf<br />
einen Hof, auf dem soeben unter lautem<br />
Getöse Lieferantenfahrzeuge entladen<br />
werden. Es war eine schl<strong>im</strong>me<br />
Nacht. Wie viele werden noch folgen?<br />
Drei endlose Wochen verbringe ich<br />
auf dieser Abteilung, ohne Radio und<br />
ohne TV-Gerät** liege ich tagelang<br />
apathisch auf einer 8 cm dicken<br />
Schaumstoffmatratze und befürchte,<br />
paranoid zu werden. Außer der täglichen<br />
Freistunde auf dem Hof öffnet<br />
sich die Zellentür nur dre<strong>im</strong>al täglich<br />
ganz kurz zu den Mahlzeiten. Ich versuche<br />
einige Male Beamten in freundlichem<br />
Ton Fragen zu stellen, die<br />
abrupt unterbrochen werden mit dem<br />
Hinweis „Stellen Sie einen Antrag!“<br />
Weshalb soll ich Anträge stellen, wenn<br />
die ohnehin nicht bearbeitet werden?<br />
Oder wie ist es zu erklären, dass ich<br />
erst 3 Wochen nach erster Antragstellung<br />
und an-schließendem zwe<strong>im</strong>aligen<br />
Anmahnen die erbetenen Briefmarken<br />
erhielt, um meiner Frau endlich<br />
eine postalische Nachricht zukommen<br />
zu lassen.<br />
„Inhaftiert – was tun?“<br />
Gäbe es nicht diesen Wegweiser,<br />
der von den Redakteuren des Gefangenenmagazins<br />
ULMER ECHO erarbeitet<br />
wird, ich wäre schier verzweifelt.<br />
Nach und nach finde ich mich in den<br />
<strong>Alltag</strong> hier ein, und lerne eine Welt<br />
kennen, in der einfach alles anders ist<br />
als in der, in der ich vorher leben durfte.<br />
Wieviel einfacher könnte es einem<br />
gemacht werden, sich in dieser Umgebung<br />
zurecht zu finden, wenn die Bediensteten<br />
etwas mehr auf die Bedürfnisse<br />
der Neuankömmlinge eingehen<br />
würden!<br />
Mein vorläufiges Martyrium endet<br />
nach über 3 Wochen auf der Aufnahmeabteilung<br />
mit der Überführung auf<br />
eine andere Abteilung in eine „moderne“<br />
Zelle mit freistehendem Schrank<br />
und entsprechendem Mobilar, während<br />
ich auf der Zugangsabteilung meine<br />
Habseligkeiten nur in einem gemauerten<br />
Fach ablegen konnte. •<br />
* Aus UE 2/1998;<br />
aktualisiert [uz/ws] 2006<br />
** Heute sind auf allen Zellen der Zugangsabteilung<br />
TV-Geräte vorhanden.
10 Ankunft & Alltägliches: Zellenleben<br />
ULMER ECHO 2007<br />
23 Stunden täglich auf 8 Quadratmetern<br />
Angleichung der Lebensverhältnisse: an welches „Draußen“?<br />
Gemäß dem am 1. Januar 1977<br />
in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz<br />
best<strong>im</strong>mt der § 2 als Vollzugsziel,<br />
dass der Gefangene befähigt<br />
werden soll, künftig in sozialer Verantwortung<br />
ein Leben ohne Straftaten zu<br />
führen. Um das Vollzugsziel jedoch<br />
erreichen zu können, soll das Leben <strong>im</strong><br />
Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen<br />
draußen soweit als möglich<br />
angeglichen werden. Ich frage mich<br />
nun: welchem „Draußen?“<br />
Erfreulicherweise gibt es den letzten<br />
Jahren frischen Wind in den kargen<br />
Zellen: nach und nach neue Fußböden,<br />
neue Anstriche, hier und da neues<br />
Mobiliar, zuletzt sogar Fernsehgeräte<br />
für die ärmsten der Gefangenen, die<br />
auf der Zugangsabteilung verkümmern.<br />
Bis vor ein paar Jahren glichen<br />
viele Zellen dem Schlachtfeld eines<br />
Bürgerkrieges. Ein intakter Spind war<br />
da schon etwas Außergewöhnliches.<br />
Von Hermann S. *<br />
Einblick in eine Zelle<br />
Ein normaler Haftraum, <strong>im</strong> Volksmund<br />
auch Zelle genannt, misst in seinem<br />
Grundriss etwa 2 x 4 m (8 qm).<br />
Vergleichsweise bietet sich einem<br />
Schäferhund <strong>im</strong> Zwinger mehr gesetzlich<br />
vorgeschriebene Bewegungsfreiheit.<br />
An der hinteren Wand dieses<br />
„Zwingers“ öffnet sich zur Hofseite in<br />
einer Höhe von rd. 2 m ein rechteckiges<br />
Loch, nennen wir es mal Fenster.<br />
Es lässt mit seinen Ausmaßen von 1 x<br />
0,70 m zwar Tageslicht in den Raum,<br />
um jedoch einmal das Grau der Außenmauer<br />
erspähen zu können, bedarf es<br />
einiger Kl<strong>im</strong>mzüge mit Hilfe der Toilettenschüssel,<br />
die praktischerweise<br />
unterhalb der „Sehschlitze“ installiert<br />
ist. Eingemietet bin ich hier mit fließend<br />
kaltem Wasser, das neben der<br />
Toilette einem kleinen funktionierenden<br />
Wasserhahn entspringt. Zur Normausstattung<br />
dieser Herberge bietet sich<br />
dem Bewohner weiterhin ein stählernes<br />
Bettgestell, ausstaffiert mit einer 8<br />
cm dicken Schaumstoffunterlage, die<br />
be<strong>im</strong> morgendlichen Erwachen Rükken<br />
und Gelenke spürbar werden lässt.<br />
Weiterhin setzt sich das Zellenmobiliar<br />
zusammen aus Stuhl, Tischchen und<br />
einem Schrank, der meine armselige<br />
Habe nebst geringem Lebensmittelbestand<br />
aufnehmen kann. Das generöse<br />
Raumangebot wird durch einen kleinen<br />
Heizkörper und durch die Tatsache,<br />
dass die Tür sich nach innen öffnet,<br />
weiter eingeschränkt.<br />
Elektrogeräte<br />
setzen Geld voraus<br />
Eine 18-Watt-Weißlichtneonröhre<br />
ist eher als Fernsehleuchte zu gebrauchen,<br />
als dass sie ausreichend Licht<br />
spendet, um ohne Sehschaden meine<br />
Lehrvordrucke der Fernuniversität<br />
Hagen studieren zu können. Der überwiegende<br />
Teil meiner Leidensgenossen<br />
schützt sich vor den Strahlen dieser<br />
Sparlampe mittels abenteuerlicher<br />
Blendenkonstruktionen. Eine einsame<br />
Steckdose garantiert den permanenten<br />
Einmannzelle<br />
Umsatz unseres Elektro–Shops <strong>im</strong><br />
Bereich Dreifachsteckdosen. Auch die<br />
weiteren erlaubten Stromverbraucher<br />
müssen aus eigenem Geld, von dem<br />
viele hier rein gar nichts besitzen,<br />
erworben werden: eine kleine Halogen-Tischlampe,<br />
Kaffeemaschine, Radiorecorder<br />
und TV–Gerät. Mit viel<br />
Glück und dank Intervention meines<br />
Anwaltes darf ich das beschriebene<br />
Raumangebot alleine nutzen.<br />
Zu Zweit<br />
in einem Einzelwohnklo<br />
Die weniger Glücklichen leben in<br />
einer „Notgemeinschaft“. Diese Grausamkeit<br />
ist die Belegung einer Einzelzelle<br />
mit zwei Inhaftierten. Das bedeutet,<br />
dass das Stahlbett um ein weiteres<br />
Miefkörbchen aufgestockt wird und<br />
sich die Bewegungsfreiheit auf der<br />
beschriebenen Grundfläche durch<br />
Zugabe eines weiteren Spindes nebst<br />
Stuhl auf ein Min<strong>im</strong>um verringert.<br />
Diese überwiegend anzutreffende<br />
Doppelbelegung eines Einzelhaftraums<br />
deklariert die Anstalt als Not-<br />
Gemeinschaft.<br />
Die Menschenwürde bleibt auf der<br />
Strecke Eine besondere Härte trifft die<br />
Bewohner einer weiteren Version<br />
urbaner Hochkultur: es gibt nämlich<br />
auch Doppelzellen. Dafür wurde die<br />
Zwischenwand zwischen zwei Normalzellen<br />
heraus gebrochen und eine<br />
der Türen zugemauert. Das Platzangebot<br />
verdoppelt sich dadurch und<br />
erweitert sich sogar um die Grundfläche<br />
der Trennmauer. Dafür reduziert<br />
sich der Platz auf der Toilettenschüssel,<br />
denn in diesem Falle dürfen drei<br />
und nicht selten sogar 4 Personen dort<br />
Platz nehmen, <strong>im</strong> Wechsel natürlich.<br />
Durch Hinzugabe der weiteren erforderlichen<br />
Betten und Schränke fühlen<br />
sich hier Eingeschlossene langsam<br />
aber sicher so wohl, wie Hühner in<br />
einer Legebatterie. Falle ich als Inhaftierter<br />
etwa durch das Raster derer,<br />
denen die Verfassung Menschenwürde<br />
garantiert? •<br />
* Aus UE 1/1999, aktualisiert und<br />
überarbeitet 2005 [wm/ws]
ULMER ECHO 2007<br />
Ankunft & Alltägliches: Zellenleben<br />
11<br />
0 bis 24 Uhr: ein Tag in einer Notgemeinschaft<br />
Einzelzelle doppelt belegt – Gemeinschaft in Not<br />
Notgemeinschaft – ein salbungsvolles<br />
Wort mit abschreckender<br />
Wirkung für uns Inhaftierte.<br />
Es bedeutet mehr Not als<br />
Gemeinschaft. Ich beschreibe mal, wie<br />
es ist, mit einem Kollegen auf 8 qm<br />
auf einer solchen Hütte zusammengepfercht<br />
zu sein und welche Überlebensstrategie<br />
mir geholfen hat, diesen<br />
Alptraum zu überstehen. Er beginnt<br />
um 6 Uhr<br />
mit der Frühstücksausgabe. Der<br />
Tag fängt eigentlich gut an, da ich erstmals<br />
ausgeschlafen bin. Während ich<br />
meinen lauwarmen Muckefuck schlürfe,<br />
lustlos an einer mit Marmelade bestrichenen<br />
Brotstulle knabbere, schlägt<br />
die St<strong>im</strong>mung postwendend um. Mein<br />
Zellengenosse verschwindet hinter der<br />
kleinen Schamwand und zaubert aus<br />
reinem Sauerstoff ein übel stinkendes<br />
Luftgemisch. Der „Wohlgeruch“ verdauter<br />
Mahlzeiten verteilt sich gleichmäßig<br />
in unserem Wohnklo. Um<br />
8 Uhr<br />
plane ich die erste „Kippe“ zu drehen.<br />
Oh Gott, nur noch ein angebrochener<br />
Pack Halfzware. Wie soll es<br />
gelingen, mit dem kargen Rest weiterhin<br />
meine Lunge zu teeren? Der nächste<br />
Einkauf ist erst in 10 Tagen und<br />
mein Untermieter tauscht seinen<br />
Halfzware ständig, damit er sich ein<br />
„Pfeifchen“ stopfen kann. Ohne Skrupel<br />
baggert er mich wieder an: „Ich<br />
dreh’ mir auch noch eine, ok?“ Lieber<br />
Gott, lass mich hier nicht auch noch<br />
gewalttätig werden! Denn gegen<br />
11 Uhr<br />
komme ich von meinem Besuch<br />
zurück und als ich mir den Rest Lippenstift<br />
meiner Petra abwasche, überkommt<br />
mich ein Brechreiz: hat doch<br />
mein Spannmann das Waschbecken<br />
tatsächlich mit der Toilettenschüssel<br />
verwechselt. Kleine gelbe Spritzflekken<br />
verraten die Ferkelei. Jetzt geht<br />
mir langsam der Hut hoch. Ich bin so<br />
Von Wolfgang T.<br />
sauer, dass es mir echt schwer fällt,<br />
den Stress zwischen uns auf ein Wortgefecht<br />
zu begrenzen. Um<br />
12 Uhr 15<br />
servieren mir drei Büßer in übergroßen<br />
weißen Arbeitsjacken Hawaiigulasch.<br />
Ja, muss außer meiner Psyche<br />
auch noch mein Magen gequält werden?<br />
Dann kommt noch ein Trottel<br />
vorbei und fragt mich: „Hast Du zufällig<br />
einen Porno für mich?“ Liebste<br />
Petra ... Krampfhaft versuche ich zu<br />
verhindern, dass mir ein paar Tränen<br />
laufen, nicht aus Wut, sondern aus Verzweiflung<br />
in meiner Machtlosigkeit.<br />
14 Uhr<br />
Freistundenzeit. Es nieselt zwar,<br />
aber ich will raus aus der Hundehütte,<br />
frische Luft schnappen, hören, was die<br />
Kumpels zu berichten haben. Ein Neuankömmling<br />
sucht Schutz bei mir und<br />
fragt mich verzweifelt, wie er mit seinem<br />
Spannmann und den Beamten<br />
klar kommen könne.<br />
Notgemeinschaft<br />
15 Uhr 30<br />
zeigt die Digitalanzeige meines<br />
kleinen Funkweckers aus dem anstaltseigenen<br />
Elektro–Shop, als ich durchnässt,<br />
aber mit Sauerstoff aufgetankt,<br />
wieder unser Wohnklo betrete – für die<br />
nächsten 23 Stunden. Der Spannmann,<br />
der den täglichen einstündigen Aufenthalt<br />
unter freiem H<strong>im</strong>mel meidet wie<br />
der Teufel das Weihwasser, hat<br />
zwischenzeitig Kaffee gekocht, natürlich<br />
aus meinem Fundus. Die Melitta,<br />
erst 3 Wochen alt und ausgestattet mit<br />
Filtertüten 104, hat noch geschätzte<br />
vier Dienstjahre vor sich und wird von<br />
mir gepflegt wie mein Golf II, der erst<br />
mit 194.000 km seinen Geist aufgab.<br />
Da passiert das Unfassbare: vielleicht<br />
vom vielen „Pfeifchen stopfen“ leicht<br />
zittrig geworden, lässt der Knallkopf<br />
die Kanne auf den Boden fallen. Sechs<br />
Tassen Eduscho (Gastro-Qualität und<br />
Herzstück von Petras Geburtstagspaket<br />
an mich), vermischen sich mit<br />
Glassplittern und geben dem verschmutzen<br />
Zellenboden einen ganz<br />
neuen Anstrich. Die Kommunikation<br />
zwischen Spannmann und mir artet in<br />
Lautstärke und Sch<strong>im</strong>pfworten derart<br />
aus, dass drei Minuten später eine<br />
Abordnung in Grün den Rahmen unserer<br />
Zellentür mehr als ausfüllt. Von<br />
acht Händen nicht gerade engelgleich<br />
getragen finde ich mich kurze Zeit später<br />
<strong>im</strong> Bunker wieder. Die Zeit scheint<br />
still zu stehen, bis sich gegen<br />
17 Uhr 45<br />
die doppelt verriegelte Eisentür der<br />
B–Zelle öffnet und mich ein bis dahin<br />
unbekannter Zivilist von zwei Schlüsselknechten<br />
eskortiert aus meinem<br />
Mauseloch befreit. Als Dachdecker hat<br />
er in Staatsdiensten die Aufgabe, die<br />
angeknackte Psyche der Vollzugsteilnehmer<br />
zu reparieren. Schnell erkennt<br />
er, nachdem er mir tief in die Augen<br />
schaut, dass ich nicht der bin, für den<br />
mich die Mitglieder der Schlüssel<br />
besitzenden Trachtengruppe gehalten<br />
hatten. Flugs steuern wir wieder mein<br />
Wohnklo an. Und siehe da: mein<br />
Spannmann hat sich in Luft aufgelöst!<br />
Er darf ab sofort einen anderen Kollegen<br />
gängeln. Ich kuschle mich an mein<br />
Kopfkissen, streichle das Foto mit<br />
Petras Konterfei und heule mich erst<br />
mal richtig aus. Ich bin einfach nur<br />
happy. Heute verzichte ich auf<br />
Umschluss.
12 Ankunft & Alltägliches: Freistunde<br />
ULMER ECHO 2007<br />
20 Uhr 30<br />
Die Tür geht auf. Oh Gott, bitte<br />
nicht! Ein abgemagerter Drogist, 185<br />
groß und augenscheinlich kaum 45 kg<br />
schwer soll ab sofort mein neuer Weggefährte<br />
sein. Direkt von der Aufnahmeabteilung<br />
kommend, ist seine<br />
Methadonbehandlung vorbei, sein Turkey<br />
offensichtlich noch nicht richtig.<br />
„Ich muss mir einen Knaller setzen,<br />
gib mir was.“ „Tut mir leid, das ist<br />
nicht meine Abteilung.“ Er riecht,<br />
doch nach einem Hinweis (Dem H<strong>im</strong>mel<br />
sei Dank!) wäscht er sich, und ich<br />
gebe ihm ein paar von meinen Klamotten.<br />
Ich mache ihm etwas zu essen;<br />
danach lösche ich das Licht und wir<br />
legen uns hin.<br />
21 Uhr 30<br />
In Gedanken bin ich bei Petra. „Ich<br />
liebe Dich und vermisse Dich so<br />
sehr,“spreche ich leise zu dem Foto an<br />
der Wand. Plötzlich höre ich ihn würgen.<br />
Er schafft es nicht mehr bis zur<br />
Schüssel. Das Essen verteilt sich vor<br />
meinem Bett. „Immer locker bleiben“<br />
denke ich, und auch mein Magen meldet<br />
sich durch den Geruch zu Wort.<br />
22 Uhr 30<br />
Ich habe das Erbrochene meines<br />
neuen Schnuffis weggewischt, weil es<br />
ihm einfach nur dreckig geht. Dann<br />
falte ich meine Hände und bete zu<br />
Gott, dass er mir bald einen Arbeitsplatz<br />
bescheren möge, auf den ich<br />
schon länger als fünf Monate warte.<br />
Mein Traum führt mich in fast unerreichbare<br />
Sphären, ich träume von der<br />
Untersuchungshaftvollzugsordnung,<br />
die besagt, dass jedem U-Gefangenen<br />
eine Einzelzelle zusteht.<br />
6 Uhr<br />
Ein Schlüsselknecht schließt die<br />
Tür wieder auf. Prompt steigt mir wieder<br />
der säuerliche Duft aus erbrochener<br />
Salami ins Hirn. Ich schaue auf die<br />
Schaumstoffunterlage des Etagenbetts<br />
unter mir und weiß blitzartig wieder,<br />
wo ich mich befinde: in einer Notgemeinschaft<br />
<strong>im</strong> Hotel mit Gitterblick. •<br />
* Aus UE 4/1998; aktualisiert [wm/ws]<br />
Freistunde, Umschluss und Einkauf<br />
Begrenzte Freiheiten <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Die Freistunde<br />
Eine Stunde unter freiem H<strong>im</strong>mel:Das<br />
Verfassungsgericht hat uns<br />
Inhaftierten das Recht zugestanden,<br />
täglich eine Stunde frische, ungesiebte<br />
Luft zu atmen. Daran ergötzen wir uns<br />
besonders an den Wochenenden, und<br />
auch für unsere Leidensgenossen in<br />
abgeschirmter Einzelhaft ist das die<br />
einzige Möglichkeit, nach 23 Stunden<br />
Zelle seinen Bewegungsapparat in<br />
Gang zu setzen. Trotz aller Rechte und<br />
Garantien liegt es <strong>im</strong> Ermessen des<br />
zuständigen Beamten, die Freistunde<br />
wegen schlechten Wetters abzusagen.<br />
Im negativsten Fall kann es vorkommen,<br />
dass sich außer einem 24-stündigen<br />
Zellenaufenthalt einen ganzen Tag<br />
lang nichts tut. Was suggerieren doch<br />
die Hochglanzprospekte des Justizministeriums:<br />
hochmoderne Sportanlagen,<br />
gepflegte Grünanlagen, Sauberkeit<br />
auf allen Abteilungen, bestausgestattete<br />
Duschkabinen und freundliche<br />
Gesichter der Bediensteten. Man<br />
könnte glauben, wir befänden uns in<br />
einem Steigenberger Vorzeigeobjekt.<br />
Kontakt tut gut: Umschluss<br />
Nach langem Ausharren "auf Zelle"<br />
sehnt sich der gemeine Gefangene<br />
danach, dass der Uhrzeiger 18.30<br />
zeigt: 90 Minuten Umschluss! Endlich<br />
wieder die Möglichkeit innerhalb der<br />
Abteilungen mit seinen Kumpels bei<br />
Kaffee, Tee, manches Mal auch mit<br />
einem "Aufgesetzten", den Tag be<strong>im</strong><br />
Zellennachbarn ausklingen zu lassen.<br />
Be<strong>im</strong> Erzählen von wilden Stories aus<br />
vergangenen Tagen versucht einer den<br />
anderen zu übertreffen und es kommt<br />
langsam St<strong>im</strong>mung auf. Poker, Skat<br />
oder Mau Mau lässt die öden vergangenen<br />
23 Stunden vorübergehend vergessen<br />
und es werden gemeinsame<br />
Zukunftspläne geschmiedet. Bis zur<br />
Umsetzung dauert es meist noch 5, 6<br />
oder 7 Jahre, aber wir leben hier<br />
schließlich von der Hoffnung, und die<br />
stirbt bekanntlich zuletzt. Ausgeschlossen<br />
von diesen abendlichen<br />
Umschlussparties sind aggressive<br />
Vollzugsteilnehmer, die auch in den<br />
frühen Abendstunden, in besonders<br />
gesicherten Zellen, alleine ihren Frust<br />
schieben dürfen.<br />
Freizeit?<br />
Das Freizeitangebot in der JVA<br />
Düsseldorf ist zur Zeit recht dürftig.<br />
Jeder Gefangene hat die Möglichkeiten<br />
an verschiedenen Angebotenen<br />
teilzunehmen. Die Angebote findet ihr<br />
natürlich in dieser Ausgabe, bei Hinweise<br />
und Ratgeber. Manche dieser<br />
Angebote haben eine sehr lange Wartezeit.<br />
Außer diese Angebote können die<br />
Gefangene von C- Flügel an den<br />
Tagen, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag<br />
in den Freizeitraum 12. Dieses<br />
Angebot ist allerdings auf den C-Flügel<br />
beschränkt. An welchen Tagen,<br />
welche Abteilung von C-Flügel in den<br />
Freizeitraum darf, sagt euch der Abteilungsbeamte.<br />
Die Erwartungen in diesen<br />
Raum sollten nicht zu groß sein, da<br />
außer Stühle und Tische nichts zur Verfügung<br />
stehen. Man kann dieses Angebot<br />
als ein großen Umschluss mit der<br />
gesamten Abteilung in diesen Raum<br />
sehen. Getränke, Karten oder Spiele<br />
muss man selbst mitbringen. Der Aufenthalt<br />
hier beträgt ca. zwei Stunden<br />
und kann auch nicht vorher abgebrochen<br />
werden. •<br />
* Auszug aus „Freistunde, Umschluss,<br />
Einkauf", UE 1/2000, überarbeitet [uz]
ULMER ECHO 2007<br />
Das Gefängnis ist von seinem<br />
Wesen her eine geschlossene<br />
Welt, sowohl <strong>im</strong> echten als auch <strong>im</strong><br />
übertragenen Sinne des Wortes. Etliche<br />
Türen und Tore müssen aufgeschlossen<br />
werden, um zu einem in<br />
einer Zelle eingeschlossenen Mitmenschen<br />
zu gelangen. Gerade weil der<br />
gefangene Mitmensch eingeschlossen<br />
ist, wird er aus der Gesellschaft ausgeschlossen.<br />
In dieser Welt<br />
bedeutet der Schlüssel<br />
etwas ganz Besonderes.<br />
Neben dem üblichen<br />
„Knochenschlüssel“ , mit<br />
dem eine Flur– und Zellentür<br />
geöffnet werden<br />
kann, gibt es eine Reihe<br />
Schlüsselfiguren, die den<br />
Krach der eisernen<br />
Schlüssel vergessen lassen<br />
können. Diese Schlüsselfiguren<br />
sind leise, bringen<br />
eine Brise Hoffnung,<br />
Anerkennung oder gar frische<br />
Luft in den muffigen <strong>Alltag</strong> des<br />
Gefängnisses. Die MitarbeiterInnen<br />
(ob ehrenamtlich oder hauptamtlich)<br />
des Gefängnisvereins zählen zu diesen<br />
Schlüsselfiguren. Warum? Das kann<br />
an Hand einfacher Fakten dargestellt<br />
werden.<br />
Nur sehr wenige sitzen<br />
für schwere Delikte<br />
Aufgabe des Strafvollzuges ist es,<br />
Menschen auf ein straffreies Leben<br />
vorzubereiten und auch die Allgemeinheit<br />
vor weiteren Straftaten zu schützen,<br />
wie es <strong>im</strong> § 2 Strafvollzugsgesetz<br />
geschrieben steht.<br />
Die spektakulären Straftaten, die zu<br />
Recht die Öffentlichkeit in den letzten<br />
Jahren zutiefst erschüttert hat, haben<br />
zur Folge, dass nach mehr Einschluss,<br />
nach mehr Kontrolle, sogar nach<br />
einem häufigeren endgültigen Ausschluss<br />
aus der Gesellschaft gerufen<br />
wird.<br />
Vergessen wird dabei, dass die<br />
Anzahl der StraftäterInnen, die wegen<br />
Ankunft & Alltägliches: Gefängnisverein<br />
Laute Schlüssel und leise Schlüsselfiguren<br />
MitarbeiterInnen des Gefängnisvereins schaffen menschliche Freiräume<br />
Von Anne-Marie Klopp *<br />
eines schweren Deliktes einsitzen, sehr<br />
gering ist. Im Jahre 2002 betrug in<br />
Nordrhein–Westfalen der Prozentsatz<br />
der Menschen, die wegen Tötungsdelikten<br />
in der Polizei-Kr<strong>im</strong>inalstatistik<br />
erfasst worden sind, 0,03 %; bei Vergewaltigungen<br />
betrug der Prozentsatz<br />
0,1 % (Quelle: Polizei-Kr<strong>im</strong>inalstatistik,<br />
NRW 2002). Dennoch üben diese<br />
Straftaten großen Einfluss auf die Fortentwicklung<br />
der Strafvollzugspolitik<br />
aus, eine Politik, deren Auswirkungen<br />
alle gefangenen Mitmenschen betrifft.<br />
Repression ist wieder „in“. Zellentüren<br />
bleiben länger zu. Der Kontakt zur<br />
Außenwelt wird strenger gehandhabt.<br />
Die Liste ließe sich verlängern. Sicherheit<br />
wird <strong>im</strong>mer vorrangiger. Der<br />
Mensch mit all dem, was ihn ausmacht,<br />
rückt <strong>im</strong>mer mehr in den<br />
Hintergrund.<br />
Menschen dürfen<br />
Menschen sein<br />
Die Mitarbeiterin, der Mitarbeiter<br />
des Gefängnisvereins begegnet dem<br />
gefangenen Mitmenschen nicht als<br />
einem Inhaftierten unter anderen<br />
Inhaftierten. Vielmehr begegnet sie<br />
oder er ihm als einem einzigartigen<br />
Menschen, der Gehör für seine ganz<br />
persönliche Situation sucht. Sie, er<br />
bringt ein Stück Normalität, <strong>Alltag</strong> in<br />
das Gefängnis. Sie, er hat keinen anderen<br />
Auftrag zu erfüllen, als einen<br />
gefangenen Mitmenschen für eine<br />
13<br />
gewisse Zeit auf seinem Lebensweg zu<br />
begleiten; dies mit all den Höhen und<br />
Tiefen, die ein solcher Lebensweg<br />
beinhaltet. Der inhaftierte Mitmensch<br />
wird nicht verwaltet. Er darf entscheiden.<br />
Er kann selber den Rhythmus der<br />
Begegnungen und Gespräche best<strong>im</strong>men.<br />
Er darf Mensch sein. Dazu<br />
kommt, dass das gesprochene Wort<br />
vertraulich gehandhabt wird. Die Mitarbeiterin,<br />
der Mitarbeiter<br />
ist keine Amtsperson,<br />
die mit Vorsicht<br />
oder gar Skepsis<br />
betrachtet werden<br />
muss.<br />
Dadurch wird<br />
Beziehungsarbeit<br />
möglich. Wo Repression<br />
die Überhand zu<br />
gewinnen droht, ist<br />
die Schaffung freier<br />
Räume in der<br />
geschlossenen Welt<br />
des Gefängnisses<br />
mehr denn jezu gewinnen droht, ist die<br />
Schaffung freier Räume in der<br />
geschlossenen Welt des Gefängnisses<br />
mehr denn je notwendig. Darin besteht<br />
die Aufgabe des Kath. Gefängnisvereins<br />
ganz besonders. Darin liegt auch<br />
seine Stärke. •<br />
Anne-Marie Klopp ist Kr<strong>im</strong>inologin und Mitarbeiterin<br />
des Kath. Gefängnisvereins
14 Kommunikation: Besuch<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Mittwochmorgen, 6 Uhr. Wekken<br />
und Frühstücksausgabe.<br />
Aber mit welcher Überraschung wartet<br />
„mein“ Schließer heute sonst noch<br />
auf? Jaaa, ein kleiner Zettel, der mir<br />
außer Weißbrot und lauwarmem Mukkefuck<br />
in die Hand gedrückt wird,<br />
kündigt große Freude an: um 11.30<br />
soll mein Sonnenschein erscheinen.<br />
Vier Wochen sind schließlich vergangen,<br />
seit ich meine Frau in den Arm<br />
nehmen durfte und gleich wird es wieder<br />
so weit sein. Endlich, um 11 Uhr,<br />
begleitet mich ein Bediensteter mit<br />
freundlicher Geste und überraschend<br />
guter Laune zum Besuchsraum.<br />
Die Leibesvisite<br />
kommt vor dem Besuch<br />
Nach dem Öffnen und Schließen<br />
etlicher Eisentüren komme ich endlich<br />
in der Wartezelle an, in der sich bereits<br />
sieben andere Vollzugsgenossen befinden<br />
und auf Einlass in den Gemeinschaftsbesuchsraum<br />
warten. Einer hat<br />
sich besonders schick herausgeputzt,<br />
nur mit Jeans und Unterhemd bekleidet,<br />
den Hals und die übergroßen<br />
Bizeps mit unzähligen Tätowierungen<br />
dekoriert, hofft er, von allen Anwesenden<br />
bewundert zu werden. Plötzlich<br />
schallt es durch die halb geöffnete Tür:<br />
„Müller, links rein! Taschen entleeren<br />
und die Beine bitte auseinander!“ Aus<br />
allen Träumen gerissen, wie wohl die<br />
nächsten 45 Minuten verlaufen, werde<br />
Endlich Besuch!<br />
Menschen von draußen sind Licht <strong>im</strong> Vollzugsdunkel<br />
Besuchsraum für U-Gefangene<br />
Von Wolfgang M. *<br />
ich wieder in die Wirklichkeit zurück<br />
geholt. Die Taschenfutter meiner Jeans<br />
herausgezogen stehe ich da mit ausgestreckten<br />
Armen und Beinen und lasse<br />
mich nach unerlaubten Utensilien, die<br />
ich vielleicht meiner Petra überreichen<br />
könnte, durchsuchen. „Den Gang entlang<br />
zum Besucherraum,“ weist mir<br />
der Bedienstete barsch den Weg<br />
schnurstracks in die Arme meiner<br />
Frau.<br />
Wiedersehen mit<br />
Nebengeräuschen<br />
Nach einer herzlichen<br />
Umarmung holt uns flugs<br />
der <strong>Alltag</strong> ein und aktuelle<br />
Probleme aus dem familiären<br />
Umfeld werden vorrangig<br />
besprochen. Plötzlich<br />
weist mich Petra auf<br />
unseren<br />
Nebentisch<br />
hin, an dem<br />
sich zwei<br />
Verliebte unbeobachtet<br />
fühlen und intensiven<br />
Körperkontakt suchen.<br />
Meine Augen suchen den<br />
Aufsichtsbeamten. Der<br />
Tisch ist gerade mal<br />
unbesetzt. Doch plötzlich,<br />
wie von Geistern<br />
gerufen, füllt die Aufsichtsperson<br />
den Türrahmen<br />
aus und steuert<br />
gezielt auf die Turteltäubchen<br />
zu, denen es egal ist,<br />
dass <strong>im</strong> Raum spielende<br />
Kinder beschämt jede<br />
Gelegenheit nutzen, die<br />
erotischen Spielereien zu<br />
beobachten. Abrupt muss<br />
die langhaarige Schwarze wieder auf<br />
der harten Sitzfläche der <strong>Knast</strong>bestuhlung<br />
Platz nehmen. Der Blick auf<br />
meine Armbanduhr erinnert mich<br />
daran, nur noch ca. fünf Minuten die<br />
Hände meiner Frau umschließen zu<br />
dürfen, bevor wieder 14 endlose Tage<br />
und Nächte bis zum nächsten gemeinsamen<br />
Zusammentreffen vergehen.<br />
Freundlichkeit, (k)ein Fremdwort<br />
<strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Nanu, die Uhrzeiger der Swatch<br />
unserer Respektperson in grüner Landestracht<br />
scheinen still zu stehen, wir<br />
befinden uns bereits mit 15 Minuten<br />
<strong>im</strong> „Soll“. Da erinnere ich mich. Die<br />
heutige Aufsichtsperson begleitete<br />
mich vor wenigen Wochen auf dem<br />
beschwerlichen Weg von meiner Zelle<br />
bis hin zum Besucherraum. Dieser<br />
schier endlose Gang ist je nach St<strong>im</strong>mungslage<br />
der zufällig vorbeikommenden<br />
Schlüsselträger durch Öffnen<br />
der fünf Eisentüren normalerweise in<br />
20 bis 30 Minuten zu bewältigen. Dieses<br />
mal geleitete mich „mein Freund,<br />
der Schließer“ jedoch staufrei durch<br />
die unterirdische Tunnelröhre, so dass<br />
ich bereits nach<br />
4 Minuten mein<br />
Ziel, den Besucherraum<br />
<strong>im</strong> 2.<br />
Stock des unserem<br />
Hafthaus<br />
gegenüberliegenden<br />
Gebäudes<br />
(E-Flügel),<br />
er-reichte. Vielleicht<br />
mag auch<br />
die bevorstehende<br />
Pensionierung<br />
unserem<br />
heutigen<br />
Ordnungshüter<br />
den Kick gegeben<br />
haben die<br />
auf 45 Minuten<br />
begrenzte<br />
Besuchszeit um<br />
unglaubliche<br />
30 Minuten zu verlängern. Jedenfalls<br />
ist mir heute bestätigt worden, dass es<br />
„auf der Ulm“ noch Schließer mit Herz<br />
gibt. •<br />
* Nach einem Artikel aus UE 4/1996;<br />
Überarbeitung [ws]<br />
Flur zu den Besuchsräumen
ULMER ECHO 2007<br />
Kommunikation: Telefonieren<br />
Besuchsregelung auf der <strong>Ulmer</strong> Höh´<br />
Gesetzlich haben Gefangene<br />
Recht auf 60 Minuten Besuch<br />
pro Monat. Die Besuchsregelung der<br />
JVA Düsseldorf ist etwas großzügiger.<br />
Inhaftierte, die auf der <strong>Ulmer</strong> Höh´<br />
einsitzen, dürfen alle 14 Tage 45<br />
Minuten lang ihre sozialen Bindungen<br />
zu Ehefrauen, Kindern oder Verwandten<br />
und Freunden pflegen. Die Besucher<br />
von Untersuchungshäftlingen<br />
benötigen für jeden Besuchstermin<br />
eine Genehmigung des zuständigen<br />
Haftrichters. Während Strafgefangene<br />
die alltäglichen Probleme mit ihren<br />
Angehörigen <strong>im</strong> Gemeinschaftsbesucherraum<br />
diskutieren können, unterliegen<br />
die Gespräche der Untersuchungsgefangenen<br />
einer akustischen Überwachung<br />
durch die aufsichtsführenden<br />
Beamten. Es liegt <strong>im</strong> Ermessen unserer<br />
Aufpasser, die Besuchszeit auf 1<br />
Stunde auszudehnen, was erfreulicherweise<br />
oft praktiziert wird. Die zu<br />
Besuch kommenden Personen müssen<br />
alle Habseligkeiten einschließen und<br />
sich einer Leibesvisitation unterziehen.<br />
Mitbringsel in Form von Tabak,<br />
Schokolade oder Getränke können<br />
unsere Verwandten und Freunde an<br />
einem Automaten <strong>im</strong> Gegenwert von<br />
15<br />
15 € kaufen. Als kleines Dankeschön<br />
übergeben wir <strong>im</strong> Gegenzug den lieben<br />
Besuchern unsere Schmutzwäsche,<br />
die wir <strong>im</strong> gereinigten Zustand<br />
be<strong>im</strong> nächsten Besuch zurück erhalten<br />
– natürlich, nachdem sie kontrolliert<br />
wurde. Wie <strong>im</strong> normalen Geschäftsleben<br />
sind auch in unserer JVA alle<br />
Besuchstermine rechtzeitig vorher<br />
telefonisch zu vereinbaren. •<br />
[wm/ws]<br />
Die Liebste am Telefon – ein<br />
seltenes Vergnügen<br />
Telefonate sind rar; U-Gefangene telefonieren<br />
nur mit Sondergenehmigung<br />
Von Christoph D.<br />
Was würde ich dafür geben und<br />
auf was würde ich gerne<br />
alles verzichten, wenn ich einmal in<br />
der Woche mit meiner Frau und meinem<br />
kleinen Sohn telefonieren könnte.<br />
Wenn die TV-Werbung für Handys den<br />
Kommunikationsaustausch untereinander<br />
als Lebensnotwendigkeit darstellt,<br />
ist das vielleicht übertrieben. Es<br />
ist jedoch das Grundbedürfnis eines<br />
jeden Menschen, sich mitzuteilen. Insbesondere<br />
steigert sich dieses Bedürfnis<br />
in unserer Situation; wir wollen<br />
unsere Ängste, Nöte und Sorgen mit<br />
Ehefrauen, Eltern oder anderen nahestehenden<br />
Personen austauschen. Von<br />
der Möglichkeit der Telefonkommunikation<br />
werden wir allerdings nicht<br />
ganz ausgeschlossen. In Strafhaft bietet<br />
sich uns gelegentlich die Möglichkeit,<br />
vom Büro des Abteilungsbeamten<br />
ein Telefonat mit Frau, Kind oder Verwandten<br />
führen zu dürfen, vorausgesetzt<br />
ein reibungsloser Geschäftsablauf<br />
innerhalb der Abteilung bleibt erhalten<br />
und wir haben das (unerwartete)<br />
Glück, einen diensthabenden Abteilungsbeamten<br />
vorzufinden, der sich in<br />
die Psyche eines Inhaftierten hineinversetzen<br />
kann. Haben wir dieses<br />
Glück, steht einer Telefonkonversation<br />
mit unseren Liebsten nichts mehr <strong>im</strong><br />
Wege.<br />
Feind hört mit<br />
Wer aber glaubt, am Telefon könnten<br />
problemlos verbal Int<strong>im</strong>itäten ausgetauscht<br />
werden, der wird enttäuscht.<br />
Peinlich wird es besonders, wenn bei<br />
eingeschaltetem Telefonlautsprecher<br />
nicht nur der diensthabende Beamte<br />
das Telefonat akustisch überwacht,<br />
sondern vor der offenstehenden Bürotür<br />
der nächste Telefonaspirant wartet<br />
und sich am Gesprächsinhalt seines<br />
Vorgängers ergötzt. Als Untersuchungsgefangener<br />
hätten selbst 10 Personen<br />
dem Wortlaut meines Gespräches<br />
folgen dürfen, wenn ich nur die<br />
Möglichkeit gehabt hätte, die St<strong>im</strong>me<br />
meiner Frau hören zu können. Es war<br />
ein beschwerlicher Weg, dieses Ziel zu<br />
erreichen.<br />
Ich startete mein Vorhaben mit einem<br />
Antrag an den Bereichsleiter unserer<br />
Abteilung. Es vergingen 14 Tage, ohne<br />
dass etwas passierte. Dann endlich<br />
wurde mir mitgeteilt, dass ich einen<br />
offiziellen Antrag an den für mich<br />
zuständigen Haftrichter zur Genehmigung<br />
eines einmaligen Telefongesprächs<br />
mit meiner Frau zu stellen<br />
hätte. Dabei habe ich glaubhaft zu versichern,<br />
dass dieses Telefonat dringend<br />
zur Festigung meiner sozialen Bindung<br />
zu meiner Familie erforderlich<br />
ist. Nach Antragstellung vergingen<br />
abermals drei Wochen, bis mir das<br />
Landgericht per Post einen Beschluss<br />
zuschickt, dessen Inhalt mir vor Freude<br />
ein paar Tränen die Wangen herunter<br />
rollen lässt. Sollten etwa auch Richter<br />
noch menschliche Gefühle haben?<br />
Es war also geschafft! Nach endlosen<br />
fünf Monaten darf ich tatsächlich das<br />
erste Mal mit meiner Frau telefonieren..<br />
Stolz, mit dem richterlichen<br />
Beschluss in der Hand, führt mich<br />
mein nächster Gang direkt in die Arme<br />
der für mich zuständigen Sozialarbei-
16 Kommunikation: Briefe<br />
ULMER ECHO 2007<br />
terin, die entgegenkommenderweise<br />
nicht lange zögert,<br />
sondern sofort den Telefonhörer<br />
in die Hand n<strong>im</strong>mt.<br />
Geschafft, Ziel erreicht! Ich<br />
bin nur glücklich.<br />
Warum keine Telefonzellen?<br />
Da selbst der Gesetzgeber,<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf organisatorische<br />
Probleme und Belastungen<br />
der Anstalt, sich nicht in<br />
der Lage sieht, ein auch nur<br />
eingeschränktes Recht auf<br />
Benutzung solcher Kommunikationsmittel<br />
einzuräumen, bleibt jede<br />
Handhabung von der Erteilung der<br />
Telefonerlaubnis bis zum Telefonat<br />
selbst <strong>im</strong> freien Ermessen des Vollzugs.<br />
Es soll jedoch angemerkt werden,<br />
dass selbst das Justizministerium,<br />
„die Errichtung von Telefonkabinen<br />
(mit Gebührenzählern) jedenfalls in<br />
Eingangstür Beamtenbüro Abt. 5<br />
solchen Anstalten oder Abteilungen, in<br />
denen Sicherheitserfordernisse die<br />
Gestattung der Telefonbenutzung nicht<br />
auf Ausnahmefälle beschränken, zu<br />
erwägen empfiehlt.“ Weiter heißt es in<br />
einer Verwaltungsverfügung zu § 32<br />
des Strafvollzugsgesetzes: „Förderungspflicht<br />
der Vollzugsbehörde (§ 23<br />
Satz 2) und Angleichungsgrundsatz<br />
(3 Abs. 1) können <strong>im</strong> Einzelfall<br />
das Recht des Gefangenen<br />
auf fehlerfreien Ermessensgebrauch<br />
zu einem Recht auf<br />
telefonischen Kontakt erstarken<br />
lassen“. Dies gilt zum einen <strong>im</strong><br />
Hinblick darauf, dass gerade<br />
Telefongespräche zur Aufrechterhaltung<br />
und Vertiefung sozialer<br />
Beziehungen und zum Abbau<br />
von Spannungen in Krisensituationen<br />
beitragen können.<br />
Wenn das Justizministerium<br />
solche Empfehlungen ausspricht,<br />
dann sollte es bis zu<br />
einer rechtsverbindlichen Gesetzgebung<br />
nicht mehr lange dauern. •<br />
* nach einem Artikel in UE 4/1996;<br />
aktualisiert und überarbeitet 1/2005<br />
[wm/ws]<br />
Trari, trara, die Post - na, wo bleibt sie denn?<br />
Es kann Wochen dauern, bis ein Brief kommt<br />
Auch wir Inhaftierte haben das<br />
Recht, regelmäßig Kontakt zu<br />
unseren Angehörigen und Freunden zu<br />
pflegen. Wenn uns schon das Telefonieren<br />
mehr oder weniger untersagt<br />
wird, steht uns doch das<br />
Recht zu, Briefe uneingeschränkt<br />
Schreiben<br />
abzusenden und zu<br />
empfangen. Wie wir alle<br />
wissen, dauert der normale<br />
Postversand vom<br />
Absender zum Empfänger<br />
1 bis 2 Tage. Wir<br />
Untersuchungsgefangene<br />
haben uns aber der<br />
Rechtsvorschrift zu<br />
beugen, die besagt, dass<br />
unser Schriftwechsel<br />
durch den Richter oder durch den<br />
Staatsanwalt überwacht wird.<br />
Briefkontrolle durch Richter<br />
Im täglichen Anstaltsleben habe ich<br />
also keine Möglichkeit, meiner Frau<br />
mal eben kurz einen lieben Gruß per<br />
Von Dieter S.<br />
Postkarte zukommen zu lassen. Meine<br />
Nachricht wird vorher vom Richter<br />
oder Staatsanwalt überprüft. Der Akt<br />
der Überprüfung dauert eine bis drei<br />
Wochen.<br />
Wichtige Informationen<br />
aus<br />
meinem Familienleben<br />
erreichen<br />
mich so<br />
oft erst 3 bis 4<br />
Wochen nach<br />
Absenden des<br />
Briefes oder<br />
der Postkarte.<br />
Denn die für<br />
mich eingegangene<br />
Post wird<br />
von unserer<br />
Vollzugsanstalt ungeöffnet in einem<br />
Begleitumschlag dem zuständigen<br />
Richter oder dem Staatsanwalt zugeschickt.<br />
Wird der Inhalt des Schreibens<br />
nicht beanstandet, so st<strong>im</strong>mt die<br />
Behörde der Aushändigung meiner<br />
Post an mich zu. Ausgenommen von<br />
dieser zeitraubenden Art der schriftlichen<br />
Nachrichtenübermittlung sind<br />
Briefe, die ich deutlich gekennzeichnet<br />
mit dem Zusatz „Verteidigerpost“ an<br />
meinen Rechtsanwalt versende. Ohne<br />
Beschränkung und ohne Überwachung<br />
darf ich in solchen Briefen durch meinen<br />
Verteidiger an meine Familie liebe<br />
Grüße ausrichten lassen<br />
In Strafhaft wird’s besser<br />
Besser sind da meine Kollegen<br />
dran, die sich bereits in Strafhaft befinden.<br />
Ein– und ausgehende Post wird<br />
zwar auf den Inhalt überprüft, aber<br />
pünktlich versandt und auch zugestellt.<br />
Es soll allerdings mehrmals vorgekommen<br />
sein, dass diensthabende<br />
Beamte sich an den literarischen<br />
Ergüssen unserer Frauen und Freundinnen<br />
labten ... •<br />
* Aus UE 4/1996; aktualisiert und<br />
überarbeitet 2005 [wm/ws]
ULMER ECHO 2007<br />
Wer in Untersuchungshaft<br />
sitzt, hat es ganz besonders<br />
schwer, Kontakte zu seinem Umfeld<br />
aufrecht zu erhalten und zu pflegen.<br />
I. Der Besuch<br />
Der Mitmensch, der in Untersuchungshaft<br />
sitzt, darf mit Genehmigung<br />
des Haftrichters zumindest eine<br />
Stunde monatlich Besuch bekommen.<br />
Ist er Ausländer und der deutschen<br />
Sprache nicht mächtig, dann muss ein<br />
vereidigter Dolmetscher dabei sein.<br />
Be<strong>im</strong> Besuch ist ein Aufsichtsbeamter<br />
<strong>im</strong>mer anwesend.<br />
II. Der Briefkontakt<br />
Es bringt nichts, schnell eine Karte<br />
zum Geburtstag schicken zu wollen.<br />
Kommunikation: Postzensur<br />
Postzensur und Kommunikationsverbote<br />
Inhaftierte sind abgeschnitten von der Außenwelt<br />
Von Hermann S.<br />
Eine Inhaftierung bedeutet für<br />
den Betroffenen die sofortige<br />
Unterbrechung aller bestehenden Bindungen,<br />
beruflich und privat. Wie<br />
bereits vorab beschrieben ist es mir als<br />
Untersuchungsgefangenen weder<br />
erlaubt zu telefonieren noch Besuch zu<br />
empfangen, beides geht lediglich mit<br />
einer richterlichen Genehmigung. Ich<br />
bin isoliert und abgeschlossen von der<br />
Außenwelt. Die Behörde legit<strong>im</strong>iert<br />
diese Maßnahme mit „Verdunkelungsgefahr“,<br />
sie will Informationsaustausch<br />
mit Zeugen verhindern. Die<br />
sonst so kluge Justiz sollte wissen,<br />
dass es selbst dem ungeschicktesten<br />
Häftling nach kurzer Verweildauer <strong>im</strong><br />
<strong>Knast</strong> gelingt, die Zensur auszutricksen.<br />
Was also hat die strenge Isolation<br />
in U-Haft für einen Sinn?<br />
Sind die Isolationsmaßnahmen<br />
unserer Justiz einfach nur die Weigerung,<br />
in jahrzehntelanger Praxis eingefahrene<br />
Verfahrensmuster einer konsequenten<br />
Prüfung zu unterziehen? Eine<br />
Postkontrolle, die ihren Zweck verfehlt,<br />
ist eine sinnlose Postkontrolle.<br />
Und wenn verbotener Informationsaustausch<br />
per Post nicht zu unterbinden<br />
ist, wem dienen dann die<br />
Gesprächsüberwachungen bei Besuchen?<br />
Sinnvolle Maßnahmen <strong>im</strong> Vollzug<br />
scheitern regelmäßig – mit dem<br />
Hinweis auf fehlende Mittel oder fehlendes<br />
Personal. Ist es nicht endlich<br />
Zeit, offensichtlich zwecklose Restriktionen<br />
aufzugeben und die freiwerdenden<br />
Ressourcen sinnvoll zu nutzen?<br />
Dauerhaft eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten<br />
haben Vereinsamung<br />
und Verbitterung zur Folge;<br />
wen wundert, dass emotionale Vernachlässigung<br />
eine steigende Gewaltbereitschaft<br />
nach der Entlassung zur<br />
Folge hat? „Isolationsfolter“, dieser<br />
Begriff stammt aus der Zeit der RAF-<br />
Prozesse. Aber Isolation betrifft nicht<br />
nur mutmaßliche Teroristen, sondern<br />
alle U-Gefangenen. Wir müssen uns<br />
fragen, in wieweit sich die Praktiken<br />
der nun gesamtdeutschen Justiz von<br />
denen der vielgeschmähtenDDR abheben<br />
und inwieweit sie unter Berücksichtigung<br />
moderner Erkenntnisse der<br />
„Europäischen Konvention zum<br />
Schutze der Menschenrechte“ gerecht<br />
Die Karte wird erst dem Haftrichter<br />
vorgelegt. Wenn die Karte schließlich<br />
ankommt, dann ist der Geburtstag<br />
längst vergessen.<br />
III. Telefongespräche<br />
Hierzu bedarf es ebenfalls einer<br />
richterlichen Genehmigung. Zwischen<br />
Beantragung und Genehmigung können<br />
viele Tage und Wochen vergehen!<br />
Schnell zu Hause anrufen geht also<br />
nicht.<br />
IV. Besonderheiten bei auswärtigen<br />
Inhaftierten<br />
Eine längere Besuchszeit kann denjenigen<br />
gewährt werden, die zum<br />
Besuch mehr als 50 km anreisen müssen.<br />
Dieses muss aber <strong>im</strong> Vorfeld<br />
wird!<br />
Wie viel mehr Besuch könnte stattfinden,<br />
wenn nicht die höchst persönliche<br />
Aufsicht jeden Besuch eines Angehörigen<br />
fast zur Ohrenbeichte mutieren<br />
lässt, wenn nur noch ein Beamter<br />
quasi als Platzanweiser fungierte? Die<br />
freiwerdenden Arbeitsstunden würden<br />
sinnvolle Maßnahmen möglich<br />
machen. Eine Aufgabe der sinnlosen<br />
Postkontrolle hätte zur Folge, dass<br />
familiäre und andere soziale Bindungen,<br />
deren Wichtigkeit für eine „Resozialisierung“<br />
ja <strong>im</strong>mer beschworen<br />
wird, leichter aufrecht zu erhalten sind.<br />
Der bisher verbotene Zugang zu Telefonen<br />
könnte diesem Zweck sogar<br />
ganz erheblich dienen.<br />
Nachweislich hat die derzeit geübte<br />
Praxis kontraproduktive Auswirkungen<br />
auf den Vollzug und besonders auf<br />
den Vollzug der Untersuchungshaft. •<br />
Auszug aus dem Artikel „ ... sed vitae<br />
disc<strong>im</strong>us! - Sinnlose Kommunikationseinschränkungen<br />
verletzen Menschenrechte!“<br />
Aus UE 4/1996; überarbeitet 2005<br />
[uz/ws]<br />
U-Haft: Enge Grenzen in der Pflege sozialer Kontakte<br />
17<br />
beantragt werden. Sich spontan zu<br />
einem längeren Besuch zu entschließen,<br />
ist nicht möglich.<br />
V. Besuchszeiten<br />
Es ist zwar verständlich, dass<br />
Besuch nicht zu jeder Zeit gewährt<br />
werden kann. Dadurch aber ist es für<br />
berufstätige Familienmitglieder bzw.<br />
Freunde äußerst schwierig, zu Besuch<br />
zu kommen. Ich denke dabei<br />
besonders an Besucher, die weit von<br />
Düsseldorf entfernt wohnen und nur<br />
am Wochenende kommen können! •<br />
[uz/ws]<br />
Aus UE 4/1996 von Annemarie Klopp
18 Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Das Revier – der richtige Ort für jedes Wehwehchen<br />
Zusätzlich können Fachärzte konsultiert werden<br />
Geschichtliches zum „Revier”<br />
Von Max<strong>im</strong>us Pontifex<br />
Eingang in das Revier<br />
Die heutige Sanitätsabteilung<br />
gibt es schon seit den 60er<br />
Jahren. Damals war es eine kleine<br />
Krankenstation mit Belegbetten für<br />
erkrankte Inhaftierte, die noch nicht<br />
ins Krankenhaus mussten. In jedem<br />
Flügel gab es früher<br />
außerdem einen<br />
Ambulanzraum, in<br />
dem ein freiberuflicher<br />
Arzt einmal<br />
pro Woche vorgemeldete<br />
Behandlungen<br />
durchführte.<br />
Diese Ambulanzräume<br />
wurden 1997<br />
abgeschafft; seitdem<br />
finden alle Behandlungen<br />
direkt <strong>im</strong><br />
Sani-Revier statt.<br />
Das gilt auch für<br />
Inhaftierte aus dem<br />
Jugendhaus, gelegentlich<br />
auch aus der<br />
Frauenabschiebehaft in Neuss. Die<br />
ehemaligen Bettenräume wurden zu<br />
Warteräumen umgestaltet.<br />
Im Grunde geschehen <strong>im</strong> Revier<br />
Behandlungen, wie sie auch in einer<br />
normalen Hausarztpraxis vorgenommen<br />
werden. Jede weitergehende<br />
Behandlung findet heute <strong>im</strong> Justizkrankenhaus<br />
Fröndenberg statt.<br />
Einen fest angestellten Anstaltsarzt<br />
für die JVA Düsseldorf gibt es erst seit<br />
1980. Nach der Auflösung des „CK”<br />
(Chirurgisches Justizkrankenhaus<br />
Düsseldorf) wechselte Herr Dr. Azarbayedjan<br />
Ende 1985 mit einigen Fachkräften<br />
in das heutige Sani-Revier.<br />
Vor 28 Jahren war das „Kranken-<br />
Bis zum Jahre 1986 beherbergte<br />
die JVA Düsseldorf das chirurgische<br />
Vollzugskrankenhaus in den<br />
heute für Arbeitsbetriebe genutzten<br />
Räumen des CK (Chirurgische Klinik).<br />
Mit Eröffnung des Vollzugskrankenhauses<br />
in Fröndenberg/Sauerland<br />
wurde das CK 1986 geschlossen und<br />
die zentrale stationäre Krankenversorgung<br />
Nordrhein-Westfalens nach<br />
Fröndenberg verlagert.<br />
Hier in Düsseldorf geblieben ist das<br />
Sanitätsrevier, heute eine Abteilung<br />
mit Untersuchungsräumen, Zahnarztpraxis,<br />
Augenarztpraxis, Röntgen,<br />
Bäderabteilung und einer umfangrei-<br />
Von Darius M.<br />
chen Apotheke. Belegärzte von draußen<br />
ergänzen das medizinische Angebot.<br />
Hautarzt, Zahnärztin und Augenarzt<br />
kommen regelmäßig einmal oder<br />
sogar zwe<strong>im</strong>al in der Woche in die<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh’.<br />
Meldung auf der Abteilung<br />
Das Sanitätspersonal und ein fest<br />
angestellter Anstaltsarzt sorgen heute<br />
für die ärztliche Basisversorgung.<br />
Jeder, der zum Arzt möchte, muss sich<br />
von seinem Abteilungsbeamten in den<br />
Computer eintragen lassen. Je nach<br />
dem, wann die Sanitäter <strong>im</strong> Revier<br />
diese Anmeldeliste abrufen, kann er<br />
ULMER ECHO 2007<br />
klientel” zudem ein anderes: kaum<br />
Drogenabhängige, mehr Arbeitsverletzungen<br />
und mehr Verletzungen durch<br />
gewalttätige Auseinandersetzungen.<br />
Nach Einzug von Sport, Freizeit,<br />
Radio und TV in den <strong>Knast</strong> ließen die<br />
Aggressionen untereinander<br />
nach. Auch<br />
die in den 80er Jahren<br />
üblichen Selbstverletzungen<br />
gibt es<br />
heute kaum noch;<br />
Dr. Azarbayedjan<br />
berichtet von einer<br />
großen Zahl verschluckter<br />
Gegenstände<br />
wie Gabeln,<br />
Messern und sogar<br />
Rasierklingen. Allerdings<br />
nahmen seither<br />
die Probleme durch<br />
Drogenkonsum gewaltig<br />
zu.<br />
Früher konnten<br />
die Sanis viele Entscheidungen vornehmen,<br />
die heute dem Arzt vorbehalten<br />
sind. Die Sanitätsbeamten stellen<br />
<strong>im</strong> Bereitschaftsdienst eine Präsenz<br />
rund um die Uhr sicher. •<br />
Aus UE 3/2003<br />
noch am selben Tag zum Arzt kommen.<br />
Keiner sollte sich aber allzu<br />
große Hoffnungen machen: da die<br />
Anmeldeliste meistens schon vor dem<br />
Aufschluss um 6 Uhr von den Sanis<br />
abgerufen worden ist, muss in der<br />
Regel bis zum nächsten (Arbeits-)Tag<br />
gewartet werden. Am Tag des Arztbesuches<br />
muss der Patient auf seinem<br />
Haftraum bleiben, Arbeiter werden<br />
nicht mehr wie früher von ihrem<br />
Arbeitsplatz abgeholt. Diese Regelung<br />
gilt für die Wochentage Montag bis<br />
Freitag. An Samstagen und Sonntagen<br />
gibt es keine Arztsprechstunde, am<br />
Wochenende werden nur akute Fälle
ULMER ECHO 2007<br />
Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
19<br />
vom Sanitätsbeamten begutachtet. Der<br />
entscheidet dann, ob ein Arzt hinzu<br />
gerufen wird.<br />
Alles können die Sanitäter der<br />
Revier-Crew nicht machen, aber z.B.<br />
Wundversorgungen und andere<br />
Behandlungen, die <strong>im</strong> eigenen Verantwortungsbereich<br />
liegen oder vom Arzt<br />
verordnet sind, werden mit der erforderlichen<br />
Fachkenntnis ausgeführt.<br />
Bei schwerwiegenden Fällen, in denen<br />
Die Angst<br />
<strong>im</strong> verschlossenen Raum<br />
Das klingt ganz gut. Gerade herzkranke<br />
Inhaftierte oder Epileptiker, die<br />
bei Anfällen schnelle Hilfe brauchen,<br />
um sich nicht selbst zu verletzen oder<br />
zu ersticken, haben in den über lange<br />
Stunden verschlossenen Hafträumen<br />
oft große Angst. Immer wieder wird in<br />
der eigenen Umgebung erlebt oder von<br />
Mitinhaftierten erzählt, dass Gefangene<br />
zunächst vergeblich auf Hilfe warteten,<br />
nachdem sie in einer Notlage auf<br />
die Ampel gegangen waren. Verständlich,<br />
dass kranke Inhaftierte in Sorge<br />
sind, ob <strong>im</strong> Notfall schnelle Hilfe<br />
kommt.<br />
Keine freie Arztwahl<br />
Ein weiteres Grundproblem der<br />
medizinischen Versorgung <strong>im</strong> Vollzug<br />
besteht darin, dass alle Inhaftierten auf<br />
Gedeih und Verderb mit dem einen<br />
Revier und dem einen Anstaltsarzt<br />
klarkommen müssen. Klappt es da<br />
Außerdem kommen bei Bedarf<br />
Hautarzt, HNO-Arzt, Neurologe und<br />
Psychiater in die JVA, wodurch kaum<br />
noch Arzt-Ausführungen geschehen.<br />
Jeden Morgen Methadon<br />
Eine wichtige Aufgabe ist die Ausgabe<br />
der verordneten Medikamente.<br />
So trabt jeden Morgen eine große Zahl<br />
Gefangener von den Abteilungen ins<br />
Revier. Besonders groß ist die Zahl der<br />
Ein Inhaftierter <strong>im</strong> O-Ton:<br />
„Für jedes Wehwechen gibt es hier Paracetamol. Leider<br />
ist das kein Ersatz für eine richtige Behandlung. Gestern<br />
Abend hat unser Abteilungsbeamte wieder eine ganze<br />
Packung Paracetamol in verschiedenen Zellen verteilt.<br />
Das soll reichen?”<br />
die vorhandenen Möglichkeiten des<br />
Reviers nicht mehr ausreichen, wird<br />
der Patient in das JVK Fröndenberg<br />
überwiesen oder an die Fachärzte<br />
überwiesen, die regelmäßig hier sind.<br />
In wirklichen Notfällen wird natürlich<br />
auch der ganz normale Notarzt<br />
gerufen, wenn zu der Zeit kein Arzt <strong>im</strong><br />
Haus ist. Jeder hat schon einmal mitbekommen,<br />
dass der Notarztwagen<br />
nachts oder am Wochenende auf das<br />
Anstaltsgelände gefahren kam. Ein<br />
Not-Transport ins Justizkrankenhaus<br />
kann dann vorkommen, aber auch eine<br />
Einlieferung in eines der umliegenden<br />
Unfallkrankenhäuser ist <strong>im</strong> Fall der<br />
Fälle möglich – natürlich unter Bewachung.<br />
nicht, gab es mal Stress oder ist kein<br />
Vertrauen da: das Grundrecht der<br />
freien Arztwahl besteht hier nicht, ein<br />
Ausweichen ist unmöglich. Das führt<br />
dazu, dass sich manch ein Inhaftierter<br />
ausgeliefert fühlt.<br />
Spezialisten von draußen<br />
Die ärztliche Versorgung rund um<br />
die Zähne besorgen Zahnärztinnen von<br />
draußen jeweils dienstags und donnerstags.<br />
Bei Zahnschmerzen soll sich<br />
der Kranke be<strong>im</strong> Abteilungsbeamten<br />
melden, der ihn dann in das Vormelder-Buch<br />
zur Zahnärztin einträgt. Bei<br />
akuten Beschwerden, die keinen Aufschub<br />
bis zum nächsten Zahnarzttermin<br />
erlauben, gibt es noch einen Notdienst,<br />
der in absoluten Notfällen mittwochs,<br />
freitags und am Wochenende<br />
zur Verfügung steht, wenn auch keine<br />
medikamentöse Behandlung Linderung<br />
verschafft.<br />
Ein Augenarzt kommt alle 14 Tage<br />
ins Haus. Dieser ist auch für die Herstellung<br />
oder Änderung von Sehhilfen<br />
zuständig. Ein Anspruch auf Versorgung<br />
mit Sehhilfen besteht nur bei<br />
einer Änderung der Sehfähigkeit um<br />
mindestens 0,5 Dioptrien. Anspruch<br />
auf Versorgung mit Kontaktlinsen<br />
besteht nur in medizinisch zwingend<br />
erforderlichen Ausnahmefällen.<br />
Methadon-Abschlucker auf der<br />
Zugangsabteilung. Die meisten werden<br />
mit Methadon ausgeschlichen, nur<br />
einige bekommen dauerhaft die<br />
Ersatzdroge.<br />
Ihre Medikamente bezieht die<br />
Anstalt zu Großhandelspreisen. Für<br />
alle Häftlinge garantiert das Land<br />
NRW ungeachtet der Herkunft die<br />
kostenfreie medizinische Versorgung.<br />
Dennoch gibt es hier und da Gefangene,<br />
die über best<strong>im</strong>mte, meist teure<br />
Medikamente mit dem Arzt <strong>im</strong> Clinch<br />
liegen oder beklagen, dass notwendige<br />
Maßnahmen für ihre Heilung unterbleiben.<br />
Einwandfreie Hygiene<br />
Das Revier muss sich stets in einwandfreiem<br />
hygienischen Zustand.<br />
präsentieren Die Sauberkeit ist auch<br />
den beiden Revierhausarbeitern zu<br />
verdanken, deren Arbeitstag schon<br />
früh um 6 Uhr beginnt. Sie reinigen die<br />
Behandlungsräume, tauschen Müllbeutel,<br />
stellen genügend Mineralwasser<br />
für die Ausgabe bereit. Weiter wird<br />
das Bad vorbereitet für diejenigen, die<br />
aus medizinischen Gründen dort baden<br />
oder duschen. Alle sollen eine saubere<br />
Umgebung vorfinden. •
20 Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Gesundheitsreform: Da hilft nur noch Zahnziehen<br />
von Darius M. mit Christine Kuhn*<br />
Es ist nicht leicht für Dr. Martina<br />
Plaum-Ditze. Zwei mal die<br />
Woche hat die Zahnärztin Sprechstunde<br />
auf der <strong>Ulmer</strong> Höh’. In ihrem<br />
Behandlungsraum kümmert sie sich<br />
um die zahnmedizinischen Probleme<br />
der Inhaftierten. Die dunkelhaarige<br />
Frau hat viel zu tun. Das Wartez<strong>im</strong>mer<br />
ist <strong>im</strong>mer voll. Doch damit nicht<br />
genug. Die Ärztin muss sich zudem<br />
mit neuen Reglementierungen herumschlagen.<br />
Der Etat ist <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Gesundheitsreform drastisch gekürzt<br />
worden und macht ihr das Leben<br />
schwer. „Für einen Patienten habe ich<br />
nur noch 53 Euro <strong>im</strong> Quartal zur Verfügung”,<br />
sagt die Zahnmedizinerin.<br />
Sie sitzt auf einem Stuhl und blickt auf<br />
ihre Hände herab, während sie erzählt.<br />
Dass 53 Euro zu wenig sind, um eine<br />
ausreichende Versorgung zu ermöglichen,<br />
liegt auf der Hand. Behandlungskompromisse<br />
werden unumgänglich.<br />
So berichtete ein Häftling dem<br />
ULMER ECHO eine wirklich kuriose<br />
Geschichte. Der Betroffene hatte zwei<br />
kaputte Zähne. Als er Dr. Plaum-Ditze<br />
aufsuchte, um die Schmerzen behandeln<br />
zu lassen, entschied sich die Ärztin<br />
notgedrungen für eine ungewöhnliche<br />
Behandlungsweise. Ein Zahn musste<br />
gezogen werden, er war nicht mehr<br />
zu retten. Den anderen Zahn konnte sie<br />
nicht mehr behandeln obwohl der<br />
Zahn schmerzte, da es der Etat nicht<br />
zuließ.<br />
Dr. Plaum-Ditze trifft hier keine<br />
Schuld. Schon vor der Reform hatte<br />
das Geld nicht gereicht, und die Ärztin<br />
hat aus eigener Tasche dazu gezahlt.<br />
Auch einen erheblichen Teil des notwendigen<br />
Materials hat die engagierte<br />
Frau eigens zur Verfügung gestellt.<br />
Der Beitrag der Anstalt in Form von<br />
zahnärztlichen Materialien ist für eine<br />
adäquate Versorgung derzeit nicht ausreichend.<br />
Die Reformen legen der<br />
Zahnärztin jetzt unüberwindbare Steine<br />
in den Weg. „Ich würde nur noch<br />
draufzahlen”, sagt sie.<br />
Auch Inhaftierte, die nach relativ<br />
kurzem <strong>Knast</strong>aufenthalt in eine Drogentherapie<br />
gehen, bereiten der Ärztin<br />
Sorgen. Das Prinzip ist ganz einfach:<br />
pro Quartal kann sie noch max<strong>im</strong>al<br />
Hepatitis - die verkannte Volksseuche<br />
Gefangene können sich vor Gelbsucht schützen<br />
von Darius M. und Wolfgang Sieffert OP<br />
Hunderttausende infizieren sich<br />
in Deutschland mit dem Hepatitis-Virus.<br />
Es sterben weitaus mehr<br />
Menschen an den verschiedenen Formen<br />
von Gelbsucht, als am HIV-Virus.<br />
Gelbsucht, wie Hepatitis <strong>im</strong> Volksmund<br />
genannt wird, ist eine Leberentzündung<br />
und kann zu einer langwierigen<br />
und chronischen Krankheit führen.<br />
Die Virusvermehrung erfolgt wahrscheinlich<br />
ausschließlich in der Leber.<br />
Insassen einer JVA sind besonders<br />
gefährdet, da in den Anstalten die Risikogruppen<br />
vermehrt aufeinander treffen.<br />
Daher ist es für Inhaftierte<br />
besonders wichtig, sich über die Risiken<br />
<strong>im</strong> Klaren zu sein und zu wissen,<br />
wie sie sich vor einer Infektion schützen<br />
können. Jeder, der schon erkrankt<br />
ist, sollte sein näheres Umfeld auf<br />
seine Infektion aufmerksam machen,<br />
damit diese sich durch Hygienemaßnahmen<br />
vor Ansteckung schützen können.<br />
Wer einfache Regeln beachtet,<br />
kann durchaus mit einem an Hepatitis<br />
Erkrankten in einer Zelle leben, ohne<br />
sich anzustecken.<br />
Entsprechende ärztliche Untersuchungen<br />
sind freiwillig. Wer eine Blutuntersuchung<br />
be<strong>im</strong> Sanitätsdienst<br />
beantragt, dem darf sie nicht verweigert<br />
werden. Sich auf Hepatitis untersuchen<br />
zu lassen ist jedem nahe zu<br />
legen, der eine Infizierung nicht ausschließen<br />
kann. Allerdings muss er<br />
sich darüber <strong>im</strong> klaren sein, dass eine<br />
ULMER ECHO 2007<br />
drei Zähne reparieren. Für mehr reicht<br />
das Budget einfach nicht. Eine umfassende<br />
Zahnsanierung zieht sich deshalb<br />
über lange Zeit hin, da <strong>im</strong>mer bis<br />
zum nächsten Quartal gewartet werden<br />
muss, ehe eine Behandlung fortgeführt<br />
werden kann. Plaum-Ditze empfiehlt,<br />
sich möglichst früh um eine zahnärztliche<br />
Behandlung zu kümmern.<br />
Die Häftlinge sind mit den Behandlungsmaßnahmen<br />
sehr zufrieden. Das<br />
Team um Frau Plaum-Ditze ist sehr<br />
zuvorkommend und kompetent. „Ich<br />
werde mich trotz allen Einschränkungen<br />
bemühen, weiterhin alle Patienten<br />
zufrieden zu stellen, aber es muss auch<br />
alles zeitlich zu regeln sein. Mein persönlicher<br />
Zwiespalt zwischen meiner<br />
Aufgabe als Ärztin und den Verordnungsrichtlinien<br />
aber bleibt”, sagt sie.<br />
Auch bei Gefangenen gilt scheinbar:<br />
„Zeig mir deine Zähne, und ich sage<br />
dir, wer du bist.” •<br />
Aus UE 3/2003;<br />
* Die Mitarbeiterin der Süddeutschen<br />
Zeitung hat für eine Recherche einen<br />
Tag in der Redaktion mitgearbeitet.<br />
Hepatitis Konsequenzen für den <strong>Knast</strong>alltag<br />
hat. Dennoch sollte sich jeder<br />
Gewissheit verschaffen!<br />
Hygiene schafft<br />
Schutz vor Ansteckung<br />
Im Einzelnen sollten, um eine<br />
Übertragung des Virus auszuschließen,<br />
die folgenden Punkte beachtet werden.<br />
Nicht das gleiche Handtuch benutzen.<br />
Geschirr nicht gemeinsam verwenden.<br />
Tätowiernadeln müssen sterilisiert<br />
worden sein. Nur mit der eigenen Bürste<br />
die Zähne putzen. Spritzen nie gemeinsam<br />
und nur einmal nutzen. In der<br />
Dusche Badelatschen tragen. •
ULMER ECHO 2007<br />
Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Sexualität - was ist das eigentlich?<br />
21<br />
Von Wolfgang Sieffert OP<br />
Sexualität, das ist viel mehr, als<br />
miteinander schlafen. Das lateinische<br />
Wort bedeutet „Geschlechtlichkeit“,<br />
worunter all das zu verstehen ist,<br />
was uns als geschlechtliche Wesen<br />
ausmacht. Unsere Geschlechtlichkeit<br />
besagt, dass wir Mann sind oder Frau;<br />
sie bedeutet, dass wir uns nach der<br />
Nähe eines anderen Menschen sehnen,<br />
dass wir begehren, uns verlieben,<br />
Lust verspüren, dass wir streicheln<br />
und gestreichelt werden wollen,<br />
best<strong>im</strong>mte Menschen zärtlich<br />
anschauen und ansprechen. Während<br />
es ja manchen Menschen zu gelingen<br />
scheint, „Sex“ (d.h. den Geschlechtsakt)<br />
von Liebe zu trennen, hat Sexualität<br />
als Geschlechtlichkeit insgesamt<br />
auf jeden Fall auch mit Liebe<br />
oder unserer Sehnsucht danach zu tun.<br />
Unsere Sexualität bezieht sich nicht<br />
nur auf den Geschlechtspartner, sondern<br />
best<strong>im</strong>mt unser ganzes Sein.<br />
Sexualität ist es auch, wenn Mütter<br />
oder Väter zärtlich sind zu ihren Kindern<br />
oder fürsorglich und achtsam.<br />
Und eine Sexualität, der es an Reife<br />
fehlt, bedeutet auch, dass eine Person<br />
mit sich selbst und ihrer Körperlichkeit<br />
nicht klar kommt. Im weiteren Sinne<br />
sind sexuelle Signale für unser Wohlbefinden<br />
ausgesprochen wichtig: zu<br />
spüren, dass uns jemand mag, dass<br />
sich eine Person über uns freut. Und<br />
jeder hat schon selbst gespürt, wie<br />
wunderbar nicht nur „guter Sex“ wirkt,<br />
sondern auch, wie gut es tut, umarmt<br />
zu werden, zu kuscheln oder einen lieben<br />
Brief zu bekommen. Sexualität<br />
spielt in allen sozialen Kontakten eine<br />
Rolle – selbst dann noch, wenn wir<br />
irgendwen „nicht riechen“ könne und<br />
ist von entscheidender Bedeutung für<br />
menschliches Wohlbefinden und<br />
Selbstvertrauen.Entzug tut <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
besonders wehKein Wunder also, dass<br />
der weitgehende Entzug der Möglichkeiten,<br />
Sexualität zu leben und zu<br />
gestalten, eine der wirklich heftigen<br />
D<strong>im</strong>ensionen von Inhaftierung ist.<br />
Meiner Meinung nach ist es ebenso<br />
schl<strong>im</strong>m wie verständlich, dass die<br />
Meisten hier sich lieber innerlich<br />
abschotten und ihre Gefühle verdrängen.<br />
Aber die Konsequenz ist innere<br />
Abstumpfung und Verlust des<br />
Gespürs für die eigenen Gefühle.<br />
Deshalb müsste viel mehr getan werden<br />
in den Bereichen Besuch, Telefon,<br />
Privatsphäre, Partnerschaftsberatung,<br />
Therapie und Gesprächsmöglichkeit! •<br />
Aus UE 2/2000<br />
Tabu: Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Ist Sexualentzug zwangsläufiges Übel oder gewollte Doktrin?<br />
Nach dem Motto: „Hallo, Karl,<br />
wie geht's Dir?“ – „Frag lieber<br />
nicht. Gestern ging´s noch, hatte<br />
Besuch von meiner Freundin. Ihre<br />
Nähe, ihr Geruch, die Küsse, ihre zärtlichen<br />
Hände ...! Aber was soll das<br />
alles, wenn Du Deine Gefühle nicht<br />
ausleben kannst. Wie lange soll ich<br />
das noch durchhalten? Und vor allen<br />
Dingen, wie lange hält meine Kleine<br />
das noch durch? Kann ich ihr zumuten,<br />
draußen über Jahre hinweg wie eine<br />
Nonne zu leben, mit ihrem super Aussehen?<br />
Ich glaube, es ist besser, ich<br />
trenne mich von ihr und gebe sie freiwillig<br />
frei. Besser so, als wenn sie<br />
mich mit einem anderen betrügt und<br />
ich hoffe noch auf eine gemeinsame<br />
Zukunft.“ Zu einer Partnerschaft<br />
gehört eben auch körperliche Nähe<br />
und diese zwangsweise Enthaltsamkeit<br />
Von Max<strong>im</strong>us Pontifex<br />
werde ich über einen längeren Zeitraum<br />
nicht ertragen können!“<br />
Ich weiß genau, was Karl meint,<br />
Börmeier & Nickel Verlag Schmuzelbuch Johannes<br />
fühlt und denkt. Auch wenn ich etwas<br />
älter bin, so ist mein Sexualtrieb keineswegs<br />
erkaltet. Ich bin mit meiner<br />
Frau seit 14 Jahren glücklich verheiratet.<br />
Während dieser Zeit mussten auch<br />
wir infolge zwei längerer Haftaufenthalte<br />
auf unsere körperliche Liebe verzichten.<br />
Das tat jedoch unserer Liebe<br />
keinen Abbruch, da wir uns bedingungslos<br />
vertrauten. Aber auch ich<br />
machte damals, nach meiner Inhaftierung,<br />
die Erfahrung, dass die Angst vor<br />
einem Verlust der Liebsten einer seelischen<br />
Folter gleichkommt.<br />
Zu Freiheitsentzug verurteilt –<br />
Sexualentzug kommt dazu<br />
Was denkt sich der Gesetzgeber<br />
eigentlich dabei, zu Freiheitsentzug zu<br />
verurteilen – der unausgesprochen,<br />
aber knallhart, sexuellen Entzug<br />
bedeutet? Hat der Richter erst einmal<br />
sein: „Im Namen des Volkes“ verkündet,<br />
dann ist es soweit. In benachbarten<br />
Ländern gibt es Gesetze zum Schutz<br />
der Familie (inklusive der Sexualität),<br />
durch die bei einer Inhaftierung den
22 Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
ULMER ECHO 2007<br />
fatalen Dauerfolgen von „Beziehung<br />
ohne sexuelle Begegnung“ entgegengewirkt<br />
wird. In manchen Ländern gibt<br />
es weit weniger Familienväter in U-<br />
Haft. Hierzulande wird die Gewichtigkeit<br />
des familiären Rückhaltes weitgehend<br />
außer Acht gelassen. Selbst bei<br />
einer einschneidenden Maßnahme wie<br />
der Haft gäbe es Wege, unseren<br />
Grundbedürfnissen Rechnung zu tragen.<br />
Nach einer Verhaftung verdrängen<br />
wir zunächst den Schmerz über die<br />
Trennung. Dieser Zustand geht in<br />
Abstumpfung über: das ist keine<br />
Lösung, sondern ein Weg in die falsche<br />
Richtung. Das kann doch so nicht<br />
richtig sein! Warum wird da nichts<br />
geändert?<br />
Selten: Int<strong>im</strong>besuch<br />
Für Int<strong>im</strong>kontakte <strong>im</strong> Rahmen der<br />
ehelichen Besuche bestehen keine<br />
besonderen Regelungen. Das Gesetz<br />
geht davon aus, dass diesen Kontaktbedürfnissen<br />
durch eine großzügige<br />
Urlaubsgewährung entsprochen werden<br />
kann, die jedoch allzu selten stattfindet.<br />
Und das, obwohl die Ehe<br />
gemäß Art.6 Abs.1 GG unter dem<br />
besonderen Schutz der staatlichen<br />
Ordnung steht. Während der Besuchszeit<br />
ungestört und unbeobachtet mit<br />
unseren Frauen zusammensein zu dürfen,<br />
ist be<strong>im</strong> Besuch unmöglich. Es<br />
gibt aber in einigen Nordrhein–Westfälischen<br />
Vollzugsanstalten die Möglichkeit,<br />
mit dem Partner „Int<strong>im</strong>besuch“<br />
in speziell dafür vorgesehenen<br />
Appartementräumen abzuhalten. Das<br />
gilt aber nur für Strafgefangene. Bevor<br />
wir eine solche Möglichkeit genießen<br />
dürfen, gehen Erprobungszeiten in<br />
Besuchsabläufen voraus. Anschließend<br />
prüft der zuständige Abteilungsleiter<br />
die „Förderungswürdigkeit der<br />
Beziehung“, d.h., die Partnerin wird in<br />
ein intensives Gespräch einbezogen.<br />
Ist es dann endlich soweit, nachdem<br />
weitere Monate vergangen sind, dann<br />
macht sich be<strong>im</strong> ersten Int<strong>im</strong>besuch<br />
Frust breit. Unter dem Druck der Haft<br />
kommt kaum Lust auf, die jedoch<br />
wichtiger Bestandteil der Sexualität<br />
ist. Sollten wir vielleicht jeglichen<br />
Gedanken an Sex und Gefühle aus<br />
unserem Kopf streichen?<br />
Mit dem Problem<br />
leben lernen<br />
Was bleibt uns sonst noch übrig,<br />
um dem Problem zu begegnen? Klar,<br />
die Selbstbefriedigung, verbunden mit<br />
Phantasien und Erinnerungen an frühere<br />
Zeiten. Wer beides nicht hat, bedient<br />
sich der nächtlichen Fernsehprogramme<br />
oder der umlaufenden, meist zerfledderten<br />
Pornomagazine. Glücklich<br />
derjenige, der über eine Einzelzelle<br />
verfügt und unbeobachtet seinen<br />
Gefühlen freien Lauf lassen kann. In<br />
dieser mehr als würdelosen Umgebung<br />
fällt es schwer, sich auf das zu konzentrieren,<br />
was wir außerhalb der Mauern<br />
als „schönste Sache der Welt“ bezeichnen.<br />
Wie mag sich unsere Partnerin<br />
dabei fühlen, wenn wir sie anlässlich<br />
eines Besuches verklemmt befummeln,<br />
und das noch unter Bewachung?<br />
Die prüfenden Blicke einiger aufsichtsführender<br />
Beamten, verbunden<br />
mit anzüglichen Bemerkungen, tun ihr<br />
übriges dazu. Auf dem Rückweg Richtung<br />
Zelle fühlen wir uns oft elendig<br />
und erniedrigt, versagen uns lieber den<br />
nächsten Besuch, um unserer Frau<br />
oder Freundin solche entwürdigenden<br />
Situationen in Zukunft zu ersparen.<br />
Sozial- und Sexualentzug<br />
machen uns krank<br />
Wissenschaftler haben bewiesen,<br />
dass bei sexuellen Handlungen bis zu<br />
30% mehr Antikörper in unserem<br />
Organismus gebildet werden, die<br />
bekanntlich verhindern, dass wir anfällig<br />
für Krankheiten werden. Eine<br />
18fach intensivere Blutzufuhr schützt<br />
ebenfalls vor Herzkreislauferkrankungen.<br />
Doch wen interessiert das hier<br />
schon? Wir verfügen schließlich über<br />
einen gut sortierten Sanitätsbereich,<br />
der uns auch bei psychischen Wehwehchen<br />
medikamentös versorgt. Gesetzgeber<br />
und Justiz nehmen es also wissentlich<br />
in Kauf, dass ihre Inhaftierten<br />
durch , Sozial–und Sexualentzug<br />
gesundheitlich geschädigt werden.<br />
Spannungen und aggressives Verhalten<br />
unseren Vorgesetzten gegenüber<br />
machen sich breit. Depressionen rufen<br />
den Psychologen auf den Plan. Unser<br />
soziales Verhalten entwickelt sich<br />
automatisch zurück und unsere Ehepartner<br />
draußen müssen diesem Verfall<br />
untätig zusehen.<br />
Zerstörung der Partnerschaft<br />
ist vorprogrammiert<br />
Selbst wenn Partner– und Freundschaften<br />
über einen längeren Zeitraum<br />
Bestand haben kommt es allmählich zu<br />
einem beiderseitigen Abkapseln und<br />
zu einer Entfremdung. Die Verhaltensweisen<br />
verändern sich. Diese Disharmonien<br />
kommen deutlich zum Ausdruck,<br />
wenn es uns vergönnt wird,<br />
nach einer geraumen Zeit in Haft erstmals<br />
anlässlich eines genehmigten<br />
Urlaubes unsere Partnerinnen außerhalb<br />
der Mauern treffen zu dürfen. Die<br />
gesetzlich festgeschriebenen Resozialisierungsmaßnahmen<br />
sollten sexuelle<br />
Kontakte zu unseren Lieben beinhalten.<br />
So würde der propagierte „Schutz<br />
von Ehe und Familie“ zumindest<br />
ansatzweise zur Geltung kommen. Tatsächlich<br />
aber wird für diesen speziellen<br />
Problembereich keine Lösung<br />
angeboten, selbst an beratenden<br />
Gesprächen mangelt es.<br />
Ausnahmen in dieser Richtung bilden<br />
sowohl die kirchlichen Institutionen,<br />
als auch die Eheberatung, die sich<br />
dieser Problematik annehmen und uns<br />
Partnergespräche und Sonderbesuche<br />
anbieten.<br />
Liebe von Mann zu Mann<br />
Gleichgeschlechtliche Liebe sehen<br />
eine große Anzahl von Inhaftierten als
ULMER ECHO 2007<br />
Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
23<br />
einzige Möglichkeit, ihre<br />
sexuellen Triebe zu befriedigen.<br />
Während außerhalb<br />
der Mauern das Schwulsein<br />
längst salonfähig<br />
geworden ist, wird Homosexualität<br />
<strong>im</strong> <strong>Knast</strong> meist<br />
unter dem Deckmantel der<br />
Verschwiegenheit praktiziert.<br />
Ein gutes Stück toleranter<br />
wird mit Sexualität von<br />
Mann zu Mann in Haftanstalten<br />
umgegangen, in<br />
denen langstrafige Täter<br />
einsitzen. Hier ist naturgemäß<br />
auch verstärkt das<br />
Risiko der Ansteckung mit HIV oder<br />
Hepatitis gegeben, Vorsorge und Verhütumng<br />
tut da Not..<br />
Alle wissen es – aber keiner redet drüber. Sexualität<br />
<strong>im</strong> <strong>Knast</strong> ist eine Angelegenheit, die mit beträchtlichen<br />
Problemen für alle Beteiligten belastet ist. Darüber<br />
sprechen ist tabu. Zu hören sind jede Menge Sprüche,<br />
die eher geeignet sind, den Gegenstand vom Leib zu<br />
halten; aber über eigene Beziehungen wird selten<br />
erzählt. Kaum je thematisieren Gefangene, was der<br />
Verlust der Int<strong>im</strong>sphäre bedeutet; wie es ist, Ehefrau,<br />
Freundin, Kinder nur unter Beobachtung zu sehen;<br />
welche Bedeutung eine schwule Beziehung hat. Auch<br />
wir Profis <strong>im</strong> Vollzug sprechen kaum über Auswirkungen<br />
der Haft auf Int<strong>im</strong>sphäre und Sexualität. In dieser<br />
Sonderausgabe versuchen wir, uns dem Thema zu<br />
nähern, Aspekte zu benennen und zu beleuchten.. [ws]<br />
Infektionsverhütung auf der Ulm<br />
Das Sanitätsrevier unserer JVA ist<br />
auch zu diesem Zweck ausgestattet.<br />
Kondome und Gleitmittel<br />
sind hier auf Nachfrage<br />
erhältlich. Wie alle anderen<br />
medizinischen Sachverhalte<br />
wird auch der<br />
Wunsch nach solchen<br />
Utensilien vertraulich<br />
behandelt und unterliegt<br />
natürlich der Schweigepflicht.<br />
Schriftlich festgehalten<br />
wird darüber<br />
nichts. Dennoch ist vielen<br />
Inhaftierten peinlich,<br />
nach einem „Gummi“ zu<br />
fragen. Weiterhin sind<br />
Kondome und Gleitmittel<br />
auch über die Pfarrer zu<br />
erhalten, die ebenso der Schweigepflicht<br />
unterliegen. •<br />
* Aus UE 2/2000; Mitarbeit: fh, ws<br />
„Sexualität ist auch in der Haft nicht tot!“<br />
Interview mit Ulrike Wewer, Ehe- und Lebensberaterin in der JVA Düsseldorf<br />
UE: In Ihren Beratungen: ist da<br />
die Sehnsucht nach körperlicher<br />
Nähe nicht größer als das<br />
Bedürfnis, mit einander zu sprechen?<br />
Frau Wewer: Ich kann das verstehen,<br />
wenn das Bedürfnis nach Nähe<br />
ganz groß ist: aber da muss ich den<br />
Beteiligten dann sagen, dass ich in der<br />
Partnerschaftsberatung nicht auffangen<br />
kann, was den Paaren fehlt. Man-<br />
Börmeier & Nickel Verlag Schmuzelbuch Johannes<br />
che äußern Ihre Wünsche ganz offen.<br />
Obwohl ich das begreife, kann ich<br />
meine Beratungsstunden nicht dafür<br />
nutzen.<br />
Aber allgemein<br />
erlebe<br />
ich Beides,<br />
vielleicht<br />
sogar<br />
mehr das<br />
Bedürfnis,<br />
zu sprechen.<br />
Das Thema<br />
Sexualität<br />
spielt selten<br />
eine herausragende<br />
Rolle. Konflikte<br />
und<br />
andere<br />
Dinge, die<br />
zu regeln<br />
sind, stehen<br />
meist <strong>im</strong><br />
Vordergrund. Meist sind die Beziehungen<br />
ja auch vor der Haft nicht ohne<br />
Probleme und da muss Manches<br />
geklärt werden, bevor sich wieder<br />
etwas regt. Problembesprechungen<br />
und Bewältigung des Anstehenden stehen<br />
bei der Beratung <strong>im</strong> Vordergrund,<br />
dafür kommen die Leute zu mir. Inhaftierung<br />
schädigt Beziehung und Person<br />
UE: Gehen nicht die allermeisten Beziehungen<br />
kaputt – spätestens nach<br />
der Haft?<br />
Frau Wewer: Nein! Das ist kein<br />
Prinzip.<br />
Oft trennt sich die Frau. Aber viele<br />
der Beziehungen halten auch und<br />
bestehen nach der Haft fort. Ich finde<br />
das bemerkenswert und erstaunlich.<br />
Bezifferbare Erfahrungen gibt es aber<br />
in diesem Bereich keine.<br />
Die Zeit der Haft ist zwar sehr<br />
schwierig für die Partnerschaft; aber<br />
wer weiß, ob eine Beziehung aufgrund<br />
von fünf Jahren Haft kaputt geht –<br />
oder ob sie ohne <strong>Knast</strong> nach fünf Jahren<br />
nicht auch kaputt gegangen wäre?<br />
Es ist ja nicht so, dass Beziehungen<br />
„draußen“ <strong>im</strong>mer halten. Die stehen ja<br />
heutzutage auch unter einem enormen<br />
Risiko, zu scheitern. Es gibt nicht die<br />
Logik: <strong>Knast</strong> bedeutet Trennung! Fantasierte<br />
Sexualität ist leichter. •<br />
* Stark gekürzt aus UE 2/2000
24 Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
ULMER ECHO 2007<br />
Was würde nur meine Frau von<br />
mir denken, wenn sie mich<br />
so sähe? Auf meiner Schaumstoffmatratze<br />
liegend, in Gedanken an erotische<br />
Stunden zu Zweit ertappe ich<br />
mich dabei, wie ich erregt an mir herumspiele.<br />
Bin ich eigentlich noch normal?<br />
Seit vier Monaten muss ich der<br />
Fleischeslust zwangsweise entsagen,<br />
jetzt schwirren wilde Gedanken durch<br />
meinen Kopf: Ob sie mit einem anderen<br />
schläft? Hält sie es ohne meine<br />
zärtlichen Umarmungen so lange aus?<br />
Sicher gibt es in der augenblicklichen<br />
Situation wichtigere Dinge zu<br />
bewältigen. Aber die `schönste Nebensache<br />
der Welt´ verdrängt <strong>im</strong> Moment<br />
alle meine vordringlichen Probleme.<br />
Tief in Gedanken an meine große<br />
Liebe, auf eines ihrer besonders aufreizenden<br />
Fotos an meiner Zellenwand<br />
starrend, masturbiere ich dem ersten<br />
heutigen Höhepunkt entgegen, als sich<br />
Selbstbefriedigung unter Aufsicht<br />
In der Zelle geht es „heiß her“<br />
Von Anton Anonymus<br />
plötzlich, natürlich ohne vorherige<br />
Klopfzeichen, der Schlüssel <strong>im</strong><br />
Schloss meiner Zellentür dreht. Eine<br />
junge Beamtin (auch das noch) füllt<br />
die Hälfte des Türrahmens aus, schaut<br />
mich aus erweiterten Pupillen verwundert<br />
an und stottert: „P...post für Sie.“<br />
Verstört wirft sie mir ein bereits geöffnetes<br />
und auf Inhalt kontrolliertes<br />
Briefkuvert meiner Frau auf die Bettdecke,<br />
mit der ich blitzartig meine<br />
erstarrte Männlichkeit bedeckt hatte.<br />
Dem Gesichtsausdruck der diensthabenden<br />
Beamtin zufolge geschah das<br />
nicht mehr rechtzeitig genug. Oh, Gott,<br />
könnte ich mich jetzt nur unter meiner<br />
Bettdecke verstecken.<br />
Weshalb gönnt man uns hier in dieser<br />
tristen Umgebung nicht ein wenigstens<br />
ein kleines bisschen Int<strong>im</strong>ität?<br />
Zum Entzug der Freiheit kommt auch<br />
noch der zwangsweise Verlust von<br />
Liebe, Lust, Leidenschaft, Körperlichkeit.<br />
Wen verwundert es, dass sich<br />
Wutgefühle und Aggressionen in mir<br />
breit machen! Diese muss ich auch<br />
noch zu unterdrücken, um keine<br />
Repressalien seitens des <strong>Knast</strong>es<br />
erdulden zu müssen. Ich ergebe mich<br />
in mein Schicksal. Vor Frust und Enttäuschung<br />
weine ich still in das blauweiß<br />
karierte Laken, das meinen Kopfkeil<br />
umhüllt. • [vb]<br />
Und die Angehörigen?<br />
Das Thema „Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>“ berührt nicht nur Inhaftierte*<br />
Die Vollstreckung einer Haft<br />
richtet sich in der Intention<br />
ausschließlich gegen den Inhaftierten.<br />
Er allein hat das <strong>im</strong> Freiheitsentzug liegende<br />
Übel zu erdulden. Betroffen<br />
sind aber in erheblichem Maß auch<br />
seine Angehörigen: Kumpel, Freunde<br />
oder Eltern, ganz besonders aber Ehefrau,<br />
Kinder oder Freundin werden<br />
durch die Haft massiv und nachhaltig<br />
in Mitleidenschaft gezogen.<br />
Angehörige fast ohne Rechte<br />
Dieses „Mitbestraft sein“ ist vom<br />
Untersuchungs- oder Strafrichter<br />
natürlich nicht gewollt, aber angesichts<br />
der oft drastischen Auswirkungen<br />
muss es nachdenklich machen, dass<br />
diese sozialen Folgen kaum irgendwo<br />
bedacht werden. Während für den<br />
inhaftierten Menschen seine Rechte,<br />
Einschränkungen und Pflichten in<br />
Von Wolfgang Sieffert OP<br />
einer Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften<br />
geregelt sind, tauchen Familie<br />
und enge Vertrauenspersonen nur in<br />
wenigen Vorschriften ausdrücklich<br />
auf; vor allem dort, wo es um den Verkehr<br />
mit der Außenwelt (Besuch, Briefe<br />
etc.) geht.<br />
Mitbestrafte Angehörige<br />
Professor Dr. Heinz Müller-Dietz<br />
(Thesen zum Vortrag auf der Jahrestagung<br />
der Evangelischen Konferenz für<br />
Gefängnisseelsorge am 1.5.2000;<br />
Manuskript) beschreibt die Drittwirkungen<br />
des Freiheitsentzuges auf mitbestrafte<br />
Angehörige in mehreren<br />
Bereichen:<br />
„- auf kommunikativem Gebiet –<br />
Trennung und Gefahr der Entfremdung<br />
vom Lebenspartner und Vater;<br />
- <strong>im</strong> psychisch-seelischen Bereich –<br />
Trennung, Risiko der Entfremdung,<br />
Gefühl des Alleingelassenwerdens mit<br />
familiären Sorgen und Nöten-oder<br />
auch die Angst davor;<br />
- auf ökonomischem Gebiet – Verlust<br />
des Lebensunterhaltes und daraus<br />
entstehende Zwänge;<br />
- auf sozialemGebiet – Gefahr<br />
gesellschaftlicher Ausgrenzung und<br />
Risiko wachsenden Drucks, sich vom<br />
Inhaftierten zu trennen.“<br />
Für unser Thema „Sexualität“ ist<br />
bedeutsam, dass die Partner, mit denen<br />
Sexualität, Zärtlichkeit und Geborgenheit<br />
vor der Inhaftierung gelebt wurden,<br />
durch die Einschränkungen des<br />
Haftvollzugs nicht nur in ihren Rechten<br />
beschnitten werden, sondern<br />
gleichzeitig „draußen“ unter verschärften<br />
Lebensbedingungen leben. Die<br />
Situation ist häufig von Überforderungen<br />
gekennzeichnet, dazu kommen<br />
nicht selten (häufig berechtigte,
ULMER ECHO 2007<br />
manchmal heftige) Vorwürfe an den<br />
gefangenen Angehörigen. Das schafft<br />
Spannungen, Sprachlosigkeiten, Konflikte<br />
und gefährdet das Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Partnern ebenso wie<br />
zwischen Vätern und Kindern. Vertrauen<br />
aber scheint mir DIE wesentliche<br />
Basis zu sein dafür, dass ein<br />
Mensch sich bei einem anderen aufgehoben<br />
fühlen kann; es ist auch die<br />
Basis für erfüllte Sexualität. Nicht nur<br />
Inhaftierten, sondern auch ihren Partnerinnen<br />
und – für mich von ganz<br />
besonderer Bedeutung! – ihren Kindern<br />
werden durch Mangel an Vertrauen<br />
und Geborgenheit wichtige Lebensd<strong>im</strong>ensionen<br />
beschnitten. Unter<br />
Umständen löst das bei Kindern erhebliche<br />
Störungen aus. Und wer jemals<br />
mit einer Frau gesprochen hat, die sich<br />
be<strong>im</strong> Besuch hin und her gerissen fühlte<br />
zwischen beobachtenden neugierigen<br />
Blicken Dritter und ihrem Bedürfnis<br />
nach körperlicher Nähe; wer einmal<br />
sich hat erzählen lassen, wie entwürdigend<br />
die Prozedur des Besuches<br />
gerade von liebenden Frauen empfunden<br />
wird, wird ein klein wenig nachempfinden,<br />
wie einschneidend die<br />
Auswirkungen der Inhaftierung auf<br />
Familienmitglieder sind.<br />
Privatsphäre und Vertrauen<br />
Sexualität, Vertrauen, Geborgenheit,<br />
Zärtlichkeit: für mich gehört das<br />
in den Bereich einer sowieso schützenswerten<br />
Privat- und Int<strong>im</strong>sphäre.<br />
Ohne Int<strong>im</strong>sphäre kann von einer<br />
Wahrung der Menschenwürde nicht<br />
gesprochen werden. Wenn diese für<br />
Gefangene beschnitten wird, sind<br />
unbeteiligte Dritte mitbestraft; sie werden<br />
mitgeschädigt, denn auch ihnen<br />
wird ein Übel zugefügt. Obwohl (nach<br />
Prof. H. Müller-Dietz; s.o.) diese Mitbetroffenheit<br />
seit dem 19. Jh bekannt<br />
ist, wurde sie bis vor Kurzem nur als<br />
Sozialproblem gehandhabt. Erst seit<br />
den 70er Jahren hat das Bundesverfassungsgericht<br />
die negativen Auswirkungen<br />
des Freiheitsentzuges auf die<br />
Kommunikation zwischen Angehörigen<br />
und Inhaftierten in den Blick<br />
genommen: aus der Verpflichtung, Ehe<br />
und Familie zu schützen, wurden Konsequenzen<br />
für familienfreundlichere<br />
Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Regelungen des Brief- und Besuchsverkehrs<br />
gezogen.<br />
Papier ist geduldig<br />
Wenn ich allerdings, mit den Augen<br />
dessen, der Vollzug tagtäglich erlebt,<br />
lese, was das BVerfG auf der Grundlage<br />
von Grundgesetz Art. 6 (Verpflichtung<br />
des Staates, Ehe und Familie zu<br />
schützen) an Grundsätzen entwickelt,<br />
bleibt angesichts der bestehenden Praxis<br />
nur Kopfschütteln. Ich lese: „Eine<br />
auf Personalknappheit gestützte<br />
Begrenzung der Besuchszeiten in den<br />
JVAen ist nicht ohne weiteres hinzunehmen.“,<br />
und weiß, dass fehlendes<br />
Personal natürlich eine wichtige Ursache<br />
tatsächlicher Einschränkungen ist.<br />
Ich lese: „Im Falle einer beträchtlichen<br />
Entfernung zwischen Familienwohnsitz<br />
und der Vollzugsanstalt müssen<br />
Familienangehörigen Wochenendbesuche<br />
gestattet werden.“, und weiß,<br />
wie schwer das in der Praxis unserer<br />
JVA durchzusetzen und zu regeln ist.<br />
Ich lese, dass aus dem Grundgesetz<br />
Art. 2 (Schutz der freien Entfaltung der<br />
Persönlichkeit) in Verbindung mit Art.<br />
1 (Schutz der Menschenwürde) die<br />
Pflicht des Staates resultiert, die Int<strong>im</strong>sphäre<br />
des Einzelnen zu respektieren –<br />
und dass diese Pflicht durch die Verfassungsgarantie<br />
von Ehe und Familie<br />
noch verstärkt wird, und frage mich,<br />
ob diese hehren Grundsätze auch nur<br />
irgend etwas damit zu tun haben, dass<br />
in unserer JVA jeder, aber auch jeder<br />
Brief entweder vom Gericht oder von<br />
Bediensteten gelesen oder überflogen<br />
wird. Und ich weiß, dass das z.B. der<br />
Frau eines Inhaftierten sehr wohl<br />
bewusst ist: wie sehr verändert das die<br />
Schreibweise von Briefen? Wie viel<br />
Int<strong>im</strong>ität geht dadurch verloren?<br />
25<br />
Sippenhaft vermeiden!<br />
Natürlich bin ich froh, wenn nach<br />
Möglichkeiten zur Vermeidung von<br />
„Sippenhaftung“ gesucht wird, wenn<br />
Studien über die Situation von Angehörigen<br />
gemacht werden. Noch mehr<br />
freue ich mich, wenn auf Grund des<br />
verfassungsgemäßen Schutzes von<br />
Ehe und Familie ein Inhaftierter in<br />
eine he<strong>im</strong>atnahe JVA verlegt wird und<br />
wenn wenigstens in manchen Langstrafenanstalten<br />
Langzeit– und Int<strong>im</strong>besuche<br />
möglich sind.<br />
Prof. Müller-Dietz skizziert Überlegungen,<br />
dass z.B. ein unterhaltspflichtiger<br />
Straftäter entweder nur in<br />
den offenen Vollzug kommen solle<br />
oder aber andere Sanktionen gefunden<br />
werden müssten, damit die Sanktion<br />
Freiheitsstrafe und damit die Verhinderung<br />
von Unterhaltszahlungen nicht<br />
erneut zu Unrecht gegenüber Ehefrau<br />
und Kindern führen. „Zu rechtfertigen<br />
sind die nachteiligen Wirkungen des<br />
Strafvollzuges auf die unterhaltsberechtigten<br />
Angehörigen von Inhaftierten<br />
i.d.R. nur dann, wenn ... vor einem<br />
gefährlichen Täter zu schützen ist...“<br />
(S. Götte, Die Mitbetroffenheit der<br />
Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen,<br />
S. 256). Solche Überlegungen<br />
zeigen, dass vermehrt in den Blick<br />
kommt, was bisher meist ausgeblendet<br />
blieb: das „Sonderopfer“, das die<br />
Gesellschaft den Angehörigen Inhaftierter<br />
aufbürdet.<br />
Gedankenspiele – oder<br />
Zukunftsvisionen?<br />
Bisher sind das bloße Gedankenspiele.<br />
Dabei fehlt in der Vollzugspraxis<br />
noch so viel, was praktisch machbar<br />
wäre! Das bedaure ich vor allem, weil<br />
ich weiß, wie wichtig für den Selbstwert<br />
eines Menschen Int<strong>im</strong>sphäre, Liebe,<br />
Vertrauen und Sexualität sind. •<br />
* Es mag verziehen werden, wenn ich<br />
ausschließlich von männlichen Inhaftierten<br />
spreche. Für die viel kleinere<br />
Gruppe inhaftierter Frauen stellen<br />
sich die Dinge z. T. gleich, in Manchem<br />
aber auch frauenspezifisch sehr<br />
verschieden dar.<br />
Aus UE 2/2000
26 Besondere Härten: B-Zelle<br />
Es ist ca. 23 Uhr an irgend einem<br />
Abend des Frühjahrs <strong>im</strong> B-Flügel.<br />
Ich höre deutlich, wie irgendwo in<br />
einem Flur über mir die Ruftaste<br />
gedrückt wird. Vielleicht eine halbe<br />
Stunde später höre ich einen Bediensteten<br />
durch den Gang trotten. Mit dem<br />
Charme eines deutschen Beamten<br />
knallt sein Schlüssel gegen die betreffende<br />
Tür. „Wat iss?“ Ich kann wohl<br />
eine St<strong>im</strong>me antworten hören, aber<br />
nichts verstehen. Verstehen kann ich<br />
nur den auf dem Flur<br />
antwortenden Beamten,<br />
der ein „Jetzt nicht,<br />
morgen.“ als Antwort<br />
knurrt und weitergeht.<br />
Eine Viertelstunde später<br />
ist wieder das<br />
„Klack“ des Relais’<br />
einer Ampel zu hören<br />
und abermals eine relativ<br />
lange Zeit keine<br />
Reaktion. Das Ritual<br />
wiederholt sich: wieder<br />
knallen die Schlüssel<br />
gegen eine Tür. „Wat<br />
iss?“ - „Aber jetzt doch<br />
nicht! Schlaf, Ölauge!“<br />
UE-Foto: Regina Düllmann<br />
Wieder verschwinden die Schritte in<br />
Richtung Zentrale.<br />
Legale<br />
Beruhigung<br />
Eine Stunde Ruhe. Dann wiederum<br />
ein „Klack”, dem erneut lange nichts<br />
folgt. Jetzt aber wird mein Leidensgenosse<br />
ungeduldig. Man hört ein fast<br />
verzweifeltes, w<strong>im</strong>mernd klingendes:<br />
„Hallo, hallo!“ Wahrscheinlich klopft<br />
er zur akustischen Motivationsverstärkung<br />
für den öffentlichen Dienst mit<br />
einem Löffel gegen die Tür. Das nervige<br />
Geklopfe und Gezeter n<strong>im</strong>mt kein<br />
Ende, bis ich schließlich die Schrittgeräusche<br />
mehrerer Füße vor dem Unruheherd<br />
enden höre. Ein unverständlicher<br />
Wortwechsel entbrennt: „Nein,<br />
Du bist wohl ...“ „Bitte ...“ Ich höre,<br />
wie der Riegel der Tür zurückgezogen<br />
und die Zelle aufgeschlossen wird,<br />
dann das Getrampel eines Tumultes,<br />
Tumult in der Nacht<br />
Chronik einer B-Zellenverlegung *<br />
die Geräuschkulisse eines Handgemenges<br />
und <strong>im</strong>mer wieder das flehende<br />
„No, no!” „Bitte...“ und „Aua ...“<br />
des „Bewerbers“ auf die „Beruhigungsmaßnahme“.<br />
Deutlich höre ich,<br />
wie ein angefangener Satz unter Schlägen<br />
abbricht und nur noch ein geradezu<br />
erbärmliches W<strong>im</strong>mern übrig<br />
bleibt. Zuletzt höre ich noch das metallene<br />
Zuknallen des Ganggitters, dann<br />
nichts mehr.<br />
Ein renitenter Gefangener wurde<br />
Selten: Foto einer B-Zelle in Deutschland<br />
gemäß § 88 StVollzG legal „beruhigt“<br />
und in die B-Zelle gebracht.<br />
Unter Ausschluss der<br />
Öffentlichkeit<br />
Inhaftierte werden meist auf Grund<br />
der Entscheidung eines einzelnen<br />
Beamten unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />
in die B-Zelle gebracht. Ohne<br />
jeden Zweifel ist da Missbrauch möglich.<br />
Auch wenn in den letzten Jahren<br />
neue Vorschriften für mehr Sicherheit<br />
sorgen, bleibt die Frage, ob das so hinzunehmen<br />
ist. Oder sollte durch eine<br />
zumindest begrenzte Öffentlichkeit<br />
veruscht werden, die Missbrauchsgefahr<br />
weiter zu verringern?<br />
Passiert <strong>im</strong> Haus irgend etwas, was<br />
auch nur den Verdacht einer aufkommenden<br />
gewaltsamen Konfrontation<br />
unter Inhaftierten oder zwischen einem<br />
Inhaftierten und einem Bediensteten<br />
erregt, wird unverzüglich ein Haus-<br />
ULMER ECHO 2007<br />
alarm ausgelöst. Alle Inhaftierten, die<br />
sich dann zufällig auf einem Gang aufhalten,<br />
werden stehenden Fußes von<br />
plötzlich agilen Beamten, wo sie gerade<br />
sind, in eine x-beliebige Zelle oder<br />
einen anderen Raum eingeschlossen.<br />
Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen,<br />
dass sich Inhaftierte mit einem<br />
Randalierer solidarisieren könnten<br />
oder ein Vorkommnis zu einer Schlägerei<br />
eskaliert. Aber gerade der Versuch,<br />
die ohnehin eingeschränkte Öffentlichkeit<br />
auszuschließen,<br />
ist Quelle<br />
von Misstrauen und<br />
Spekulationen.<br />
Gegen unangemessene<br />
Härte?<br />
Ich möchte keinesfalls<br />
den Eindruck<br />
erwecken, als käme es<br />
hier in der JVA Düsseldorf<br />
regelmäßig oder<br />
unregelmäßig zu vertuschten<br />
gewaltsamen<br />
Übergriffen. Mir persönlich<br />
ist kein einziger<br />
Beamter bekannt,<br />
dem ich es zutrauen würde, wehrlos<br />
gemachte Gefangene zu treten oder zu<br />
schlagen. Wir müssen aber deutlich<br />
erkennen, dass eine Verbringung in die<br />
B-Zelle ein potentieller Auslöser für<br />
unangemessene Härte bei der Anwendung<br />
legalen unmittelbaren Zwangs<br />
sein kann. Aus Sicherheitsgründen<br />
verfügt heute jede Provinztankstelle<br />
mit Nachtbetrieb über eine Videoüberwachungsanlage.<br />
Was läge also näher,<br />
als die Gänge der Zellentrakte durch<br />
Videokameras mit Weitwinkelobjektiven<br />
zu überwachen? Zur Gewalteskalation<br />
kommt es häufig auf den Gängen,<br />
zumindest aber sind Entwicklungen<br />
auf den Gängen sowie in den Eingangsbereichen<br />
der Hafträume meist<br />
recht klar erkennbar. Wichtig wäre,<br />
dass die Videobilder aufgezeichnet<br />
werden; käme es zu einem Zwischenfall<br />
oder eine Beschwerde über einen<br />
Übergriff bzw. über einen „Treppen-
ULMER ECHO 2007<br />
Besondere Härten: B-Zelle<br />
27<br />
Grundlage für eine B-Zellen-Verlegung ist § 88 Strafvollzugsgesetz,<br />
der besondere Sicherungsmaßnahmen regelt.<br />
Außerdem gilt:<br />
* Wird ein Gefangener in der B-Zelle gefesselt (angekettet), muss ständig<br />
ein Bediensteter in Sitzwache präsent sein. Diese Regelung ist in den<br />
letzten Jahren entstanden und hat deutlich beigetragen, dass das Instrument<br />
der Fesselung deutlich weniger angewandt wird.<br />
* Ein Sanitäter kommt in jedem Fall sofort zu einem in die B-Zelle Verbrachten;<br />
ein Arzt wird unverzüglich dazu geholt, ggf. noch nachts, spätestens<br />
am nächsten Morgen.<br />
* Über den Verbleib in der B-Zelle entscheidet der Abteilungsleiter nach<br />
Voten von Arzt und Psychologe. Wenn eine Person 72 Stunden in der B-<br />
Zelle ist, muss der Vorgang der vorgesetzten Behörde gemeldet werden.<br />
* Im letzten Jahr gab es in der <strong>Ulmer</strong> Höh’ keinen B-Zellen-Aufenthalt,<br />
der länger als 72 Stunden dauerte. Zwe<strong>im</strong>al blieben Inhaftierte länger als<br />
48 Stunden in der B-Zelle.<br />
auch mehr Sport und Besuch, Wohngruppenvollzug,<br />
leichterer Zugang zu<br />
Telefonaten ... – also alles, was deeskalierend<br />
wirkt. Auch die Verbesserung<br />
der Kommunikation der Bediensteten<br />
zu den Gefangenen (Zeit für Gespräche<br />
statt für die zunehmende Büroarbeit)<br />
sowie Fremdsprachenkenntnisse<br />
be<strong>im</strong> Personal würden manche B-Zellen-Verlegung<br />
verhindern. Der Weg<br />
müsste dahin gehen, auf das archaische<br />
Instrument „B-Zelle“ in Zukunft ganz<br />
verzichten zu können. Leider noch ein<br />
Wunschtraum. •<br />
* Hermann S. UE 2/1997;<br />
Überarbeitung 2007 [wm/ws]<br />
sturz“, wäre dann ein Dokument vorhanden,<br />
das einerseits Legendenbildungen<br />
und andererseits Gefälligkeitsaussagen<br />
vorbeugt.<br />
Meist psychische Probleme<br />
Offizielle Begründungen, jemanden<br />
berechtigterweise in die B-Zelle<br />
zu verlegen, sind neben erkennbarer<br />
Selbsttötungs- oder Selbstverletzungsabsicht<br />
Tobsuchtsanfälle oder tätliche<br />
Angriffe auf Bedienstete oder Mitgefangene.<br />
Die Ursachen sind also entweder<br />
auf psychische Ausnahmesituationen<br />
zurückzuführen – oder der<br />
Empfänger dieser Behandlungsmaßnahme<br />
ist definitiv psychisch krank.<br />
Der Umgang mit solchen schwierigen<br />
Situationen ist sicher eine Herausforderung<br />
für das Vollzugspersonal.<br />
Häufig wäre wohl angemessen, die<br />
betroffenen Personen möglichst frühzeitig<br />
an die Psychiatrie übergeben.<br />
Traum: ganz ohne B-Zelle<br />
Empfehlenswert wäre natürlich<br />
Die B-Zelle ist <strong>im</strong>mer ein heißes<br />
Thema. Auch jetzt tauchen wieder Fragen<br />
und Hinweise auf: werden wir den<br />
Bediensteten gerecht, die sich um Konfliktvermeidung<br />
und agressive Inhaftierte<br />
bemühen? Was ist mit den beabsichtigten<br />
baulichen Veränderungen,<br />
die B-Zellenverlegungen zu vermeiden<br />
helfen sollen? Was mit den Kriseninterventionsteams?<br />
... Wir werden uns<br />
dem Thema in der nächsten Ausgabe<br />
2/2007 journalistisch widmen!<br />
John wurde nach „Bambule”<br />
in die B-Zelle eingesperrt<br />
Nach mehreren Konflikten mit seinem<br />
Zellengenossen kam es eines<br />
Tages <strong>im</strong> Haftraum zu einer handfesten<br />
Auseinandersetzung. Der Abteilungsbeamte<br />
wurde aufmerksam und<br />
rief den Sanitäter und einen Psychologen.<br />
In Begleitung der beiden sowie<br />
eines weiteren Beamten wurde die Zellentür<br />
geöffnet. Nach einer kurzen verbalen<br />
Auseinandersetzung wurde entschieden,<br />
John bis auf Weiteres in die<br />
B-Zelle zu verlegen, weil er gewalttätig<br />
geworden und nicht zu beruhigen<br />
sei. Zwei Bedienstete übernahmen in<br />
unsanfter Art den Transport, da John<br />
versuchte, sich gegen diese Entscheidung<br />
mit Händen und Füßen zu wehren.<br />
Nachdem ihm zunächst Ohrring,<br />
Ringe und Uhr abgenommen wurden,<br />
Aufenthalte in der B-Zelle<br />
Nicht untypische Verlegungen in den „Bunker”<br />
musste er sich bis auf die Unterwäsche<br />
entkleiden. Durch die Unterbringung<br />
in der B-Zelle litt John noch Wochen<br />
später unter Alpträumen in Folge der<br />
Isolation.<br />
Im O-Ton:<br />
„Ich bin froh<br />
um jede B-Zellenverlegung,<br />
die uns erspart bleibt! Wir<br />
mühen uns und ringen um<br />
jeden einzelnen Fall.”<br />
Harald Soodt, Leiter Aufsichtsdienst<br />
der JVA Düsseldorf<br />
Peter verschwand nach einem<br />
Suizidversuch in der B-Zelle<br />
Nachdem Peter nachts blutüberströmt<br />
von seinem Zellengenossen<br />
gefunden wurde, verbrachten ihn drei<br />
Bedienstete nach kurzer Untersuchung<br />
und Behandlung durch einen Sanitäter<br />
in die B-Zelle. Durch hohen Blutverlust<br />
war er benommen. Er musste sich<br />
bis auf die Unterwäsche ausziehen.<br />
Als Peter später wieder einigermaßen<br />
bei Sinnen war, fühlte er sich nach<br />
eigener Aussage „wie in einer mittelalterlichen<br />
Folterkammer.“ Wegen fehlendem<br />
Tageslicht verlor er jedes Zeitgefühl.<br />
Die ständig eingeschaltete<br />
Neonleuchte sorgte dafür, dass die aufsichtsführenden<br />
Beamten ihn mittels<br />
einer Videokamera unentwegt beobachten<br />
konnten. Ein Sanitäter und einmal<br />
ein Arzt kontrollierten seinen<br />
Gesundheitszustand. Nach 48 Stunden<br />
war sein Martyrium beendet, Peter<br />
wurde auf seine Abteilung zurück verlegt.<br />
•<br />
* Aus UE 2/1997; überarbeitet 2007
28 Besondere Härten: U-Haft<br />
Ängstlich, verwirrt und eingeschüchtert<br />
wurde ich von zwei<br />
Polizeibeamten in die JVA Düsseldorf<br />
gebracht. Zuvor musste ich über zwölf<br />
Stunden in einer Ausnüchterungszelle<br />
<strong>im</strong> Polizeigewahrsam (PG) verbringen.<br />
Die anschließende Vernehmung<br />
dauerte recht lange, weil mein Erinnerungsvermögen<br />
arge Lücken aufwies<br />
und der nicht gerade sympathisch wirkende<br />
Vernehmungsbeamte versuchte,<br />
mir angeblich hilfreiche Tipps zum<br />
Geständnis zu geben.<br />
Schließlich wurde ich ohne Handschellen<br />
zum Auto ge-führt und ab<br />
ging die Fahrt in ungewisses „Neuland“.<br />
Erste Kontakte<br />
Nun gelangte<br />
ich in die<br />
Zugangskammer.<br />
Dort musste ich<br />
mich beschämt<br />
entblößen und<br />
bekam Anstaltskleidung<br />
verpasst.<br />
Lediglich meine<br />
Rauchutensilien<br />
ließ man mir. Die<br />
Privatsachen werden<br />
in der Kammer<br />
eingelagert<br />
und können per<br />
Antrag ausgehändigt<br />
werden. Der<br />
Umgangston mancher<br />
Beamter ist<br />
für mich <strong>im</strong>mer<br />
noch sehr gewöhnungsbedürftig.<br />
Als mir daraufhin noch Bettzeug,<br />
Geschirr, weitere Unterwäsche und<br />
Waschzeug in die Arme gedrückt wurden,<br />
war ich regelrecht sprachlos.<br />
Dann bekam ich die so genannte Zellenkarte.<br />
„Jetzt bin ich nur noch eine<br />
Nummer auf dem Papier“, dachte ich<br />
noch, wurde aber schon abfertigungsmäßig<br />
in die Aufnahme gebracht, wo<br />
ein Vollzugsbeamter alle zu meiner<br />
Warten auf den Tag der Abrechnung<br />
Von der Einlieferung bis zur Verurteilung<br />
Von Ralf S.<br />
Person wichtigen Daten aufnahm.<br />
Ausgestattet mit allem Notwendigen<br />
gelangte ich hungrig und müde in den<br />
für mich vorgesehenen Haftraum, in<br />
der sich schon ein Häftling befand.<br />
Mein vorläufiges Zuhause<br />
Ich war sehr aufgeregt. Nach minutenlangem<br />
Kampf mit der schmutzigen<br />
Schaumstoffunterlage, die wie von<br />
Ratten angeknabbert aussah, hielt es<br />
mein Zellenkollege nicht mehr aus und<br />
bezog mir komplett das Nachtlager.<br />
Außer dem doppelstöckigen Bett<br />
befanden sich in der Zelle Klosett,<br />
Waschbecken, ein kleiner Tisch, zwei<br />
Stühle, ein Ra-dio und anstelle eines<br />
Schrankes ein aus Stein oder Beton gefertigter<br />
offener „Klotz“ mit einigen<br />
Erster Blick in die JVA-Düsseldorf: der Kammerflur<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Fächern. Durch ein hochliegendes<br />
kleines Fenster war es sogar möglich,<br />
Kontakt mit Mutter Natur aufnehmen<br />
zu können. Zu meinem vollkommenen<br />
Glück müssten lediglich die Gitterstäbe<br />
entfernt werden, da diese mir doch<br />
die Sicht ein wenig einengten. Die<br />
Wände waren beige und schmutzig,<br />
hie und da hingen von unseren Vorgängern<br />
noch Poster mit wenig bekleideten<br />
Frauen.<br />
Zu Beginn meiner Haftzeit wurde<br />
ich auch noch vom Anstaltsarzt<br />
gefragt, ob alles in Ordnung sei. Ich<br />
bejahte das. Es wurden noch zwei weitere<br />
Fragen gestellt und dann war die<br />
Untersuchung beendet. Dies war dann<br />
die gründliche ärztliche Untersuchung.<br />
Sprechen konnte ich mit kaum einem<br />
hier. Erst nach Wochen wurde zu einigen<br />
Häftlingen eine etwas persönlichere<br />
Beziehung aufgebaut.<br />
Denken nicht erwünscht<br />
Die internen Abläufe lernte ich<br />
schnell: sechs Uhr Frühstück, zwölf<br />
Uhr Mittagessen und siebzehn Uhr<br />
Abendessen. Die Zelle wird von einem<br />
Beamten aufgeschlossen, dann gehen<br />
die Mithäftlinge<br />
vorbei, die<br />
das Essen austeilen<br />
und<br />
anschließend<br />
wird die Zelle<br />
von einem<br />
anderen Beamten<br />
wieder<br />
zugeschlossen.<br />
M a n c h e<br />
Beamte sagten<br />
gar nichts,<br />
anderen ließen<br />
sich wenige<br />
Worte entlokken.<br />
Zwe<strong>im</strong>al<br />
pro Woche sei<br />
es erlaubt, zu<br />
duschen und<br />
Unterwäsche<br />
zu wechseln.<br />
Die Temperatur des Wassers ist vorgegeben.<br />
Alles wird hier vorgegeben,<br />
hier trägst du keine Verantwortung.<br />
Wenn ich etwas möchte, muss ich<br />
ein Antragsformular ausfüllen: sei es<br />
für ein Gespräch be<strong>im</strong> Sozialarbeiter,<br />
Anfragen zur Arbeit, oder die Bitte um<br />
Teilnahme am Sport. Teilweise musste<br />
ich erleben, dass meine Anträge überhaupt<br />
nicht berücksichtigt wurden.
ULMER ECHO 2007<br />
Besondere Härten: U-Haft<br />
29<br />
Das für mich Schl<strong>im</strong>mste war zu<br />
Beginn der Geldmangel; länger als<br />
zwei Monate war ich mittellos. Als<br />
Untersuchungsgefangener hatte ich<br />
keinen Anspruch auf Taschengeld von<br />
der Justiz. Bis meine Anträge ans Sozialamt<br />
bewilligt wurden, musste ich<br />
<strong>im</strong>provisieren. Das hieß für mich z.B.<br />
in den Aschenbechern Zigarettenkippen<br />
sammeln.<br />
Kopfkino<br />
Erst mit der Zeit merkt der Neuling,<br />
dass es sich <strong>im</strong> Gefängnis in allem um<br />
eine eigene Welt<br />
handelt. Be<strong>im</strong><br />
täglichen einstündigen<br />
Hofgang<br />
konnte ich ein<br />
bisschen „Freiheit“<br />
genießen,<br />
obwohl meine<br />
Gedanken ständig<br />
rasten. „Was hast<br />
du nur getan?“<br />
„Warum melden<br />
sich meine Freunde<br />
nicht?“ „Wird<br />
meine Freundin<br />
jetzt noch zu mir<br />
halten?“ „Wie<br />
lange muss ich<br />
hier bleiben?“<br />
Verlegung<br />
Plötzlich wurde ich verlegt. Nach<br />
gut zwei Wochen kam ich von meiner<br />
Zelle in der Zugangsabteilung <strong>im</strong> „A-<br />
Flügel“ in den „B-Flügel“. In der<br />
neuen Zelle war auch schon ein Häftling<br />
anwesend. Aber die Zelle war sehr<br />
sauber, besaß einen Schrank und sogar<br />
ein TV-Gerät. Die Haftbedingungen<br />
wurden besser. Ich hatte derweilen<br />
viele Ratschläge bekommen, meine<br />
Anträge wurden bewilligt und manch<br />
ein Beamter ließ mich sogar die wichtigsten<br />
Telefonate machen. An der<br />
Sportgruppe durfte ich neuerdings teilnehmen<br />
und sogar Bücher und CD’s<br />
ließ man mir zukommen<br />
Nur eine Nummer<br />
Jedoch beschlich mich des öfteren<br />
das Gefühl, nicht menschenwürdig<br />
behandelt zu werden. In der Besuchsabteilung<br />
hörte ich gleich den Befehl<br />
„Geh’ da rein!“ In der Kammer kam<br />
und komme ich mir <strong>im</strong>mer wie ein<br />
Bettler vor, wenn ich (nachdem ich<br />
natürlich vorher einen Antrag stelle)<br />
etwas aus meiner Privathabe möchte<br />
und verächtlich angeschaut werde.<br />
„Können Sie überhaupt lesen?“ und<br />
Ähnliches musste ich mir schon anhören.<br />
Speziell zu Beginn der Haft, in der<br />
ich als Neuling die internen Abläufe<br />
noch nicht kannte, wurde ich oft schikaniert:<br />
„Setzen!“, „Mach hin, Jung.“.<br />
Ein bisschen „Freiheit“: Freistunde auf dem Hof<br />
Auch als ich z.B. Zahnschmerzen hatte<br />
und mir ein Arzttermin genehmigt<br />
wurde, bekam ich dies zu spüren. Nach<br />
langer Wartezeit und eigentlich geringer<br />
Behandlungszeit wurden und werden<br />
die Pa-tienten erneut in ein abgeschlossenes<br />
„Wartez<strong>im</strong>mer“ geschickt<br />
und müssen dort mitunter nochmals<br />
lange warten, bis sie auf die Abteilung<br />
gehen können – alles in Begleitung<br />
eines Beamten.<br />
Privilegien des Arbeiters<br />
Nach über vier Monaten bekam ich<br />
eine Arbeit als Mitarbeiter in der Redaktion<br />
zugeteilt und als Arbeiter erhielt<br />
ich außerdem eine Einzelzelle. Zu dieser<br />
Zeit setzte sich sogar ein Beamter<br />
für mich ein, dass ich ein „Sozialfernsehgerät“<br />
bekam. Von manchen Beamten<br />
(und sicherlich auch Beamtinnen –<br />
entschuldigen Sie bitte, meine Damen)<br />
wurde ich jetzt auch wieder als<br />
Mensch betrachtet und hier und da auf<br />
dem Flur freundlich mit meinem<br />
Namen gegrüßt. So langsam stieg mein<br />
Selbstwertgefühl wieder an.<br />
Haftprüfung<br />
Aber die Angst wegen meiner<br />
Zukunft kehrte zurück. Der Haftprüfungstermin<br />
stand an. Be<strong>im</strong> ersten<br />
Kontakt mit der zuständigen Haftrichterin<br />
bekam ich das Menschenunwürdige<br />
zu spüren.<br />
Mir wurden<br />
Handschellen so<br />
eng angelegt, dass<br />
sie sich arg in<br />
mein Fleisch<br />
bohrten. Als ich<br />
um Lockerung<br />
bat, bestrafte man<br />
mich obendrein<br />
noch mit Nichtachtung,<br />
als hätte<br />
ich überhaupt<br />
nichts gesagt.<br />
Morgens um sieben<br />
Uhr dreißig<br />
wurde ich zusammen<br />
mit anderen<br />
Häftlingen zum<br />
hiesigen Amtsgericht<br />
gebracht und<br />
erst nach Mittag wieder in die Anstalt<br />
zurückgebracht. Das Gespräch mit der<br />
Richterin betrug davon ca. eine halbe<br />
Stunde, den „kläglichen Rest“ verbrachte<br />
ich in der Wartezelle. Die Haftprüfung<br />
war für mich negativ und ich<br />
musste in U-Haft verbleiben.<br />
Tag der Abrechnung<br />
Schließlich, nach einem halben<br />
Jahr Aufenthalt in der <strong>Ulmer</strong> Höh’,<br />
kam dann der Tag der Abrechnung.<br />
Bevor ich mit anderen Häftlingen in<br />
den Justizbus einstieg, wurden wir<br />
gebeten, sämtliche mitgeführten<br />
Gegenstände auf einen Tisch zu legen.<br />
Danach wurden wir abgetastet und<br />
zum Bus gebracht. In diesem musste<br />
ich zusammen mit einem Kollegen in<br />
einer kleinen Transportzelle Platz neh-
30 Besondere Härten: U-Haft<br />
ULMER ECHO 2007<br />
men. Der Bus fuhr in eine kleine, extra<br />
für den Bus vorgesehene Halle ein, die<br />
sich seitlich vom Haupteingang des<br />
Amtsgerichtes befindet. Wieder musste<br />
ich in der Wartezelle des Gerichts,<br />
dieses Mal „nur“ ca. neunzig Minuten,<br />
warten.<br />
Handschellen blieben mir Gott sei<br />
Dank erspart. Von einem uniformierten<br />
Paar eskortiert, wurde ich in den<br />
Gerichtssaal gebracht, indem sich<br />
außer uns dreien noch niemand befand.<br />
Peu a peu fanden sich die Beteiligten<br />
ein. Zuerst musste ich einen Lebenslauf<br />
abliefern, der Richter stellte hierzu<br />
Fragen und die nett anzusehende<br />
Staatsanwältin verlas darauf die<br />
Anklageschrift. Dann wurde Satz für<br />
Satz das von mir Ausgesagte geprüft.<br />
Ich sagte aus, dass nicht alles von mir<br />
stamme, sondern dass bei der Vernehmung<br />
der zuständige Polizist vieles<br />
formuliert habe. Nur dunkel erinnere<br />
ich mich an den Tathergang!<br />
Raub mit Körperverletzung<br />
Ich will nur kurz darlegen, weswegen<br />
ich angeklagt wurde. Ich soll<br />
einer älteren Dame die Handtasche<br />
geraubt und sie dabei so geschubst<br />
haben, dass sie fiel und sich das<br />
Schambein brach. An den körperlichen<br />
Kontakt kann ich mich nicht mehr<br />
erinnern, weil ich zum Zeitpunkt der<br />
Tat sehr betrunken war. Auch jetzt<br />
kann ich mich nicht entsinnen. Zeugen<br />
sollen mich jedoch identifiziert haben,<br />
daher habe ich mich schuldig erklärt.<br />
Bei der Verhandlung wurde mir<br />
gesagt, dass es der älteren Dame besser<br />
ginge und sie sich nun <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong><br />
befinde. Ich habe ihr geschrieben und<br />
möchte ihr den Schaden wo möglich<br />
ersetzen und die Tat „irgendwie“ wieder<br />
gut machen. Von der Tasche fehlt<br />
jede Spur und ich weiß auch nicht, wo<br />
sie ist. Jedenfalls hatte ich die Tat nicht<br />
geplant. Ich bekam auch schon von<br />
anderen Gefangenen zu hören: „Wenn<br />
das meine Oma wäre ...“ Ich habe<br />
einen großen Fehler gemacht. Noch<br />
nie hatte ich Derartiges getan.<br />
Das Urteil<br />
Der hiesige Gutachter gab sein Statement<br />
mit Stellungnahme zum § 64<br />
StGB ab (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt).<br />
Daraufhin wurden<br />
noch zwei Zeugen gehört, bis sich die<br />
Staatsanwältin zum Plädoyer erhob<br />
und unter Berücksichtigung der besonderen<br />
Härte der Tatausführung ein Jahr<br />
und zehn Monate nach § 64 forderte.<br />
Abschließend erläuterte mein Rechtsanwalt<br />
noch dies und das, dann zog<br />
sich das Gericht zur Beratung zurück.<br />
Nach zwanzigminütiger Wartezeit<br />
sprach der Richter das Urteil: zwei<br />
Jahre und zwei Monate Unterbringung<br />
in einer Entziehungsanstalt nach § 64.<br />
Ich durfte als Angeklagter das letzte<br />
Wort haben und schloss mit den Worten,<br />
„dass sich solch ein folgenschweres<br />
Verbrechen niemals wiederholen<br />
dürfe“. Der Richter erwähnte noch die<br />
ULMER ECHO<br />
nicht <strong>im</strong>mer nett, aber<br />
alles <strong>im</strong> Internet<br />
möglichen Rechtsmittel (von denen<br />
ich sowieso keinen Gebrauch machen<br />
wollte), wünschte mir leicht mahnend<br />
gutes Gelingen bei der Maßnahme und<br />
schloss die Verhandlung.<br />
Von den beiden Uniformierten<br />
wurde ich wieder in die Wartezelle<br />
gebracht. Zwischendurch wurde mir<br />
auf blechernem Essenstablett ein Mittagessen<br />
gereicht, welches ich in der<br />
nicht gerade einladenden Räumlichkeit<br />
mit einem Löffel (aus Sicherheitsgründen<br />
gibt es kein anderes Besteck) zu<br />
mir nehmen durfte. Nach einer weiteren<br />
Stunde wurde ich in einem Kleinbus<br />
zurück in die <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />
gebracht.<br />
Geduld und Maul halten<br />
Seit diesem Zeitpunkt sitze ich <strong>im</strong><br />
<strong>Knast</strong> und warte auf die Unterbringung<br />
in der Klinik. Ich kann nur hoffen, dass<br />
es dort menschenwürdiger zugeht, als<br />
zu Beginn meiner U-Haft hier. Manches<br />
an den Haftbedingungen ist<br />
sicherlich hart. In Freiheit hörte ich<br />
mal den Spruch: „Schau mal, Alter, das<br />
elende Alki-Schwein lebt ja <strong>im</strong>mer<br />
noch.“ Im <strong>Knast</strong> will jeder nur überleben,<br />
auch ich. Sicher, ich habe etwas<br />
Menschenunwürdiges getan. Aber<br />
muss ich deshalb auch von Manchen<br />
menschenunwürdig behandelt werden?<br />
Reicht denn die Strafe nicht? Es heißt<br />
doch: „Vor dem Gesetz sind alle<br />
gleich.“ •<br />
* Überarbeitung 2007 [ws]<br />
www.ulmerecho.de<br />
Alle Ausgaben – seit 1997!<br />
Riesiger Themenbereich u.a.m.
ULMER ECHO 2007<br />
Im normalen Leben setzen<br />
Geschäftstermine entsprechende<br />
organisatorische Vorbereitungen voraus.<br />
Sind Übernachtungen vorgesehen,<br />
müssen rechtzeitig Hotelz<strong>im</strong>mer<br />
gebucht werden. Wer der He<strong>im</strong>at nicht<br />
länger als notwendig fern bleiben will,<br />
wird sich um opt<strong>im</strong>ale Terminplanung<br />
bemühen. Müssen Gefangene aus<br />
NRW jedoch einen Gerichtstermin<br />
z.B. in einer süddeutschen Stadt wahrnehmen,<br />
sind sie einer Tourplanung<br />
ausgesetzt, die jede Normalität<br />
sprengt.<br />
17 Tage für 15 Minuten<br />
Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen<br />
eines Zeugentermin in Ellwangen.<br />
Meine Vorbereitungen für diese „Weltreise“<br />
beginnen<br />
drei Tage vor der<br />
geplanten Abreise.<br />
Ich habe mein<br />
gesamtes Zelleninventar<br />
zusammen<br />
zu packen. Das in<br />
den zurückliegenden<br />
neun Monaten<br />
Angesammelte<br />
verpacke ich akribisch<br />
in vier große<br />
Kartons. Fraglich,<br />
ob ich nach Rükkkehr<br />
meine in<br />
den vergangenen<br />
Wochen mehr oder<br />
weniger liebevoll<br />
eingerichtete Zelle<br />
wiederbekomme.<br />
Ich weiß nicht einmal,<br />
ob mir durch<br />
meine mehrtägige<br />
Abwesenheit sogar<br />
mein Job, um<br />
den ich wochenlang<br />
gekämpft habe, verloren geht.<br />
1000 Gedanken dieser Art schießen<br />
mir durch den Kopf, als mir ein<br />
Bediensteter die nicht gerade erfreuliche<br />
Nachricht übermittelt, dass ich mit<br />
einer Reisedauer von ca. 16 Tagen zu<br />
Besondere Härten: Transport<br />
JVA-Tours<br />
Zweieinhalb Reisewochen für eine Aussage: eine Tour wird zur Tortour<br />
JVA<br />
TOURS<br />
Von Wolfgang M. *<br />
rechnen habe. Ich befürchte eine „Tour<br />
der Leiden“, an die Übernachtungen in<br />
Transporterzellen fremder Knäste darf<br />
ich gar nicht denken. 16 Tage Reisestress<br />
für eine Zeugenaussage? Darf<br />
mir die Justiz so etwas zumuten? Mir<br />
hilft nur der Ratschlag meiner Frau:<br />
„Augen zu und durch!“<br />
Im „Panoramabus“ quer<br />
durch Deutschland<br />
Im Gegensatz zum Intercity, der<br />
mich in sechs Stunden an mein Ziel<br />
bringen würde, verbringe ich nun mehrere<br />
Tage in einem Zwe<strong>im</strong>annverschlag,<br />
der in einen justizeigenen<br />
„Panoramabus“ integriert ist. Bei verschlossener<br />
Tür auf einem Holzsitz<br />
kauernd werde ich durch die Republik<br />
Wir buchen .<br />
Sie fluchen ...<br />
geschaukelt. Gott schütze mich, dass<br />
kein Unfall passiert! In der qualvollen<br />
Enge schlafen <strong>im</strong>mer mir wieder die<br />
Beine ein; in gebückter Haltung versuche<br />
ich, das Kribbeln wieder los zu<br />
werden. Durch das Seitenfenster, das<br />
31<br />
in seiner Größe einer Schießscharte<br />
gleicht, erhasche ich hier und da einen<br />
Blick in die Freiheit. Das gelingt allerdings<br />
nur, wenn ich meinen Kopf zwischen<br />
den Schultern einziehe und mich<br />
nach vorne beuge. Ansonsten sehe ich<br />
lediglich Wagendächer der an uns vorbeiflitzenden<br />
Autos.<br />
Hoffnung auf ein<br />
nahrhaftes Abendessen<br />
Wir kommen zur ersten Umsteigestation,<br />
dem <strong>Knast</strong> in Köln-Ossendorf.<br />
Als mir dort eine unappetitliche, wässerige<br />
<strong>Knast</strong>suppe als Mittagessen<br />
angeboten wird, versuche ich, meine<br />
Hungergefühle zu unterdrücken. Nach<br />
4-stündigem Aufenthalt heißt es<br />
Umsteigen in einen Anschlussbus, der<br />
mich über Koblenz<br />
nach Mainz,<br />
meinem ersten<br />
Nachtquartier,<br />
transportiert. Gegen<br />
18 Uhr durchgeschwitzt<br />
und mit<br />
schmerzendem<br />
Hinterteil dort<br />
angekommen,<br />
werde ich zunächst<br />
auf unerlaubte<br />
Gegenstände<br />
durchsucht.<br />
Sind die total irre<br />
hier? Wie hätte ich<br />
mir unterwegs<br />
irgendwas aneignen<br />
können? Meine<br />
Hoffnung auf<br />
ein nahrhaftes<br />
Abendessen vernichtet<br />
der Hausarbeiter<br />
mit vertrockneten<br />
Brotscheiben,<br />
Radieschen<br />
und einer Tasse lauwarmem Tee.<br />
„Schl<strong>im</strong>mer geht´s n<strong>im</strong>mer!“, glaube<br />
ich so lange, bis mir als Schlafstätte<br />
ein Etagenbett in einer Zwölfmann(!)-<br />
Zelle zugewiesen wird, die Krönung<br />
meines ersten Reisetages. Aber es soll-
32 Besondere Härten: Transport<br />
ULMER ECHO 2007<br />
te noch schl<strong>im</strong>mer kommen.<br />
Wie Schlachtvieh?<br />
Mainz ist eine karnevalistische<br />
Hochburg. Diese Lebensart hat den<br />
<strong>Knast</strong> (inzwischen durch den Neubau<br />
in Rohrbach ersetzt) allerdings nicht<br />
erreicht. Laute Stöhn- und Schnarchgeräusche<br />
meiner Leidensgenossen<br />
bringen mich um den erhofften Schlaf.<br />
Noch vor dem Frühstück versuche ich<br />
dem Schweißgeruch und Gestank des<br />
Mannschaftsquartiers durch die einen<br />
Spalt geöffnete Eisentür durch Flucht<br />
auf den Flur zu entrinnen, doch barsch<br />
weist mich ein Mitglied der „grünen<br />
Trachtengruppe“ zurück in den miefenden<br />
Käfig. Zum Glück werde ich<br />
einige Minuten später<br />
wieder in die<br />
Sammelzelle abkommandiert.<br />
Die (Tor-<br />
)Tour geht weiter. In<br />
gebückter Haltung<br />
erkenne ich aus meinem<br />
rollenden Zelle<br />
heraus die Autobahn-<br />
Ausfahrten Schifferstadt,<br />
Frankenthal<br />
und Ludwigshafen.<br />
Da zweigt unsere<br />
Käfigkutsche plötzlich<br />
nach rechts ab.<br />
Ich schaue auf meine<br />
Armbanduhr: 12.15<br />
Uhr erreichen wir<br />
das Mannhe<strong>im</strong>er<br />
Staatshotel, wo uns eine Schnittbohnensuppe<br />
aus einem riesigen Blechtrog<br />
gereicht wird; so etwas kennen Bauernhöfe<br />
als Schweinetrog. Steckdosen<br />
betrachtet man hier als Sicherheitsrisiko,<br />
so reichen mir die Etagenboys heißes<br />
Wasser zur Kaffeezubereitung.<br />
Zwei endlose Tage und Nächte<br />
kostet der Zwangsaufenthalt in dieser<br />
Herberge, bevor meine grüne Minna<br />
die nächsten Autobahnkilometer in<br />
Richtung Bruchsal, Karlsruhe und<br />
Pforzhe<strong>im</strong> frisst. Gegen 20.30 Uhr in<br />
He<strong>im</strong>ershe<strong>im</strong> angekommen lasse ich<br />
mich todmüde und erschlagen auf die<br />
mir zugewiesene Schaumstoffunterlage<br />
fallen. Zum Glück schauen mir <strong>im</strong><br />
heutigen Wohnklo nur zwei Büßer<br />
dabei zu, wie ich krampfhaft versuche,<br />
hinter einer ca. 120 cm hohen Schamwand<br />
auf einem Bello ohne Brille<br />
mein tägliches Geschäft zu verrichten.<br />
Über Stammhe<strong>im</strong> zum Ziel<br />
nach Ellwangen<br />
5 Uhr in der Früh: „Abteilung Aufstehen!“<br />
Um 6 Uhr Einrücken in den<br />
Käfig der grünen Minna und Abfahrt<br />
quer durchs Schwabenländle. Stuttgart-Stammhe<strong>im</strong><br />
ist die nächste Haltestation,<br />
die mich an die höchst eigenartigen<br />
Geschehnisse um einige „Weltverbesserer“<br />
der RAF in den 70er Jahren<br />
erinnert. Irgendwie überfällt mich<br />
be<strong>im</strong> Anblick dieses Gemäuers ein<br />
Schauer. Gefühle wegschieben, meine<br />
„Luxus-Panoramabus“<br />
volle Konzentration gilt der letzten<br />
Etappe meines „Ausflugs“, die mich<br />
über Schwäbisch-Gmünd nach Ellwangen<br />
führt. Mittags ist das Endziel<br />
erreicht. Ein ungewöhnlich leckeres<br />
Mittagessen gibt mir den Mut und die<br />
Hoffnung, die nächsten sechs Tage<br />
hier locker überstehen zu können,<br />
zumal mir eine Zwe<strong>im</strong>ann-Behausung<br />
mit abgetrennter Nasszelle zugewiesen<br />
wird. „Ein <strong>Knast</strong>-Traum!“, denke ich.<br />
Wenn nur nicht zum Mittagessen die<br />
Menagen durch Türklappen zugeschoben<br />
würden: bei der Entgegennahme<br />
der ersten Essensration schalte ich zu<br />
spät, der mit Schirmmütze und Schulterklappen<br />
uniformierte Mensch draußen<br />
schließt die Klappe vehement, und<br />
ich darf mein Wurstgulasch scheibchenweise<br />
vom Boden des Appartements<br />
löffeln. Wie ich später von Vollzugsgenossen<br />
erfuhr, erfreuen sich<br />
diese von der Genfer Konvention<br />
angeblich längst verbotenen Türklappen<br />
in Baden-Württemberg nach wie<br />
vor großer Beliebtheit. Doch vom<br />
ersten Mal gewarnt, brauche ich nicht<br />
noch einmal vom Boden essen. So<br />
wird mir der siebentägige Aufenthalt<br />
<strong>im</strong> verträumten Ellwangen lediglich<br />
durch den militärisch-unwirschen Ton<br />
der „Schließer“ verleidet.<br />
Alles für 15 Minuten<br />
Zeugenaussage<br />
Der vom Ellwanger Gericht angeordnete<br />
Zweck der ganzen<br />
Sache ist meine Zeugenaussage<br />
in einer Verhandlung<br />
gegen jemand,<br />
mit dem ich beruflich<br />
mal zu tun hatte. Als ich<br />
dann tatsächlich <strong>im</strong><br />
Gerichtssaal stehe,<br />
beschränkt sich meine<br />
Aussage auf einen Zeitraum<br />
von 15 Minuten.<br />
Ob das den Aufwand<br />
einer 17-tägigen Reise<br />
quer durch die Republik<br />
rechtfertigt? Wen interessiert<br />
das schon? Ich bin<br />
ja nur ein Gefangener<br />
und habe mich Justizias<br />
Rechtssystem zu beugen.<br />
Das Martyrium der Rückreise zu<br />
meiner geliebten „Ulm“ startet in<br />
umgekehrter Reihenfolge am Tag nach<br />
meiner Aussage; allerdings wird ein<br />
„Kurzurlaub“ von 6 Tagen in der wohlbehüteten<br />
He<strong>im</strong>ershe<strong>im</strong>er Anstalt eingeschoben.<br />
Dort sind alle herzlich<br />
bemüht, mich von allen schädlichen<br />
äußeren Einflüssen wie Fernsehen und<br />
Radio fern zu halten. Endlich, nach 17<br />
Tagen, findet meine Odyssee ihr Ende<br />
dort, wo sie begonnen hat, auf der<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh’ in Düsseldorf. Ich freue<br />
mich, endlich wieder „dahe<strong>im</strong>“ zu<br />
sein. •<br />
* Aus UE 3/1997<br />
überarbeitet 2007 [ws]
ULMER ECHO 2007<br />
Im Justizdeutsch: „Belegungsausgleich“.<br />
Praktische Folge: es geht<br />
Hals über Kopf von Düsseldorf nach<br />
Essen. Morgens bei der Kostausgabe<br />
sagt der Beamte mit einem Lächeln<br />
das Zauberwort „Packen“. Für jeden<br />
Knacki ein Vergnügen, dieses Wort zu<br />
hören. Dann heißt es, binnen kürzester<br />
Zeit Hab und Gut zu verpacken.<br />
Von Kammer zu Kammer sind es<br />
30 km, aber mit Zwischenstop in Gelsenkirchen<br />
werden neun Stunden daraus.<br />
In Essen angekommen, werde ich<br />
überschwänglich willkommen geheißen<br />
und darf mich <strong>im</strong> Beisein der<br />
Kammerarbeiter komplett<br />
ausziehen. Ich werde durchsucht<br />
und erstmal nackt stehen<br />
gelassen. Nach etwa 20<br />
Minuten bin ich dann traumhaft<br />
blau/ h<strong>im</strong>melblau eingekleidet.<br />
„Adieu“ Privatkleidung<br />
und ab in einen der<br />
beiden Karton, in die mein<br />
Hab und Gut geschmissen<br />
wird. Ordentlich einräumen,<br />
dafür ist keine Zeit.<br />
Neuer <strong>Knast</strong>,<br />
neues „Glück“<br />
Mein Weg geht zu meiner<br />
neuen Zelle auf der Zugangsabteilung.<br />
Zwei-Mann-Notgemeinschaft: in<br />
jeder JVA die gleiche Not? Wieder ein<br />
neuer Typ, auf den ich mich einstellen<br />
muss.<br />
Nach zwei Wochen auf Zugang<br />
(superschön: täglich 23 Stunden auf<br />
Zelle und eine auf dem Hof) die Nachricht:<br />
„Packen! Umzug in den C-Flügel.“<br />
Hier liegen nur Strafgefangene.<br />
Wieder erwartet mich eine Zweier-<br />
Zelle. Oh Wunder, diese Zelle ist nicht<br />
acht, sondern 14 qm groß. Welch eine<br />
Verschwendung für zwei Gefangene.<br />
Als nach vier Wochen endlich auch<br />
mein Geld den Weg von Düsseldorf<br />
aufs Essener <strong>Knast</strong>konto gefunden hat,<br />
freue ich mich auf den nächsten Einkauf,<br />
der ein bisschen „Luxus“ bringt.<br />
Ungewohnt, wie viele mir nur mit<br />
einer Tüte oder einem kleinen Karton<br />
Besondere Härten: Verlegung<br />
Einmal JVA Essen und zurück<br />
Verlegung: Umzug von <strong>Knast</strong> zu <strong>Knast</strong><br />
entgegen kommen. Essen ist ein armer<br />
<strong>Knast</strong>, Strafer ohne Arbeit und<br />
Taschengeldparagraph sind in die<br />
Mehrheit. Dementsprechend ist das<br />
Einkaufsangebot nicht besonders, nur<br />
Grundbedürfnisse werden gedeckt.<br />
Vitamin B und Blessuren<br />
In Düsseldorf hatte ich es geschafft,<br />
zu arbeiten und zwe<strong>im</strong>al wöchentlich<br />
an Sport teilnehmen zu können. Jetzt<br />
fängt alles wieder von vorne an, Sport<br />
und Arbeit sind auch in Essen Mangelware.<br />
Im Vollzug lerne ich vor allem<br />
Geduld. Ich bemerke, wie wichtig es<br />
Hausarbeiter verteilt Essen<br />
ist, in der JVA Essen die richtigen<br />
Leute zu kennen, um nicht so viele<br />
Umwege zu laufen; auch öffnen sich<br />
dann die Türen eher.<br />
Am Abend nach meinem Einkauf<br />
habe ich auf einmal fünf ungeladene<br />
Gefangene, die ich nicht einmal kenne,<br />
zum Umschluss auf meiner Hütte. Kaffee<br />
und Kuchen, das zieht an wie Licht<br />
die Motten. An einem der folgenden<br />
Tage werde ich be<strong>im</strong> Duschen nett<br />
gebeten, be<strong>im</strong> nächsten Einkauf Tabak<br />
zu besorgen, ich sei ja ein guter Gastgeber.<br />
Da ich mich diesem Wunsch<br />
verwehre, muss ich handfesten Argumenten<br />
trotzen. Mein Körper erinnert<br />
mich die folgenden zwei Wochen an<br />
die Methode der anderen Vier, ihre<br />
Argumente zu begründen.<br />
Erstaunlicher Weise (weil ich Deutscher<br />
bin?) fragt mich ein Beamter, ob<br />
33<br />
ich ein bisschen „Musik machen“<br />
wolle. Also ist Revanche angesagt, ich<br />
kann Einer gegen Einen in der Zelle<br />
eine Unterhaltung führen. Nachdem<br />
sich meine Argumente diesmal als die<br />
besseren erwiesen haben, holt mich der<br />
Beamte heraus und sperrt mich in<br />
meine eigene Zelle.<br />
Wie die Made <strong>im</strong> Speck<br />
Mir scheint, dass dem schon<br />
erwähnten Beamten mein Rückgrat<br />
gefällt und eine Woche später bin ich<br />
einer von fünf deutschen Essensträgern.<br />
Endlich eine Arbeit; aber unter<br />
welchen Umständen! Ich<br />
erlebe, was es heißt, <strong>im</strong><br />
Schlaraffenland zu sein.<br />
Essensträger und Hausarbeiter<br />
sind in der Lage, wie die<br />
Maden <strong>im</strong> Speck zu leben.<br />
Das Zauberwort „Nachschlag“<br />
scheint in der JVA<br />
Essen aus dem Wortschatz<br />
der Beamten gestrichen zu<br />
sein, Profiteure sind auf<br />
Kosten der anderen Gefangenen<br />
Essensträger und Hausarbeiter.<br />
Wer als Hausarbeiter<br />
in Essen über zwei Teller<br />
oder Schüsseln verfügt,<br />
bekommt diese einmal auf der Abteilung<br />
und ein zweites Mal in der Küche<br />
gefüllt.<br />
Und noch einmal: Geduld<br />
Keiner weiß warum: aber eines<br />
Tages erfahre ich, dass ich wieder nach<br />
Düsseldorf verlegt werde. Es heißt also<br />
wiederum Abschied zu nehmen und<br />
das ganze Prozedere einer Verlegung<br />
über mich ergehen zu lassen. Hier in<br />
Düsseldorf beginnt nun alles wieder<br />
von vorne: Wohnen mit einem fremden<br />
Zellengenossen, Beamte kennen lernen,<br />
bis zum Einkauf ist mein Geld<br />
noch nicht hier, ich stelle Antrag auf<br />
Arbeit, auf eine Sportkarte, auf Teilnahme<br />
an Freizeitgruppen. Geduld,<br />
Geduld. •<br />
Aufgeschrieben nach der Erzählung<br />
eines Betroffenen [bb/ws]
34 Besondere Härten: Prozess<br />
ULMER ECHO 2007<br />
In Eisen gelegt<br />
Entwürdigende Begleitumstände verursachen Nachteile be<strong>im</strong> Prozess<br />
In meiner Zeit als Gast dieser reizenden<br />
Zitadelle stand mir ein<br />
Zivilprozess ins Haus. Für mich ging<br />
es dabei um viel Geld: wichtig für<br />
Opferentschädigung, Anwaltskosten<br />
und Neustart nach der Haft. Um meine<br />
Rechte zu wahren, begehrte ich die<br />
Teilnahme am Prozesstermin. So ging<br />
es eines Morgens um 7 Uhr 30 hinein<br />
in den üblichen Justizbus, in dem ich<br />
gemeinsam mit einem weiteren Probanden<br />
in ein Behältnis gesperrt<br />
wurde, das einem stehendem Doppelsarg<br />
nicht unähnlich ist. Nach kurzer<br />
unidyllischer Reise mit Halt am Düsseldorfer<br />
Gericht ging es schließlich<br />
nach Neuss.<br />
Öffentliche Zurschaustellung<br />
Dort wurde der „Sargdeckel“<br />
geöffnet und wir wurden auf dem<br />
Gang des Busses als Zeichen der<br />
Verbundenheit aneinander gekettet.<br />
Be<strong>im</strong> Verlassen des Busses<br />
stand ich <strong>im</strong> wahrsten Sinne des<br />
Wortes auf der Straße, mitten in<br />
der Innenstadt vor dem Haupteingang<br />
des Gerichts. Um weiterer<br />
Zurschaustellung zu entgehen,<br />
strebten wir zügig dem Gebäude<br />
zu. Dort ging es in den Keller zur<br />
Verwahrzelle. Nach etwa 20<br />
Minuten wurde mein Leidensgenosse<br />
abberufen. Ein halbes<br />
Kreuzworträtsel später war ich an<br />
der Reihe. Vor der Zelle bekam ich<br />
recht schwere, starre Handschellen<br />
verpasst, die mir das Blättern<br />
in den Prozessakten unmöglich<br />
machten. Außerdem war mir die<br />
Chance genommen, meine Lesebrille<br />
<strong>im</strong> Innern des Sakkos zu<br />
erreichen. Ich wurde, von zwei<br />
„Grünen“ eskortiert, ins Erdgeschoss<br />
quer durchs Gebäude vor<br />
den Sitzungsraum geführt und dort<br />
gebeten, Platz zu nehmen.<br />
Urteil und Vorurteil<br />
Wie bei Zivilprozessen üblich,<br />
w<strong>im</strong>melte es auf dem Gerichtsflur von<br />
Von Dieter D.<br />
Anwälten nebst Mandanten. Ich war<br />
peinlich berührt, der Veranstaltung so<br />
deklassiert und gedemütigt beiwohnen<br />
zu müssen; alle Augen starrten mich<br />
an. Nach schier endlosen zwanzig<br />
Minuten wurde „meine“ Sache von<br />
einer jungen Richterin aufgerufen. Mit<br />
zwangsläufig vorgestreckten Händen<br />
(eine umschloss das Schriftgut) trat ich<br />
vor den Richtertisch, registrierte den<br />
Blick der Richterin, die zügig zur<br />
Sache überging: „Spruchtermin am<br />
soundsovielten ...“<br />
Sind vor dem<br />
Gesetz<br />
alle gleich?<br />
Fesselung<br />
ohne Rechtfertigung<br />
Mir drängte sich die Frage auf, ob<br />
nun eventuell ein Vorurteil nach dem<br />
Motto „Der kann eh nichts mehr verlieren“<br />
dieses Urteil beeinflussen<br />
würde.<br />
Hätten mir die Handschellen nicht<br />
wenigstens <strong>im</strong> Gerichtssaal abgenommen<br />
werden können? Meine Vorgeschichte<br />
vermochte die dauerhafte Fesselung<br />
kaum zu rechtfertigen: keine<br />
Aggression, kein Fluchtversuch, kein<br />
Widerstand, schon die Kripo hatte<br />
zuletzt von derartig entwürdigenden<br />
Maßnahmen abgesehen. Erst der Haftrichter<br />
wollte mich unbedingt wieder<br />
in „Eisen“ sehen. Vielleicht ist das ja<br />
eine persönliche Marotte von ihm. Zu<br />
einem noch ausstehenden Zivilprozesstermin<br />
habe ich nun dem Gericht<br />
mein Nichterscheinen angekündigt, da<br />
mir die Rahmenbedingungen menschenunwürdig<br />
vorkommen.<br />
Das Gesetz<br />
auf Seiten des Gefangenen?<br />
Dies wird vermutlich dazu führen,<br />
dass ich den Zivilprozesses durch ein<br />
Säumnisurteil verliere. Vor dem<br />
Gesetz sind alle gleich? Wenn<br />
ich meine Menschenwürde<br />
wahren will, werde ich damit<br />
leben müssen. Zwar sollen<br />
einem U-Gefangenen laut<br />
Gesetz durch die Untersuchungshaft<br />
keine Rechtsnachteile<br />
entstehen, aber das scheint<br />
mir mehr einem opt<strong>im</strong>istischen<br />
Wunschdenken als deutscher<br />
Justizrealität zu entspringen.<br />
Vielleicht entschließt sich ja das<br />
Gericht <strong>im</strong> Rahmen der Gleichbehandlung,<br />
alle in Eisen legen<br />
zu lassen, so dass ich nicht<br />
sonderlich auffalle? Vielleicht<br />
sind ja auch die „Robenträger“<br />
gebrandmarkt, denn erst Friedrich<br />
der Große hatte nach<br />
einem verlorenen Prozess<br />
wütend verfügt, das eben jene<br />
(die Advokaten) künftig in<br />
schwarze Roben zu stecken<br />
seien, damit man die Halunken<br />
sofort erkenne. •<br />
* Aus UE 4/1998;<br />
überarbeitet 2007 [ws]
ULMER ECHO 2007<br />
Arbeit: Bücherei<br />
Der „Bücherwurm“<br />
Arbeitsplätze in gesiebter Luft: Büchereiarbeiter<br />
35<br />
Ich kann mich noch an den Tag<br />
meiner Inhaftierung aus der heutigen<br />
Sicht noch <strong>im</strong>mer sehr gut erinnern.<br />
Die Ankunft in der <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />
war mit so vielen Fragezeichen und<br />
Vorurteilen versehen. Jedoch wurde<br />
ich noch am selben Tag meiner<br />
Ankunft von einem Mitarbeiter der<br />
Bücherei in die Abläufe hier in der<br />
JVA eingewiesen.<br />
Da es zu diesem Zeitpunkt auf der<br />
Zugangsabteilung noch keine Fernseher<br />
gab haben mir die Bücher, die ich<br />
mir damals aus der Bücherei ausgeliehen<br />
habe, geholfen über die vier<br />
Wochen auf dieser Abteilung hinwegzukommen.<br />
Damals habe ich den Entschluss<br />
gefasst, mich in der Bücherei zu<br />
bewerben und den anderen Inhaftierten<br />
das Lesen näher zu bringen. Zum Einstellungsgespräch<br />
hat mich dann Herr<br />
Pick mit vier weiteren Inhaftierten in<br />
die Bücherei eingeladen. Alle Bewerber<br />
saßen auf der einen Seite eines<br />
Tisches und die Büchere<strong>im</strong>itarbeiter<br />
sowie Herr Pick saßen auf der anderen<br />
Seite dieses langen Tisches. Es war ein<br />
Bewerbungsgespräch, dass ich so noch<br />
nie geführt hatte. Uns wurden verschiedene<br />
Fragen gestellt und jeder<br />
hatte die Möglichkeit diesen, unter den<br />
Inhaftierten so sehr begehrten Job in<br />
der Bücherei, zu bekommen.<br />
Nun, da ich diesen Artikel hier<br />
schreibe, könnt ihr euch vorstellen,<br />
dass ich von den Bewerbern diesen Job<br />
bekommen habe und seit mehr als<br />
einem Jahr hier die Medien an euch<br />
austeile.<br />
Ich möchte hier versuchen einen<br />
kleinen Überblick in die Bücherei<br />
gewähren und hoffe, dass sich der eine<br />
oder andere auf diese Weise zum<br />
Lesen inspirieren lässt.<br />
Der Anfang<br />
Der Inhaftierte sollte nach Möglichkeit<br />
vom zuständigen Büchere<strong>im</strong>itarbeiter<br />
einen Bücher- oder CD-Katalog<br />
ausleihen und sich eine Wunschli-<br />
Von U.A.<br />
ste mit Büchern und CDs zusammen<br />
stellen. Alle Medien werden auf jeder<br />
Abteilung einmal in einer Woche<br />
getauscht. Die sogenannte Zugangsabteilung<br />
kann jedoch jeden Tag Bücher<br />
tauschen.<br />
Herr Pick, Chef der Bücherei<br />
Der Tagesablauf<br />
Unser Arbeitstag beginnt hier um<br />
06.00 Uhr morgens mit dem Aufschluss<br />
bei der Morgenkostausgabe.<br />
Wir sammeln die Medien, die ihr an<br />
den Tauschtagen vor die Zelle legt,<br />
noch bevor die anderen Arbeiter ausrücken<br />
ein. Mit dem zuständigen<br />
Abteilungsbeamten gleichen wir dann<br />
unsere Listen ab und nehmen die<br />
Anträge für die Bücherei entgegen.<br />
Anschließend buchen wir euch die<br />
neuen Medien nach den Wunschlisten<br />
und geben euch noch am selben Tag<br />
die neuen Bücher und CDs.<br />
Die Wunschliste<br />
Dies ist das Zauberwort der Büchere<strong>im</strong>itarbeiter.<br />
Denn wer keine<br />
Wunschlisten erstellt,der bekommt leider<br />
auch nicht die gewünschten<br />
Medien. Es gibt <strong>im</strong>mer wieder „Knakckis“,<br />
die ihren Ruf gerecht werden<br />
wollen und keine Listen erstellen aber<br />
trotzdem die neuesten Hip-Hop CDs<br />
haben möchten. Wenn diese „Klientel“<br />
dann anstatt Hip-Hop oder Rap auf<br />
einmal „Schlagermusik“ bekommen,<br />
dann erstellen sie auch wieder<br />
Wunschlisten. Jedoch ein kleiner Tip<br />
an dieser Stelle: Wer zwei Bushido und<br />
eine 50 Cent CDs in die Wunschliste<br />
aufn<strong>im</strong>mt, der sollte sich nicht wundern,<br />
wenn er auf diese CDs dann entsprechend<br />
lange warten und dafür sich<br />
mit anderen CDs begnügen muss.<br />
Also, mindestens 30-40 CDs aufschreiben,<br />
dann ist best<strong>im</strong>mt auch die<br />
richtige CD für euch mit dabei.<br />
Die Medien<br />
Wer schon einmal ein Buch oder<br />
eine CD der Bücherei in den Händen<br />
hielt, der kann sich vorstellen, was für<br />
eine Arbeit dann doch da hinter steht.<br />
Wir verfügen zur Zeit über 6.500<br />
Bücher und ca. 1.650 CDs in der<br />
Bücherei. Wir haben ein sehr breites<br />
Spektrum an Literatur sowie an Sachmedien.<br />
Alleine der Fremdsprachenkatalog<br />
umfasst 22 verschiedene Sprachen<br />
mit 2.000 Werken. In den nächsten<br />
Wochen werden wir auch mit der<br />
Ausleihe von DVDs sowie Hörbüchern<br />
beginnen. Alle Medien werden<br />
von uns in den Computer aufgenommen<br />
und erhalten eine Verzeichnisnummer.<br />
Aufgrund dieser Daten werden<br />
auch die einzelnen Kataloge erstellt.<br />
In diesen Katalogen sind sowohl<br />
eine kurze Beschreibung der Bücher<br />
als auch Titel und Interpreten aller<br />
CDs enthalten. Die Bücher und CDs<br />
werden hier durch uns, bevor diese<br />
ausgeliehen werden, foliert und gestempelt.<br />
Bei den CDs wird ein zusätzliches<br />
Sicherungsetikett aufgebracht.
36 Arbeit: Hausarbeiter<br />
ULMER ECHO 2007<br />
„Bücherwurm” bringt<br />
Medien zu den Zellen<br />
Umstände einen reduzierten Wortschatz<br />
erhalten und die Möglichkeit<br />
einer anständigen Konversation fehlt,<br />
empfehle ich jedem von euch Bücher<br />
auszuleihen und diese auch zu lesen.<br />
Aller Anfang ist sehr schwer und vielleicht<br />
ist es schon Jahre zurück, dass<br />
ihr das letzte Buch in den Händen hattet,<br />
aber ihr werdet sehen, dass der eine<br />
oder andere Autor euch in eurer Fantasie<br />
aus dem <strong>Alltag</strong> der JVA befreien<br />
wird.<br />
Die Ausleihzahlen<br />
Jeder Inhaftierte kann sich bis zu 5<br />
Medien in der Woche ausleihen. Bei<br />
einer Ausleihe von bis zu 40.000<br />
Medien <strong>im</strong> Jahr, könnt ihr euch ja vorstellen<br />
was das für ein Aufwand<br />
bedeutet.<br />
Da wir hier <strong>im</strong> <strong>Knast</strong> aufgrund der<br />
Der neue Katalog<br />
Ein Blick in die neuen Kataloge<br />
lohnt sich auf jeden Fall. Wir bieten<br />
demnächst als DVD best<strong>im</strong>mt auch<br />
den Klassiker von Clint Eastwood<br />
„Flucht von Ulmcatraz“ an. Bis dahin<br />
könnt ihr „Papillion“ oder von Alexander<br />
Dumas den Graf von Monte Christo<br />
lesen. •<br />
Die erlösende Nachricht wird<br />
mir nach dem Mittagessen als<br />
Dessert serviert, als der Abteilungsbeamte<br />
mir sagt, ich möge sofort meine<br />
Sachen packen und in eine andere<br />
Zelle umziehen. Zum Abendessen<br />
könne ich bereits meinen Dienst als<br />
Hausarbeiter antreten. Das trifft mich<br />
<strong>im</strong> positiven Sinne wie ein Blitzschlag,<br />
denn sofort wird mir klar, dass meine<br />
Leidenszeit beendet ist.<br />
Untätiges, wochenlanges Hocken<br />
auf der Zelle, oftmals 23 Stunden am<br />
Tag, ließ mich langsam depressiv werden.<br />
Die Wände des Haftraums schienen<br />
<strong>im</strong>mer näher auf mich zuzukommen.<br />
Das schlechte Gewissen meinen<br />
Eltern gegenüber plagte mich. Sie versorgten<br />
mich nämlich jeden Monat mit<br />
Bareinzahlungen, damit ich zum<br />
Wohlstand unseres Anstaltskaufmanns<br />
beitragen konnte. Alles Vergangenheit.<br />
Putzen, schleppen, Essen verteilen ...<br />
Der Hausarbeiter, ein Job mit Vor- und Nachteilen<br />
Von Wolfgang M.<br />
„Etagenboys” bei der Arbeit<br />
Ich bin's, euer Etagenboy<br />
Ab jetzt gab's eine Lohnabrechnung<br />
und dazu noch eine meist geöffnete<br />
Zellentür und das von morgens bis<br />
abends. Luxuseinkauf <strong>im</strong> Anstaltsshop<br />
vom erarbeiteten Hausgeld. Eine neue<br />
Perspektive eröffnet sich mir <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>.<br />
Ab sofort zähle ich zur arbeitenden<br />
Bevölkerung, sei es auch nur, dass ich<br />
als Etagenboy meine Kollegen bewirten<br />
darf. Nach einer unruhigen Nacht,<br />
<strong>im</strong>mer in Gedanken daran, was mich<br />
morgen an meinem ersten Arbeitstag<br />
wohl erwartet, stehe ich bereits um<br />
5.30 Uhr gewaschen, rasiert und ange-
ULMER ECHO 2007<br />
Arbeit: Hausarbeiter<br />
37<br />
zogen in meiner Zelle. Mit Beginn des<br />
RTL Frühmagazins öffnet sich Punkt<br />
sechs Uhr meine Zellentür und ich<br />
beginne als „Weißjacke” meinen<br />
Dienst. Muckefuck um 6.10 Uhr zum<br />
Frühstück an ca. 100 Häfenbrüder*<br />
auszuschenken: von dem Job habe ich<br />
schon <strong>im</strong>mer geträumt. Nun ist der<br />
Traum Realität. Nachdem der diensthabende<br />
Beamte die letzte der 66 Zellentüren<br />
aufgeschlossen hat, ist mir der<br />
Appetit auf das anschließende eigene<br />
Frühstück endgültig vergangen.<br />
Die nächtlichen Ausdünstungen<br />
meiner Mitbewohner legten sich infolge<br />
geschlossener Zellenfenster wie ein<br />
Nebel auf meine Atemorgane. Es gibt<br />
ohnehin keine Zeit zum Luftholen,<br />
denn direkt <strong>im</strong> Anschluss an die Frühstücksausgabe<br />
habe ich die Abfalle<strong>im</strong>er<br />
meiner Zellengenossen von deren<br />
Inhalt zu entsorgen. Dann endlich ist<br />
Zeit für eine selbstgebrühte Tasse<br />
Tchibo Gold. Der weitere Verlauf des<br />
Vormittags ist best<strong>im</strong>mt durch die Reinigung<br />
der Flure beider Abteilungen.<br />
Mir steht zwar die Teilnahme an der<br />
täglichen Freistunde zu, aber das<br />
schlechte Gewissen plagt mich, meine<br />
Arbeit rechtzeitig fertig stellen zu können.<br />
So verzichte ich auf Frischluftzufuhr.<br />
Und gleich der erste Ärger<br />
Der Uhrzeiger bewegt sich langsam<br />
auf die 12 zu, als ich in weißer Arbeitskleidung<br />
gemeinsam mit meinen drei<br />
Kollegen die Behälter entgegen<br />
nehme, in denen die Küchenarbeiter<br />
das heutige Mittagessen portioniert<br />
haben. Meine Aufgabe besteht darin,<br />
die gekochten Kartoffeln zu verteilen,<br />
und das möglichst gleichmäßig. Und<br />
da beginnt das erste Problem, denn<br />
bereits bei der dritten Zelle pöbelt<br />
mich ein südländisch aussehender<br />
<strong>Knast</strong>bruder mit übelsten Sprüchen an<br />
und droht mir mit Schlägen, wenn ich<br />
seine Kartoffelportion nicht verdopple.<br />
Um Repressalien zu vermeiden, lege<br />
ich eine Kelle nach, in der Hoffnung,<br />
auch für die letzten Zellen noch Kartoffeln<br />
übrig zu haben. Meine Portionierung<br />
geht Gott sei Dank auf.<br />
Nachdem ich nun selbst meine<br />
inzwischen kalt gewordene Bratwurst<br />
mit der dazugehörigen Portion Kartoffeln<br />
degustieren durfte, bahnt sich der<br />
nächste Zellenrundgang an: Milch<br />
muss verteilt werden. Die Tetrapacks<br />
werden unseren <strong>Knast</strong>kollegen lediglich<br />
vor die Zellentür gestellt.<br />
Der Nachmittag verläuft relativ<br />
ruhig. Zeit zum Relaxen bietet sich<br />
mir, um zur Ausgabe des Abendessens<br />
wieder fit zu sein. Schonkost scheint<br />
heute angesagt, oder wie sollen meine<br />
teilweise 90 bis 100 kg schweren<br />
Häfenbrüder, die regelmäßig in der<br />
Muckibude Eisen stemmen, von einer<br />
kleinen Portion Gurkenquark satt werden?<br />
Die Packungen sind abgezählt, so<br />
dass sich mir keine Möglichkeit bietet,<br />
doppelte Portionen ausgeben zu können.<br />
Hoffentlich erlebe ich den Durchgang<br />
stressfrei. Um 17.45 Uhr neigt<br />
sich mein erster Arbeitstag endlich<br />
dem Ende zu. Nach dem Umschluss,<br />
den ich mit meinem Arbeitskollegen<br />
zum Kartenspielen nutze, wird auch<br />
meine Zellentür von außen verschlossen.<br />
Mädchen für alles<br />
Wer glaubt, die Tätigkeit eines<br />
Hausarbeiters beschränkt sich auf das<br />
Verteilen der Mahlzeiten, irrt. Zu meinen<br />
weiteren täglichen Pflichten zählt<br />
das Leeren der Mülltonne unserer<br />
Abteilung auf dem Hof und das Aushändigen<br />
von Reinigungsmaterialien<br />
an meine Mitgefangenen zum Putzen<br />
ihrer Hafträume. Toilettenartikel wie<br />
z.B. Rasierutensilien, Zahnpasta, Klopapier<br />
usw. lagern auf meiner ohnehin<br />
beengten Zelle, um sie je nach Bedarf,<br />
insbesondere an den beiden Duschtagen<br />
pro Woche, an meine <strong>Knast</strong>brüder<br />
aushändigen zu können.<br />
Die auch mir zustehende täglich<br />
Freistunde nutze ich selten, da ich<br />
gemeinsam mit meinen Kollegen auch<br />
noch ständig die Flure, Treppen, Türen<br />
und vor allen Dingen das Büro unseres<br />
17 Uhr <strong>im</strong> B-Flügel:<br />
Abendkostausgabe<br />
Abteilungsbeamten zu reinigen haben.<br />
Der mir übertragene Job eines<br />
Hausarbeiters ist sicher nicht jedermanns<br />
Sache. Er garantiert mir jedoch,<br />
außer einem „Trinkgeld” als Lohn,<br />
gewisse Freiheiten in dieser elenden<br />
Umgebung, die ich mir natürlich selbst<br />
ausgesucht haben. •<br />
* Häfenbrüder = österreichisch für<br />
<strong>Knast</strong>brüder
38 Arbeit: Wäscherei<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Lieber schmutzige Wäsche waschen, als arbeitslos sein<br />
Ein Arbeitstag in der Wäscherei<br />
Während der zurückliegenden<br />
sieben Monate in dieser<br />
trostlosen Umgebung wurde der stupide<br />
Tagesablauf lediglich durch die tägliche<br />
Freistunde und dem abendlichen<br />
Umschluss mit meinem Zellennachbarn<br />
unterbrochen. Das sollte sich nun<br />
grundlegend ändern.<br />
Als ich bereits jegliche Hoffnung<br />
auf einen Arbeitsplatz aufgegeben<br />
habe, da erreicht mich unerwartet die<br />
Nachricht unseres Abteilungsbeamten,<br />
dass ich mich am nächsten Tag pünktlich<br />
um 7.00 Uhr zum Dienstantritt in<br />
der Wäscherei zu melden habe. Die<br />
Zeit meines Junggesellendaseins ging<br />
mir durch den Kopf, als ich in Ermangelung<br />
einer Waschmaschine wöchentlich<br />
in einem Waschsalon aufkreuzte,<br />
um meine schmutzige Wäsche zu<br />
waschen. Ein wenig Vorkenntnisse<br />
waren also für meine neue Tätigkeit<br />
vorhanden. Aber reichten diese aus,<br />
um gleich als vollwertige Arbeitskraft<br />
einspringen zu können?<br />
Von Wolfgang M.<br />
Die Waschautomaten fassen bis zu<br />
60 kg Trockenwäsche. Das entspricht<br />
in etwa einer Menge von ca. 300 Frotteehandtüchern.<br />
Im Verhältnis zum<br />
Hausgebrauch würde diese Menge<br />
15mal eine normale Waschmaschine<br />
füllen. Dieses gesamte Volumen wird<br />
von uns in 60 Minuten gewaschen und<br />
getrocknet.<br />
Bettwäsche und Geschirrtücher<br />
werden nach dem Waschen in einen<br />
separaten Mangelraum gebracht. Fünf<br />
Mitgefangene bedienen die monströse<br />
Heißmangel, um den regelmäßig<br />
anfallenden riesigen Berg an Bettwäsche<br />
pünktlich wieder geglättet und<br />
zusammengefaltet an die Abteilungen<br />
zurückgeben zu können.<br />
Arbeitstages wurden <strong>im</strong>merhin rund<br />
1700 Wäschestücke geglättet und<br />
gefaltet. Wir versorgen <strong>im</strong>merhin acht<br />
verschiedene JVA's mit sauberer<br />
Wäsche, davon entfällt natürlich der<br />
Löwenanteil der Waschleistung mit<br />
fast fünf Tonnen pro Woche auf die<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh' selbst.<br />
Mit Nadel und Faden<br />
Zerschnittene oder zerrissene<br />
Wäschestücke werden von drei meiner<br />
Arbeitskollegen, die irgend wann einmal<br />
in ihrem früheren Leben die<br />
Arbeitsweise einer Nähmaschine kennen<br />
lernten, geflickt und instandgesetzt.<br />
Nicht selten kommt es allerdings<br />
vor, dass ein Arbeitshemd in leichter-<br />
Ein professioneller Waschbetrieb<br />
Die Vorstellung der maschinellen<br />
Einrichtung unserer Wäscherei durch<br />
den diensthabenden Beamten übertrifft<br />
alle meine Erwartungen. Ich fühle<br />
mich wie in einer Waschfabrik, umgeben<br />
mit Maschinen, die in ihrem<br />
Umfang und Größe alles mir bisher in<br />
dieser Richtung bekannte überragen.<br />
Gerade in diesem Augenblick wird<br />
Wasser in eine der riesigen Waschmaschinen<br />
eingelassen, verbunden mit<br />
einem Geräuschpegel, der mich an<br />
eine Übung der Freiwilligen Feuerwehr<br />
erinnert. Der Maschinenraum<br />
wird ausgefüllt mit zwei übergroßen<br />
Trocknern, in denen die gereinigten<br />
Wäschestücke in Minutenschnelle<br />
getrocknet werden. Eine Bügelpresse<br />
dient uns zum Glätten der Jacken und<br />
Kittel meiner Vollzugskollegen und<br />
der Bediensteten aus den Arbeitsbereichen<br />
Bäckerei, Küche und Sanitätsrevier.<br />
Die undankbarste Tätigkeit auf<br />
meiner neuen Arbeitsstelle ist die der<br />
„Maschinisten”. Die Hände in Handschuhe<br />
verpackt sortieren diese wahren<br />
Helden der Arbeit die verschmutzte<br />
Wäsche, die täglich in großen Säkken<br />
angeliefert wird. Jeden Tag von<br />
Neuem kämpfen sie mit den Gerüchen.<br />
Besser haben es dabei die Mangelarbeiter.<br />
Stoische Ruhe hilft dabei,<br />
stundenlang wiederkehrenden Handgriffe<br />
zu tätigen, denn am Ende eines<br />
Ein Blick in die Wäscherei<br />
Sommerausführung ohne Ärmel angeliefert<br />
wird. Oft mutieren auch Frotteehandtücher<br />
zu Waschlappen. In diesem<br />
Fall kann auch der beste <strong>Knast</strong>schneider<br />
keine Wunder vollbringen und die<br />
durch Wut und Hass zerstückelten<br />
Kleidungs- und Wäschestücke in den<br />
Urzustand zurückversetzen.<br />
Ich bilde mir ein, mich als Neuling<br />
in der Abteilung „Falte” schon recht<br />
gut eingearbeitet zu haben, obwohl<br />
meine lieben Arbeitskollegen
ULMER ECHO 2007<br />
Arbeit: Kammer<br />
39<br />
zwischendurch meine Zurechnungsfähigkeit<br />
und Arbeitsmoral in Frage stellen.<br />
Sehen die in mir etwa einen Konkurrenten,<br />
der bestrebt ist, durch gute<br />
Leistung auf sich aufmerksam zu<br />
machen? Dabei will ich nur meine<br />
Ruhe haben und bin glücklich, von der<br />
„Hütte” zu sein.<br />
Die Uhr zeigt 15.30, Feierabend.<br />
Mein erster Arbeitstag ist geschafft.<br />
Ich werde mich zukünftig bemühen,<br />
<strong>im</strong> Strom meiner 17 Arbeitskollegen<br />
mitzuschw<strong>im</strong>men, um weder positiv<br />
noch negativ aufzufallen. Jedenfalls<br />
wünsche ich allen arbeitswilligen Mitgefangenen<br />
einen Job, denn dann lässt<br />
sich der Aufenthalt in unserem<br />
Zwangsasyl <strong>Ulmer</strong> Höh' viel leichter<br />
ertragen. •<br />
Aus UE 04/199;,<br />
überarbeitet 8/2007 [rs]<br />
Ich geh' so unwahrscheinlich gern<br />
in den Waschsalon, sangen einst<br />
die Softrocker von BAP. Dieses Lied<br />
erinnert mich noch an die Zeit, als ich<br />
noch keine Waschmaschine besaß und<br />
mich in best<strong>im</strong>mten Abständen meist<br />
ungehalten auf den Weg machen musste.<br />
Allerdings besserte sich<br />
meine Laune erheblich, als ich<br />
die gut riechende Wäsche aus<br />
dem Trockner zog und sorgsam<br />
zusammenlegte. Diese Arbeit<br />
sollte mir bald schon - leider<br />
unfreiwillig - erspart bleiben.<br />
Wäschetausch be<strong>im</strong><br />
Duschen<br />
Als ich in die „Ulm” umzog,<br />
beschrieb mir der Kammerarbeiter<br />
in der Dusche freiwillig seine<br />
Tätigkeit. Bei dieser Arbeit handelt<br />
es sich hauptsächlich um<br />
das Tauschen von Wäsche.<br />
Innerhalb der Dusche befindet<br />
sich eine „Durchreiche” zu<br />
einem ehemaligen Zellenraum.<br />
Hier werden Unterwäsche, T-<br />
Shirts, Taschentücher, Socken und<br />
Handtücher gelagert. Diese können<br />
be<strong>im</strong> Duschen zwe<strong>im</strong>al in der Woche<br />
getauscht werden. Folglich muss der<br />
„Kammerknecht” dafür sorgen, dass<br />
<strong>im</strong>mer genügend Tauschwäsche für die<br />
Gefangenen vorhanden ist. Nach dem<br />
Wäschetausch wird ein Meldezettel für<br />
Der „Herr der Socken”<br />
Pflichten des Kammerknechts an der Dusche<br />
Von Ralf S.<br />
den Kammerverwalter erstellt; womit<br />
erfasst wird, wie viele Wäschestücke<br />
gewechselt wurden. Dann werden<br />
diese zur Zugangskammer oder zur<br />
Wäscherei gebracht. Dort wird saubere<br />
Wäsche abgeholt, die über die Hauptkammer<br />
geht und schließlich als<br />
Sockenausgabe in der Dusche<br />
Tauschwäsche für das nächste<br />
Duschen zur Verfügung steht.<br />
Zuerst die Materialausgabe<br />
Der Tag beginnt um 6.15 Uhr in der<br />
Hauptkammer, wo den Kollegen bei<br />
ihren Vorbereitungen für die Materialausgabe<br />
geholfen wird. Dann gibt der<br />
Kammerverwalter die außerplanmäßigen<br />
Dienstanweisungen für den Tag<br />
bekannt. Es wird in zwei Schichten in<br />
der Kammer gearbeitet von 6.15 Uhr<br />
bis 15.00 Uhr und die Zweite Schicht<br />
fängt um 10.00 Uhr an und endet ca.<br />
gegen 18.30 Uhr.<br />
Nun geht es los. Bis 9.00<br />
Uhr muss Schmutzwäsche in<br />
der Zugangskammer abgegeben<br />
werden, damit diese und<br />
zugleich die von den Hausarbeitern<br />
getauschten Handtücher<br />
aus den Zellen in die<br />
Wäscherei gebracht werden<br />
können. Der Gang zur<br />
Wäscherei wiederholt sich<br />
häufiger, damit nach deren<br />
Reinigung wieder frische<br />
Wäsche zur Verfügung steht.<br />
Darüber hinaus gehört<br />
auch die Säuberung des Flurbereiches<br />
und der Zugangszellen<br />
zu den Pflichten des<br />
„Kammerknechtes”. Diese<br />
Arbeit erfolgt <strong>im</strong> weiteren<br />
Verlauf des Tages. Leider<br />
sind jene Zellen meist in desolatem<br />
Zustand und manch einem Kammerarbeiter<br />
graut es schon, an die Reinigung<br />
der Transporter- und Zugangszellen zu<br />
denken. Schließlich werden noch<br />
defekte Kleidungsstücke aussortiert<br />
und um ca. 17 Uhr gelangt die letzte<br />
Fuhre Schmutzwäsche vom Arbeiter-
40 Arbeit: Revier<br />
ULMER ECHO 2007<br />
duschen zur Zugangskammer.<br />
Es können aber schon<br />
mal Arbeitstage länger werden,<br />
denn an den Transportertagen<br />
(Dienstag u. Donnerstag)<br />
verlängert sich die<br />
Arbeitszeit schon mal bis<br />
18.30 Uhr. Auch in der<br />
Woche sind mache Arbeitstage<br />
mit Überstunden behaftet,<br />
wenn vom Amtsgericht<br />
und dem normalen Umlauf<br />
noch Zugänge kommen.<br />
Zusätzliche Arbeiten<br />
Gelegentlich werden<br />
„Möbelrückaktionen” durchgeführt,<br />
die vom Kammerverwalter<br />
angeordnet werden. Wir haben zwei<br />
Lagerräume <strong>im</strong> CK Arbeiterbereich<br />
mit feuerfesten Materialien,<br />
z. B. Matratzen für die Verstärkt-<br />
GesicherteHaftraum (VGH) Abteilung.<br />
Des weiteren einen Lagerraum<br />
<strong>im</strong> AK mit Möbeln sowie ein<br />
Kleidungslager <strong>im</strong> E-Flügel.<br />
Gegen 17.15 Uhr endet der normale<br />
Arbeitstag eines Kammerarbeiters.<br />
Diese Arbeit mag zwar etwas<br />
stupide anmuten, doch hilft sie mir<br />
wohl, die hiesige Haftzeit etwas<br />
abwechslungsreicher zu gestalten.<br />
Und ganz nebenbei bekomme ich<br />
sogar Geld dafür. •<br />
Aus UE 02/1997, überarbeitet<br />
2007 [rs]<br />
Zwei zum Aufwischen<br />
Die Revierhausarbeiter sind Mädchen für alles <strong>im</strong> Sanitätsrevier<br />
Unsere Arbeit beginnt morgens<br />
um sechs Uhr.<br />
Die Behandlungsräume werden<br />
gesäubert, Müllbeutel ausgetauscht<br />
und genügend Mineralwasser zur Verfügung<br />
gestellt. Das Bad wird vorbereitet,<br />
um eine saubere Umgebung zu<br />
schaffen. Dann werden die schmutzigen<br />
Handtücher und Laken des Vortages<br />
gewechselt, so, dass sich der Sanitätsbereich<br />
bis ca. sieben Uhr <strong>im</strong> einwandfreien<br />
Zustand befindet. Danach<br />
pausieren wir ein wenig.<br />
Im weiteren Verlauf des Vormittages<br />
muss die gebrauchte Beamtenwäsche<br />
sortiert, gebündelt und zur<br />
Wäscherei gebracht werden. Dort<br />
bekommen wir frische Tauschwäsche,<br />
die <strong>im</strong> Revier in die für jeden Beamten<br />
vorhandenen Fächer einzusortieren ist.<br />
Manchmal stehen diverse Pakete für<br />
den Sanitärbereich (z.B. Medikamente)<br />
zur Abholung an der Außenpforte<br />
bereit, die wir dann in den Sanitätsbereich<br />
bringen. Auch pflegen wir, die<br />
Pflanzen und das Aquarium, ein grüner<br />
Daumen hilft <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> tristen <strong>Knast</strong>alltag.<br />
Das dient dazu, dem ganzen<br />
Bereich eine etwas angenehmere und<br />
nicht ganz so sterile Atmosphäre zu<br />
Von Ralf S.<br />
vermitteln. So gibt es also <strong>im</strong> Laufe<br />
des Vormittages <strong>im</strong>mer wieder etwas<br />
zu erledigen.<br />
Mittags beginnt die eigentliche<br />
Arbeit <strong>im</strong> 1. Obergeschoss:<br />
der Behandlungsraum des<br />
Arztes muss mit einer speziellen<br />
Lösung gesäubert und<br />
desinfiziert werden. Frische<br />
Laken kommen auf den<br />
Behandlungstisch und alles,<br />
einschließlich des Bodens,<br />
wird gründlich desinfiziert.<br />
Anschließend wird diese Prozedur<br />
mit dem gegenüberliegenden<br />
Gips- und Desinfektionsraum<br />
wiederholt. Nun<br />
wird auch das Bad mit einer<br />
Desinfektionslösung vorbereitet,<br />
die wir ca. 1 Stunde<br />
einwirken lassen, um dann<br />
die Wanne, das Duschbecken<br />
und die Fliesen gründlich<br />
abzuwischen und mit viel<br />
Wasser alles wieder von der<br />
Desinfektionslösung zu<br />
befreien. Dann werden die<br />
beiden Büros der weiblichen Sanitätsbediensteten<br />
und des Doktors gesäubert,<br />
sowie bei Bedarf das Labor und<br />
die Krankenzelle.<br />
Jetzt kommen wir zu unserem Problembereich,<br />
den beiden Wartezellen.<br />
Es sollte selbstverständlich sein, dass<br />
Revierhausarbeiter ...<br />
man diesen neutralen Wartebereich<br />
nicht mutwillig verschmutzt. Vielleicht<br />
überprüft der eine oder andere ja doch
ULMER ECHO 2007<br />
Arbeit: gibt’s zu wenig<br />
41<br />
einmal seine Einstellung dazu.<br />
Für einige der hiesigen Inhaftierten,<br />
scheinen wir beide eine eher belästigende<br />
als nützliche Erscheinungen zu<br />
sein. Zu diesem Thema vielleicht noch<br />
ein kurzer Hinweis: wer krank ist und<br />
Behandlung durch die Sanitäter oder<br />
Ärzte braucht, wünscht vernünftigen<br />
Rat und Hilfe. Er sollte sich daher<br />
bewusst sein, dass Rauchen in ärztlichen<br />
Praxen und Krankenhäusern<br />
grundsätzlich nicht erlaubt ist. Warum<br />
sollte es hier also anders sein?<br />
Der Raucher sollte sich mal in<br />
Gedanken vorstellen, der Arzt würde<br />
bei seiner Behandlung z.B. einer offenen<br />
Wunde rauchen? Ein angenehmer<br />
Gedanke!<br />
Nun geht es weiter auf der unteren<br />
Ebene. Dort werden die Aufenthaltsräume<br />
des Personals gereinigt, der<br />
Behandlungsraum der Sanitäter, die<br />
... bei der Arbeit<br />
Bedienstetentoilette, der Warteraum<br />
und bei Bedarf die Apotheke und das<br />
Büro des Sanitätsleiters. Dienstags und<br />
donnerstags muss dann der Zahnarztbehandlungsraum<br />
genauso wie der<br />
Arztraum gereinigt und desinfiziert<br />
werden. Damit ist dann die eigentliche<br />
Tagesarbeit abgeschlossen. Bei Notfällen<br />
werden wir auch außerhalb der<br />
normalen Arbeitszeit gerufen.<br />
Der Samstag ist der Großkampftag<br />
<strong>im</strong> gesamten Bereich, wobei dann alles<br />
nochmals gründlich, einschließlich der<br />
Fenster und Fußböden, nass gereinigt<br />
wird. Dazu ist an diesem Tag die beste<br />
Gelegenheit, da nur wenige Patienten<br />
ins Revier kommen und die Arbeiten<br />
daher ungestört vonstatten gehen.<br />
Vielleicht hilft es dem einen oder<br />
anderen über diesen kurzen Bericht<br />
etwas mehr Verständnis für die Arbeit<br />
von uns zu gewinnen und mehr Entgegenkommen<br />
hinsichtlich des Rauchverbots<br />
aufzubringen. •<br />
Aus UE 03/1998;<br />
überarbeitet 8/2007 [rs]<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh’: viel zu wenig Arbeit für viel zu viele Gefangene<br />
Ohne Arbeit kein Einkauf und weniger Kontakt<br />
Erst gestern sah ich <strong>im</strong> Fernseher,<br />
dass engagierte Beamte in<br />
Hessen es geschafft haben, eine Kaffeerösterei<br />
in ihr Gefängnis zu holen.<br />
25 Cent pro Pfund Kaffee sollte sogar<br />
noch dem weißen Ring für Opfer von<br />
Gewalttaten zugute kommen.<br />
Mehr als 75% ohne Arbeit<br />
In unserer JVA gibt es kaum 130<br />
Arbeitsplätze für manchmal über 600<br />
Inhaftierte. Es scheint sich niemand<br />
zuständig zu fühlen, zusätzliche<br />
Arbeitsplätze zu beschaffen.<br />
Oft wird der Wert der Arbeit für die<br />
Resozialisierung betont. Ganz sicher<br />
macht <strong>Knast</strong> ohne Arbeit – sprich:<br />
ohne Regelmäßigkeit, ohne Anforderungen<br />
usw. – noch viel mehr kaputt.<br />
Aber die Möglichkeit, zu arbeiten,<br />
bedeutet auch sozialen Kontakt und<br />
ein Stück Normalität während der<br />
Arbeitszeiten; Arbeit durchbricht die<br />
eintönige Ödnis der <strong>Knast</strong>tage und<br />
baut Agressionen und Frustrationen<br />
ab. Für einen Inhaftierten gibt es nichts<br />
Von Alex B., Wolfgang Sieffert OP und Uzo<br />
Schl<strong>im</strong>meres, als 23 Stunden am Tag<br />
„auf Zelle” eingeschlossen zu sein.<br />
Das ist dann kaum mehr als ein Vegetieren:<br />
Daueraufenthalt in der Zelle<br />
wirkt sich so schädlich aus, dass in<br />
Aus Johannes - Verlag Bärmeier<br />
anderen Ländern einem Gefangenen<br />
jeder Tag ohne Arbeit mit drei Tagen<br />
auf die Haftzeit angerechnet wird.<br />
Arbeit hat viel Vorteile<br />
Wer keine Arbeit hat, kann auch<br />
nicht einkaufen. U-Gefangene betteln<br />
dann Angehörige und Freunde um<br />
etwas Geld an, oder warten wochenund<br />
monatelang auf das be<strong>im</strong> Sozialamt<br />
beantragte Taschengeld; Strafer,<br />
die unverschuldet ohne Arbeit sind,<br />
bekommen auf Antrag von der Anstalt<br />
1,48 € pro Tag.<br />
Ein Rest von „Ich bin Ich”<br />
Einkauf bedeutet nicht nur, dass ich<br />
mir gegenüber Anstaltsshampoo und<br />
Zahncreme einen Rest von Individualität<br />
bewahren kann, vielleicht Rauchwaren<br />
oder etwas Süßes einkaufen<br />
kann. Einkauf bedeutet auch, dass ich<br />
einem Mittellosen helfen kann oder<br />
dass ich Mitgefangene zum Umschluss<br />
auf eine Tasse Tee oder Kaffee einladen<br />
kann; so entstehen die gerade hier<br />
so wichtigen sozialen Kontakte!<br />
Aus diesen Gründen sollte in den<br />
Justizvollzugsanstalten für alle Häftlinge<br />
ein ausreichendes Arbeitsangebot<br />
vorhanden sein oder geschaffen werden,<br />
um den schädlichen Auswirkungen<br />
des Verwahrvollzuges entgegenzutreten.<br />
•
42 Integration / Migration: Ausländerbeauftragter<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Die Bedeutung des Ausländerbeauftragten<br />
Hauptaufgabe ist die Koordination der internen und externen Vernetzung der JVA<br />
Das <strong>Ulmer</strong> <strong>Echo</strong> befragte den<br />
Ausländerbeauftragten der<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh´ über seine Tätigkeit. Herr<br />
Rukaj erfüllt diese Aufgabe neben<br />
anderen Tätigkeiten <strong>im</strong> Feld des Allgemeinen<br />
Vollzugsdienstes. Das <strong>Ulmer</strong><br />
<strong>Echo</strong> dankt Herrn Rukaj für die Auskünfte<br />
und sein Engagement!<br />
Interne Vernetzung<br />
Der Ausländerbeauftragte steht den<br />
übrigen Bediensteten der JVA Düsseldorf<br />
in Fragen der Betreuung ausländischer<br />
Gefangener zur Verfügung, initiiert<br />
neue Angebote und koordiniert<br />
sämtliche angebotenen Maßnahmen.<br />
Er ist dem Gefängnisbeirat bekannt<br />
und dient als Ansprechpartner. Der<br />
Ausländerbeauftragte kooperiert mit<br />
dem Oberlehrer und sorgt für ein ausreichendes<br />
Angebot an Sprachkursen,<br />
in Zusammenarbeit mit der GMV und<br />
dem Freizeitkoordinator wirkt er darauf<br />
hin, dass ausländische Gefangene<br />
die Möglichkeit erhalten, eigenen kulturellen<br />
Interessen nachzugehen. Er<br />
n<strong>im</strong>mt an der Koordinierungskonferenz<br />
teil, um die Interessen der ausländischen<br />
Inhaftierten zu vertreten.<br />
Bis zur Inhaftierung fühlte ich<br />
mich als deutscher Bürger in<br />
einem „freien“ Deutschland. Jetzt wird<br />
mir nur allzu deutlich, dass ich mich<br />
arg getäuscht habe. Nach einem einmaligen<br />
Verstoß gegen geltende deutsche<br />
Gesetze (BtmG) will mich dieses<br />
Land hinauswerfen, und das obwohl<br />
ich hier seit meiner Geburt lebe, und<br />
nicht einmal die Sprache meines „auf<br />
dem Papier angegeben“ He<strong>im</strong>atlandes<br />
spreche.<br />
Im Duden wird He<strong>im</strong>at wie folgt<br />
definiert: „He<strong>im</strong>at, subjektiv von einzelnen<br />
Menschen oder kollektiv von<br />
Gruppen, Stämmen, Völkern, Nationen<br />
erlebte territoriale Einheit, zu der<br />
Externe Vernetzung<br />
Der Ausländerbeauftragte ist<br />
Ansprechpartner für Ausländer und<br />
Arbeitsämter, Zentrale Anlaufstelle für<br />
Asylbewerber, Konsulate, Ausländerbeirat<br />
der Stadt, Aussiedlerbeauftragter,<br />
deutschausländische Kultur- und<br />
Hilfsvereine, externe Betreuer und<br />
Vernetzungspartner. Er führt eine Liste<br />
mit Rechtsanwälten, die sich auf Ausländerrecht<br />
spezialisiert haben, kooperiert<br />
mit dem Anwaltsverein und organisiert<br />
bei Bedarf eine regelmäßige<br />
Sprechstunde eines Rechtsanwalts.<br />
Der Ausländerbeauftragte erstellt eine<br />
Liste mit den Mitarbeiterin, die nach<br />
Die moderne Variante der Verbannung<br />
Abschiebung und Ausweisung um jeden Preis<br />
von Darius M.<br />
ein Gefühl besonders enger Verbundenheit<br />
besteht.“<br />
Meine He<strong>im</strong>at ist hier, denn<br />
hier lebt meine Tochter<br />
Meine He<strong>im</strong>at war und ist Deutschland.<br />
Hier sind meine Verwandten,<br />
meine<br />
Schwestern,<br />
Eltern und<br />
Großeltern,<br />
meine Freundin<br />
und meine<br />
Tochter. Hier<br />
habe ich meine<br />
Kindheit verbracht,<br />
bin hier zur Schule<br />
vorheriger Rücksprache und in Krisenfällen<br />
ihre Fremdsprachenkenntnisse<br />
zur Verfügung stellen, hält Kontakt zu<br />
Vertretern der Kirchen und Glaubensgemeinschaften,<br />
ist bei fremdländischen<br />
Selbsthilfegruppen bekannt und<br />
initiiert bei Bedarf ein Angebot in der<br />
JVA Düsseldorf.<br />
Der Ausländerbeauftragte informiert<br />
in der Zugangsabteilung die ausländischen<br />
Gefangenen über die speziellen<br />
Hilfs- und Behandlungsangebote<br />
in der JVA Düsseldorf.<br />
Er leitet und organisiert die „Vernetzungsgruppe<br />
JVA Düsseldorf”.<br />
Er sorgt dafür, dass sowohl Broschüren<br />
und Informationsmaterial zum<br />
Ausländer- und Asylrecht vorhanden<br />
und für die ausländischen Inhaftierten<br />
zugänglich sind, als auch der Informationsfluss<br />
an ausländische Gefangene<br />
durch die Übersetzung der wichtigsten<br />
Informationen in die gängigen Sprachen<br />
opt<strong>im</strong>al geschieht. •<br />
Aus: UE 02/2004<br />
überarbeitet 09/2007<br />
gegangen. Hier war es, wo ich meine<br />
erste Ausbildung mit Erfolg gemeistert<br />
habe und mich heute sogar <strong>im</strong> Studium<br />
der Informatik befinde. Hier habe ich<br />
meinen Führerschein gemacht und bin<br />
ich mein erstes Auto gefahren. Hier<br />
habe ich meine erste<br />
Liebe kennen<br />
F r e m d i m K n a s t : und<br />
krank: ein Mann geht in´s Sani-Revier<br />
und versucht dem Sani, der damit völlig<br />
überfordert ist, klar zu machen, was ihm fehlt.<br />
Wenn der Sani Zeit hat und bereitwillig ist,<br />
wird er vielleicht versuchen, jemanden zu<br />
finden, der übersetzen kann. Vielleicht<br />
...<br />
gelernt und<br />
n i c h t<br />
zuletzt ist<br />
auch hier<br />
meine<br />
Tochter<br />
geboren<br />
worden. Und<br />
jetzt soll ich alles
ULMER ECHO 2007<br />
Integration / Migration: Sport<br />
43<br />
zurücklassen und ins Ungewisse, also<br />
ins sog. „kalte Wasser“ geworfen werden.<br />
Es wird von mir verlangt, dass ich<br />
all das aufgebe und zurück in mein<br />
Herkunftsland gehe, wie es juristisch<br />
ausgedrückt wird. Was ich<br />
dabei empfinde,<br />
wie<br />
meiner<br />
deutschen<br />
Freundin, meinen hier<br />
lebenden Eltern und Verwandten, insbesondere<br />
wie meiner kleinen Tochter<br />
dabei zu Mute ist, interessiert niemanden.<br />
Dass Besuche nur noch unter<br />
größtmöglichen Entbehrungen und<br />
größten Schwierigkeiten möglich sein<br />
werden, wenn ich gezwungen werde,<br />
dieses Land zu verlassen,<br />
F r e m d i m K n a s t : die meisten<br />
U-Gefangenen müssen be<strong>im</strong> Besuch deutsch<br />
sprechen, auch wenn die Besuchenden der deutschen<br />
Sprache nicht mächtig sind ... Für Personen, die ausschließlich<br />
wegen Fluchtgefahr eingesperrt sind, ist das so<br />
blödsinnig wie unbegründet. Die richterliche Erlaubnis, auf<br />
die akustische Besuchsüberwachung zu verzichten und<br />
sich auch in anderen Sprachen unterhalten zu<br />
dürfen, wird nur selten erteilt.<br />
scheint der ausweisenden<br />
Behörde auch<br />
egal zu sein.<br />
Dass dieses<br />
eine enorme<br />
„Mitbestrafung“<br />
meiner<br />
Angehörigen<br />
ist, fällt ebenfalls<br />
nicht ins<br />
Gewicht. Für mich ist<br />
das eine neue Qualität von<br />
Deportation. Resignierend bleibt mir<br />
nur, festzustellen: „Deutschland hat<br />
Auszug aus der Rheinischen<br />
Post vom 03.03.2004:<br />
„Mangelnde Kenntnisse der Landessprache<br />
sind eine Barriere, die<br />
eine Teilnahme am gesellschaftlichen<br />
Leben verhindert.” (Fritz Behrens,<br />
SPD)<br />
noch <strong>im</strong>mer nichts dazu gelernt“.<br />
Zitat aus meiner<br />
Ausweisungsverfügung:<br />
„Zudem muss davon ausgegangen<br />
werden, dass Sie aufgrund des Besitzes<br />
der mittleren Reife und der Fachhochschulreife<br />
Englischgrundkenntnisse<br />
haben, die bei weitem ausreichen,<br />
sich auch in ihrem He<strong>im</strong>atland<br />
zu verständigen.” •<br />
Aus UE 2/2004<br />
Probleme zwischen Menschen<br />
unterschiedlicher Nationen gibt<br />
es überall und sie machen auch vor den<br />
<strong>Knast</strong>mauern nicht Halt.<br />
Anlass sind sicher auch<br />
kulturelle Eigenheiten,<br />
wenn sie ohne Rücksichtnahme<br />
auf anders denkende<br />
oder glaubende Mitgefangenen<br />
ausgelebt werden.<br />
Meines Erachtens ist der<br />
Wille zur Integration hier<br />
<strong>im</strong> Gefängnis bei Manchen<br />
sehr gering. Den Hauptgrund<br />
für diese Verweigerung<br />
sehe ich <strong>im</strong> Einsperren<br />
durch die deutsche<br />
Justiz. Die hier freiwerdenden<br />
Emotionen führen<br />
manches Mal zu überzogenen<br />
Reaktionen. Wenn der<br />
“Nachbar” zur Linken am<br />
Abend die Lieder seiner türkischen<br />
He<strong>im</strong>at in überhöhter Phonzahl konsumiert,<br />
antwortet der “Nachbar” zur<br />
Rechten mit einschlägigen Liedern<br />
rechts angehauchter Musikgruppen.<br />
Eine Verständigung zwischen Deutschen<br />
und ausländischen Gefangenen<br />
ist so sicherlich nicht zu erreichen.<br />
Es lebe der Sport!<br />
von Dieter S.<br />
Extremer Nationalismus oder religiöser<br />
Fanatismus ist <strong>im</strong>mer auf mangelhaftes<br />
Geschichtswissen zurückzuführen<br />
und einem vernünftigen Miteinander<br />
abträglich. Sehr aufreibend<br />
ist es, wenn nationale Querelen am<br />
Arbeitsplatz ausgefochten werden.<br />
Glücklich, die Gefängnistristesse<br />
durch einen der wenigen Jobs durchbrechen<br />
zu können, sorgt der Gedanke<br />
an solche Konfrontationen für ein<br />
unwohles Gefühl auf dem morgendlichen<br />
Weg zur Arbeit.<br />
Fußball überwindet<br />
die Unterschiede<br />
Lediglich bei einer Aktivität scheint<br />
dieses Verhaltensmuster seine Gültigkeit<br />
zu verlieren: be<strong>im</strong> Sport. Be<strong>im</strong><br />
Fußball ist die Nationalität einzelner<br />
unwichtig. Hier zählt einzig und allein<br />
das gemeinsame Ergebnis, der Sieg.<br />
Plötzlich werden Individuen ein Team<br />
und es ist unerheblich, ob der eine des<br />
anderen Sprache beherrscht. Als<br />
Zuschauer sehe ich, wie ein bunt<br />
zusammengewürfelter Haufen als<br />
Mannschaft agiert, ohne ausländerfeindliche<br />
Parolen zu gebrauchen. Ein<br />
ähnliches Phänomen ist be<strong>im</strong> Fitnesstraining<br />
zu beobachten. Hier trainiert<br />
der Pole mit dem Afrikaner, der Iraner<br />
mit dem Eifelbauern – und dies mit<br />
einer Selbstverständlichkeit, dass der<br />
Eindruck entstehen könnte, es existiere<br />
gar keine Ausländerfeindlichkeit.<br />
Jeder hilft jedem, Ziel ist nur der<br />
gemeinsame Erfolg. Hier zeigt sich <strong>im</strong><br />
Grunde, wie einfach Verständigung<br />
zwischen Menschen verschiedener
44 Integration / Migration: Abschiebehaft<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Herkunft sein kann.<br />
Die durch den<br />
Sport gemeinsam<br />
erfahrenen<br />
positiven<br />
Erlebnisse<br />
haben<br />
natürlich<br />
auch Auswirkungen<br />
auf das<br />
F r e m d i m K n a s t :<br />
Wer Ausländer ist, für den wird selbst<br />
dann, wenn er einen festen Wohnsitz,<br />
Arbeit und soziale Bindungen hat, allzu<br />
schnell ein U-Haftbefehl wegen Fluchtgefahr<br />
erlassen. Ohne Zweifel eine<br />
Benachteiligung!<br />
weitere Zusammenleben <strong>im</strong><br />
<strong>Knast</strong>. Sie tragen<br />
wesentlich zur<br />
Erleichterung des<br />
täglichen Miteinanders<br />
bei.<br />
Ich schreibe<br />
das hier auch, weil<br />
<strong>im</strong>mer wieder Sport<br />
ausfällt oder das<br />
Gerücht umgeht, der von einigen<br />
Beamten als lästige Belastung empfundene<br />
Sport am Samstag solle abgeschafft<br />
werden. Sport fördert Verständnis<br />
und Miteinander; es gibt wohl<br />
kaum ein anspruchsvolleres Ziel, als<br />
die Verständigung der Menschen<br />
untereinander. •<br />
Aus: UE 02/1997<br />
Dieser Skandal ist politisch zu verantworten<br />
Abschiebehaft: was legal ist, ist noch lange nicht legit<strong>im</strong><br />
Mitten in der Neusser Innenstadt,<br />
und dennoch vor den<br />
Blicken der Öffentlichkeit fast verborgen,<br />
liegt das Hafthaus für Frauen, die<br />
aus Deutschland abgeschoben werden.<br />
Die Grünstraße ist eine stille Wohnstraße.<br />
Das große Tor zum Gefängnis<br />
liegt zurückgesetzt. Dahinter verbergen<br />
sich 80 Haftplätze, von denen<br />
meist 30 bis 50 belegt sind. Die Frauen,<br />
die hier zwischen einigen Tagen<br />
und langen Monaten verbringen,<br />
kamen aus allen möglichen Ländern<br />
dieser Welt.<br />
Land zahlt zwei Fachfrauen<br />
In den Abschiebehaftanstalten<br />
bemühen sich viele, aus der Situation<br />
das Beste zu machen. Es gibt keinen<br />
psychologischen Dienst, aber eine<br />
Sozialarbeiterin des Sozialdienst Kath.<br />
Frauen und eine Fachfrau der Frauenberatungsstelle<br />
Düsseldorf sind – aus<br />
Landesmitteln finanziert – hier engagiert.<br />
Außerdem sind acht ehrenamtliche<br />
Betreuerinnen bemüht, die<br />
menschlichen Nöte aufzufangen so gut<br />
es geht. Jeden Werktag ist eine von<br />
ihnen da und spricht mit den Frauen,<br />
beantwortet Fragen, erklärt die Situation.<br />
von Wolfgang Sieffert OP<br />
Verwirrung und Depression<br />
Die Betreuerinnen tragen Verwirrung<br />
und Haftdepression der Inhaftierten<br />
mit und stehen in den Ängsten vor<br />
der Abschiebung bei; sie kümmern<br />
sich um die Sicherstellung von Kleidung<br />
und Geld der meist ganz unvermittelt<br />
festgenommenen Frauen. Auch<br />
die Justiz und die meisten der hier<br />
beschäftigten Justizbediensteten<br />
mühen sich, den Frauen die Haft leichter<br />
zu machen. Statt alle zwei Wochen,<br />
dem vorgeschriebenen Min<strong>im</strong>um,<br />
haben die Frauen jede Woche die Möglichkeit,<br />
Besuch zu empfangen. Die<br />
Zellen sind mehrere Stunden täglich<br />
geöffnet, manchmal bis zu acht Stunden.<br />
Auf dem Hof haben Bedienstete<br />
in Eigenarbeit ein Federballnetz und<br />
eine Tischtennisplatte montiert, die aus<br />
Mitteln einer Stiftung bezahlt wurden,<br />
genauso wie die Satellitenanlage, die<br />
den Frauen die Wahl unter mehreren<br />
Programmen auf den kleinen justizeigenen<br />
Fernsehgeräten ermöglicht.<br />
Einer der Justizbeamten äußerte sich<br />
über seinen Dienst: „Wir mussten<br />
umlernen, als wir hier Abschiebehaftanstalt<br />
wurden. Schließlich sind wir<br />
für den Umgang mit Strafgefangenen<br />
oder Untersuchungshäftlingen ausgebildet.<br />
Jetzt versuchen wir, die Möglichkeiten,<br />
die sich uns hier bieten, für<br />
einen menschenwürdigen Vollzug zu<br />
nutzen.“ So wird den Frauen z.B. bei<br />
schönem Wetter die Gelegenheit gegeben,<br />
viele Stunden täglich <strong>im</strong> Freien zu<br />
verbringen. Eine kleine und willkommene<br />
Erleichterung der Haft, die den<br />
Bediensteten Umstände und Arbeit<br />
macht, wozu sie von keiner Vorschrift<br />
ermuntert werden.<br />
Asylrecht faktisch aufgehoben<br />
Doch die Möglichkeiten in einem<br />
Gefängnis sind sehr begrenzt. <strong>Knast</strong><br />
bleibt <strong>Knast</strong>. Und Menschen einzusperren,<br />
ohne dass der Inhaftierung ein<br />
strafbares Delikt zugrunde liegt, bleibt<br />
in unserem demokratischen Rechtsstaat<br />
ein Skandal, der dessen grundlegende<br />
Normen beleidigt. Grundsätzlich<br />
haben das unsere PolitikerInnen<br />
zu verantworten. Sie haben das neue,<br />
von Kirchen und Sozialverbänden<br />
vielfach kritisierte Ausländergesetz<br />
geschaffen, sie haben das Asylrecht so<br />
weit eingeschränkt, dass es faktisch<br />
abhanden gekommen ist. Aber auch<br />
Ausländerämter und Haftgerichte stehen<br />
in der Verantwortung. Zu oft werden<br />
unnötig Haftbefehle von den<br />
Ämtern beantragt und von Gerichten<br />
unterschrieben. Eine kontrollierte Aus-
ULMER ECHO 2007<br />
Integration / Migration: Abschiebehaft<br />
45<br />
Kr<strong>im</strong>inalprävention durch Integration<br />
Auch der Periodische Sicherheitsbericht (PSB), der von den<br />
Bundesministerien der Justiz und des Innern seit 2001 gemeinsam<br />
herausgegeben wird, thematisiert Kr<strong>im</strong>inalität jetzt in Bezug<br />
auf den Aufenthaltsstatus und die Lebenslage von deutschen und<br />
ausländischen Migrantinnen und Migranten. So heißt es S. 306<br />
<strong>im</strong> Ersten Periodischen Sicherheitsbericht: „Die Thematisierung<br />
‘Zuwanderung und Kr<strong>im</strong>inalität’ stellt auf mögliche Folgen des<br />
unterschiedlich sicheren Aufenthaltsstatus für Lebensverhältnisse,<br />
Integration und Kr<strong>im</strong>inalität ab, anstatt auf Nationalitätenzugehörigkeit.”<br />
Und S. 411 <strong>im</strong> zweiten PSB: „Insofern die Deliktbegehung<br />
stark mit dem Aufenthaltsstatus und dessen Folgen für die<br />
Integrationschancen zusammenhängt, ist Prävention vor allem<br />
auch durch Integration und ... mittels Bildungsförderung zu erreichen“.<br />
reise wäre auch anders machbar. Zu oft<br />
auch bildet die Haft selbst in den<br />
Augen neutraler Beobachtender eine<br />
unzumutbare Härte: <strong>im</strong>mer wieder<br />
sind hier Schwangere und kranke<br />
Frauen inhaftiert.<br />
Inhaftierung ohne Straftat:<br />
ein Skandal<br />
Die die Haft durchführende Justiz<br />
und das eigentlich verantwortliche<br />
Innenministerium tun viel zu wenig,<br />
um die Sicherstellung der Abschiebung<br />
durch Inhaftierung zu einer<br />
humanen Angelegenheit zu machen.<br />
„Warum überhaupt müssen die Frauen<br />
in ein Gefängnis gesperrt werden?“<br />
fragt eine der Betreuerinnen. „Zur<br />
Sicherstellung einer geregelten Ausreise<br />
ist das völlig unnötig!“ Haftgrund<br />
ist die Sicherstellung der Ausreise der<br />
Betroffenen aus Deutschland, nur zu<br />
diesem Zweck darf die Haft dienen.<br />
Wozu dann aber die vielen Stunden<br />
täglich hinter verschlossenen Türen?<br />
Wozu dann die vielen Hindernisse in<br />
der Kommunikation mit der Außenwelt?<br />
Auch bei einem Besuch pro<br />
Woche, auch dann, wenn nach jahrelangen<br />
Kampf Kartentelefone installiert<br />
wurden: ein ungehinderter Kontakt<br />
ist aus dem Gefängnis heraus be<strong>im</strong><br />
besten Willen nicht zu machen.<br />
Kommunikation n<strong>im</strong>mt viel Druck<br />
aus der Atmosphäre <strong>im</strong> Hafthaus.<br />
Die vielen Beschränkungen sind<br />
durch den Inhaftierungsgrund nicht<br />
gedeckte Einschränkungen der Freiheits-<br />
und Persönlichkeitsrechte von<br />
jährlich über eintausend Frauen <strong>im</strong><br />
Hafthaus Neuss allein. Ein Gesetz, das<br />
diesen Freiheitsentzug regeln würde,<br />
gibt es nicht.<br />
Haft für Wochen und Monate<br />
Die Haftlänge darf eine für die Ausländerbehörde<br />
angemessene Frist zur<br />
Vorbereitung der Abschiebung durch<br />
die Behörden nicht überschreiten. Das<br />
bedeutet faktisch meist eine Dauer von<br />
ein bis vier Wochen, doch viele warten<br />
bis zu sechs Monate, bevor sie abgeschoben<br />
oder freigelassen werden. In<br />
seltenen Fällen wird es auch noch länger,<br />
theoretisch sind bis zu 18 Monaten<br />
in der Abschiebehaft möglich. Die so<br />
sehr unterschiedliche Dauer<br />
der Haft ergibt<br />
sich aus der<br />
Tatsache,<br />
dass<br />
manchen<br />
Frauen<br />
die Personalpapiere<br />
fehlen, die für den<br />
Grenzübertritt nötig sind. Wenn dann<br />
ein Ausländeramt überlastet ist oder<br />
schlampig arbeitet und/oder die Botschaft<br />
des Herkunftslandes kooperationsunwillig<br />
ist, dauert es manchmal<br />
Wochen und Monate. Die Buchung<br />
eines Fluges kann auch zu Verzögerungen<br />
führen, etwa wenn wegen eines<br />
Bürgerkrieges Flugverbindungen eingestellt<br />
werden.<br />
Opfer von Straftaten <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />
Viele der Frauen kommen mit der<br />
Tatsache, <strong>im</strong> Gefängnis zu sitzen,<br />
überhaupt nicht zurecht. Andere, die in<br />
ihrer He<strong>im</strong>at Verfolgung befürchten,<br />
sind mit ihrer Angst vor der Deportation<br />
so gut wie allein gelassen. Und<br />
viel zu häufig geschieht es, dass Frauen<br />
inhaftiert werden, die selber Opfer<br />
z.B. von Menschenhandel sind. Manch<br />
einer Frau hier sind die schl<strong>im</strong>men<br />
Erfahrungen ihrer Vergangenheit, sind<br />
Verfolgung und/oder Erniedrigung in<br />
Zwangsprostitution ins Gesicht<br />
geschrieben. Darüber reden tun nur<br />
manche. Zu tief sitzen Angst und<br />
Scham.<br />
Der von den Verantwortlichen in<br />
den Ministerien verbreitete Eindruck<br />
ist meist der, dass es Abschiebehäftlingen<br />
doch eigentlich ganz gut geht.<br />
Manchmal überschlägt sich dann der<br />
Eifer, ein positives Bild herzustellen.<br />
Etwa wenn es in einem Erfahrungsbericht<br />
des Ministeriums von März 1997<br />
folgendermaßen heißt: „Die Vorgaben<br />
der Richtlinien, von der<br />
Beantragung<br />
von<br />
F r e m d i m K n a s t :<br />
Was es bedeutet, als „Fremder” <strong>im</strong><br />
Gefängnis zu sitzen? Fehlende Sprachkenntnis macht<br />
das Leben kompliziert. Von der Polizei <strong>im</strong> Gefängnis abgeliefert,<br />
folgt in der Kammer bald die Aufforderung, sich für die obligatorische<br />
Umkleidung auszuziehen. Was, wenn die Anordnung nicht verstanden<br />
wird? Wenn die Beamten die folglich fehlende Kooperation und<br />
die sicher vorhandene Beklommenheit des frisch Eingefahrenen als<br />
aggressiv oder widerständig empfinden? Dann wird es schon in den<br />
ersten Minuten des Aufenthaltes in diesem gastlichen Haus kompliziert.<br />
Von den Gefangenen, die ähnliche Entkleidungsanordnungen<br />
aus anderen Ländern als Vorstufe zu Misshandlungen<br />
mindestens vom Hörensagen kennen, ganz<br />
Abschiebehaft<br />
insbesondere<br />
bei schwangeren<br />
und stillenden Frauen, Kindern und<br />
Jugendlichen unter 16 Jahren, Alleinerziehenden<br />
mit Kindern unter 7 Jahren<br />
und bei Anhaltspunkten für Haft-<br />
zu schweigen.
46<br />
Integration / Migration: Abschiebehaft<br />
ULMER ECHO 2007<br />
unfähigkeit bei körperlicher oder psychischer<br />
Krankheit grundsätzlich<br />
abzusehen, sind <strong>im</strong> wesentlichen ...<br />
beachtet worden. ... Fälle, in denen<br />
ausnahmsweise aus besonderen Gründen<br />
dennoch ein Haftantrag für eine<br />
Person aus dem genannten Kreis<br />
gestellt wurde, sind nicht bekannt<br />
geworden.“ Das ist dreist. Wieso ist<br />
den Verantwortlichen nicht<br />
bekannt, dass sehr wohl und<br />
<strong>im</strong>mer wieder Schwangere und<br />
sogar eindeutig psychisch Kranke<br />
inhaftiert werden? Ein Gegenbeispiel<br />
war G. Aus einem der ärmsten<br />
osteuropäischen Länder stammend<br />
und 28 Jahre alt, war sie <strong>im</strong> siebten<br />
Monat schwanger, als sie nach 26<br />
Tagen Abschiebehaft mittellos in ihr<br />
Herkunftsland abgeschoben wurde.<br />
Dort, wo sie keinerlei Angehörige<br />
mehr hat, durfte die Hochschwangere<br />
erst mal eine Wohnung suchen, ihren<br />
Lebensunterhalt sichern (?) usw. ...<br />
Eine Straftat, die nur eine<br />
Ausländerin begehen kann<br />
Sicher, G. kam nicht unvermittelt in<br />
Abschiebehaft, sie war nämlich „kr<strong>im</strong>inell”<br />
und befand sich vorher in U-<br />
Haft, weil sie, statt nach der Ablehnung<br />
ihres Asylantrages der Ausreiseverpflichtung<br />
nachzukommen, untertauchte<br />
und unter falschem Namen<br />
erneut Asyl beantragt hat. Das nennt<br />
das Strafrecht mittelbare Falschbeurkundung.<br />
Die Frau tat es, weil sie<br />
schwanger ist und der Vater ihres werdenden<br />
Kindes, der<br />
sie heiraten<br />
will,<br />
ebenfalls<br />
als Flüchtling in<br />
Deutschland lebt. In der Untersuchungshaft<br />
kam die Frau sogar in die<br />
berühmte B-Zelle: die Akten halten<br />
fest, dass sie freiwillig dorthin mitgegangen<br />
sei, nachdem sie durch Hyperventilation<br />
und den Versuch, sich zu<br />
ersticken, aufgefallen war. Ein Beispiel<br />
für die vielen Frauen, die trotz<br />
der mitmenschlichen Bemühungen<br />
aller direkt Beteiligten Tage größter<br />
Bedrückung in der Neusser Haftanstalt<br />
verbringen, und <strong>im</strong> Ministerium wusste<br />
1997 niemand von den Schwangeren,<br />
von den Frauen mit Kindern, von<br />
der psychisch schwer kranken Frau,<br />
die es entgegen der Richtlinien sehr<br />
wohl und ganz real hier gab.<br />
Elend und Menschenhandel<br />
Viele<br />
Frauen,<br />
F r e m d i m K n a s t :<br />
Mancher Ausländer <strong>im</strong> Gefängnis begreift den<br />
Laden hier überhaupt nicht. Was schon für einen Einhe<strong>im</strong>ischen<br />
schwer ist, die Abläufe und Regeln des Gefängnisses zu begreifen,<br />
wird desto schwerer, je weniger man an mitteleuropäische Verwaltung<br />
und Bürokratie gewöhnt ist. Wer sich zudem noch mangels Sprachkenntnissen<br />
wenig oder gar nicht verständlich machen kann, wer nicht nachfragen kann oder<br />
die Antworten auf eigene Fragen nicht versteht, für den bleibt das Leben <strong>im</strong><br />
Gefängnis eine unhe<strong>im</strong>liche und tückische Angelegenheit. Für Bedienstete ist der<br />
Umgang mit Menschen, mit denen sie sich nicht richtig unterhalten können,<br />
erheblich schwieriger zu gestalten, anstrengender und komplizierter. Konsequenz<br />
ist allemal ein Mehr an Angst und Unsicherheit. Viele<br />
Freistundenhof <strong>im</strong> Hafthaus Neuss<br />
die<br />
hier ihre<br />
Abschiebung<br />
erwarten, kommen<br />
aus Osteuropa. In vielen Ländern der<br />
„zweiten Welt“ herrscht heutzutage so<br />
viel Elend, wie es in unseren Köpfen<br />
kaum für die ärmsten der sog. Entwikklungsländer<br />
vorstellbar ist. Wer will<br />
es den Frauen verdenken, dass sie auf<br />
falsche Versprechungen von Heirat<br />
oder Arbeit <strong>im</strong> „goldenen Westen“ hereinfallen?<br />
Andere suchen selbständig<br />
den Weg zum Geld. Manche darum<br />
wissend, dass Prostitution ihre einzige<br />
Chance ist; andere schaffen es, illegal<br />
in der Gastronomie zu arbeiten. Sehr<br />
unterschiedlich ist, wie viel entwürdigende<br />
Erfahrungen den jeweiligen<br />
Weg bis hierher in den Abschiebeknast<br />
gekennzeichnet haben. Schl<strong>im</strong>m auch,<br />
dass offiziell den Frauen, die über<br />
Menschenhändler und manchmal auch<br />
-händlerinnen nach Deutschland<br />
kamen, geholfen werden „soll“- meist<br />
aber nicht einmal min<strong>im</strong>ale Hilfe möglich<br />
gemacht wird. Diese Frauen, und<br />
das sind nicht gerade wenige, können<br />
entlassen werden, wenn sie gegen ihre<br />
Peiniger aussagen: doch meist fürchten<br />
sie Racheakte und schweigen deshalb.<br />
Aber auch bei denen, die aussagen,<br />
klappt das mit der Haftentlassung nicht<br />
<strong>im</strong>mer. Und die meisten halten schon<br />
deswegen den Mund, weil sie wissen,<br />
dass sie nicht hier in Deutschland bleiben<br />
können: und in ihrer He<strong>im</strong>at warten<br />
schon wieder diejenigen, die sie<br />
bereits einmal mit Locken und Drohen<br />
Rechte des Inhaftierten bleiben durch Unwissenheit und<br />
durch allzu vorsichtiges Verhalten auf der<br />
Strecke
ULMER ECHO 2007<br />
Integration / Migration: Papst<br />
47<br />
drangsaliert haben. Nicht selten wird<br />
die Familie mitbedroht und die<br />
Betroffenen haben große,<br />
begründete Angst vor den<br />
brutalen Machenschaften<br />
der Hintermänner ihres<br />
Unglücks. Diese Frauen<br />
haben keine Chance<br />
zu entkommen, denn<br />
die läge am ehesten<br />
noch in unserem Land<br />
und unter dem Schutz der<br />
deutschen Polizei. Dass aussagebereiten<br />
Opfern von Menschenhandel<br />
kein Bleiberecht<br />
gewährt wird, macht den Menschenhändlern<br />
das Leben so leicht und löst<br />
den Verdacht aus, dass an einer wirksamen<br />
Verfolgung dieser modernen<br />
Form der Sklaverei kein wirkliches<br />
Interesse besteht.<br />
Total legaler Skandal<br />
Andere, die offenen Auges das<br />
Risiko der Deportation auf sich<br />
genommen haben, sei es nun aus Liebe<br />
zu einem Mann, um bei der in unserem<br />
Land lebenden Familie sein zu können,<br />
oder um hier Geld zu verdienen, leben<br />
gemeinsam mit Opfern von Straftaten<br />
<strong>im</strong> Hafthaus Grünstraße 3. Allesamt<br />
für einige Tage, Wochen oder Monate<br />
unter Bedingungen, die Langeweile<br />
und Depression, Ungeduld und<br />
Aggression entstehen lassen. Nur für<br />
einige Frauen gibt es Arbeit, es gibt<br />
viel zu wenig Angebote in der Freizeit,<br />
so dass viele die Tage <strong>im</strong> Bett vergammeln.<br />
Wenn die nordrhein-westfäl-<br />
F r e m d i m K n a s t :<br />
Ausländer, die zwischen 2 und 4 Jahren<br />
Strafhaft zu verbüßen haben, kommen in die <strong>Ulmer</strong> Höh’,<br />
Strafhäftlinge in eine mit Freizeit- und Bildungsmaßnahmen wenig<br />
gesegnete U-Haftanstalt, die zu allem Überfluss nur für jeden dritten<br />
Gefangenen Arbeit hat. Aber bei diesen Gefangenen wird die anschließende<br />
Abschiebung vorausgesetzt (unabhängig davon, ob das hinterher tatsächlich<br />
der Fall sein wird). Heißt das: wer hier in Deutschland gelebt hat, wer hier<br />
straffällig geworden ist und wegen der Höhe des Strafmaßes mit späterer<br />
Abschiebung bedroht wird, für den braucht die gesetzlich vorgeschriebene<br />
Resozialisierung nicht stattzufinden? Auf jeden Fall Haft ohne<br />
berufliche Qualifizierung, ohne Lockerungen wie Ausführung,<br />
Ausgang, Urlaub. Ausländersein ist eben<br />
kein Zuckerschlecken ...<br />
schen AnstaltsseelsorgerInnen<br />
die Abschiebehaft<br />
einen Skandal nennen, ist das<br />
nachvollziehbar. Dieser Skandal ist<br />
nicht <strong>im</strong> Neusser<br />
Hafthaus<br />
gemacht, sondern<br />
in den vornehmeren<br />
Z<strong>im</strong>mern<br />
der Ministerien<br />
und in<br />
den Parlamenten.<br />
Dieser<br />
Skandal muss<br />
nicht sein. Welche<br />
gesellschaftlichen<br />
Auswirkungen<br />
hat es, wenn die<br />
Verantwort-<br />
Eingang zum Hafthaus Neuss<br />
lichen Menschen<br />
in ein<br />
Gefängnis einsperren<br />
lassen, die sich nichts<br />
anderes haben zu Schulden<br />
kommen lassen,<br />
als hier ohne Aufenthaltsstatus<br />
sich aufzuhalten.<br />
Wer<br />
fremd ist,<br />
gehört ins<br />
Gefängnis???<br />
Welche<br />
Botschaft<br />
ist die Praxis der<br />
Abschiebehaft für<br />
das gesellschaftliche<br />
Unterbewusstsein, für die Pflege<br />
von Vorurteilen Fremden gegenüber,<br />
für das (schwindende?) Bewusstsein<br />
einer unveräußerlichen gleichen<br />
Würde aller Menschen? •<br />
Papst Johannes Paul II. 2005:<br />
„Ganz besonders betroffen sind die verwundbarsten unter den<br />
Fremden: Migranten ohne Dokumente, Flüchtlinge, Asylsuchende, die Vertriebenen<br />
der in vielen Teilen der Welt anhaltenden blutigen Konflikte, und die<br />
Opfer - vor allem Frauen und Kinder - des verbrecherischen Menschenhandels. Es<br />
möge uns ermöglichen, in unserem Leben die Menschwerdung und die <strong>im</strong>merwährende<br />
Gegenwart Christi zu bezeugen, der durch uns sein Werk der Erlösung<br />
von allen Formen der Diskr<strong>im</strong>inierung, Zurückweisung und Ausgrenzung<br />
in der Geschichte und in der Welt fortsetzt. Gottes reicher<br />
Segen möge mit all jenen sein, die die Fremden <strong>im</strong><br />
Namen Christi herzlich aufnehmen.”<br />
Aus: „Amtsblatt des Erzbistums Köln“, 09/2003
48 Entlassung: Programmmierter Rückfall?<br />
Wiedereingliederung oder programmierter Rückfall?<br />
Hier geht’s durch für Neuinhaftierte:<br />
der Eingang zur Kammer<br />
Unbestrittenerweise steht einem<br />
entlassenen Strafgefangenen<br />
in Deutschland ein gewisses Instrumentarium<br />
zur Verfügung, um seine<br />
Wiedereingliederung in die sog. normale<br />
Gesellschaft zu unterstützen.<br />
Neben der Sozialgesetzgebung, die<br />
erst für die Zeit nach der Entlassung<br />
von praktischer Bedeutung ist, sind <strong>im</strong><br />
StVollzG (§74/75) Maßnahmen festgeschrieben,<br />
die bereits während der<br />
Inhaftierung <strong>im</strong> Hinblick auf die soziale<br />
Wiedereingliederung greifen sollen.<br />
Wie so oft steht der Anspruch dieser<br />
vom Gesetzgeber vorgesehenen<br />
Hilfestellungen in krasser Entfernung<br />
zur Wirklichkeit.<br />
Sorgfaltspflicht der Anstalt<br />
Die Anstalt unterliegt laut Gesetz<br />
einer umfassenden Sorgfalts– und<br />
Informationspflicht dem Gefangenen<br />
gegenüber. So weist der Gesetzestext<br />
ausdrücklich darauf hin, dass Entlassungsvorbereitungen<br />
bereits mit<br />
Beginn der Inhaftierung einzuleiten<br />
sind, um ihre langfristige Wirksamkeit<br />
zu gewährleisten. Dem Gesetzgeber ist<br />
es auch nicht entgangen, dass sich ein<br />
großer Teil der Entlassungsproblematik<br />
aus den ungeordneten persönlichen<br />
oder wirtschaftlichen Verhältnissen<br />
des Einzelnen ergibt, in die er entweder<br />
zurückzukehren gezwungen ist,<br />
oder die sich oft aus der Inhaftierung<br />
heraus entwickeln. Weiter wird eine<br />
umfassende Beratungspflicht der<br />
Von Klaus H.<br />
Anstalt vorausgesetzt, die sich eben<br />
nicht nur auf die Regelung der o.a.<br />
Sachfragen beschränkt, sondern sich<br />
auch auf die <strong>im</strong> Einzelfall oft wenig<br />
ausgeprägte Fähigkeit zur Lebensbewältigung<br />
und auf Heranführung an<br />
soziale Handlungskompetenz bezieht.<br />
Rückfälle programmiert?<br />
Bei Sichtung der vorliegenden<br />
Gesetzestexte und Broschüren zur<br />
Haftentlassun fällt zunächst auf, dass<br />
die Problematik, mit der sich Haftentlassene<br />
konfrontiert sehen, durchaus<br />
bewusst ist. Der logischen Konsequenz,<br />
die eine Ignorierung der Gegebenheiten<br />
nach sich ziehen würde,<br />
nämlich eine fast zwangsläufig<br />
wiedereintretende Straffälligkeit, wird<br />
versucht, durch das zur Verfügungstellen<br />
sozialer und verwaltungsrechtlicher<br />
Hilfestellungen zu begegnen.<br />
Dass dies oft nur zum Teil oder gar<br />
nicht gelingt, hat vielfältige Ursachen,<br />
die wir in der Folge etwas eingehender<br />
zu beleuchten versuchen, ohne in gängige<br />
Pauschalisierungen zu verfallen.<br />
Fehlanzeige:<br />
persönliches Engagement<br />
Sicher gibt es nicht wenige Gefangene,<br />
die das verfügbare Beratungsund<br />
Betreuungsangebot, zu dem die<br />
Anstalten verpflichtet sind, aus den<br />
verschiedensten Gründen nicht nutzen.<br />
Hierbei spielt das persönliche Engagement<br />
des Einzelnen natürlich eine<br />
ULMER ECHO 2007<br />
große Rolle. Es ist auch klar, dass so<br />
schwer kalkulierbare Dinge wie persönliche<br />
Affinitäten zum Betreuungspersonal<br />
ein nicht unwesentliches Hindernis<br />
<strong>im</strong> Umgang mit den zu lösenden<br />
Problemen darstellen. Ich werde mich<br />
kaum einem Sozialarbeiter gegenüber<br />
öffnen, zu dem ich kein Vertrauensverhältnis<br />
aufzubauen kann.<br />
„Schreiben Sie einen Antrag!“<br />
Das Personal ist auch mit der schieren<br />
Menge an Einzelfällen derart überlastet,<br />
dass es sich der Anzahl von Hilfesuchenden<br />
nur mit einer gewissen<br />
Abwehrhaltung erwehren kann. Jeder<br />
Inhaftierte kennt den Verweis auf<br />
andere Zuständigkeiten oder die<br />
„schreiben–Sie–erstmal-einen-Antrag“-Formel,<br />
mit der scheinbare<br />
Bagatellanfragen gewöhnlich abgeblockt<br />
werden, sofern nicht schon eine<br />
stabile persönliche Basis zwischen<br />
Hilfesuchendem und Adressat besteht.<br />
Hierbei wird oft verkannt, dass ein<br />
Gefangener, der diese Vertrauensbeziehung<br />
zum jeweiligen Betreuer nicht<br />
oder noch nicht hat, oft versucht, über<br />
ein scheinbar belangloses Problem mit<br />
seiner Bezugsperson ins Gespräch zu<br />
kommen, bevor er dann vielleicht die<br />
schwierigere und wichtigere Thematik<br />
zur Sprache bringt, um die es ihm<br />
eigentlich geht. Gelingt dies nicht auf<br />
Anhieb, kommt es oft genug zum<br />
Abbruch jeglicher Bemühungen, das<br />
Betreuungsangebot überhaupt in<br />
Anspruch zu nehmen.<br />
Draußen ist’s nicht besser<br />
In etwa die gleiche Problematik<br />
begegnet dem Haftentlassenen draußen<br />
bei ARGE und Ämtern. Neben den<br />
Folgen, die bei den Mitarbeitenden<br />
dieser Einrichtungen durch Geld- und<br />
Personalmangel in ähnlicher Form wie<br />
in den Anstalten entstehen, existieren<br />
mittlerweile Dienstanweisungen dahingehend,<br />
dass Hilfesuchenden Leistungen<br />
über das allgemein bekannte<br />
Maß hinaus nur auf ausdrückliche<br />
Nachfrage hin gewährt werden. Bitte
ULMER ECHO 2007<br />
Entlassung: Programmmierter Rückfall?<br />
49<br />
also nicht erwarten, dass Sachbearbeitende<br />
in umfassender Form über gesetzlich<br />
vorgesehene Ansprüche aufklären,<br />
sondern sich gut selbst vorbereiten.<br />
Wegweiser für Entlassene<br />
Unbedingt zu empfehlen ist der<br />
aktuell unter Einbeziehung der Hartz-<br />
Gesetze überarbeitete „Wegweiser für<br />
<strong>Ulmer</strong> Höh’: der Ausgang in die Freiheit<br />
Begrenzte Unterstützung für<br />
einen neuen Anfang<br />
Die Mittel, die dort zur Verfügung<br />
stehen, um den auch vom Staat<br />
erwünschten Weg in ein legales Dasein<br />
zu ermöglichen, sind derart<br />
beschränkt, dass viel Geduld und eine<br />
hohe Frustrationsgrenze erforderlich<br />
sind, um auf diese Weise einen neuen<br />
Anfang zu finden. Viele Gefangene<br />
sind in diesen Dingen derart vorbelastet,<br />
dass sie über die Bereitschaft, auf<br />
das Weiterkommen nun auch draußen<br />
noch warten zu müssen, einfach nicht<br />
mehr verfügen.<br />
Gegen alle Vernunft ...<br />
So kann es leicht geschehen, dass<br />
sie sich entgegen aller Vernunft und<br />
allen Erfahrungswerten doch wieder<br />
für das hohe Risiko einer kr<strong>im</strong>inellen<br />
„Karriere“ entscheiden, da diese ihnen<br />
die erwünschten Ergebnisse weit<br />
schneller und umfassender zu garantieren<br />
scheint. Es ist müßig, darüber zu<br />
diskutieren, ob sie damit recht haben<br />
oder nicht – Tatsache ist, dass diese<br />
Entscheidung täglich <strong>im</strong>mer wieder<br />
zugunsten des jeweils nächsten <strong>Knast</strong>aufenthaltes<br />
getroffen wird. Frage<br />
bleibt, warum der Gesetzgeber darauf<br />
bis heute keine für alle Beteiligten<br />
annehmbare Antwort gefunden hat. •<br />
* Aus UE 3/1997, gekürzt und aktualisiert<br />
[ws]<br />
Haftentlassene“, den die Fachkräfte<br />
des Kath. Gefängnisvereins herausgeben.<br />
Hier wird auf so gut wie alle<br />
Eventualitäten, Rechte und Probleme<br />
mit praktisch umsetzbaren Hinweisen<br />
eingegangen. Der Ratgeber ist auch <strong>im</strong><br />
Internet zu finden unter www.gefängnisverein.de.<br />
Bei näherem Hinsehen stellen wir<br />
fest, dass das vorhandene Instrumentarium<br />
zur Bewältigung der Probleme,<br />
die bei der Haftentlassung entstehen,<br />
so schlecht nicht ist, sofern der Einzelne<br />
sich in der Lage sieht, sich eigenverantwortlich<br />
zu informieren, und<br />
seine Ansprüche gegen die Widerstände<br />
in Ämtern und Verwaltung durchzusetzen.<br />
Eine weitere Unterstützung in<br />
diesen Dingen bietet neben der o.a.<br />
Broschüre „Wegweiser“ in Düsseldorf,<br />
die in der Kaiserswerther Str. 286<br />
ansässige Beratungsstelle der Gefangenenfürsorge,<br />
die bei Wohnungs- und<br />
Arbeitssuche, sowie bei allen erforderlichen<br />
Behördengängen mit Rat und<br />
notfalls auch Tat zur Seite steht.<br />
Grundsätzlich bleibt, dass auch<br />
finanzielle Probleme nach der Entlassung<br />
Einzelne abhalten, sich auf die<br />
mühevollen Wege einzulassen.<br />
Die Begleitumstände einer Haftentlassung<br />
habe ich vor ein<br />
paar Jahren erlebt. An die Entlassungsprozedur<br />
innerhalb der Anstalt erinnere<br />
ich mich nicht mehr <strong>im</strong> Detail. Es<br />
zeigte sich allerdings, wie wichtig es<br />
war, dass ich mit Hilfe des Sozialamtes<br />
meine Wohnung behalten hatte. So<br />
hatte ich nach meiner Entlassung<br />
zumindest wieder ein „Zuhause“.<br />
Ich erinnere mich gut an die Empfindungen<br />
und Gefühle, die meinen<br />
<strong>Alltag</strong> in der ersten Zeit nach der Entlassung<br />
prägten. Jedes Klappergeräusch<br />
eines Schlüsselbundes ließ<br />
mich aufschrecken. Überhaupt musste<br />
ich mich erst wieder an die Geräusche<br />
meiner Umgebung gewöhnen. Selbst<br />
das Klingeln eines Telefons, das<br />
Hupen der Autos oder das B<strong>im</strong>meln<br />
der Straßenbahn waren zunächst<br />
fremd. Zum Teil verursachte diese<br />
Vielzahl von neuen bzw. altbekannten<br />
und nun wieder neu zu erlebenden<br />
Geräuschen ein Gefühl des Unwohlseins<br />
bis hin zum Kopfschmerz.<br />
Wirklich entlassen?<br />
Von Reiner J.<br />
Warten auf’s Aufschließen<br />
Ich habe manchmal morgens noch<br />
lange nach dem Ablaufen des Weckers<br />
<strong>im</strong> Bett gelegen und darauf gewartet,<br />
dass jemand die Zellentür aufschließt.<br />
Anfangs habe ich mich von allem und<br />
jedem zurückgezogen. Ich hatte oftmals<br />
den Eindruck, man könne mir<br />
den „Makel“ meiner Inhaftierung<br />
ansehen und ich glaubte zu spüren, wie<br />
Menschen mit dem Finger auf mich<br />
zeigten. Besonders bei Behördengängen<br />
hatte ich das Gefühl, als Mensch<br />
„dritter Klasse“ behandelt zu werden.<br />
Ich meinte die Blicke zu spüren, die<br />
mich musterten. Einbildung oder Realität?<br />
Ich empfand mich als ausgrenzt.<br />
Hatte ich gehofft, mir durch die Verbüßung<br />
meiner Strafe und die Einsicht<br />
über mein Fehlverhalten mir das Recht<br />
erworben zu haben, wieder ein<br />
„ordentliches Mitglied“ der Gesellschaft<br />
werden zu können. •<br />
* Aus UE 3/1997
50 Entlassung: Gewöhnung<br />
ULMER ECHO 2007<br />
Liebes Gefängnis!<br />
Unser erstes Zusammentreffen<br />
vor einem Jahr war schon recht merkwürdig.<br />
Vom ersten Augenblick an<br />
zeigtest Du mir sehr deutlich, dass Du<br />
mich nicht magst. Selbst nett gemeinte<br />
Gesten wurden von Dir ignoriert.<br />
Wegen Dir war ich gezwungen, meine<br />
Freiheiten aufzugeben und war Dir<br />
vom einen auf den anderen Augenblick<br />
bedingungslos ausgeliefert. Doch dieser<br />
Umstand veranlasste Dich nicht<br />
zum geringsten Entgegenkommen. Du<br />
hast mir weder Hilfe angeboten, noch<br />
mir gezeigt, dass selbst bei aller Antipathie<br />
zumindest ein respektvolles<br />
Miteinander möglich sein könnte.<br />
Ich habe besonders am Anfang<br />
unserer Beziehung sehr unter diesem<br />
Umstand gelitten. Vieles war neu und<br />
unbekannt und sicherlich hat die<br />
Unkenntnis über Zusammenhänge und<br />
Abläufe auch Ängste freigesetzt, die<br />
Du mir mit ein wenig gutem Willen<br />
hättest nehmen können. Freiwillig hast<br />
Du mir nur sehr wenig Einblicke in<br />
Dein Tun gestattet und die Aussicht<br />
hast Du mir vergittert. Inzwischen<br />
haben wir, Dank unserer gemeinsamen<br />
Bekannten, sehr viel voneinander<br />
erfahren.<br />
Es mag albern klingen, aber manche<br />
Deiner Reaktionen sind für mich<br />
heute nachvollziehbar geworden,<br />
obwohl ich sie <strong>im</strong>mer noch nicht gutheißen<br />
kann. Doch dass wir beide<br />
keine Gemeinsamkeiten finden können,<br />
liegt schon am Ungleichgewicht<br />
der Positionen in unserer Zwangsbe-<br />
„Auf Dauer sehe ich für uns<br />
keine Chance ...“<br />
„Ich hab’ mich so an Dich gewöhnt!”<br />
Ein Abschieds-Liebesbrief nach der Trennung<br />
Von Christoph D.<br />
Gitterblick auf Kontrollturm<br />
ziehung. Ich räume allerdings ein, dass<br />
ein Miteinander durch die vielen<br />
gemeinsam gemachten Erfahrungen<br />
heute an manchen Tagen mitunter<br />
möglich ist. Auf Dauer sehe ich nach<br />
wie vor keine Chance für uns, doch die<br />
mit Dir und durch Dich erfahrenen und<br />
erlebten Dinge haben mich massiv<br />
geprägt und meine Sichtweisen in vielerlei<br />
Hinsicht stark verändert. Mein<br />
Leben wird zukünftig auch ohne Deine<br />
ständige Bevormundung ganz andere<br />
Maßstäbe und Zielsetzungen haben.<br />
Dir hierfür zu danken, erscheint mir<br />
allerdings pervers.<br />
Diese Erfahrungen hätte ich sicherlich<br />
auch unter glücklicheren Umständen<br />
machen können. Ich muss einräumen,<br />
dass Deine Penetranz und das<br />
durch Dich oftmals provozierte menschenunwürdige<br />
Verhalten diesen Vorgang<br />
enorm beschleunigt hat. Selbst<br />
Dein Eingreifen in meine persönlichsten<br />
Belange lassen unterschiedliche<br />
Auffassungen über deren Berechtigung<br />
zu. Es gab sicherlich Tage, an denen es<br />
hilfreich gewesen ist und ich sogar<br />
froh darüber war, dass Du mir Entscheidungen<br />
abgenommen hast. Doch<br />
ich kann Dir versichern, von diesen<br />
Tagen gab es nur wenige und Du hast<br />
nicht erkannt, wann ich Deine Hilfe<br />
gebraucht hätte oder wann Deine „Fürsorge“<br />
das Korsett meines unfreien<br />
Wollens und Tuns noch weiter eingeschnürt<br />
hat.<br />
Nicht nur aus diesem Grund hast<br />
Du mir an manchen Tagen gestunken.<br />
Nachvollziehen kann dies sicherlich<br />
jeder, der Deine langen und mehr als<br />
hundert Jahre alten Gänge einmal hat<br />
durchschreiten müssen.<br />
„Nicht jeder<br />
hat Dich gesund überstanden.“<br />
Da sich unsere Wege in der nächsten<br />
Zeit trennen, habe ich mich entschlossen,<br />
Dir diese Zeilen zu schreiben.<br />
Nicht jeder hat Dich gesund an Leib<br />
und Seele überstanden. Auch ich kann<br />
mir hier noch kein Urteil bilden, weil<br />
ich hierzu erst wieder das Gefühl der<br />
Freiheit spüren und überhaupt erst wieder<br />
lernen muss, Gefühle zuzulassen<br />
und sie auch zu zeigen. Ich werde wieder<br />
bereit sein müssen, mich dem<br />
Überlebenskampf des täglichen Allerleis<br />
zu stellen, und es wird sich auch<br />
zeigen, wie sehr unsere Beziehung den<br />
Kontakt zu anderen Menschen geschadet<br />
hat oder diesen sogar für <strong>im</strong>mer<br />
zerstörte.<br />
Eines Deiner hochgesteckten und<br />
von Dir <strong>im</strong>mer wieder propagierten<br />
Ziele hast Du meiner Ansicht nach<br />
nicht erreicht: Menschen, welche die<br />
unfreiwillige Beziehung mit Dir eingegangen<br />
sind, zu resozialisieren. Ich<br />
habe vielmehr erlebt, wie durch Dich<br />
viele Beziehungen zu Bruch gegangen<br />
sind, wie Menschen durch Dich nach<br />
und nach alles verloren haben, was<br />
ihnen einmal wichtig war, z.B. Freunde,<br />
Beruf und Wohnung.<br />
Mir bleibt der Eindruck, dass sich<br />
Dein Einfluß negativ auf die Menschen<br />
auswirkt. Der Kontakt mit Dir, und<br />
mag er noch so kurz gewesen sein, haftet<br />
den Menschen wie ein Makel an,<br />
den sie ein Leben lang nicht mehr<br />
abstreifen können. Sie werden von den<br />
Mitmenschen geächtet und nur sehr<br />
wenigen ist es nach den Berührungen<br />
mit Dir möglich, wieder ein von der<br />
Gesellschaft als normal empfundenes<br />
Leben zu führen. Hier möchte ich die<br />
Frage offen lassen, ob dies erstrebenswert<br />
ist oder nicht! Du solltest bereit<br />
sein, Dich selbst einmal in Frage zu<br />
stellen, und den Mut aufbringen, in den
ULMER ECHO 2007<br />
Spiegel zu schauen. Ich bin davon<br />
überzeugt, dass Du Dich selbst<br />
erschrecken wirst, wenn Du bereit bist,<br />
die Augen tatsächlich zu öffnen. Ich<br />
wurde gezwungen, mich mit Dir über<br />
einen längeren Zeitraum auseinanderzusetzen,<br />
und ich würde es sehr begrüßen,<br />
wenn Du auch diese Bereitschaft,<br />
bei der Vielzahl Deiner Beziehungen,<br />
Entlassung: Unterstützung<br />
einmal aufbringen würdest.<br />
„Ich gehe nicht als Freund.“<br />
Ich gehe trotz unserer langen<br />
Beziehung nicht als Freund. Da ich<br />
Dich nun aber kenne, werde ich recht<br />
sensibel mit den Dingen umgehen, die<br />
ich über Dich und Deinen Einfluß<br />
erfahren werde. Meine Erfahrungen<br />
51<br />
haben mir Dein wahres Gesicht und<br />
Deinen verkümmerten Charakter sehr<br />
deutlich gezeigt, und ich werde mich<br />
mit Händen und Füßen gegen die<br />
Leute wehren, die bereit sind, Lobeshymnen<br />
auf Dich zu singen und Deinem<br />
Handeln weiter unkritisch gegenüberzustehen.<br />
•<br />
[vb] Aus UE 3 /1997<br />
Von Oktober 1993 bis Mai 1994<br />
befand ich mich in Untersuchungshaft.<br />
Zuvor hatte ich eine Firma<br />
für Kapitalanlagen betrieben, und<br />
mich somit stets auf einem engen<br />
gesetzlich erlaubten Grat bewegt. Es<br />
genügten einige Verdächtigungen, um<br />
die <strong>Ulmer</strong> Höh' kennenzulernen. Wie<br />
in solchen Fällen oftmals üblich,<br />
wurde auch bei mir das „gelenkte Verfahren“,<br />
angewendet.<br />
Kuhhandel<br />
mit dem Staatsanwalt<br />
So konnte ich damit rechnen, nach<br />
der Hauptverhandlung, wieder auf<br />
freien Fuß zu kommen, allerdings<br />
mußte ich dazu die Berechtigung eines<br />
Teils der Vorwürfe einräumen und eine<br />
Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe<br />
akzeptieren. Mir war das alles egal.<br />
Hauptsache raus aus dem Gefängnis.<br />
Ich war überzeugt, wieder an den alten<br />
Stand der Dinge anknüpfen zu können,<br />
wenn der Aufenthalt in der „Ulm“ bloß<br />
Haft – was dann ?<br />
Von Dieter S.<br />
nicht allzu lange dauern würde. Ich<br />
bemühte vorsichtshalber schon mal die<br />
sozialen Dienste, um mich auf die in<br />
Aussicht stehende Entlassung vorzubereiten.<br />
Von Seiten der Anstalt wurden<br />
mir keine Hilfen angeboten.<br />
Damals war es Herr Peter Ackermann<br />
vom evangelischen Gefangenenfürsorgeverein,<br />
der mir sehr geholfen hat.<br />
Transporterhof mit den Zellen des E-Flügels<br />
Ohne ihn hätte ich nach meiner Entlassung<br />
buchstäblich mit leeren Händen<br />
vor dem Gefängnistor gestanden. Herr<br />
Ackermann erkundigte sich erst einmal,<br />
inwieweit meine sozialen Kontakte<br />
draußen überhaupt noch bestanden.<br />
Das Ergebnis war niederschmetternd.<br />
Meine damalige Verlobte hatte<br />
sämtliche Konten geplündert und alles<br />
zu Geld gemacht. Sie hatte meinen<br />
PKW, die Wohnungseinrichtung, die<br />
Firmeneinrichtung und sogar meine<br />
Bekleidung verkauft. Herr Ackermann<br />
hatte nur eine Woche Zeit, um Dinge<br />
zu organisieren, die unter Normalbedingungen<br />
zumindest vier Wochen<br />
benötigt hätten. Am letzten Verhandlungstag<br />
wurde der Haftbefehl aufgehoben<br />
und gegen 13 Uhr stand ich als<br />
freier Mann vor dem Gerichtsgebäude.<br />
Da ich über kein Bargeld verfügte,<br />
erleichterte ich meinen Anwalt um<br />
seine Barschaft, um ein Restaurantessen<br />
zu finanzieren. So gestärkt begab<br />
ich mich zurück zur <strong>Ulmer</strong> Höh', um<br />
meine Zelle zu räumen.<br />
Nach etwa einer Stunde<br />
Wartezeit erhielt ich meinen<br />
spärlichen Verdienst von<br />
ungefähr 375,- DM. Gegen<br />
15.30 stand ich mit einem<br />
Karton, einem blauen Müllsack,<br />
Fernseher und Radio,<br />
sowie knapp 600,- DM Barmitteln<br />
vor dem Gefängnistor.<br />
Bei der Beratungsstelle<br />
Gefangenenfürsorge,<br />
Ulmenstr. 23, parkte ich erstmal<br />
meine Habe. Da es aus<br />
irgendwelchen Gründen<br />
schon zu spät war, um das<br />
mir zugewiesene Quartier zu beziehen,<br />
übernachtete ich für 27,- DM in einer<br />
Pension. Das Z<strong>im</strong>mer dort war spärlicher<br />
eingerichtet als meine ehemalige<br />
Zelle, aber ich war in Freiheit. Am folgenden<br />
Tag mussten einige Gänge zum<br />
Sozialamt erledigt werden und nachdem<br />
mehrere Amtsträger offensichtlich<br />
wichtige Formulare abgestempelt<br />
hatten, konnte ich meine neue Bleibe<br />
beziehen.<br />
Freiheit mit Hindernissen<br />
Es handelte sich dabei um ein Männerwohnhe<strong>im</strong><br />
für Haftentlassene und<br />
Obdachlose. Das soziale Umfeld von<br />
Übergangswohnhe<strong>im</strong>en erscheint mir
52 Entlassung: Sozialer Abstieg<br />
ULMER ECHO 2007<br />
bedenklich. Im Volksmund sind solche<br />
Häuser auch als „Bullenkloster“<br />
bekannt. Ich fand ein spärlich eingerichtetes<br />
Z<strong>im</strong>mer vor, dessen Standardmobiliar<br />
sehr an die <strong>Knast</strong>einrichtung<br />
erinnerte. Eine Gemeinschaftsküche<br />
auf jeder Etage, am Eingang ein<br />
Pförtner, der einen nur bis Mitternacht<br />
reinlässt, Alkoholverbot und Teilnahme<br />
an sozialen Gesprächen waren<br />
Pflicht. Von meiner spärlichen Sozialhilfe<br />
musste ich für Unterkunft und<br />
An<strong>im</strong>ationsprogramm 97,- DM<br />
monatlich zahlen. Wo waren<br />
hier meine ersehnten<br />
Freiheiten? Manche<br />
SozialarbeiterInnen<br />
in diesem Bullenkloster<br />
hatten<br />
nicht <strong>im</strong> entferntesten<br />
die Motivation<br />
und<br />
Qualifikation<br />
wie Herr<br />
Ackermann.<br />
Sie zeichneten<br />
sich lediglich<br />
durch ausgesprochene<br />
Realitätsferne<br />
aus<br />
und von Hafthilfe<br />
konnte keine Rede<br />
sein. Vermutlich<br />
Eigeninteresse und als<br />
Alibi für ihre eigene Tätigkeit<br />
hemmten sie jegliche<br />
persönliche Entscheidung und<br />
Entwicklung der hier wohnenden<br />
Menschen. Man hatte so manches Mal<br />
den Eindruck, die Insassen seien Versuchskaninchen<br />
für diese Menschen,<br />
die an ihnen neue Sozialprogramme<br />
erproben wollten.<br />
Die nächsten Wochen verbrachte<br />
ich damit, die nötigen Gänge zu den<br />
Ämtern zu erledigen. Auch versuchte<br />
ich, in meinem alten Beruf wieder Fuß<br />
zu fassen, denn schließlich wollte ich<br />
eine Rücckehr zur „Ulm“ vermeiden.<br />
Meine ehemaligen Arbeitgeber, zu<br />
denen ich auch während meiner zuletzt<br />
selbständigen Tätigkeit <strong>im</strong>mer noch<br />
sehr guten Kontakt gehabt hatte,<br />
schätzten zwar meine beruflichen Qualifikationen,<br />
waren aber mehr an genau<br />
der Qualifikation interessiert, wegen<br />
der ich mich in Untersuchungshaft<br />
befunden hatte. Die bestand darin, private<br />
Geldanleger davon zu überzeugen,<br />
Gelder in oder durch ihre Firmen<br />
zu plazieren. Die vielen Bewerbungsgespräche<br />
nahmen alle einen ähnlichen<br />
Verlauf. So zog ich mich in mein<br />
bescheidenes Domizil zurück und zog<br />
Bilanz.<br />
Einsam mit rapidem<br />
gesellschaftlichem Abstieg<br />
Vom einstmals vermögenden<br />
Unternehmer war nichts übrig geblieben.<br />
Ehemalige Freunde und die Verlobte<br />
hatten sich von mir distanziert.<br />
Das derzeitige soziale Umfeld war<br />
unter allem Niveau und die Zukunftsaussichten<br />
miserabel, wenn ich nicht<br />
gewillt war, ein gewisses Risiko einzugeben.<br />
Hier eine Entscheidung zu treffen,<br />
fiel nicht schwer. Denn was sich<br />
der Normalbürger unter einem straffreien<br />
Leben eines Gestrauchelten so<br />
landläufig vorstellt, hätte für mich<br />
bedeutet, erstmal aus dem „Bullenkloster“<br />
nicht herauszukommen, mit allen<br />
damit verbundenen sozialen Negativkonsequenzen.<br />
Also nahm ich eines<br />
der Angebote meiner vormaligen<br />
Arbeitgeber an. In kürzester Zeit<br />
befand ich mich wieder in einer „standesgemäßen“<br />
Wohnung, das Statussymbol<br />
mit dem Stern stand auch bald<br />
wieder vor der Tür und der Geldbeutel<br />
bestand nicht mehr aus Zwiebelleder.<br />
Natürlich musste die Sache bei einem<br />
auf Bewährung Verurteilten schief<br />
gehen und die Konsequenz des Ganzen<br />
ist eben die, dass ich nun<br />
wieder Artikel fürs ULMER<br />
ECHO schreiben kann. Als<br />
Fazit kann ich sagen,<br />
dass ich natürlich<br />
völlig falsche Vorstellungen<br />
über<br />
die Möglichkeit<br />
hatte, wieder in<br />
meiner alten<br />
Umgebung<br />
klarzukommen.<br />
Auch<br />
trägt die finanzielle<br />
und<br />
materielle Situation<br />
entlassener<br />
Inhaftierter nicht<br />
dazu bei, Entscheidungen<br />
treffen zu<br />
können, die ein<br />
zukünftig straffreies<br />
Leben ermöglichen.<br />
Hilfestellungen durch den<br />
<strong>Knast</strong> selber habe ich nicht erfahren.<br />
Lediglich der Sozialdienst der<br />
freien Träger hat mir geholfen. Im<br />
StVollzG und der UVollzO ist festgelegt,<br />
dass das Leben <strong>im</strong> Vollzug dem<br />
draußen so weit wie möglich anzugleichen<br />
ist. Bei mir war´s damals<br />
zunächst umgekehrt: Ich habe den Eindruck<br />
gewinnen müssen, als sollte<br />
mein Leben in Freiheit dem Leben <strong>im</strong><br />
Gefängnis angleichen. •<br />
* Aus UE 3/1997
ULMER ECHO 2007<br />
Gefängnisverein<br />
53<br />
Der Katholische Gefängnisverein Düsseldorf e.V. wurde 1893 zur Unterstützung Inhaftierter und ihrer<br />
Angehörigen gegründet. Seitdem setzt er sich ebenso für konkrete Menschen ein wie für menschliche<br />
Bedingungen <strong>im</strong> Vollzug und für Alternativen zur Sanktion der Freiheitsstrafe.<br />
Über 70 Ehrenamtliche – darunter katholische ebenso wie evangelische, musl<strong>im</strong>ische und religiös ungebundene<br />
Personen – sind über den Verein aktiv: in verschiedenen JVAen leisten sie Einzelbegleitung und<br />
Gruppenarbeit, auch Entlassene und Familien finden Begleitung und Unterstützung.<br />
Der Katholische Gefängnisverein<br />
... ist Mitträger einer Beratungsstelle<br />
... bietet Raum für Frauen Inhaftierter<br />
... unterstützt Familien Inhaftierter<br />
... bildet Ehrenamtliche aus<br />
... vermittelt ehrenamtliche<br />
Begleitungen für Inhaftierte<br />
... und ist Träger des ULMER ECHOS:<br />
er sammelt Spenden<br />
und liefert<br />
die materielle Grundlage<br />
für die Existenz<br />
unseres nicht zensierten<br />
Gefangenenmagazins<br />
Spenden<br />
bitte an: Kath. Gefängnisverein,<br />
Postbank Köln; BLZ 370 100 50<br />
Kto.-Nr. 74558-506, Vermerk: ULMER ECHO
54 ULMER ECHO <strong>im</strong> Internet<br />
ULMER ECHO 2007<br />
w w w . u l m e r e c h o . d e<br />
U L M E R E C H O i m I n t e r n e t<br />
b i e t e t :<br />
-> Konkrete Information aus dem Vollzug<br />
-> Unzensiert: die Sicht der Betroffenen<br />
-> Im Archiv alle Ausgaben seit 1997<br />
-> Ratgeber für Inhaftierte in vier Sprachen<br />
-> Gefängnisverein-Ratgeber für Angehörige<br />
-> Gefängnisverein-Ratgeber für Entlassene<br />
-> Themensuche nach Sachgebieten<br />
-> Foto-Galerien<br />
-> Downloads und PDFs<br />
-> Links zum Thema