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Gitterleben - Alltag im Knast - Ulmer Echo

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Gefangenenmagazin aus der JVA Düsseldorf <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />

ULMER<br />

ECHO<br />

Sonderausgabe 2007<br />

<strong>Gitterleben</strong><br />

<strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>


Liebe Leserinnen und<br />

Leser des ULMER ECHO,<br />

unsere Sonderausgabe „<strong>Gitterleben</strong><br />

– <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>” liegt<br />

nun inhaltlich überarbeitet mit<br />

völlig neuem Gesicht vor. Verschiedenen<br />

Aspekten des Lebens<br />

hinter Gittern gehen die Artikel<br />

von inhaftierten Männern nach.<br />

Wer sind die Adressaten? Wir denken an Presseleute,<br />

Studierende der Juristerei oder Sozialwissenschaften,<br />

Gruppen, Schulklassen, auch an Einzelpersonen:<br />

jedenfalls an Menschen, denen nicht egal ist, was Gefängnismauern<br />

dem Blick der Öffentlichkeit verbergen.<br />

Seien Sie herzlich begrüßt: Ihr Interesse freut uns<br />

und ehrt Sie!<br />

Wenn die für den Justizvollzug zuständigen Landesjustizministerien<br />

sich an die Öffentlichkeit wenden, stellt<br />

sich Vieles positiv dar. Auch wir finden z.B. schulische<br />

und berufliche Bildungsmaßnahmen <strong>im</strong> Vollzug absolut<br />

sinnvoll. Übersehen wird oft, dass für die Mehrzahl<br />

der Inhaftierten solche Maßnahmen gar nicht in Frage<br />

kommen: z.B. weil sie zu kurz inhaftiert sind oder fast<br />

die ganze Haftzeit in Untersuchungshaft verbringen.<br />

Weitgehend unsichtbar ist auch der trübe <strong>Alltag</strong> in den<br />

allermeisten Anstalten unseres Landes. Die Maßgaben<br />

des Strafvollzugsgesetzes (z.B. die Angleichung der<br />

Vollzugsbedingungen an die allgemeinen Lebensbedingungen;<br />

der Anspruch auf Wiedereingliederung)<br />

werden unzureichend umgesetzt. Der Staat selbst trägt<br />

so zu erneuten Straftaten bei. Ohne Unterstützung wird<br />

die Tür in die Freiheit für viele Entlassene zur Drehtür.<br />

Hier finden Sie die Perspektive der Betroffenen. Die<br />

Artikel in „<strong>Gitterleben</strong>” entspringen Erfahrungen und<br />

zeigen wie die Bilder, was Freiheitsentzug bedeutet<br />

und welche Zustände in JVAen herrschen. Damit soll<br />

Anstoß gegeben werden zu mehr Menschlichkeit <strong>im</strong><br />

Vollzug, vor allem aber zu energischer Suche nach<br />

Alternativen zum Freiheitsentzug. Wer anderen schadet<br />

und gegen Gesetze verstößt, wird in der Entmündigung<br />

des Vollzuges eher noch weiter verlernen, Freiheit verantwortlich<br />

zu leben. Inhaftierung schadet der Person,<br />

zerstört soziale Kontakte und n<strong>im</strong>mt in der Regel Wohnung<br />

und Arbeit.<br />

Wir verkennen nicht das Engagement Vieler <strong>im</strong> Vollzug.<br />

Ohne Unterstützung aus Politik und Öffentlichkeit<br />

verpufftt davon leider viel zu viel. Helfen Sie mit!<br />

I M P R E S S U M<br />

ULMER ECHO<br />

<strong>Ulmer</strong> <strong>Echo</strong> 2007<br />

Gefangenenmagazin aus der JVA Düsseldorf<br />

– seit 1975 –<br />

Sonderausgabe „<strong>Gitterleben</strong> – <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>”<br />

Komplett neu bearbeitet 2007<br />

Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich:<br />

P. Wolfgang Sieffert OP<br />

Redaktion dieser Ausgabe<br />

Oliver C. [oc]<br />

Alex B. [ab]<br />

Wolfgang Sieffert [ws]<br />

Titelgestaltung<br />

[ab/ws]<br />

Titelbild<br />

Tor zum Jugendhaus der <strong>Ulmer</strong> Höh’ [Foto: ws]<br />

Layout<br />

[ws/ab/oc]<br />

Auflage<br />

2.000 Exemplare (Erstdruck Neubearbeitung 2007)<br />

(Gesamtauflage 6.500 seit 1998)<br />

Druck<br />

Eigendruck auf Risograph RN 2000 EP<br />

Anschrift<br />

ULMER ECHO<br />

Ulmenstraße 95, 40476 Düsseldorf<br />

Emailadresse<br />

ulmerecho@gmx.de<br />

ULMER ECHO <strong>im</strong> Internet<br />

www.ulmerecho.de (mit Archiv u.v.a.m.)<br />

Träger<br />

Katholischer Gefängnisverein Düsseldorf e.V.<br />

Auskünfte<br />

0211/9486-230 oder -348<br />

Finanzierung<br />

Das ULMER ECHO finanziert sich ausschließlich aus<br />

Spenden und wird kostenlos abgegeben.<br />

Ohne Spenden kein ULMER ECHO.<br />

Spenden<br />

bitte an: Kath. Gefängnisverein,<br />

Postbank Köln; BLZ 370 100 50<br />

Kto.-Nr. 74558-506, Vermerk: ULMER ECHO<br />

Nachdruck erwünscht!<br />

Unter Angabe der Quelle und gegen Zusendung<br />

zweier Belegexemplare ist Nachdruck ausdrücklich<br />

gestattet.


<strong>Ulmer</strong> <strong>Echo</strong> 2007<br />

I N H A L T<br />

3<br />

<strong>Gitterleben</strong> – <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

1. Die JVA Düsseldorf<br />

Geschichte, Daten und Fotos der „<strong>Ulmer</strong> Höh’” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Fotos und Daten der<br />

JVA Düsseldorf ........ ab Seite 4<br />

2. Ankunft & Alltägliches<br />

Eintritt in die Schattenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

Neu hier: Festnahme, Gewahrsam, Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

23 Stunden täglich auf 8 Quadratmetern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

0 bis 24 Uhr: Ein Tag in einer Notgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Freistunde, Umschluss und Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

Laute Schlüssel und leise Schlüsselfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

3. Kommunikation & Besuch<br />

Endlich Besuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Besuchsregelung auf der <strong>Ulmer</strong> Höh’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

Die Liebste am Telefon – ein seltenes Vergnügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

Trari, Trara, die Post – na, wo bleibt sie denn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Postzensur und Kommunikationsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

U-Haft: Enge Grenzen in der Pflege sozialer Kontakte . . . . . . . . . . . . . 17<br />

4. Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Das Revier – der richtige Ort für jedes Wehwehchen . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

Geschichtliches zum „Revier” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

Da hilft nur noch Zahnziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

Hepatitis - die verkannte Volksseuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

Neu in der Ulm. Für viele ein<br />

Schock ................. ab Seite 13<br />

5. Sexualität<br />

Sexualität – was ist das eigentlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

Tabu: Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

Sexualität ist auch in der Haft nicht tot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Selbstbefriedigung unter Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

Das Thema berührt auch die Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

6. Besondere Härten<br />

Tumult in der Nacht (B-Zellenverlegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

Aufenthalte in der B-Zelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Warten auf den Tag der Abrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

JVA-Tours (Rundreise <strong>im</strong> Justizexpress) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Belegungsausgleich: Einmal JVA Essen und zurück . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

In Eisen gelegt: Nachteile be<strong>im</strong> Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

Vollzugsalltag: auch harte Maßnahmen<br />

................ ab Seite 25<br />

7. Arbeit<br />

Der Bücherwurm (Büchereiarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

Putzen, schleppen, Esssen verteilen (Hausarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />

Schmutzige Wäsche (Ein Arbeitstag in der Wäscherei) . . . . . . . . . . . . . 38<br />

Der „Herr der Socken” (Kammerarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

Zwei zum Aufwischen (Der Revierhausarbeiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />

Zu wenig Arbeit für viel zu viele Gefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />

8. Integration/Migration<br />

Der Ausländerbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />

Moderne Verbannung (Abschiebung und Ausweisung) . . . . . . . . . . . . . 42<br />

Es lebe der Sport (Integration) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

Abschiebehaft: politisch zu verantwortender Skandal . . . . . . . . . . . . . . 44<br />

Arbeit: wichtig für Resozialisierung................<br />

ab Seite 34<br />

9. Entlassung<br />

Wiedereingliederung oder programmierter Rückfall? . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />

Wirklich entlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

Ich hab’ mich so an Dich gewöhnt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />

Haft – was dann? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51


4 Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />

Der Eingang der „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />

Die drei reinen Zellenflügel (heute A-, B- und C-Flügel<br />

genannt) zählten zusammen ca. 440 Hafträume; jeder<br />

hatte rund 8 qm. Hinzu kamen Zellen <strong>im</strong> D-Flügel, in dem sich<br />

heute unten neben Aufnahme und Kammer die K-Zellen für<br />

Transporter befinden, darüber Verwaltung und Kirche.<br />

Im Laufe des 20. Jahrhunderts geschahen einige bauliche<br />

Veränderungen: <strong>im</strong> CK-Gebäude (Chirurgisches Krankenhaus<br />

für ganz NRW) befinden sich heute Arbeitsräume und an den<br />

B-Flügel-Kopf wurde das Revier-Gebäude angesetzt. In den<br />

70er Jahren des 20. Jh. wurde zur Zeit der RAF-Prozesse nicht<br />

nur zur Ulmenstraße hin der E-Flügel mit ca. 65 Zellen<br />

gebaut, sondern auch die Besucherräume, die Fahrzeugschleuse<br />

und die „Hochsicherheitszellen”.<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Die JVA Düsseldorf wurde auf<br />

besonderem Boden erbaut.<br />

Im 17. Jahrhundert führte das Galgengässchen<br />

zu einem Hügel, auf<br />

dem damals in der Nähe des Aderhofes<br />

der Galgen stand, dort, wo heute<br />

die Ulmenstraße verläuft.<br />

Das heutige Gefängnis „<strong>Ulmer</strong><br />

Höh’” steht also an einer historisch<br />

nicht unbeleckten Stelle, was übrigens<br />

die Erbauer wohl nicht gewusst<br />

haben.<br />

Ab 1889 wurde das heutige<br />

Haupthaus (Männerhaus) als Kreuzbau<br />

errichtet, der heute noch besteht.<br />

1893 wurde die Ulm’als königlichpreußisches<br />

Gefängnis in Düsseldorf-Derendorf<br />

eröffnet.<br />

Belegung am 11.10.07:<br />

540 Gefangene <strong>im</strong> Männerhaus,<br />

78 <strong>im</strong> Jugendhaus<br />

Blick auf das CK-Gebäude (Werkbetriebe),<br />

davor der C-Hof<br />

Nur für Befugte: der Weg zwischen<br />

B-Flügelkopf und Außenmauer<br />

Von 1892 bis zum Jahre 1934 – also in einem Zeitraum von<br />

mehr als 40 Jahren – sind acht Mörder auf der <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />

hingerichtet worden. Auch der 2. Weltkrieg forderte seinen Tribut:<br />

durch Bombenabwurf starben in dieser Zeit 48 Häftlinge. Der<br />

Wiederaufbau der Strafanstalt von 1945 bis 1954 kostete nach der<br />

Währungsreform 1948 1,3 Millionen DM. Auch heute sind <strong>im</strong>mer<br />

wieder Renovierungen notwendig. Insoweit ist die Anstalt wie das<br />

Gesetz selbst, dem sie dient: alt und häßlich, <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Umbau, nie<br />

ganz fertig.


ULMER ECHO 2007<br />

Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />

5<br />

Blick über den A-Hof zum „Jugendhaus”<br />

Im Jugendhaus sind ausschließlich<br />

männliche<br />

Untersuchungsgefangene bis<br />

21 Jahre inhaftiert. Räumlich<br />

liegt das Gebäude direkt neben<br />

dem Gelände des Männerhauses:<br />

dennoch ist das Jugendhaus<br />

ein völlig separates<br />

Gefängnis mit Eingang von<br />

der Metzer Str., Werk- und<br />

Schulräumen sowie einem<br />

kleinen Sportplatz.<br />

Daten zur JVA Düsseldorf<br />

Zur JVA gehören Männerhaus und Jugendhaus in Düsseldorf<br />

Derendorf, Übergangshaus in D-Gerreshe<strong>im</strong> (Offener Vollzug<br />

mit 35 Plätzen) und Hafthaus Neuss (Frauen-Abschiebehaft,<br />

78 Plätze).<br />

Bedienstete <strong>im</strong> Allgemeinen Vollzugsdienst insegesamt: 256<br />

plus 17 AnwärterInnen.<br />

Jedes Jahr kommen ca. 3.000 Inhaftierte neu in die <strong>Ulmer</strong><br />

Höh’. Von ihnen werden ca. 2.000 in andere Anstalten verlegt,<br />

ca. 1.000 werden hier entlassen.<br />

Seit ca.150 Jahren erweist sich<br />

das Gefängnissystem als erfolglos<br />

zur Bekämpfung der Kr<strong>im</strong>inalität.<br />

Das Gefängnis lässt 2/3<br />

aller Inhaftierten rückfällig werden.<br />

Was machen sie mit einem<br />

Dienstleister, der zu fast 70%<br />

seine Aufgabe nicht erfüllt?<br />

Arbeit, Sport, Freizeit<br />

und Langeweile<br />

Strafgefangene sind zur Arbeit<br />

verpflichtet, Untersuchungsgefangene<br />

(das sind ca. die Hälfte<br />

der Gefangenen in der <strong>Ulmer</strong> Höh’)<br />

nicht. Die meisten möchten zwar<br />

arbeiten, ihnen kann aber keine Stelle<br />

zugeteilt werden, da zu wenig<br />

Arbeit in der Anstalt vorhanden ist.<br />

Es gibt zur Zeit in der <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />

ca. 130 Arbeitsplätze für zeitweise<br />

über 600 Gefangene.<br />

Es gibt eine Reihe von Freizeitangeboten<br />

wie Sport-, Sprach-, Kunstund<br />

andere Gruppen, deren Kapazität<br />

aber bei Weitem nicht für alle<br />

Gefangenen ausreicht. Die meisten<br />

Blick über den B-Hof auf den B-Flügel<br />

Plätze sind in den Sportgruppen,<br />

doch auch hier gibt es Wartelisten.<br />

Außerdem finden die meisten Sportgruppen<br />

nur einmal in der Woche statt.<br />

Leider fallen Sport und andere Gruppenangebote oft aus, weil Bedienstete krank sind oder anderweitig Lücken ausfüllen.<br />

Abhängen auf der Zelle und Langeweile ist daher für die Überzahl der Inhaftierten an der Tagesordnung.


6 Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Wer sitzt auf der Ulm?<br />

Die „Zuständigkeiten” einer JVA werden überörtlich<br />

festgelegt und können sich verändern. Heute<br />

befinden sich auf der Ulm’ alle Männer und Jugendlichen,<br />

die <strong>im</strong> Landgerichtsbezirk Düsseldorf in Untersuchungshaft<br />

genommen werden; außerdem aus dem gleichen<br />

Bezirk alle ausländischen erwachsenen Männer, die zwei<br />

bis vier Jahre Strafhaft abzusitzen haben. Diese beiden<br />

Gruppen bilden rund 80% der hier inhaftierten Menschen.<br />

Daneben sitzen auf der Ulm „Kurzstrafer”: verurteilte<br />

Männer mit Strafzeiten zwischen 3 und 18 Monaten aus<br />

dem Bezirk des LG Düsseldorf und anderer Landgerichte.<br />

Schließlich gibt es einzelne Inhaftierte, die wegen Tätertrennungen<br />

in Düsseldorf sitzen oder als besonders<br />

gefährlich gelten und deswegen hier in den Verstärkt<br />

Gesicherten Haftbereich (VGH, meist Hochsicherheit<br />

genannt) verbracht wurden.<br />

Welche Straftaten kommen vor?<br />

Kurz gesagt: alle. Da die Ulm’ die Untersuchungshaft<br />

für alle Düsseldorfer Gerichte vollzieht, finden<br />

sich hier auch die, die vor dem Landgericht wegen<br />

Mord, Betrug oder Untreue in größerem Umfang, schwerer<br />

Körperverletzung, sexuellen Missbrauch oder umfangreichen<br />

Rauschgifthandel angeklagt sind. Auch wer sich<br />

vor dem Oberlandesgericht z.B. wegen Terrorismus verantworten<br />

muss, sitzt in der Ulm’. Die Mehrheit der<br />

Gefangenen sitzen aber wegen kleinerer Straftaten und<br />

werden vor dem Amtsgericht angeklagt!<br />

7,8 bis 8,2 qm inkl. WC –<br />

ein Haftraum heute<br />

Jeweils eine der vier Ebenen eines<br />

Flügels bildet eine Abteilung<br />

8Quadratmeter, hier Wohnklo genannt. Da auch die <strong>Ulmer</strong><br />

Höh’ z.T. massiv überbelegt ist, wurden viele Einmannzellen<br />

durch Zugabe eines zweiten Bettes zu einer sogenannten Notgemeinschaft<br />

umgerüstet. In einer so kleinen Zelle gestaltet sich der Aufenthalt<br />

für zwei Leute schwierig.<br />

Fernseher und Radio gehören nicht zur Standardausrüstung, sondern<br />

müssen gekauft werden. Mittellose Gefangene können manchmal<br />

ein Fernsehgerät<br />

oder ein Radio von<br />

ihrer Abteilung leihen.<br />

In jeder Zelle gibt<br />

es seit den 60er Jahren<br />

des 20. Jh.<br />

Waschbecken und<br />

Toilette, vorher<br />

wurde „gekübelt”,<br />

also das Geschäft in<br />

einen E<strong>im</strong>er mit Dekkel<br />

verrichtet. Auch<br />

die sonstige Zelleneinrichtung<br />

war früher<br />

noch spartanischer.<br />

Private Gegenstände<br />

eines Gefangenen<br />

waren auf ein<br />

Haftraum um 1940<br />

Min<strong>im</strong>um reduziert.


ULMER ECHO 2007<br />

Die „Zentrale” der<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh’: von<br />

hier aus werden alle vier<br />

Flügel des Altbaus optisch<br />

überwacht. Mit der von<br />

Hand geschlagenen großen<br />

Glocke werden die regelmäßigen<br />

Tagesabschnitte eingeläutet<br />

(Wecken, Zellenaufschluss,<br />

Arbeitsbeginn<br />

etc.)<br />

Dieses „Nervenzentrum”<br />

befindet sich genau über<br />

dem „Spiegel”, der A-, B-<br />

und C-Flügel verbindet.<br />

Alle Gefangenen müssen<br />

diesen Bereich passieren um<br />

ihre Arbeitsplätze oder den<br />

Anwalt- und Besucherbereich<br />

zu erreichen. Der<br />

Zugang zum großen<br />

Duschraum befindet sich<br />

ebenfalls auf dem „Spiegel”.<br />

Die JVA Düsseldorf „<strong>Ulmer</strong> Höh’”<br />

Die „Zentrale” über dem „Spiegel”<br />

7<br />

Wie eine kleine Stadt für sich<br />

So eine JVA ist wie eine kleine Stadt: da gibt es die verschiedenen<br />

„Wohnviertel”, das „Rathaus” mit JVA-Leitung und<br />

Verwaltung, das Sanitätsrevier, eine riesige Heizungsanlage,<br />

die Vollzugsgeschäftsstelle mit allen Akten der Gefangenen,<br />

Sportplatz, eine Küche (die bis zu 1.000 Essen kochen kann),<br />

die Garage mit Transportbussen, Schlosserei, Schreinerei,<br />

Wäscherei, eine Menge Büros für den Allgemeinen Vollzugsdienst,<br />

Sozialdienst, Psychologischen Dienst, eine Gefangenenbücherei<br />

und sogar die Redaktion einer eigenen Zeitung,<br />

des ULMER ECHOS.<br />

Platz für 350 Inhaftierte:<br />

die Gefängniskirche<br />

Gefängnisse zu<br />

bauen, um<br />

Verbrechen zu<br />

bekämpfen: das<br />

ist genau so, wie<br />

Friedhöfe gegen<br />

tödliche Krankheiten<br />

zu schaffen.<br />

uch ein eigener Kirchraum gehört zu<br />

Adieser abgeschotteten kleinen Stadt<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh’. Sie ist der einzige Raum ohne<br />

sichtbare Gitter. Hier werden regelmäßig<br />

katholische und evangelische, meist sehr gut<br />

besuchte Gottesdienste gefeiert. Der Raum<br />

steht auch fremdsprachigen und orthodoxen<br />

Gottesdiensten zur Verfügung. Hier probt die<br />

Rockband und auch bei Konzerten mit Gruppen<br />

von draußen wackeln schon mal die<br />

Scheiben. Dann sind die Bänke rammelvoll.<br />

Seelsorge <strong>im</strong> Gefängnis will in einer<br />

repressiven totalen Institution <strong>im</strong> Auftrag des<br />

Evangeliums als Mensch für Menschen<br />

dasein. Im Einzelgespräch wie in den Gottesdiensten<br />

versuchen die Seelsorger Kontakt,<br />

Trost, Selbstvergewisserung und Hoffnung<br />

zu vermitteln.


8 Ankunft & Alltägliches: Einfahren<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Letzte Einstellung<br />

Ein Traum? Ein Film? Mein Eintritt in die Schattenwelt <strong>Knast</strong><br />

Das letzte, was ich aus dem vergitterten<br />

Wagenfenster sehe,<br />

sind Menschen mit bunter Kleidung,<br />

die sich in Licht und Farbe auf der<br />

Straße bewegen. Könnte nicht jemand<br />

den Abspann einblenden? Hinter den<br />

Gittern beginnt schon die Welt der<br />

Schatten. Schmutziges Braun–Grau-<br />

Grün ... Quadratkilometer Mauern sind<br />

voll davon. Verfall und Geruch umgibt<br />

uns von nun an. Es riecht nach altem<br />

Männerschweiß, verdorbenem Essen;<br />

grauer Staub in allen Poren.<br />

Angst und Leid riechen schlecht,<br />

meine Damen und Herren. Man müsste<br />

hundert Jahre baden, um sich davon zu<br />

befreien. Verbinden Sie mir die Augen,<br />

drehen sie mich <strong>im</strong> Kreis und wir fahren<br />

Stunden übers Land: ich werde es<br />

am Geruch erkennen, wenn wir uns<br />

einem Gefängnis nähern.<br />

In der ersten Nacht halte ich stumme<br />

Zwiesprache mit der Tür, die sich<br />

nun nicht mehr einfach so nach meinen<br />

Wünschen und Bedürfnissen öffnen<br />

wird. Abenteuer und alle Wunder liegen<br />

<strong>im</strong>mer hinter den Türen. Mit der<br />

Wahrnehmung, was es eigentlich<br />

bedeutet, für unbest<strong>im</strong>mte Zeit seiner<br />

sprichwörtlichen Bewegungsfreiheit<br />

beraubt zu sein, schleicht sich Grauen<br />

unter die Haut. Von einem Moment auf<br />

Von Klaus H.<br />

den anderen aus der Welt gefallen. Und<br />

wie wenig es dazu bedarf – atemberaubend.<br />

speckiges Holz, bröckeliger<br />

Zement und hundertmal lackiertes<br />

Eisen. Alles atmet dumpfe Sinnlosigkeit.<br />

Hirnlose Vergeblichkeit in jeglichem<br />

Bemühen.<br />

Was unterscheidet den<br />

Menschen vom Tier?<br />

Der Rhythmus des <strong>Alltag</strong>s sind<br />

Schlüssel, die in Schlösser knallen,<br />

Stahltüren, die in ihren Angeln vibrieren,<br />

schwere Schritte <strong>im</strong> Auf und Ab<br />

der Flure und Treppen. Und er brennt<br />

sich ins Herz, Tag für Tag, wie die in<br />

ihrer Funktion erstarrten Menschen,<br />

die sich entschieden haben, ihr Leben<br />

mit der Verwaltung dieses Elends zu<br />

verbringen. Was mögen sie denken,<br />

wenn sie mit sich allein sind, welche<br />

Fragen mögen sie sich stellen?<br />

Oh, es gibt Gruppen für Sport,<br />

Betreuungsangebote dieser und jener<br />

Art; man kann für ein, zwei Euro pro<br />

Stunde Stecker in Tütchen verpacken.<br />

Es ist gerade so viel, dass wir nicht<br />

völlig irre werden an der Gewalt des<br />

Eingeschlossensein. Gerade so viel,<br />

dass wir die, die uns betreuen, nicht<br />

anfallen und in der Luft zerreißen.<br />

Gerade so viel, dass wir die Möglichkeit<br />

eines Weiterlebens danach an<br />

unseren guten Tagen erwägen können.<br />

Was den Menschen vom Tier unterscheidet,<br />

ist nicht so viel, wie es oft<br />

scheint. Der <strong>Knast</strong> ist die große geniale<br />

Maschine, die das Wesentliche auf<br />

biologische Bedürfnisse reduziert.<br />

Nahrungsaufnahme und –entsorgung<br />

sind hervorragend organisiert. Mindestbewegung,<br />

bemessen am mitteleuropäischen<br />

Durchschnitt, berechnet in<br />

verbrannten Kalorien, wird vom Veranstalter<br />

rückhaltlos garantiert. Im<br />

Namen des Volkes schreiten die Verurteilten<br />

<strong>im</strong> Uhrzeigersinn über den Freistundenhof,<br />

täglich eine oder zwei<br />

Stunden, jahrauf jahrab. Schließlich<br />

sind wir ja keine Unmenschen. •<br />

Aus UE 2/1998<br />

Neu hier<br />

Festnahme, Gewahrsam, Gericht, <strong>Knast</strong>: ein tiefer Fall ins Uferlose<br />

Bis vor ein paar Stunden verläuft<br />

mein Leben in so genannten<br />

ordnungsgemäßen Bahnen. Ich habe<br />

Familie, Beruf, Freunde und einige<br />

Hobbies. Dann kommt der Moment, in<br />

dem zwei Polizisten in Zivil vor meiner<br />

Tür stehen, mir den Haftbefehl<br />

eröffnen und durch Anlegen der Handschellen<br />

den Weg in ein anderes Leben<br />

weisen. Ich komme zunächst ins Polizeigewahrsam,<br />

wo ich jegliches Zeitgefühl<br />

verliere, da ich mich neben meiner<br />

Brille und aller persönlichen Dinge<br />

Von Uwe H.<br />

auch meiner Armbanduhr entledigen<br />

muss. Im Unterbewusstsein läuft mein<br />

bisheriges Leben als Film ab.<br />

Mein Leben als Film<br />

Ich sehe meine Frau, meinen 16-<br />

jährigen Sohn, meine Eltern: gut, dass<br />

sie diese Schmach nicht mehr erleben<br />

müssen. Alles Mögliche geht mir<br />

durch den Kopf; warum habe ich mich<br />

nur in diese Situation gebracht? Dann<br />

werde ich zum Verhör gebracht.<br />

Mein Anwalt konnte nicht erreicht<br />

werden. Bei der Gelegenheit wird mir<br />

offeriert, dass ich ohnehin keinen<br />

benötige, da ich sowieso bald wieder<br />

bei meiner Familie sein könne. Erst <strong>im</strong><br />

<strong>Knast</strong> wird mir von anderen Inhaftierten<br />

gesagt, dass dies die alte und<br />

<strong>im</strong>mer wieder angewandte Masche der<br />

Polizei sei: einer spielt den netten<br />

Onkel, zuständig für das Einlullen des<br />

Opfers, einer hört nur zu, und der dritte<br />

m<strong>im</strong>t den harten Verhörspezialisten.<br />

Ich hätte es aus unzähligen schlechten<br />

Kr<strong>im</strong>is wissen müssen.


ULMER ECHO 2007 Ankunft & Alltägliches: Einfahren<br />

9<br />

Jetzt beginnt der Alptraum<br />

Nach dem Verhör wird mir klar,<br />

dass mich die Beamten gelinkt haben.<br />

Ich gestehe ohne Not eine Tat: in der<br />

Hoffnung, auf die Zusagen der Beamten<br />

bauen zu können und später nach<br />

Hause entlassen zu werden. Natürlich<br />

lassen die mich nicht gehen. Sie erzählen<br />

mir, es habe am bösen Staatsanwalt<br />

gelegen. Wie <strong>im</strong> Kino.<br />

Am nächsten Morgen werde ich<br />

dem Haftrichter vorgeführt, der mir<br />

den Haftbefehl eröffnet und mich wie<br />

befürchtet in die U–Haftanstalt einweist.<br />

Ein paar Stunden muss ich in<br />

der Gerichtszelle warten, bis mich der<br />

Transportbus gemeinsam mit anderen<br />

Leidensgenossen, in mein vorübergehendes<br />

Exil, die <strong>Ulmer</strong> Höh', bringt.<br />

Jetzt wird es grausig. Im <strong>Knast</strong><br />

angekommen werden wir gemeinsam<br />

in eine Wartezelle gesperrt. Dann wird<br />

mein Name aufgerufen. In der „Kammer“<br />

muss ich mich ausziehen. Nicht<br />

nur meine rückwärtige Körperöffnung<br />

wird auf unerlaubte, versteckte Dinge<br />

in Augenschein genommen, alle<br />

meine privaten Sachen werden zum x-<br />

ten Mal ebenfalls durchsucht. Nach<br />

dieser Aktion darf ich auf eigenen<br />

Wunsch mein privates Bündel Anziehklamotten<br />

wieder an mich nehmen.<br />

Nachdem die Beamten mein Handy,<br />

Schlüsselbund, Personalausweis und<br />

4,21 Euro Kleingeld vereinnahmt<br />

haben – 1.200 Euro wurden schon<br />

nach der Festnahme durch den Haftrichter<br />

beschlagnahmt – werde ich mit<br />

den üblichen Utensilien Decke, Bettzeug<br />

und Geschirr auf die Zugangsabteilung<br />

gebracht. Die Zellentür knallt<br />

hinter mir zu, und ich befinde mich mit<br />

vier Mann auf einer „Hütte“. Glücklicherweise<br />

treffe ich hier Leute, die mir<br />

dabei behilflich sind, mich in meiner<br />

neuen Umgebung zurechtzufinden.<br />

Was wird jetzt nur auf mich zukommen?<br />

In meiner Hilflosigkeit wende<br />

ich mich bei der Abendessenausgabe<br />

mit ein paar Fragen an den begleitenden<br />

Beamten. Statt einer vernünftigen<br />

Auskunft speist er mich mit einem völlig<br />

überflüssigen Spruch ab. Es ist<br />

mittlerweile 18.15 Uhr, Nachteinschluss.<br />

Der Albtraum geht weiter ...<br />

Hotelvollzug? Nur geträumt<br />

Natürlich hatte ich mir infolge<br />

unterschiedlicher Medienberichte ein<br />

best<strong>im</strong>mtes Bild vom <strong>Knast</strong> gemacht –<br />

der wird ja <strong>im</strong>mer so dargestellt, als<br />

würden die Gefangenen mit Hotelservice<br />

verwöhnt. Eine Illusion, die total<br />

an der Realität vorbei geht.<br />

Die Zellentür bleibt bis zum nächsten<br />

Morgen geschlossen. Grauen<br />

schleicht sich bei mir ein, als mir<br />

bewusst wird, dass sich mein Leben in<br />

den nächsten Monaten, vielleicht sogar<br />

Jahren, auf einer Fläche von 8,5 qm<br />

abspielen wird, die eventuell sogar<br />

geteilt mit einem anderen Häftling.<br />

Übernächtigt werde ich um 06.15<br />

Uhr durch Schlüsselgerassel aus einem<br />

Traum gerissen. Ich soll das Frühstück<br />

entgegen nehmen. Mit 4 Scheiben Brot<br />

und einem Kännchen Muckefuck soll<br />

es mir gelingen, meinen Hunger zu<br />

stillen. Auf einem Stuhl stehend<br />

schaue ich durch die min<strong>im</strong>ale Wandöffnung,<br />

die sich Fenster nennt, auf<br />

einen Hof, auf dem soeben unter lautem<br />

Getöse Lieferantenfahrzeuge entladen<br />

werden. Es war eine schl<strong>im</strong>me<br />

Nacht. Wie viele werden noch folgen?<br />

Drei endlose Wochen verbringe ich<br />

auf dieser Abteilung, ohne Radio und<br />

ohne TV-Gerät** liege ich tagelang<br />

apathisch auf einer 8 cm dicken<br />

Schaumstoffmatratze und befürchte,<br />

paranoid zu werden. Außer der täglichen<br />

Freistunde auf dem Hof öffnet<br />

sich die Zellentür nur dre<strong>im</strong>al täglich<br />

ganz kurz zu den Mahlzeiten. Ich versuche<br />

einige Male Beamten in freundlichem<br />

Ton Fragen zu stellen, die<br />

abrupt unterbrochen werden mit dem<br />

Hinweis „Stellen Sie einen Antrag!“<br />

Weshalb soll ich Anträge stellen, wenn<br />

die ohnehin nicht bearbeitet werden?<br />

Oder wie ist es zu erklären, dass ich<br />

erst 3 Wochen nach erster Antragstellung<br />

und an-schließendem zwe<strong>im</strong>aligen<br />

Anmahnen die erbetenen Briefmarken<br />

erhielt, um meiner Frau endlich<br />

eine postalische Nachricht zukommen<br />

zu lassen.<br />

„Inhaftiert – was tun?“<br />

Gäbe es nicht diesen Wegweiser,<br />

der von den Redakteuren des Gefangenenmagazins<br />

ULMER ECHO erarbeitet<br />

wird, ich wäre schier verzweifelt.<br />

Nach und nach finde ich mich in den<br />

<strong>Alltag</strong> hier ein, und lerne eine Welt<br />

kennen, in der einfach alles anders ist<br />

als in der, in der ich vorher leben durfte.<br />

Wieviel einfacher könnte es einem<br />

gemacht werden, sich in dieser Umgebung<br />

zurecht zu finden, wenn die Bediensteten<br />

etwas mehr auf die Bedürfnisse<br />

der Neuankömmlinge eingehen<br />

würden!<br />

Mein vorläufiges Martyrium endet<br />

nach über 3 Wochen auf der Aufnahmeabteilung<br />

mit der Überführung auf<br />

eine andere Abteilung in eine „moderne“<br />

Zelle mit freistehendem Schrank<br />

und entsprechendem Mobilar, während<br />

ich auf der Zugangsabteilung meine<br />

Habseligkeiten nur in einem gemauerten<br />

Fach ablegen konnte. •<br />

* Aus UE 2/1998;<br />

aktualisiert [uz/ws] 2006<br />

** Heute sind auf allen Zellen der Zugangsabteilung<br />

TV-Geräte vorhanden.


10 Ankunft & Alltägliches: Zellenleben<br />

ULMER ECHO 2007<br />

23 Stunden täglich auf 8 Quadratmetern<br />

Angleichung der Lebensverhältnisse: an welches „Draußen“?<br />

Gemäß dem am 1. Januar 1977<br />

in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz<br />

best<strong>im</strong>mt der § 2 als Vollzugsziel,<br />

dass der Gefangene befähigt<br />

werden soll, künftig in sozialer Verantwortung<br />

ein Leben ohne Straftaten zu<br />

führen. Um das Vollzugsziel jedoch<br />

erreichen zu können, soll das Leben <strong>im</strong><br />

Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen<br />

draußen soweit als möglich<br />

angeglichen werden. Ich frage mich<br />

nun: welchem „Draußen?“<br />

Erfreulicherweise gibt es den letzten<br />

Jahren frischen Wind in den kargen<br />

Zellen: nach und nach neue Fußböden,<br />

neue Anstriche, hier und da neues<br />

Mobiliar, zuletzt sogar Fernsehgeräte<br />

für die ärmsten der Gefangenen, die<br />

auf der Zugangsabteilung verkümmern.<br />

Bis vor ein paar Jahren glichen<br />

viele Zellen dem Schlachtfeld eines<br />

Bürgerkrieges. Ein intakter Spind war<br />

da schon etwas Außergewöhnliches.<br />

Von Hermann S. *<br />

Einblick in eine Zelle<br />

Ein normaler Haftraum, <strong>im</strong> Volksmund<br />

auch Zelle genannt, misst in seinem<br />

Grundriss etwa 2 x 4 m (8 qm).<br />

Vergleichsweise bietet sich einem<br />

Schäferhund <strong>im</strong> Zwinger mehr gesetzlich<br />

vorgeschriebene Bewegungsfreiheit.<br />

An der hinteren Wand dieses<br />

„Zwingers“ öffnet sich zur Hofseite in<br />

einer Höhe von rd. 2 m ein rechteckiges<br />

Loch, nennen wir es mal Fenster.<br />

Es lässt mit seinen Ausmaßen von 1 x<br />

0,70 m zwar Tageslicht in den Raum,<br />

um jedoch einmal das Grau der Außenmauer<br />

erspähen zu können, bedarf es<br />

einiger Kl<strong>im</strong>mzüge mit Hilfe der Toilettenschüssel,<br />

die praktischerweise<br />

unterhalb der „Sehschlitze“ installiert<br />

ist. Eingemietet bin ich hier mit fließend<br />

kaltem Wasser, das neben der<br />

Toilette einem kleinen funktionierenden<br />

Wasserhahn entspringt. Zur Normausstattung<br />

dieser Herberge bietet sich<br />

dem Bewohner weiterhin ein stählernes<br />

Bettgestell, ausstaffiert mit einer 8<br />

cm dicken Schaumstoffunterlage, die<br />

be<strong>im</strong> morgendlichen Erwachen Rükken<br />

und Gelenke spürbar werden lässt.<br />

Weiterhin setzt sich das Zellenmobiliar<br />

zusammen aus Stuhl, Tischchen und<br />

einem Schrank, der meine armselige<br />

Habe nebst geringem Lebensmittelbestand<br />

aufnehmen kann. Das generöse<br />

Raumangebot wird durch einen kleinen<br />

Heizkörper und durch die Tatsache,<br />

dass die Tür sich nach innen öffnet,<br />

weiter eingeschränkt.<br />

Elektrogeräte<br />

setzen Geld voraus<br />

Eine 18-Watt-Weißlichtneonröhre<br />

ist eher als Fernsehleuchte zu gebrauchen,<br />

als dass sie ausreichend Licht<br />

spendet, um ohne Sehschaden meine<br />

Lehrvordrucke der Fernuniversität<br />

Hagen studieren zu können. Der überwiegende<br />

Teil meiner Leidensgenossen<br />

schützt sich vor den Strahlen dieser<br />

Sparlampe mittels abenteuerlicher<br />

Blendenkonstruktionen. Eine einsame<br />

Steckdose garantiert den permanenten<br />

Einmannzelle<br />

Umsatz unseres Elektro–Shops <strong>im</strong><br />

Bereich Dreifachsteckdosen. Auch die<br />

weiteren erlaubten Stromverbraucher<br />

müssen aus eigenem Geld, von dem<br />

viele hier rein gar nichts besitzen,<br />

erworben werden: eine kleine Halogen-Tischlampe,<br />

Kaffeemaschine, Radiorecorder<br />

und TV–Gerät. Mit viel<br />

Glück und dank Intervention meines<br />

Anwaltes darf ich das beschriebene<br />

Raumangebot alleine nutzen.<br />

Zu Zweit<br />

in einem Einzelwohnklo<br />

Die weniger Glücklichen leben in<br />

einer „Notgemeinschaft“. Diese Grausamkeit<br />

ist die Belegung einer Einzelzelle<br />

mit zwei Inhaftierten. Das bedeutet,<br />

dass das Stahlbett um ein weiteres<br />

Miefkörbchen aufgestockt wird und<br />

sich die Bewegungsfreiheit auf der<br />

beschriebenen Grundfläche durch<br />

Zugabe eines weiteren Spindes nebst<br />

Stuhl auf ein Min<strong>im</strong>um verringert.<br />

Diese überwiegend anzutreffende<br />

Doppelbelegung eines Einzelhaftraums<br />

deklariert die Anstalt als Not-<br />

Gemeinschaft.<br />

Die Menschenwürde bleibt auf der<br />

Strecke Eine besondere Härte trifft die<br />

Bewohner einer weiteren Version<br />

urbaner Hochkultur: es gibt nämlich<br />

auch Doppelzellen. Dafür wurde die<br />

Zwischenwand zwischen zwei Normalzellen<br />

heraus gebrochen und eine<br />

der Türen zugemauert. Das Platzangebot<br />

verdoppelt sich dadurch und<br />

erweitert sich sogar um die Grundfläche<br />

der Trennmauer. Dafür reduziert<br />

sich der Platz auf der Toilettenschüssel,<br />

denn in diesem Falle dürfen drei<br />

und nicht selten sogar 4 Personen dort<br />

Platz nehmen, <strong>im</strong> Wechsel natürlich.<br />

Durch Hinzugabe der weiteren erforderlichen<br />

Betten und Schränke fühlen<br />

sich hier Eingeschlossene langsam<br />

aber sicher so wohl, wie Hühner in<br />

einer Legebatterie. Falle ich als Inhaftierter<br />

etwa durch das Raster derer,<br />

denen die Verfassung Menschenwürde<br />

garantiert? •<br />

* Aus UE 1/1999, aktualisiert und<br />

überarbeitet 2005 [wm/ws]


ULMER ECHO 2007<br />

Ankunft & Alltägliches: Zellenleben<br />

11<br />

0 bis 24 Uhr: ein Tag in einer Notgemeinschaft<br />

Einzelzelle doppelt belegt – Gemeinschaft in Not<br />

Notgemeinschaft – ein salbungsvolles<br />

Wort mit abschreckender<br />

Wirkung für uns Inhaftierte.<br />

Es bedeutet mehr Not als<br />

Gemeinschaft. Ich beschreibe mal, wie<br />

es ist, mit einem Kollegen auf 8 qm<br />

auf einer solchen Hütte zusammengepfercht<br />

zu sein und welche Überlebensstrategie<br />

mir geholfen hat, diesen<br />

Alptraum zu überstehen. Er beginnt<br />

um 6 Uhr<br />

mit der Frühstücksausgabe. Der<br />

Tag fängt eigentlich gut an, da ich erstmals<br />

ausgeschlafen bin. Während ich<br />

meinen lauwarmen Muckefuck schlürfe,<br />

lustlos an einer mit Marmelade bestrichenen<br />

Brotstulle knabbere, schlägt<br />

die St<strong>im</strong>mung postwendend um. Mein<br />

Zellengenosse verschwindet hinter der<br />

kleinen Schamwand und zaubert aus<br />

reinem Sauerstoff ein übel stinkendes<br />

Luftgemisch. Der „Wohlgeruch“ verdauter<br />

Mahlzeiten verteilt sich gleichmäßig<br />

in unserem Wohnklo. Um<br />

8 Uhr<br />

plane ich die erste „Kippe“ zu drehen.<br />

Oh Gott, nur noch ein angebrochener<br />

Pack Halfzware. Wie soll es<br />

gelingen, mit dem kargen Rest weiterhin<br />

meine Lunge zu teeren? Der nächste<br />

Einkauf ist erst in 10 Tagen und<br />

mein Untermieter tauscht seinen<br />

Halfzware ständig, damit er sich ein<br />

„Pfeifchen“ stopfen kann. Ohne Skrupel<br />

baggert er mich wieder an: „Ich<br />

dreh’ mir auch noch eine, ok?“ Lieber<br />

Gott, lass mich hier nicht auch noch<br />

gewalttätig werden! Denn gegen<br />

11 Uhr<br />

komme ich von meinem Besuch<br />

zurück und als ich mir den Rest Lippenstift<br />

meiner Petra abwasche, überkommt<br />

mich ein Brechreiz: hat doch<br />

mein Spannmann das Waschbecken<br />

tatsächlich mit der Toilettenschüssel<br />

verwechselt. Kleine gelbe Spritzflekken<br />

verraten die Ferkelei. Jetzt geht<br />

mir langsam der Hut hoch. Ich bin so<br />

Von Wolfgang T.<br />

sauer, dass es mir echt schwer fällt,<br />

den Stress zwischen uns auf ein Wortgefecht<br />

zu begrenzen. Um<br />

12 Uhr 15<br />

servieren mir drei Büßer in übergroßen<br />

weißen Arbeitsjacken Hawaiigulasch.<br />

Ja, muss außer meiner Psyche<br />

auch noch mein Magen gequält werden?<br />

Dann kommt noch ein Trottel<br />

vorbei und fragt mich: „Hast Du zufällig<br />

einen Porno für mich?“ Liebste<br />

Petra ... Krampfhaft versuche ich zu<br />

verhindern, dass mir ein paar Tränen<br />

laufen, nicht aus Wut, sondern aus Verzweiflung<br />

in meiner Machtlosigkeit.<br />

14 Uhr<br />

Freistundenzeit. Es nieselt zwar,<br />

aber ich will raus aus der Hundehütte,<br />

frische Luft schnappen, hören, was die<br />

Kumpels zu berichten haben. Ein Neuankömmling<br />

sucht Schutz bei mir und<br />

fragt mich verzweifelt, wie er mit seinem<br />

Spannmann und den Beamten<br />

klar kommen könne.<br />

Notgemeinschaft<br />

15 Uhr 30<br />

zeigt die Digitalanzeige meines<br />

kleinen Funkweckers aus dem anstaltseigenen<br />

Elektro–Shop, als ich durchnässt,<br />

aber mit Sauerstoff aufgetankt,<br />

wieder unser Wohnklo betrete – für die<br />

nächsten 23 Stunden. Der Spannmann,<br />

der den täglichen einstündigen Aufenthalt<br />

unter freiem H<strong>im</strong>mel meidet wie<br />

der Teufel das Weihwasser, hat<br />

zwischenzeitig Kaffee gekocht, natürlich<br />

aus meinem Fundus. Die Melitta,<br />

erst 3 Wochen alt und ausgestattet mit<br />

Filtertüten 104, hat noch geschätzte<br />

vier Dienstjahre vor sich und wird von<br />

mir gepflegt wie mein Golf II, der erst<br />

mit 194.000 km seinen Geist aufgab.<br />

Da passiert das Unfassbare: vielleicht<br />

vom vielen „Pfeifchen stopfen“ leicht<br />

zittrig geworden, lässt der Knallkopf<br />

die Kanne auf den Boden fallen. Sechs<br />

Tassen Eduscho (Gastro-Qualität und<br />

Herzstück von Petras Geburtstagspaket<br />

an mich), vermischen sich mit<br />

Glassplittern und geben dem verschmutzen<br />

Zellenboden einen ganz<br />

neuen Anstrich. Die Kommunikation<br />

zwischen Spannmann und mir artet in<br />

Lautstärke und Sch<strong>im</strong>pfworten derart<br />

aus, dass drei Minuten später eine<br />

Abordnung in Grün den Rahmen unserer<br />

Zellentür mehr als ausfüllt. Von<br />

acht Händen nicht gerade engelgleich<br />

getragen finde ich mich kurze Zeit später<br />

<strong>im</strong> Bunker wieder. Die Zeit scheint<br />

still zu stehen, bis sich gegen<br />

17 Uhr 45<br />

die doppelt verriegelte Eisentür der<br />

B–Zelle öffnet und mich ein bis dahin<br />

unbekannter Zivilist von zwei Schlüsselknechten<br />

eskortiert aus meinem<br />

Mauseloch befreit. Als Dachdecker hat<br />

er in Staatsdiensten die Aufgabe, die<br />

angeknackte Psyche der Vollzugsteilnehmer<br />

zu reparieren. Schnell erkennt<br />

er, nachdem er mir tief in die Augen<br />

schaut, dass ich nicht der bin, für den<br />

mich die Mitglieder der Schlüssel<br />

besitzenden Trachtengruppe gehalten<br />

hatten. Flugs steuern wir wieder mein<br />

Wohnklo an. Und siehe da: mein<br />

Spannmann hat sich in Luft aufgelöst!<br />

Er darf ab sofort einen anderen Kollegen<br />

gängeln. Ich kuschle mich an mein<br />

Kopfkissen, streichle das Foto mit<br />

Petras Konterfei und heule mich erst<br />

mal richtig aus. Ich bin einfach nur<br />

happy. Heute verzichte ich auf<br />

Umschluss.


12 Ankunft & Alltägliches: Freistunde<br />

ULMER ECHO 2007<br />

20 Uhr 30<br />

Die Tür geht auf. Oh Gott, bitte<br />

nicht! Ein abgemagerter Drogist, 185<br />

groß und augenscheinlich kaum 45 kg<br />

schwer soll ab sofort mein neuer Weggefährte<br />

sein. Direkt von der Aufnahmeabteilung<br />

kommend, ist seine<br />

Methadonbehandlung vorbei, sein Turkey<br />

offensichtlich noch nicht richtig.<br />

„Ich muss mir einen Knaller setzen,<br />

gib mir was.“ „Tut mir leid, das ist<br />

nicht meine Abteilung.“ Er riecht,<br />

doch nach einem Hinweis (Dem H<strong>im</strong>mel<br />

sei Dank!) wäscht er sich, und ich<br />

gebe ihm ein paar von meinen Klamotten.<br />

Ich mache ihm etwas zu essen;<br />

danach lösche ich das Licht und wir<br />

legen uns hin.<br />

21 Uhr 30<br />

In Gedanken bin ich bei Petra. „Ich<br />

liebe Dich und vermisse Dich so<br />

sehr,“spreche ich leise zu dem Foto an<br />

der Wand. Plötzlich höre ich ihn würgen.<br />

Er schafft es nicht mehr bis zur<br />

Schüssel. Das Essen verteilt sich vor<br />

meinem Bett. „Immer locker bleiben“<br />

denke ich, und auch mein Magen meldet<br />

sich durch den Geruch zu Wort.<br />

22 Uhr 30<br />

Ich habe das Erbrochene meines<br />

neuen Schnuffis weggewischt, weil es<br />

ihm einfach nur dreckig geht. Dann<br />

falte ich meine Hände und bete zu<br />

Gott, dass er mir bald einen Arbeitsplatz<br />

bescheren möge, auf den ich<br />

schon länger als fünf Monate warte.<br />

Mein Traum führt mich in fast unerreichbare<br />

Sphären, ich träume von der<br />

Untersuchungshaftvollzugsordnung,<br />

die besagt, dass jedem U-Gefangenen<br />

eine Einzelzelle zusteht.<br />

6 Uhr<br />

Ein Schlüsselknecht schließt die<br />

Tür wieder auf. Prompt steigt mir wieder<br />

der säuerliche Duft aus erbrochener<br />

Salami ins Hirn. Ich schaue auf die<br />

Schaumstoffunterlage des Etagenbetts<br />

unter mir und weiß blitzartig wieder,<br />

wo ich mich befinde: in einer Notgemeinschaft<br />

<strong>im</strong> Hotel mit Gitterblick. •<br />

* Aus UE 4/1998; aktualisiert [wm/ws]<br />

Freistunde, Umschluss und Einkauf<br />

Begrenzte Freiheiten <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Die Freistunde<br />

Eine Stunde unter freiem H<strong>im</strong>mel:Das<br />

Verfassungsgericht hat uns<br />

Inhaftierten das Recht zugestanden,<br />

täglich eine Stunde frische, ungesiebte<br />

Luft zu atmen. Daran ergötzen wir uns<br />

besonders an den Wochenenden, und<br />

auch für unsere Leidensgenossen in<br />

abgeschirmter Einzelhaft ist das die<br />

einzige Möglichkeit, nach 23 Stunden<br />

Zelle seinen Bewegungsapparat in<br />

Gang zu setzen. Trotz aller Rechte und<br />

Garantien liegt es <strong>im</strong> Ermessen des<br />

zuständigen Beamten, die Freistunde<br />

wegen schlechten Wetters abzusagen.<br />

Im negativsten Fall kann es vorkommen,<br />

dass sich außer einem 24-stündigen<br />

Zellenaufenthalt einen ganzen Tag<br />

lang nichts tut. Was suggerieren doch<br />

die Hochglanzprospekte des Justizministeriums:<br />

hochmoderne Sportanlagen,<br />

gepflegte Grünanlagen, Sauberkeit<br />

auf allen Abteilungen, bestausgestattete<br />

Duschkabinen und freundliche<br />

Gesichter der Bediensteten. Man<br />

könnte glauben, wir befänden uns in<br />

einem Steigenberger Vorzeigeobjekt.<br />

Kontakt tut gut: Umschluss<br />

Nach langem Ausharren "auf Zelle"<br />

sehnt sich der gemeine Gefangene<br />

danach, dass der Uhrzeiger 18.30<br />

zeigt: 90 Minuten Umschluss! Endlich<br />

wieder die Möglichkeit innerhalb der<br />

Abteilungen mit seinen Kumpels bei<br />

Kaffee, Tee, manches Mal auch mit<br />

einem "Aufgesetzten", den Tag be<strong>im</strong><br />

Zellennachbarn ausklingen zu lassen.<br />

Be<strong>im</strong> Erzählen von wilden Stories aus<br />

vergangenen Tagen versucht einer den<br />

anderen zu übertreffen und es kommt<br />

langsam St<strong>im</strong>mung auf. Poker, Skat<br />

oder Mau Mau lässt die öden vergangenen<br />

23 Stunden vorübergehend vergessen<br />

und es werden gemeinsame<br />

Zukunftspläne geschmiedet. Bis zur<br />

Umsetzung dauert es meist noch 5, 6<br />

oder 7 Jahre, aber wir leben hier<br />

schließlich von der Hoffnung, und die<br />

stirbt bekanntlich zuletzt. Ausgeschlossen<br />

von diesen abendlichen<br />

Umschlussparties sind aggressive<br />

Vollzugsteilnehmer, die auch in den<br />

frühen Abendstunden, in besonders<br />

gesicherten Zellen, alleine ihren Frust<br />

schieben dürfen.<br />

Freizeit?<br />

Das Freizeitangebot in der JVA<br />

Düsseldorf ist zur Zeit recht dürftig.<br />

Jeder Gefangene hat die Möglichkeiten<br />

an verschiedenen Angebotenen<br />

teilzunehmen. Die Angebote findet ihr<br />

natürlich in dieser Ausgabe, bei Hinweise<br />

und Ratgeber. Manche dieser<br />

Angebote haben eine sehr lange Wartezeit.<br />

Außer diese Angebote können die<br />

Gefangene von C- Flügel an den<br />

Tagen, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag<br />

in den Freizeitraum 12. Dieses<br />

Angebot ist allerdings auf den C-Flügel<br />

beschränkt. An welchen Tagen,<br />

welche Abteilung von C-Flügel in den<br />

Freizeitraum darf, sagt euch der Abteilungsbeamte.<br />

Die Erwartungen in diesen<br />

Raum sollten nicht zu groß sein, da<br />

außer Stühle und Tische nichts zur Verfügung<br />

stehen. Man kann dieses Angebot<br />

als ein großen Umschluss mit der<br />

gesamten Abteilung in diesen Raum<br />

sehen. Getränke, Karten oder Spiele<br />

muss man selbst mitbringen. Der Aufenthalt<br />

hier beträgt ca. zwei Stunden<br />

und kann auch nicht vorher abgebrochen<br />

werden. •<br />

* Auszug aus „Freistunde, Umschluss,<br />

Einkauf", UE 1/2000, überarbeitet [uz]


ULMER ECHO 2007<br />

Das Gefängnis ist von seinem<br />

Wesen her eine geschlossene<br />

Welt, sowohl <strong>im</strong> echten als auch <strong>im</strong><br />

übertragenen Sinne des Wortes. Etliche<br />

Türen und Tore müssen aufgeschlossen<br />

werden, um zu einem in<br />

einer Zelle eingeschlossenen Mitmenschen<br />

zu gelangen. Gerade weil der<br />

gefangene Mitmensch eingeschlossen<br />

ist, wird er aus der Gesellschaft ausgeschlossen.<br />

In dieser Welt<br />

bedeutet der Schlüssel<br />

etwas ganz Besonderes.<br />

Neben dem üblichen<br />

„Knochenschlüssel“ , mit<br />

dem eine Flur– und Zellentür<br />

geöffnet werden<br />

kann, gibt es eine Reihe<br />

Schlüsselfiguren, die den<br />

Krach der eisernen<br />

Schlüssel vergessen lassen<br />

können. Diese Schlüsselfiguren<br />

sind leise, bringen<br />

eine Brise Hoffnung,<br />

Anerkennung oder gar frische<br />

Luft in den muffigen <strong>Alltag</strong> des<br />

Gefängnisses. Die MitarbeiterInnen<br />

(ob ehrenamtlich oder hauptamtlich)<br />

des Gefängnisvereins zählen zu diesen<br />

Schlüsselfiguren. Warum? Das kann<br />

an Hand einfacher Fakten dargestellt<br />

werden.<br />

Nur sehr wenige sitzen<br />

für schwere Delikte<br />

Aufgabe des Strafvollzuges ist es,<br />

Menschen auf ein straffreies Leben<br />

vorzubereiten und auch die Allgemeinheit<br />

vor weiteren Straftaten zu schützen,<br />

wie es <strong>im</strong> § 2 Strafvollzugsgesetz<br />

geschrieben steht.<br />

Die spektakulären Straftaten, die zu<br />

Recht die Öffentlichkeit in den letzten<br />

Jahren zutiefst erschüttert hat, haben<br />

zur Folge, dass nach mehr Einschluss,<br />

nach mehr Kontrolle, sogar nach<br />

einem häufigeren endgültigen Ausschluss<br />

aus der Gesellschaft gerufen<br />

wird.<br />

Vergessen wird dabei, dass die<br />

Anzahl der StraftäterInnen, die wegen<br />

Ankunft & Alltägliches: Gefängnisverein<br />

Laute Schlüssel und leise Schlüsselfiguren<br />

MitarbeiterInnen des Gefängnisvereins schaffen menschliche Freiräume<br />

Von Anne-Marie Klopp *<br />

eines schweren Deliktes einsitzen, sehr<br />

gering ist. Im Jahre 2002 betrug in<br />

Nordrhein–Westfalen der Prozentsatz<br />

der Menschen, die wegen Tötungsdelikten<br />

in der Polizei-Kr<strong>im</strong>inalstatistik<br />

erfasst worden sind, 0,03 %; bei Vergewaltigungen<br />

betrug der Prozentsatz<br />

0,1 % (Quelle: Polizei-Kr<strong>im</strong>inalstatistik,<br />

NRW 2002). Dennoch üben diese<br />

Straftaten großen Einfluss auf die Fortentwicklung<br />

der Strafvollzugspolitik<br />

aus, eine Politik, deren Auswirkungen<br />

alle gefangenen Mitmenschen betrifft.<br />

Repression ist wieder „in“. Zellentüren<br />

bleiben länger zu. Der Kontakt zur<br />

Außenwelt wird strenger gehandhabt.<br />

Die Liste ließe sich verlängern. Sicherheit<br />

wird <strong>im</strong>mer vorrangiger. Der<br />

Mensch mit all dem, was ihn ausmacht,<br />

rückt <strong>im</strong>mer mehr in den<br />

Hintergrund.<br />

Menschen dürfen<br />

Menschen sein<br />

Die Mitarbeiterin, der Mitarbeiter<br />

des Gefängnisvereins begegnet dem<br />

gefangenen Mitmenschen nicht als<br />

einem Inhaftierten unter anderen<br />

Inhaftierten. Vielmehr begegnet sie<br />

oder er ihm als einem einzigartigen<br />

Menschen, der Gehör für seine ganz<br />

persönliche Situation sucht. Sie, er<br />

bringt ein Stück Normalität, <strong>Alltag</strong> in<br />

das Gefängnis. Sie, er hat keinen anderen<br />

Auftrag zu erfüllen, als einen<br />

gefangenen Mitmenschen für eine<br />

13<br />

gewisse Zeit auf seinem Lebensweg zu<br />

begleiten; dies mit all den Höhen und<br />

Tiefen, die ein solcher Lebensweg<br />

beinhaltet. Der inhaftierte Mitmensch<br />

wird nicht verwaltet. Er darf entscheiden.<br />

Er kann selber den Rhythmus der<br />

Begegnungen und Gespräche best<strong>im</strong>men.<br />

Er darf Mensch sein. Dazu<br />

kommt, dass das gesprochene Wort<br />

vertraulich gehandhabt wird. Die Mitarbeiterin,<br />

der Mitarbeiter<br />

ist keine Amtsperson,<br />

die mit Vorsicht<br />

oder gar Skepsis<br />

betrachtet werden<br />

muss.<br />

Dadurch wird<br />

Beziehungsarbeit<br />

möglich. Wo Repression<br />

die Überhand zu<br />

gewinnen droht, ist<br />

die Schaffung freier<br />

Räume in der<br />

geschlossenen Welt<br />

des Gefängnisses<br />

mehr denn jezu gewinnen droht, ist die<br />

Schaffung freier Räume in der<br />

geschlossenen Welt des Gefängnisses<br />

mehr denn je notwendig. Darin besteht<br />

die Aufgabe des Kath. Gefängnisvereins<br />

ganz besonders. Darin liegt auch<br />

seine Stärke. •<br />

Anne-Marie Klopp ist Kr<strong>im</strong>inologin und Mitarbeiterin<br />

des Kath. Gefängnisvereins


14 Kommunikation: Besuch<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Mittwochmorgen, 6 Uhr. Wekken<br />

und Frühstücksausgabe.<br />

Aber mit welcher Überraschung wartet<br />

„mein“ Schließer heute sonst noch<br />

auf? Jaaa, ein kleiner Zettel, der mir<br />

außer Weißbrot und lauwarmem Mukkefuck<br />

in die Hand gedrückt wird,<br />

kündigt große Freude an: um 11.30<br />

soll mein Sonnenschein erscheinen.<br />

Vier Wochen sind schließlich vergangen,<br />

seit ich meine Frau in den Arm<br />

nehmen durfte und gleich wird es wieder<br />

so weit sein. Endlich, um 11 Uhr,<br />

begleitet mich ein Bediensteter mit<br />

freundlicher Geste und überraschend<br />

guter Laune zum Besuchsraum.<br />

Die Leibesvisite<br />

kommt vor dem Besuch<br />

Nach dem Öffnen und Schließen<br />

etlicher Eisentüren komme ich endlich<br />

in der Wartezelle an, in der sich bereits<br />

sieben andere Vollzugsgenossen befinden<br />

und auf Einlass in den Gemeinschaftsbesuchsraum<br />

warten. Einer hat<br />

sich besonders schick herausgeputzt,<br />

nur mit Jeans und Unterhemd bekleidet,<br />

den Hals und die übergroßen<br />

Bizeps mit unzähligen Tätowierungen<br />

dekoriert, hofft er, von allen Anwesenden<br />

bewundert zu werden. Plötzlich<br />

schallt es durch die halb geöffnete Tür:<br />

„Müller, links rein! Taschen entleeren<br />

und die Beine bitte auseinander!“ Aus<br />

allen Träumen gerissen, wie wohl die<br />

nächsten 45 Minuten verlaufen, werde<br />

Endlich Besuch!<br />

Menschen von draußen sind Licht <strong>im</strong> Vollzugsdunkel<br />

Besuchsraum für U-Gefangene<br />

Von Wolfgang M. *<br />

ich wieder in die Wirklichkeit zurück<br />

geholt. Die Taschenfutter meiner Jeans<br />

herausgezogen stehe ich da mit ausgestreckten<br />

Armen und Beinen und lasse<br />

mich nach unerlaubten Utensilien, die<br />

ich vielleicht meiner Petra überreichen<br />

könnte, durchsuchen. „Den Gang entlang<br />

zum Besucherraum,“ weist mir<br />

der Bedienstete barsch den Weg<br />

schnurstracks in die Arme meiner<br />

Frau.<br />

Wiedersehen mit<br />

Nebengeräuschen<br />

Nach einer herzlichen<br />

Umarmung holt uns flugs<br />

der <strong>Alltag</strong> ein und aktuelle<br />

Probleme aus dem familiären<br />

Umfeld werden vorrangig<br />

besprochen. Plötzlich<br />

weist mich Petra auf<br />

unseren<br />

Nebentisch<br />

hin, an dem<br />

sich zwei<br />

Verliebte unbeobachtet<br />

fühlen und intensiven<br />

Körperkontakt suchen.<br />

Meine Augen suchen den<br />

Aufsichtsbeamten. Der<br />

Tisch ist gerade mal<br />

unbesetzt. Doch plötzlich,<br />

wie von Geistern<br />

gerufen, füllt die Aufsichtsperson<br />

den Türrahmen<br />

aus und steuert<br />

gezielt auf die Turteltäubchen<br />

zu, denen es egal ist,<br />

dass <strong>im</strong> Raum spielende<br />

Kinder beschämt jede<br />

Gelegenheit nutzen, die<br />

erotischen Spielereien zu<br />

beobachten. Abrupt muss<br />

die langhaarige Schwarze wieder auf<br />

der harten Sitzfläche der <strong>Knast</strong>bestuhlung<br />

Platz nehmen. Der Blick auf<br />

meine Armbanduhr erinnert mich<br />

daran, nur noch ca. fünf Minuten die<br />

Hände meiner Frau umschließen zu<br />

dürfen, bevor wieder 14 endlose Tage<br />

und Nächte bis zum nächsten gemeinsamen<br />

Zusammentreffen vergehen.<br />

Freundlichkeit, (k)ein Fremdwort<br />

<strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Nanu, die Uhrzeiger der Swatch<br />

unserer Respektperson in grüner Landestracht<br />

scheinen still zu stehen, wir<br />

befinden uns bereits mit 15 Minuten<br />

<strong>im</strong> „Soll“. Da erinnere ich mich. Die<br />

heutige Aufsichtsperson begleitete<br />

mich vor wenigen Wochen auf dem<br />

beschwerlichen Weg von meiner Zelle<br />

bis hin zum Besucherraum. Dieser<br />

schier endlose Gang ist je nach St<strong>im</strong>mungslage<br />

der zufällig vorbeikommenden<br />

Schlüsselträger durch Öffnen<br />

der fünf Eisentüren normalerweise in<br />

20 bis 30 Minuten zu bewältigen. Dieses<br />

mal geleitete mich „mein Freund,<br />

der Schließer“ jedoch staufrei durch<br />

die unterirdische Tunnelröhre, so dass<br />

ich bereits nach<br />

4 Minuten mein<br />

Ziel, den Besucherraum<br />

<strong>im</strong> 2.<br />

Stock des unserem<br />

Hafthaus<br />

gegenüberliegenden<br />

Gebäudes<br />

(E-Flügel),<br />

er-reichte. Vielleicht<br />

mag auch<br />

die bevorstehende<br />

Pensionierung<br />

unserem<br />

heutigen<br />

Ordnungshüter<br />

den Kick gegeben<br />

haben die<br />

auf 45 Minuten<br />

begrenzte<br />

Besuchszeit um<br />

unglaubliche<br />

30 Minuten zu verlängern. Jedenfalls<br />

ist mir heute bestätigt worden, dass es<br />

„auf der Ulm“ noch Schließer mit Herz<br />

gibt. •<br />

* Nach einem Artikel aus UE 4/1996;<br />

Überarbeitung [ws]<br />

Flur zu den Besuchsräumen


ULMER ECHO 2007<br />

Kommunikation: Telefonieren<br />

Besuchsregelung auf der <strong>Ulmer</strong> Höh´<br />

Gesetzlich haben Gefangene<br />

Recht auf 60 Minuten Besuch<br />

pro Monat. Die Besuchsregelung der<br />

JVA Düsseldorf ist etwas großzügiger.<br />

Inhaftierte, die auf der <strong>Ulmer</strong> Höh´<br />

einsitzen, dürfen alle 14 Tage 45<br />

Minuten lang ihre sozialen Bindungen<br />

zu Ehefrauen, Kindern oder Verwandten<br />

und Freunden pflegen. Die Besucher<br />

von Untersuchungshäftlingen<br />

benötigen für jeden Besuchstermin<br />

eine Genehmigung des zuständigen<br />

Haftrichters. Während Strafgefangene<br />

die alltäglichen Probleme mit ihren<br />

Angehörigen <strong>im</strong> Gemeinschaftsbesucherraum<br />

diskutieren können, unterliegen<br />

die Gespräche der Untersuchungsgefangenen<br />

einer akustischen Überwachung<br />

durch die aufsichtsführenden<br />

Beamten. Es liegt <strong>im</strong> Ermessen unserer<br />

Aufpasser, die Besuchszeit auf 1<br />

Stunde auszudehnen, was erfreulicherweise<br />

oft praktiziert wird. Die zu<br />

Besuch kommenden Personen müssen<br />

alle Habseligkeiten einschließen und<br />

sich einer Leibesvisitation unterziehen.<br />

Mitbringsel in Form von Tabak,<br />

Schokolade oder Getränke können<br />

unsere Verwandten und Freunde an<br />

einem Automaten <strong>im</strong> Gegenwert von<br />

15<br />

15 € kaufen. Als kleines Dankeschön<br />

übergeben wir <strong>im</strong> Gegenzug den lieben<br />

Besuchern unsere Schmutzwäsche,<br />

die wir <strong>im</strong> gereinigten Zustand<br />

be<strong>im</strong> nächsten Besuch zurück erhalten<br />

– natürlich, nachdem sie kontrolliert<br />

wurde. Wie <strong>im</strong> normalen Geschäftsleben<br />

sind auch in unserer JVA alle<br />

Besuchstermine rechtzeitig vorher<br />

telefonisch zu vereinbaren. •<br />

[wm/ws]<br />

Die Liebste am Telefon – ein<br />

seltenes Vergnügen<br />

Telefonate sind rar; U-Gefangene telefonieren<br />

nur mit Sondergenehmigung<br />

Von Christoph D.<br />

Was würde ich dafür geben und<br />

auf was würde ich gerne<br />

alles verzichten, wenn ich einmal in<br />

der Woche mit meiner Frau und meinem<br />

kleinen Sohn telefonieren könnte.<br />

Wenn die TV-Werbung für Handys den<br />

Kommunikationsaustausch untereinander<br />

als Lebensnotwendigkeit darstellt,<br />

ist das vielleicht übertrieben. Es<br />

ist jedoch das Grundbedürfnis eines<br />

jeden Menschen, sich mitzuteilen. Insbesondere<br />

steigert sich dieses Bedürfnis<br />

in unserer Situation; wir wollen<br />

unsere Ängste, Nöte und Sorgen mit<br />

Ehefrauen, Eltern oder anderen nahestehenden<br />

Personen austauschen. Von<br />

der Möglichkeit der Telefonkommunikation<br />

werden wir allerdings nicht<br />

ganz ausgeschlossen. In Strafhaft bietet<br />

sich uns gelegentlich die Möglichkeit,<br />

vom Büro des Abteilungsbeamten<br />

ein Telefonat mit Frau, Kind oder Verwandten<br />

führen zu dürfen, vorausgesetzt<br />

ein reibungsloser Geschäftsablauf<br />

innerhalb der Abteilung bleibt erhalten<br />

und wir haben das (unerwartete)<br />

Glück, einen diensthabenden Abteilungsbeamten<br />

vorzufinden, der sich in<br />

die Psyche eines Inhaftierten hineinversetzen<br />

kann. Haben wir dieses<br />

Glück, steht einer Telefonkonversation<br />

mit unseren Liebsten nichts mehr <strong>im</strong><br />

Wege.<br />

Feind hört mit<br />

Wer aber glaubt, am Telefon könnten<br />

problemlos verbal Int<strong>im</strong>itäten ausgetauscht<br />

werden, der wird enttäuscht.<br />

Peinlich wird es besonders, wenn bei<br />

eingeschaltetem Telefonlautsprecher<br />

nicht nur der diensthabende Beamte<br />

das Telefonat akustisch überwacht,<br />

sondern vor der offenstehenden Bürotür<br />

der nächste Telefonaspirant wartet<br />

und sich am Gesprächsinhalt seines<br />

Vorgängers ergötzt. Als Untersuchungsgefangener<br />

hätten selbst 10 Personen<br />

dem Wortlaut meines Gespräches<br />

folgen dürfen, wenn ich nur die<br />

Möglichkeit gehabt hätte, die St<strong>im</strong>me<br />

meiner Frau hören zu können. Es war<br />

ein beschwerlicher Weg, dieses Ziel zu<br />

erreichen.<br />

Ich startete mein Vorhaben mit einem<br />

Antrag an den Bereichsleiter unserer<br />

Abteilung. Es vergingen 14 Tage, ohne<br />

dass etwas passierte. Dann endlich<br />

wurde mir mitgeteilt, dass ich einen<br />

offiziellen Antrag an den für mich<br />

zuständigen Haftrichter zur Genehmigung<br />

eines einmaligen Telefongesprächs<br />

mit meiner Frau zu stellen<br />

hätte. Dabei habe ich glaubhaft zu versichern,<br />

dass dieses Telefonat dringend<br />

zur Festigung meiner sozialen Bindung<br />

zu meiner Familie erforderlich<br />

ist. Nach Antragstellung vergingen<br />

abermals drei Wochen, bis mir das<br />

Landgericht per Post einen Beschluss<br />

zuschickt, dessen Inhalt mir vor Freude<br />

ein paar Tränen die Wangen herunter<br />

rollen lässt. Sollten etwa auch Richter<br />

noch menschliche Gefühle haben?<br />

Es war also geschafft! Nach endlosen<br />

fünf Monaten darf ich tatsächlich das<br />

erste Mal mit meiner Frau telefonieren..<br />

Stolz, mit dem richterlichen<br />

Beschluss in der Hand, führt mich<br />

mein nächster Gang direkt in die Arme<br />

der für mich zuständigen Sozialarbei-


16 Kommunikation: Briefe<br />

ULMER ECHO 2007<br />

terin, die entgegenkommenderweise<br />

nicht lange zögert,<br />

sondern sofort den Telefonhörer<br />

in die Hand n<strong>im</strong>mt.<br />

Geschafft, Ziel erreicht! Ich<br />

bin nur glücklich.<br />

Warum keine Telefonzellen?<br />

Da selbst der Gesetzgeber,<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf organisatorische<br />

Probleme und Belastungen<br />

der Anstalt, sich nicht in<br />

der Lage sieht, ein auch nur<br />

eingeschränktes Recht auf<br />

Benutzung solcher Kommunikationsmittel<br />

einzuräumen, bleibt jede<br />

Handhabung von der Erteilung der<br />

Telefonerlaubnis bis zum Telefonat<br />

selbst <strong>im</strong> freien Ermessen des Vollzugs.<br />

Es soll jedoch angemerkt werden,<br />

dass selbst das Justizministerium,<br />

„die Errichtung von Telefonkabinen<br />

(mit Gebührenzählern) jedenfalls in<br />

Eingangstür Beamtenbüro Abt. 5<br />

solchen Anstalten oder Abteilungen, in<br />

denen Sicherheitserfordernisse die<br />

Gestattung der Telefonbenutzung nicht<br />

auf Ausnahmefälle beschränken, zu<br />

erwägen empfiehlt.“ Weiter heißt es in<br />

einer Verwaltungsverfügung zu § 32<br />

des Strafvollzugsgesetzes: „Förderungspflicht<br />

der Vollzugsbehörde (§ 23<br />

Satz 2) und Angleichungsgrundsatz<br />

(3 Abs. 1) können <strong>im</strong> Einzelfall<br />

das Recht des Gefangenen<br />

auf fehlerfreien Ermessensgebrauch<br />

zu einem Recht auf<br />

telefonischen Kontakt erstarken<br />

lassen“. Dies gilt zum einen <strong>im</strong><br />

Hinblick darauf, dass gerade<br />

Telefongespräche zur Aufrechterhaltung<br />

und Vertiefung sozialer<br />

Beziehungen und zum Abbau<br />

von Spannungen in Krisensituationen<br />

beitragen können.<br />

Wenn das Justizministerium<br />

solche Empfehlungen ausspricht,<br />

dann sollte es bis zu<br />

einer rechtsverbindlichen Gesetzgebung<br />

nicht mehr lange dauern. •<br />

* nach einem Artikel in UE 4/1996;<br />

aktualisiert und überarbeitet 1/2005<br />

[wm/ws]<br />

Trari, trara, die Post - na, wo bleibt sie denn?<br />

Es kann Wochen dauern, bis ein Brief kommt<br />

Auch wir Inhaftierte haben das<br />

Recht, regelmäßig Kontakt zu<br />

unseren Angehörigen und Freunden zu<br />

pflegen. Wenn uns schon das Telefonieren<br />

mehr oder weniger untersagt<br />

wird, steht uns doch das<br />

Recht zu, Briefe uneingeschränkt<br />

Schreiben<br />

abzusenden und zu<br />

empfangen. Wie wir alle<br />

wissen, dauert der normale<br />

Postversand vom<br />

Absender zum Empfänger<br />

1 bis 2 Tage. Wir<br />

Untersuchungsgefangene<br />

haben uns aber der<br />

Rechtsvorschrift zu<br />

beugen, die besagt, dass<br />

unser Schriftwechsel<br />

durch den Richter oder durch den<br />

Staatsanwalt überwacht wird.<br />

Briefkontrolle durch Richter<br />

Im täglichen Anstaltsleben habe ich<br />

also keine Möglichkeit, meiner Frau<br />

mal eben kurz einen lieben Gruß per<br />

Von Dieter S.<br />

Postkarte zukommen zu lassen. Meine<br />

Nachricht wird vorher vom Richter<br />

oder Staatsanwalt überprüft. Der Akt<br />

der Überprüfung dauert eine bis drei<br />

Wochen.<br />

Wichtige Informationen<br />

aus<br />

meinem Familienleben<br />

erreichen<br />

mich so<br />

oft erst 3 bis 4<br />

Wochen nach<br />

Absenden des<br />

Briefes oder<br />

der Postkarte.<br />

Denn die für<br />

mich eingegangene<br />

Post wird<br />

von unserer<br />

Vollzugsanstalt ungeöffnet in einem<br />

Begleitumschlag dem zuständigen<br />

Richter oder dem Staatsanwalt zugeschickt.<br />

Wird der Inhalt des Schreibens<br />

nicht beanstandet, so st<strong>im</strong>mt die<br />

Behörde der Aushändigung meiner<br />

Post an mich zu. Ausgenommen von<br />

dieser zeitraubenden Art der schriftlichen<br />

Nachrichtenübermittlung sind<br />

Briefe, die ich deutlich gekennzeichnet<br />

mit dem Zusatz „Verteidigerpost“ an<br />

meinen Rechtsanwalt versende. Ohne<br />

Beschränkung und ohne Überwachung<br />

darf ich in solchen Briefen durch meinen<br />

Verteidiger an meine Familie liebe<br />

Grüße ausrichten lassen<br />

In Strafhaft wird’s besser<br />

Besser sind da meine Kollegen<br />

dran, die sich bereits in Strafhaft befinden.<br />

Ein– und ausgehende Post wird<br />

zwar auf den Inhalt überprüft, aber<br />

pünktlich versandt und auch zugestellt.<br />

Es soll allerdings mehrmals vorgekommen<br />

sein, dass diensthabende<br />

Beamte sich an den literarischen<br />

Ergüssen unserer Frauen und Freundinnen<br />

labten ... •<br />

* Aus UE 4/1996; aktualisiert und<br />

überarbeitet 2005 [wm/ws]


ULMER ECHO 2007<br />

Wer in Untersuchungshaft<br />

sitzt, hat es ganz besonders<br />

schwer, Kontakte zu seinem Umfeld<br />

aufrecht zu erhalten und zu pflegen.<br />

I. Der Besuch<br />

Der Mitmensch, der in Untersuchungshaft<br />

sitzt, darf mit Genehmigung<br />

des Haftrichters zumindest eine<br />

Stunde monatlich Besuch bekommen.<br />

Ist er Ausländer und der deutschen<br />

Sprache nicht mächtig, dann muss ein<br />

vereidigter Dolmetscher dabei sein.<br />

Be<strong>im</strong> Besuch ist ein Aufsichtsbeamter<br />

<strong>im</strong>mer anwesend.<br />

II. Der Briefkontakt<br />

Es bringt nichts, schnell eine Karte<br />

zum Geburtstag schicken zu wollen.<br />

Kommunikation: Postzensur<br />

Postzensur und Kommunikationsverbote<br />

Inhaftierte sind abgeschnitten von der Außenwelt<br />

Von Hermann S.<br />

Eine Inhaftierung bedeutet für<br />

den Betroffenen die sofortige<br />

Unterbrechung aller bestehenden Bindungen,<br />

beruflich und privat. Wie<br />

bereits vorab beschrieben ist es mir als<br />

Untersuchungsgefangenen weder<br />

erlaubt zu telefonieren noch Besuch zu<br />

empfangen, beides geht lediglich mit<br />

einer richterlichen Genehmigung. Ich<br />

bin isoliert und abgeschlossen von der<br />

Außenwelt. Die Behörde legit<strong>im</strong>iert<br />

diese Maßnahme mit „Verdunkelungsgefahr“,<br />

sie will Informationsaustausch<br />

mit Zeugen verhindern. Die<br />

sonst so kluge Justiz sollte wissen,<br />

dass es selbst dem ungeschicktesten<br />

Häftling nach kurzer Verweildauer <strong>im</strong><br />

<strong>Knast</strong> gelingt, die Zensur auszutricksen.<br />

Was also hat die strenge Isolation<br />

in U-Haft für einen Sinn?<br />

Sind die Isolationsmaßnahmen<br />

unserer Justiz einfach nur die Weigerung,<br />

in jahrzehntelanger Praxis eingefahrene<br />

Verfahrensmuster einer konsequenten<br />

Prüfung zu unterziehen? Eine<br />

Postkontrolle, die ihren Zweck verfehlt,<br />

ist eine sinnlose Postkontrolle.<br />

Und wenn verbotener Informationsaustausch<br />

per Post nicht zu unterbinden<br />

ist, wem dienen dann die<br />

Gesprächsüberwachungen bei Besuchen?<br />

Sinnvolle Maßnahmen <strong>im</strong> Vollzug<br />

scheitern regelmäßig – mit dem<br />

Hinweis auf fehlende Mittel oder fehlendes<br />

Personal. Ist es nicht endlich<br />

Zeit, offensichtlich zwecklose Restriktionen<br />

aufzugeben und die freiwerdenden<br />

Ressourcen sinnvoll zu nutzen?<br />

Dauerhaft eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten<br />

haben Vereinsamung<br />

und Verbitterung zur Folge;<br />

wen wundert, dass emotionale Vernachlässigung<br />

eine steigende Gewaltbereitschaft<br />

nach der Entlassung zur<br />

Folge hat? „Isolationsfolter“, dieser<br />

Begriff stammt aus der Zeit der RAF-<br />

Prozesse. Aber Isolation betrifft nicht<br />

nur mutmaßliche Teroristen, sondern<br />

alle U-Gefangenen. Wir müssen uns<br />

fragen, in wieweit sich die Praktiken<br />

der nun gesamtdeutschen Justiz von<br />

denen der vielgeschmähtenDDR abheben<br />

und inwieweit sie unter Berücksichtigung<br />

moderner Erkenntnisse der<br />

„Europäischen Konvention zum<br />

Schutze der Menschenrechte“ gerecht<br />

Die Karte wird erst dem Haftrichter<br />

vorgelegt. Wenn die Karte schließlich<br />

ankommt, dann ist der Geburtstag<br />

längst vergessen.<br />

III. Telefongespräche<br />

Hierzu bedarf es ebenfalls einer<br />

richterlichen Genehmigung. Zwischen<br />

Beantragung und Genehmigung können<br />

viele Tage und Wochen vergehen!<br />

Schnell zu Hause anrufen geht also<br />

nicht.<br />

IV. Besonderheiten bei auswärtigen<br />

Inhaftierten<br />

Eine längere Besuchszeit kann denjenigen<br />

gewährt werden, die zum<br />

Besuch mehr als 50 km anreisen müssen.<br />

Dieses muss aber <strong>im</strong> Vorfeld<br />

wird!<br />

Wie viel mehr Besuch könnte stattfinden,<br />

wenn nicht die höchst persönliche<br />

Aufsicht jeden Besuch eines Angehörigen<br />

fast zur Ohrenbeichte mutieren<br />

lässt, wenn nur noch ein Beamter<br />

quasi als Platzanweiser fungierte? Die<br />

freiwerdenden Arbeitsstunden würden<br />

sinnvolle Maßnahmen möglich<br />

machen. Eine Aufgabe der sinnlosen<br />

Postkontrolle hätte zur Folge, dass<br />

familiäre und andere soziale Bindungen,<br />

deren Wichtigkeit für eine „Resozialisierung“<br />

ja <strong>im</strong>mer beschworen<br />

wird, leichter aufrecht zu erhalten sind.<br />

Der bisher verbotene Zugang zu Telefonen<br />

könnte diesem Zweck sogar<br />

ganz erheblich dienen.<br />

Nachweislich hat die derzeit geübte<br />

Praxis kontraproduktive Auswirkungen<br />

auf den Vollzug und besonders auf<br />

den Vollzug der Untersuchungshaft. •<br />

Auszug aus dem Artikel „ ... sed vitae<br />

disc<strong>im</strong>us! - Sinnlose Kommunikationseinschränkungen<br />

verletzen Menschenrechte!“<br />

Aus UE 4/1996; überarbeitet 2005<br />

[uz/ws]<br />

U-Haft: Enge Grenzen in der Pflege sozialer Kontakte<br />

17<br />

beantragt werden. Sich spontan zu<br />

einem längeren Besuch zu entschließen,<br />

ist nicht möglich.<br />

V. Besuchszeiten<br />

Es ist zwar verständlich, dass<br />

Besuch nicht zu jeder Zeit gewährt<br />

werden kann. Dadurch aber ist es für<br />

berufstätige Familienmitglieder bzw.<br />

Freunde äußerst schwierig, zu Besuch<br />

zu kommen. Ich denke dabei<br />

besonders an Besucher, die weit von<br />

Düsseldorf entfernt wohnen und nur<br />

am Wochenende kommen können! •<br />

[uz/ws]<br />

Aus UE 4/1996 von Annemarie Klopp


18 Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Das Revier – der richtige Ort für jedes Wehwehchen<br />

Zusätzlich können Fachärzte konsultiert werden<br />

Geschichtliches zum „Revier”<br />

Von Max<strong>im</strong>us Pontifex<br />

Eingang in das Revier<br />

Die heutige Sanitätsabteilung<br />

gibt es schon seit den 60er<br />

Jahren. Damals war es eine kleine<br />

Krankenstation mit Belegbetten für<br />

erkrankte Inhaftierte, die noch nicht<br />

ins Krankenhaus mussten. In jedem<br />

Flügel gab es früher<br />

außerdem einen<br />

Ambulanzraum, in<br />

dem ein freiberuflicher<br />

Arzt einmal<br />

pro Woche vorgemeldete<br />

Behandlungen<br />

durchführte.<br />

Diese Ambulanzräume<br />

wurden 1997<br />

abgeschafft; seitdem<br />

finden alle Behandlungen<br />

direkt <strong>im</strong><br />

Sani-Revier statt.<br />

Das gilt auch für<br />

Inhaftierte aus dem<br />

Jugendhaus, gelegentlich<br />

auch aus der<br />

Frauenabschiebehaft in Neuss. Die<br />

ehemaligen Bettenräume wurden zu<br />

Warteräumen umgestaltet.<br />

Im Grunde geschehen <strong>im</strong> Revier<br />

Behandlungen, wie sie auch in einer<br />

normalen Hausarztpraxis vorgenommen<br />

werden. Jede weitergehende<br />

Behandlung findet heute <strong>im</strong> Justizkrankenhaus<br />

Fröndenberg statt.<br />

Einen fest angestellten Anstaltsarzt<br />

für die JVA Düsseldorf gibt es erst seit<br />

1980. Nach der Auflösung des „CK”<br />

(Chirurgisches Justizkrankenhaus<br />

Düsseldorf) wechselte Herr Dr. Azarbayedjan<br />

Ende 1985 mit einigen Fachkräften<br />

in das heutige Sani-Revier.<br />

Vor 28 Jahren war das „Kranken-<br />

Bis zum Jahre 1986 beherbergte<br />

die JVA Düsseldorf das chirurgische<br />

Vollzugskrankenhaus in den<br />

heute für Arbeitsbetriebe genutzten<br />

Räumen des CK (Chirurgische Klinik).<br />

Mit Eröffnung des Vollzugskrankenhauses<br />

in Fröndenberg/Sauerland<br />

wurde das CK 1986 geschlossen und<br />

die zentrale stationäre Krankenversorgung<br />

Nordrhein-Westfalens nach<br />

Fröndenberg verlagert.<br />

Hier in Düsseldorf geblieben ist das<br />

Sanitätsrevier, heute eine Abteilung<br />

mit Untersuchungsräumen, Zahnarztpraxis,<br />

Augenarztpraxis, Röntgen,<br />

Bäderabteilung und einer umfangrei-<br />

Von Darius M.<br />

chen Apotheke. Belegärzte von draußen<br />

ergänzen das medizinische Angebot.<br />

Hautarzt, Zahnärztin und Augenarzt<br />

kommen regelmäßig einmal oder<br />

sogar zwe<strong>im</strong>al in der Woche in die<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh’.<br />

Meldung auf der Abteilung<br />

Das Sanitätspersonal und ein fest<br />

angestellter Anstaltsarzt sorgen heute<br />

für die ärztliche Basisversorgung.<br />

Jeder, der zum Arzt möchte, muss sich<br />

von seinem Abteilungsbeamten in den<br />

Computer eintragen lassen. Je nach<br />

dem, wann die Sanitäter <strong>im</strong> Revier<br />

diese Anmeldeliste abrufen, kann er<br />

ULMER ECHO 2007<br />

klientel” zudem ein anderes: kaum<br />

Drogenabhängige, mehr Arbeitsverletzungen<br />

und mehr Verletzungen durch<br />

gewalttätige Auseinandersetzungen.<br />

Nach Einzug von Sport, Freizeit,<br />

Radio und TV in den <strong>Knast</strong> ließen die<br />

Aggressionen untereinander<br />

nach. Auch<br />

die in den 80er Jahren<br />

üblichen Selbstverletzungen<br />

gibt es<br />

heute kaum noch;<br />

Dr. Azarbayedjan<br />

berichtet von einer<br />

großen Zahl verschluckter<br />

Gegenstände<br />

wie Gabeln,<br />

Messern und sogar<br />

Rasierklingen. Allerdings<br />

nahmen seither<br />

die Probleme durch<br />

Drogenkonsum gewaltig<br />

zu.<br />

Früher konnten<br />

die Sanis viele Entscheidungen vornehmen,<br />

die heute dem Arzt vorbehalten<br />

sind. Die Sanitätsbeamten stellen<br />

<strong>im</strong> Bereitschaftsdienst eine Präsenz<br />

rund um die Uhr sicher. •<br />

Aus UE 3/2003<br />

noch am selben Tag zum Arzt kommen.<br />

Keiner sollte sich aber allzu<br />

große Hoffnungen machen: da die<br />

Anmeldeliste meistens schon vor dem<br />

Aufschluss um 6 Uhr von den Sanis<br />

abgerufen worden ist, muss in der<br />

Regel bis zum nächsten (Arbeits-)Tag<br />

gewartet werden. Am Tag des Arztbesuches<br />

muss der Patient auf seinem<br />

Haftraum bleiben, Arbeiter werden<br />

nicht mehr wie früher von ihrem<br />

Arbeitsplatz abgeholt. Diese Regelung<br />

gilt für die Wochentage Montag bis<br />

Freitag. An Samstagen und Sonntagen<br />

gibt es keine Arztsprechstunde, am<br />

Wochenende werden nur akute Fälle


ULMER ECHO 2007<br />

Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

19<br />

vom Sanitätsbeamten begutachtet. Der<br />

entscheidet dann, ob ein Arzt hinzu<br />

gerufen wird.<br />

Alles können die Sanitäter der<br />

Revier-Crew nicht machen, aber z.B.<br />

Wundversorgungen und andere<br />

Behandlungen, die <strong>im</strong> eigenen Verantwortungsbereich<br />

liegen oder vom Arzt<br />

verordnet sind, werden mit der erforderlichen<br />

Fachkenntnis ausgeführt.<br />

Bei schwerwiegenden Fällen, in denen<br />

Die Angst<br />

<strong>im</strong> verschlossenen Raum<br />

Das klingt ganz gut. Gerade herzkranke<br />

Inhaftierte oder Epileptiker, die<br />

bei Anfällen schnelle Hilfe brauchen,<br />

um sich nicht selbst zu verletzen oder<br />

zu ersticken, haben in den über lange<br />

Stunden verschlossenen Hafträumen<br />

oft große Angst. Immer wieder wird in<br />

der eigenen Umgebung erlebt oder von<br />

Mitinhaftierten erzählt, dass Gefangene<br />

zunächst vergeblich auf Hilfe warteten,<br />

nachdem sie in einer Notlage auf<br />

die Ampel gegangen waren. Verständlich,<br />

dass kranke Inhaftierte in Sorge<br />

sind, ob <strong>im</strong> Notfall schnelle Hilfe<br />

kommt.<br />

Keine freie Arztwahl<br />

Ein weiteres Grundproblem der<br />

medizinischen Versorgung <strong>im</strong> Vollzug<br />

besteht darin, dass alle Inhaftierten auf<br />

Gedeih und Verderb mit dem einen<br />

Revier und dem einen Anstaltsarzt<br />

klarkommen müssen. Klappt es da<br />

Außerdem kommen bei Bedarf<br />

Hautarzt, HNO-Arzt, Neurologe und<br />

Psychiater in die JVA, wodurch kaum<br />

noch Arzt-Ausführungen geschehen.<br />

Jeden Morgen Methadon<br />

Eine wichtige Aufgabe ist die Ausgabe<br />

der verordneten Medikamente.<br />

So trabt jeden Morgen eine große Zahl<br />

Gefangener von den Abteilungen ins<br />

Revier. Besonders groß ist die Zahl der<br />

Ein Inhaftierter <strong>im</strong> O-Ton:<br />

„Für jedes Wehwechen gibt es hier Paracetamol. Leider<br />

ist das kein Ersatz für eine richtige Behandlung. Gestern<br />

Abend hat unser Abteilungsbeamte wieder eine ganze<br />

Packung Paracetamol in verschiedenen Zellen verteilt.<br />

Das soll reichen?”<br />

die vorhandenen Möglichkeiten des<br />

Reviers nicht mehr ausreichen, wird<br />

der Patient in das JVK Fröndenberg<br />

überwiesen oder an die Fachärzte<br />

überwiesen, die regelmäßig hier sind.<br />

In wirklichen Notfällen wird natürlich<br />

auch der ganz normale Notarzt<br />

gerufen, wenn zu der Zeit kein Arzt <strong>im</strong><br />

Haus ist. Jeder hat schon einmal mitbekommen,<br />

dass der Notarztwagen<br />

nachts oder am Wochenende auf das<br />

Anstaltsgelände gefahren kam. Ein<br />

Not-Transport ins Justizkrankenhaus<br />

kann dann vorkommen, aber auch eine<br />

Einlieferung in eines der umliegenden<br />

Unfallkrankenhäuser ist <strong>im</strong> Fall der<br />

Fälle möglich – natürlich unter Bewachung.<br />

nicht, gab es mal Stress oder ist kein<br />

Vertrauen da: das Grundrecht der<br />

freien Arztwahl besteht hier nicht, ein<br />

Ausweichen ist unmöglich. Das führt<br />

dazu, dass sich manch ein Inhaftierter<br />

ausgeliefert fühlt.<br />

Spezialisten von draußen<br />

Die ärztliche Versorgung rund um<br />

die Zähne besorgen Zahnärztinnen von<br />

draußen jeweils dienstags und donnerstags.<br />

Bei Zahnschmerzen soll sich<br />

der Kranke be<strong>im</strong> Abteilungsbeamten<br />

melden, der ihn dann in das Vormelder-Buch<br />

zur Zahnärztin einträgt. Bei<br />

akuten Beschwerden, die keinen Aufschub<br />

bis zum nächsten Zahnarzttermin<br />

erlauben, gibt es noch einen Notdienst,<br />

der in absoluten Notfällen mittwochs,<br />

freitags und am Wochenende<br />

zur Verfügung steht, wenn auch keine<br />

medikamentöse Behandlung Linderung<br />

verschafft.<br />

Ein Augenarzt kommt alle 14 Tage<br />

ins Haus. Dieser ist auch für die Herstellung<br />

oder Änderung von Sehhilfen<br />

zuständig. Ein Anspruch auf Versorgung<br />

mit Sehhilfen besteht nur bei<br />

einer Änderung der Sehfähigkeit um<br />

mindestens 0,5 Dioptrien. Anspruch<br />

auf Versorgung mit Kontaktlinsen<br />

besteht nur in medizinisch zwingend<br />

erforderlichen Ausnahmefällen.<br />

Methadon-Abschlucker auf der<br />

Zugangsabteilung. Die meisten werden<br />

mit Methadon ausgeschlichen, nur<br />

einige bekommen dauerhaft die<br />

Ersatzdroge.<br />

Ihre Medikamente bezieht die<br />

Anstalt zu Großhandelspreisen. Für<br />

alle Häftlinge garantiert das Land<br />

NRW ungeachtet der Herkunft die<br />

kostenfreie medizinische Versorgung.<br />

Dennoch gibt es hier und da Gefangene,<br />

die über best<strong>im</strong>mte, meist teure<br />

Medikamente mit dem Arzt <strong>im</strong> Clinch<br />

liegen oder beklagen, dass notwendige<br />

Maßnahmen für ihre Heilung unterbleiben.<br />

Einwandfreie Hygiene<br />

Das Revier muss sich stets in einwandfreiem<br />

hygienischen Zustand.<br />

präsentieren Die Sauberkeit ist auch<br />

den beiden Revierhausarbeitern zu<br />

verdanken, deren Arbeitstag schon<br />

früh um 6 Uhr beginnt. Sie reinigen die<br />

Behandlungsräume, tauschen Müllbeutel,<br />

stellen genügend Mineralwasser<br />

für die Ausgabe bereit. Weiter wird<br />

das Bad vorbereitet für diejenigen, die<br />

aus medizinischen Gründen dort baden<br />

oder duschen. Alle sollen eine saubere<br />

Umgebung vorfinden. •


20 Krank <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Gesundheitsreform: Da hilft nur noch Zahnziehen<br />

von Darius M. mit Christine Kuhn*<br />

Es ist nicht leicht für Dr. Martina<br />

Plaum-Ditze. Zwei mal die<br />

Woche hat die Zahnärztin Sprechstunde<br />

auf der <strong>Ulmer</strong> Höh’. In ihrem<br />

Behandlungsraum kümmert sie sich<br />

um die zahnmedizinischen Probleme<br />

der Inhaftierten. Die dunkelhaarige<br />

Frau hat viel zu tun. Das Wartez<strong>im</strong>mer<br />

ist <strong>im</strong>mer voll. Doch damit nicht<br />

genug. Die Ärztin muss sich zudem<br />

mit neuen Reglementierungen herumschlagen.<br />

Der Etat ist <strong>im</strong> Rahmen der<br />

Gesundheitsreform drastisch gekürzt<br />

worden und macht ihr das Leben<br />

schwer. „Für einen Patienten habe ich<br />

nur noch 53 Euro <strong>im</strong> Quartal zur Verfügung”,<br />

sagt die Zahnmedizinerin.<br />

Sie sitzt auf einem Stuhl und blickt auf<br />

ihre Hände herab, während sie erzählt.<br />

Dass 53 Euro zu wenig sind, um eine<br />

ausreichende Versorgung zu ermöglichen,<br />

liegt auf der Hand. Behandlungskompromisse<br />

werden unumgänglich.<br />

So berichtete ein Häftling dem<br />

ULMER ECHO eine wirklich kuriose<br />

Geschichte. Der Betroffene hatte zwei<br />

kaputte Zähne. Als er Dr. Plaum-Ditze<br />

aufsuchte, um die Schmerzen behandeln<br />

zu lassen, entschied sich die Ärztin<br />

notgedrungen für eine ungewöhnliche<br />

Behandlungsweise. Ein Zahn musste<br />

gezogen werden, er war nicht mehr<br />

zu retten. Den anderen Zahn konnte sie<br />

nicht mehr behandeln obwohl der<br />

Zahn schmerzte, da es der Etat nicht<br />

zuließ.<br />

Dr. Plaum-Ditze trifft hier keine<br />

Schuld. Schon vor der Reform hatte<br />

das Geld nicht gereicht, und die Ärztin<br />

hat aus eigener Tasche dazu gezahlt.<br />

Auch einen erheblichen Teil des notwendigen<br />

Materials hat die engagierte<br />

Frau eigens zur Verfügung gestellt.<br />

Der Beitrag der Anstalt in Form von<br />

zahnärztlichen Materialien ist für eine<br />

adäquate Versorgung derzeit nicht ausreichend.<br />

Die Reformen legen der<br />

Zahnärztin jetzt unüberwindbare Steine<br />

in den Weg. „Ich würde nur noch<br />

draufzahlen”, sagt sie.<br />

Auch Inhaftierte, die nach relativ<br />

kurzem <strong>Knast</strong>aufenthalt in eine Drogentherapie<br />

gehen, bereiten der Ärztin<br />

Sorgen. Das Prinzip ist ganz einfach:<br />

pro Quartal kann sie noch max<strong>im</strong>al<br />

Hepatitis - die verkannte Volksseuche<br />

Gefangene können sich vor Gelbsucht schützen<br />

von Darius M. und Wolfgang Sieffert OP<br />

Hunderttausende infizieren sich<br />

in Deutschland mit dem Hepatitis-Virus.<br />

Es sterben weitaus mehr<br />

Menschen an den verschiedenen Formen<br />

von Gelbsucht, als am HIV-Virus.<br />

Gelbsucht, wie Hepatitis <strong>im</strong> Volksmund<br />

genannt wird, ist eine Leberentzündung<br />

und kann zu einer langwierigen<br />

und chronischen Krankheit führen.<br />

Die Virusvermehrung erfolgt wahrscheinlich<br />

ausschließlich in der Leber.<br />

Insassen einer JVA sind besonders<br />

gefährdet, da in den Anstalten die Risikogruppen<br />

vermehrt aufeinander treffen.<br />

Daher ist es für Inhaftierte<br />

besonders wichtig, sich über die Risiken<br />

<strong>im</strong> Klaren zu sein und zu wissen,<br />

wie sie sich vor einer Infektion schützen<br />

können. Jeder, der schon erkrankt<br />

ist, sollte sein näheres Umfeld auf<br />

seine Infektion aufmerksam machen,<br />

damit diese sich durch Hygienemaßnahmen<br />

vor Ansteckung schützen können.<br />

Wer einfache Regeln beachtet,<br />

kann durchaus mit einem an Hepatitis<br />

Erkrankten in einer Zelle leben, ohne<br />

sich anzustecken.<br />

Entsprechende ärztliche Untersuchungen<br />

sind freiwillig. Wer eine Blutuntersuchung<br />

be<strong>im</strong> Sanitätsdienst<br />

beantragt, dem darf sie nicht verweigert<br />

werden. Sich auf Hepatitis untersuchen<br />

zu lassen ist jedem nahe zu<br />

legen, der eine Infizierung nicht ausschließen<br />

kann. Allerdings muss er<br />

sich darüber <strong>im</strong> klaren sein, dass eine<br />

ULMER ECHO 2007<br />

drei Zähne reparieren. Für mehr reicht<br />

das Budget einfach nicht. Eine umfassende<br />

Zahnsanierung zieht sich deshalb<br />

über lange Zeit hin, da <strong>im</strong>mer bis<br />

zum nächsten Quartal gewartet werden<br />

muss, ehe eine Behandlung fortgeführt<br />

werden kann. Plaum-Ditze empfiehlt,<br />

sich möglichst früh um eine zahnärztliche<br />

Behandlung zu kümmern.<br />

Die Häftlinge sind mit den Behandlungsmaßnahmen<br />

sehr zufrieden. Das<br />

Team um Frau Plaum-Ditze ist sehr<br />

zuvorkommend und kompetent. „Ich<br />

werde mich trotz allen Einschränkungen<br />

bemühen, weiterhin alle Patienten<br />

zufrieden zu stellen, aber es muss auch<br />

alles zeitlich zu regeln sein. Mein persönlicher<br />

Zwiespalt zwischen meiner<br />

Aufgabe als Ärztin und den Verordnungsrichtlinien<br />

aber bleibt”, sagt sie.<br />

Auch bei Gefangenen gilt scheinbar:<br />

„Zeig mir deine Zähne, und ich sage<br />

dir, wer du bist.” •<br />

Aus UE 3/2003;<br />

* Die Mitarbeiterin der Süddeutschen<br />

Zeitung hat für eine Recherche einen<br />

Tag in der Redaktion mitgearbeitet.<br />

Hepatitis Konsequenzen für den <strong>Knast</strong>alltag<br />

hat. Dennoch sollte sich jeder<br />

Gewissheit verschaffen!<br />

Hygiene schafft<br />

Schutz vor Ansteckung<br />

Im Einzelnen sollten, um eine<br />

Übertragung des Virus auszuschließen,<br />

die folgenden Punkte beachtet werden.<br />

Nicht das gleiche Handtuch benutzen.<br />

Geschirr nicht gemeinsam verwenden.<br />

Tätowiernadeln müssen sterilisiert<br />

worden sein. Nur mit der eigenen Bürste<br />

die Zähne putzen. Spritzen nie gemeinsam<br />

und nur einmal nutzen. In der<br />

Dusche Badelatschen tragen. •


ULMER ECHO 2007<br />

Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Sexualität - was ist das eigentlich?<br />

21<br />

Von Wolfgang Sieffert OP<br />

Sexualität, das ist viel mehr, als<br />

miteinander schlafen. Das lateinische<br />

Wort bedeutet „Geschlechtlichkeit“,<br />

worunter all das zu verstehen ist,<br />

was uns als geschlechtliche Wesen<br />

ausmacht. Unsere Geschlechtlichkeit<br />

besagt, dass wir Mann sind oder Frau;<br />

sie bedeutet, dass wir uns nach der<br />

Nähe eines anderen Menschen sehnen,<br />

dass wir begehren, uns verlieben,<br />

Lust verspüren, dass wir streicheln<br />

und gestreichelt werden wollen,<br />

best<strong>im</strong>mte Menschen zärtlich<br />

anschauen und ansprechen. Während<br />

es ja manchen Menschen zu gelingen<br />

scheint, „Sex“ (d.h. den Geschlechtsakt)<br />

von Liebe zu trennen, hat Sexualität<br />

als Geschlechtlichkeit insgesamt<br />

auf jeden Fall auch mit Liebe<br />

oder unserer Sehnsucht danach zu tun.<br />

Unsere Sexualität bezieht sich nicht<br />

nur auf den Geschlechtspartner, sondern<br />

best<strong>im</strong>mt unser ganzes Sein.<br />

Sexualität ist es auch, wenn Mütter<br />

oder Väter zärtlich sind zu ihren Kindern<br />

oder fürsorglich und achtsam.<br />

Und eine Sexualität, der es an Reife<br />

fehlt, bedeutet auch, dass eine Person<br />

mit sich selbst und ihrer Körperlichkeit<br />

nicht klar kommt. Im weiteren Sinne<br />

sind sexuelle Signale für unser Wohlbefinden<br />

ausgesprochen wichtig: zu<br />

spüren, dass uns jemand mag, dass<br />

sich eine Person über uns freut. Und<br />

jeder hat schon selbst gespürt, wie<br />

wunderbar nicht nur „guter Sex“ wirkt,<br />

sondern auch, wie gut es tut, umarmt<br />

zu werden, zu kuscheln oder einen lieben<br />

Brief zu bekommen. Sexualität<br />

spielt in allen sozialen Kontakten eine<br />

Rolle – selbst dann noch, wenn wir<br />

irgendwen „nicht riechen“ könne und<br />

ist von entscheidender Bedeutung für<br />

menschliches Wohlbefinden und<br />

Selbstvertrauen.Entzug tut <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

besonders wehKein Wunder also, dass<br />

der weitgehende Entzug der Möglichkeiten,<br />

Sexualität zu leben und zu<br />

gestalten, eine der wirklich heftigen<br />

D<strong>im</strong>ensionen von Inhaftierung ist.<br />

Meiner Meinung nach ist es ebenso<br />

schl<strong>im</strong>m wie verständlich, dass die<br />

Meisten hier sich lieber innerlich<br />

abschotten und ihre Gefühle verdrängen.<br />

Aber die Konsequenz ist innere<br />

Abstumpfung und Verlust des<br />

Gespürs für die eigenen Gefühle.<br />

Deshalb müsste viel mehr getan werden<br />

in den Bereichen Besuch, Telefon,<br />

Privatsphäre, Partnerschaftsberatung,<br />

Therapie und Gesprächsmöglichkeit! •<br />

Aus UE 2/2000<br />

Tabu: Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Ist Sexualentzug zwangsläufiges Übel oder gewollte Doktrin?<br />

Nach dem Motto: „Hallo, Karl,<br />

wie geht's Dir?“ – „Frag lieber<br />

nicht. Gestern ging´s noch, hatte<br />

Besuch von meiner Freundin. Ihre<br />

Nähe, ihr Geruch, die Küsse, ihre zärtlichen<br />

Hände ...! Aber was soll das<br />

alles, wenn Du Deine Gefühle nicht<br />

ausleben kannst. Wie lange soll ich<br />

das noch durchhalten? Und vor allen<br />

Dingen, wie lange hält meine Kleine<br />

das noch durch? Kann ich ihr zumuten,<br />

draußen über Jahre hinweg wie eine<br />

Nonne zu leben, mit ihrem super Aussehen?<br />

Ich glaube, es ist besser, ich<br />

trenne mich von ihr und gebe sie freiwillig<br />

frei. Besser so, als wenn sie<br />

mich mit einem anderen betrügt und<br />

ich hoffe noch auf eine gemeinsame<br />

Zukunft.“ Zu einer Partnerschaft<br />

gehört eben auch körperliche Nähe<br />

und diese zwangsweise Enthaltsamkeit<br />

Von Max<strong>im</strong>us Pontifex<br />

werde ich über einen längeren Zeitraum<br />

nicht ertragen können!“<br />

Ich weiß genau, was Karl meint,<br />

Börmeier & Nickel Verlag Schmuzelbuch Johannes<br />

fühlt und denkt. Auch wenn ich etwas<br />

älter bin, so ist mein Sexualtrieb keineswegs<br />

erkaltet. Ich bin mit meiner<br />

Frau seit 14 Jahren glücklich verheiratet.<br />

Während dieser Zeit mussten auch<br />

wir infolge zwei längerer Haftaufenthalte<br />

auf unsere körperliche Liebe verzichten.<br />

Das tat jedoch unserer Liebe<br />

keinen Abbruch, da wir uns bedingungslos<br />

vertrauten. Aber auch ich<br />

machte damals, nach meiner Inhaftierung,<br />

die Erfahrung, dass die Angst vor<br />

einem Verlust der Liebsten einer seelischen<br />

Folter gleichkommt.<br />

Zu Freiheitsentzug verurteilt –<br />

Sexualentzug kommt dazu<br />

Was denkt sich der Gesetzgeber<br />

eigentlich dabei, zu Freiheitsentzug zu<br />

verurteilen – der unausgesprochen,<br />

aber knallhart, sexuellen Entzug<br />

bedeutet? Hat der Richter erst einmal<br />

sein: „Im Namen des Volkes“ verkündet,<br />

dann ist es soweit. In benachbarten<br />

Ländern gibt es Gesetze zum Schutz<br />

der Familie (inklusive der Sexualität),<br />

durch die bei einer Inhaftierung den


22 Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

ULMER ECHO 2007<br />

fatalen Dauerfolgen von „Beziehung<br />

ohne sexuelle Begegnung“ entgegengewirkt<br />

wird. In manchen Ländern gibt<br />

es weit weniger Familienväter in U-<br />

Haft. Hierzulande wird die Gewichtigkeit<br />

des familiären Rückhaltes weitgehend<br />

außer Acht gelassen. Selbst bei<br />

einer einschneidenden Maßnahme wie<br />

der Haft gäbe es Wege, unseren<br />

Grundbedürfnissen Rechnung zu tragen.<br />

Nach einer Verhaftung verdrängen<br />

wir zunächst den Schmerz über die<br />

Trennung. Dieser Zustand geht in<br />

Abstumpfung über: das ist keine<br />

Lösung, sondern ein Weg in die falsche<br />

Richtung. Das kann doch so nicht<br />

richtig sein! Warum wird da nichts<br />

geändert?<br />

Selten: Int<strong>im</strong>besuch<br />

Für Int<strong>im</strong>kontakte <strong>im</strong> Rahmen der<br />

ehelichen Besuche bestehen keine<br />

besonderen Regelungen. Das Gesetz<br />

geht davon aus, dass diesen Kontaktbedürfnissen<br />

durch eine großzügige<br />

Urlaubsgewährung entsprochen werden<br />

kann, die jedoch allzu selten stattfindet.<br />

Und das, obwohl die Ehe<br />

gemäß Art.6 Abs.1 GG unter dem<br />

besonderen Schutz der staatlichen<br />

Ordnung steht. Während der Besuchszeit<br />

ungestört und unbeobachtet mit<br />

unseren Frauen zusammensein zu dürfen,<br />

ist be<strong>im</strong> Besuch unmöglich. Es<br />

gibt aber in einigen Nordrhein–Westfälischen<br />

Vollzugsanstalten die Möglichkeit,<br />

mit dem Partner „Int<strong>im</strong>besuch“<br />

in speziell dafür vorgesehenen<br />

Appartementräumen abzuhalten. Das<br />

gilt aber nur für Strafgefangene. Bevor<br />

wir eine solche Möglichkeit genießen<br />

dürfen, gehen Erprobungszeiten in<br />

Besuchsabläufen voraus. Anschließend<br />

prüft der zuständige Abteilungsleiter<br />

die „Förderungswürdigkeit der<br />

Beziehung“, d.h., die Partnerin wird in<br />

ein intensives Gespräch einbezogen.<br />

Ist es dann endlich soweit, nachdem<br />

weitere Monate vergangen sind, dann<br />

macht sich be<strong>im</strong> ersten Int<strong>im</strong>besuch<br />

Frust breit. Unter dem Druck der Haft<br />

kommt kaum Lust auf, die jedoch<br />

wichtiger Bestandteil der Sexualität<br />

ist. Sollten wir vielleicht jeglichen<br />

Gedanken an Sex und Gefühle aus<br />

unserem Kopf streichen?<br />

Mit dem Problem<br />

leben lernen<br />

Was bleibt uns sonst noch übrig,<br />

um dem Problem zu begegnen? Klar,<br />

die Selbstbefriedigung, verbunden mit<br />

Phantasien und Erinnerungen an frühere<br />

Zeiten. Wer beides nicht hat, bedient<br />

sich der nächtlichen Fernsehprogramme<br />

oder der umlaufenden, meist zerfledderten<br />

Pornomagazine. Glücklich<br />

derjenige, der über eine Einzelzelle<br />

verfügt und unbeobachtet seinen<br />

Gefühlen freien Lauf lassen kann. In<br />

dieser mehr als würdelosen Umgebung<br />

fällt es schwer, sich auf das zu konzentrieren,<br />

was wir außerhalb der Mauern<br />

als „schönste Sache der Welt“ bezeichnen.<br />

Wie mag sich unsere Partnerin<br />

dabei fühlen, wenn wir sie anlässlich<br />

eines Besuches verklemmt befummeln,<br />

und das noch unter Bewachung?<br />

Die prüfenden Blicke einiger aufsichtsführender<br />

Beamten, verbunden<br />

mit anzüglichen Bemerkungen, tun ihr<br />

übriges dazu. Auf dem Rückweg Richtung<br />

Zelle fühlen wir uns oft elendig<br />

und erniedrigt, versagen uns lieber den<br />

nächsten Besuch, um unserer Frau<br />

oder Freundin solche entwürdigenden<br />

Situationen in Zukunft zu ersparen.<br />

Sozial- und Sexualentzug<br />

machen uns krank<br />

Wissenschaftler haben bewiesen,<br />

dass bei sexuellen Handlungen bis zu<br />

30% mehr Antikörper in unserem<br />

Organismus gebildet werden, die<br />

bekanntlich verhindern, dass wir anfällig<br />

für Krankheiten werden. Eine<br />

18fach intensivere Blutzufuhr schützt<br />

ebenfalls vor Herzkreislauferkrankungen.<br />

Doch wen interessiert das hier<br />

schon? Wir verfügen schließlich über<br />

einen gut sortierten Sanitätsbereich,<br />

der uns auch bei psychischen Wehwehchen<br />

medikamentös versorgt. Gesetzgeber<br />

und Justiz nehmen es also wissentlich<br />

in Kauf, dass ihre Inhaftierten<br />

durch , Sozial–und Sexualentzug<br />

gesundheitlich geschädigt werden.<br />

Spannungen und aggressives Verhalten<br />

unseren Vorgesetzten gegenüber<br />

machen sich breit. Depressionen rufen<br />

den Psychologen auf den Plan. Unser<br />

soziales Verhalten entwickelt sich<br />

automatisch zurück und unsere Ehepartner<br />

draußen müssen diesem Verfall<br />

untätig zusehen.<br />

Zerstörung der Partnerschaft<br />

ist vorprogrammiert<br />

Selbst wenn Partner– und Freundschaften<br />

über einen längeren Zeitraum<br />

Bestand haben kommt es allmählich zu<br />

einem beiderseitigen Abkapseln und<br />

zu einer Entfremdung. Die Verhaltensweisen<br />

verändern sich. Diese Disharmonien<br />

kommen deutlich zum Ausdruck,<br />

wenn es uns vergönnt wird,<br />

nach einer geraumen Zeit in Haft erstmals<br />

anlässlich eines genehmigten<br />

Urlaubes unsere Partnerinnen außerhalb<br />

der Mauern treffen zu dürfen. Die<br />

gesetzlich festgeschriebenen Resozialisierungsmaßnahmen<br />

sollten sexuelle<br />

Kontakte zu unseren Lieben beinhalten.<br />

So würde der propagierte „Schutz<br />

von Ehe und Familie“ zumindest<br />

ansatzweise zur Geltung kommen. Tatsächlich<br />

aber wird für diesen speziellen<br />

Problembereich keine Lösung<br />

angeboten, selbst an beratenden<br />

Gesprächen mangelt es.<br />

Ausnahmen in dieser Richtung bilden<br />

sowohl die kirchlichen Institutionen,<br />

als auch die Eheberatung, die sich<br />

dieser Problematik annehmen und uns<br />

Partnergespräche und Sonderbesuche<br />

anbieten.<br />

Liebe von Mann zu Mann<br />

Gleichgeschlechtliche Liebe sehen<br />

eine große Anzahl von Inhaftierten als


ULMER ECHO 2007<br />

Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

23<br />

einzige Möglichkeit, ihre<br />

sexuellen Triebe zu befriedigen.<br />

Während außerhalb<br />

der Mauern das Schwulsein<br />

längst salonfähig<br />

geworden ist, wird Homosexualität<br />

<strong>im</strong> <strong>Knast</strong> meist<br />

unter dem Deckmantel der<br />

Verschwiegenheit praktiziert.<br />

Ein gutes Stück toleranter<br />

wird mit Sexualität von<br />

Mann zu Mann in Haftanstalten<br />

umgegangen, in<br />

denen langstrafige Täter<br />

einsitzen. Hier ist naturgemäß<br />

auch verstärkt das<br />

Risiko der Ansteckung mit HIV oder<br />

Hepatitis gegeben, Vorsorge und Verhütumng<br />

tut da Not..<br />

Alle wissen es – aber keiner redet drüber. Sexualität<br />

<strong>im</strong> <strong>Knast</strong> ist eine Angelegenheit, die mit beträchtlichen<br />

Problemen für alle Beteiligten belastet ist. Darüber<br />

sprechen ist tabu. Zu hören sind jede Menge Sprüche,<br />

die eher geeignet sind, den Gegenstand vom Leib zu<br />

halten; aber über eigene Beziehungen wird selten<br />

erzählt. Kaum je thematisieren Gefangene, was der<br />

Verlust der Int<strong>im</strong>sphäre bedeutet; wie es ist, Ehefrau,<br />

Freundin, Kinder nur unter Beobachtung zu sehen;<br />

welche Bedeutung eine schwule Beziehung hat. Auch<br />

wir Profis <strong>im</strong> Vollzug sprechen kaum über Auswirkungen<br />

der Haft auf Int<strong>im</strong>sphäre und Sexualität. In dieser<br />

Sonderausgabe versuchen wir, uns dem Thema zu<br />

nähern, Aspekte zu benennen und zu beleuchten.. [ws]<br />

Infektionsverhütung auf der Ulm<br />

Das Sanitätsrevier unserer JVA ist<br />

auch zu diesem Zweck ausgestattet.<br />

Kondome und Gleitmittel<br />

sind hier auf Nachfrage<br />

erhältlich. Wie alle anderen<br />

medizinischen Sachverhalte<br />

wird auch der<br />

Wunsch nach solchen<br />

Utensilien vertraulich<br />

behandelt und unterliegt<br />

natürlich der Schweigepflicht.<br />

Schriftlich festgehalten<br />

wird darüber<br />

nichts. Dennoch ist vielen<br />

Inhaftierten peinlich,<br />

nach einem „Gummi“ zu<br />

fragen. Weiterhin sind<br />

Kondome und Gleitmittel<br />

auch über die Pfarrer zu<br />

erhalten, die ebenso der Schweigepflicht<br />

unterliegen. •<br />

* Aus UE 2/2000; Mitarbeit: fh, ws<br />

„Sexualität ist auch in der Haft nicht tot!“<br />

Interview mit Ulrike Wewer, Ehe- und Lebensberaterin in der JVA Düsseldorf<br />

UE: In Ihren Beratungen: ist da<br />

die Sehnsucht nach körperlicher<br />

Nähe nicht größer als das<br />

Bedürfnis, mit einander zu sprechen?<br />

Frau Wewer: Ich kann das verstehen,<br />

wenn das Bedürfnis nach Nähe<br />

ganz groß ist: aber da muss ich den<br />

Beteiligten dann sagen, dass ich in der<br />

Partnerschaftsberatung nicht auffangen<br />

kann, was den Paaren fehlt. Man-<br />

Börmeier & Nickel Verlag Schmuzelbuch Johannes<br />

che äußern Ihre Wünsche ganz offen.<br />

Obwohl ich das begreife, kann ich<br />

meine Beratungsstunden nicht dafür<br />

nutzen.<br />

Aber allgemein<br />

erlebe<br />

ich Beides,<br />

vielleicht<br />

sogar<br />

mehr das<br />

Bedürfnis,<br />

zu sprechen.<br />

Das Thema<br />

Sexualität<br />

spielt selten<br />

eine herausragende<br />

Rolle. Konflikte<br />

und<br />

andere<br />

Dinge, die<br />

zu regeln<br />

sind, stehen<br />

meist <strong>im</strong><br />

Vordergrund. Meist sind die Beziehungen<br />

ja auch vor der Haft nicht ohne<br />

Probleme und da muss Manches<br />

geklärt werden, bevor sich wieder<br />

etwas regt. Problembesprechungen<br />

und Bewältigung des Anstehenden stehen<br />

bei der Beratung <strong>im</strong> Vordergrund,<br />

dafür kommen die Leute zu mir. Inhaftierung<br />

schädigt Beziehung und Person<br />

UE: Gehen nicht die allermeisten Beziehungen<br />

kaputt – spätestens nach<br />

der Haft?<br />

Frau Wewer: Nein! Das ist kein<br />

Prinzip.<br />

Oft trennt sich die Frau. Aber viele<br />

der Beziehungen halten auch und<br />

bestehen nach der Haft fort. Ich finde<br />

das bemerkenswert und erstaunlich.<br />

Bezifferbare Erfahrungen gibt es aber<br />

in diesem Bereich keine.<br />

Die Zeit der Haft ist zwar sehr<br />

schwierig für die Partnerschaft; aber<br />

wer weiß, ob eine Beziehung aufgrund<br />

von fünf Jahren Haft kaputt geht –<br />

oder ob sie ohne <strong>Knast</strong> nach fünf Jahren<br />

nicht auch kaputt gegangen wäre?<br />

Es ist ja nicht so, dass Beziehungen<br />

„draußen“ <strong>im</strong>mer halten. Die stehen ja<br />

heutzutage auch unter einem enormen<br />

Risiko, zu scheitern. Es gibt nicht die<br />

Logik: <strong>Knast</strong> bedeutet Trennung! Fantasierte<br />

Sexualität ist leichter. •<br />

* Stark gekürzt aus UE 2/2000


24 Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

ULMER ECHO 2007<br />

Was würde nur meine Frau von<br />

mir denken, wenn sie mich<br />

so sähe? Auf meiner Schaumstoffmatratze<br />

liegend, in Gedanken an erotische<br />

Stunden zu Zweit ertappe ich<br />

mich dabei, wie ich erregt an mir herumspiele.<br />

Bin ich eigentlich noch normal?<br />

Seit vier Monaten muss ich der<br />

Fleischeslust zwangsweise entsagen,<br />

jetzt schwirren wilde Gedanken durch<br />

meinen Kopf: Ob sie mit einem anderen<br />

schläft? Hält sie es ohne meine<br />

zärtlichen Umarmungen so lange aus?<br />

Sicher gibt es in der augenblicklichen<br />

Situation wichtigere Dinge zu<br />

bewältigen. Aber die `schönste Nebensache<br />

der Welt´ verdrängt <strong>im</strong> Moment<br />

alle meine vordringlichen Probleme.<br />

Tief in Gedanken an meine große<br />

Liebe, auf eines ihrer besonders aufreizenden<br />

Fotos an meiner Zellenwand<br />

starrend, masturbiere ich dem ersten<br />

heutigen Höhepunkt entgegen, als sich<br />

Selbstbefriedigung unter Aufsicht<br />

In der Zelle geht es „heiß her“<br />

Von Anton Anonymus<br />

plötzlich, natürlich ohne vorherige<br />

Klopfzeichen, der Schlüssel <strong>im</strong><br />

Schloss meiner Zellentür dreht. Eine<br />

junge Beamtin (auch das noch) füllt<br />

die Hälfte des Türrahmens aus, schaut<br />

mich aus erweiterten Pupillen verwundert<br />

an und stottert: „P...post für Sie.“<br />

Verstört wirft sie mir ein bereits geöffnetes<br />

und auf Inhalt kontrolliertes<br />

Briefkuvert meiner Frau auf die Bettdecke,<br />

mit der ich blitzartig meine<br />

erstarrte Männlichkeit bedeckt hatte.<br />

Dem Gesichtsausdruck der diensthabenden<br />

Beamtin zufolge geschah das<br />

nicht mehr rechtzeitig genug. Oh, Gott,<br />

könnte ich mich jetzt nur unter meiner<br />

Bettdecke verstecken.<br />

Weshalb gönnt man uns hier in dieser<br />

tristen Umgebung nicht ein wenigstens<br />

ein kleines bisschen Int<strong>im</strong>ität?<br />

Zum Entzug der Freiheit kommt auch<br />

noch der zwangsweise Verlust von<br />

Liebe, Lust, Leidenschaft, Körperlichkeit.<br />

Wen verwundert es, dass sich<br />

Wutgefühle und Aggressionen in mir<br />

breit machen! Diese muss ich auch<br />

noch zu unterdrücken, um keine<br />

Repressalien seitens des <strong>Knast</strong>es<br />

erdulden zu müssen. Ich ergebe mich<br />

in mein Schicksal. Vor Frust und Enttäuschung<br />

weine ich still in das blauweiß<br />

karierte Laken, das meinen Kopfkeil<br />

umhüllt. • [vb]<br />

Und die Angehörigen?<br />

Das Thema „Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>“ berührt nicht nur Inhaftierte*<br />

Die Vollstreckung einer Haft<br />

richtet sich in der Intention<br />

ausschließlich gegen den Inhaftierten.<br />

Er allein hat das <strong>im</strong> Freiheitsentzug liegende<br />

Übel zu erdulden. Betroffen<br />

sind aber in erheblichem Maß auch<br />

seine Angehörigen: Kumpel, Freunde<br />

oder Eltern, ganz besonders aber Ehefrau,<br />

Kinder oder Freundin werden<br />

durch die Haft massiv und nachhaltig<br />

in Mitleidenschaft gezogen.<br />

Angehörige fast ohne Rechte<br />

Dieses „Mitbestraft sein“ ist vom<br />

Untersuchungs- oder Strafrichter<br />

natürlich nicht gewollt, aber angesichts<br />

der oft drastischen Auswirkungen<br />

muss es nachdenklich machen, dass<br />

diese sozialen Folgen kaum irgendwo<br />

bedacht werden. Während für den<br />

inhaftierten Menschen seine Rechte,<br />

Einschränkungen und Pflichten in<br />

Von Wolfgang Sieffert OP<br />

einer Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften<br />

geregelt sind, tauchen Familie<br />

und enge Vertrauenspersonen nur in<br />

wenigen Vorschriften ausdrücklich<br />

auf; vor allem dort, wo es um den Verkehr<br />

mit der Außenwelt (Besuch, Briefe<br />

etc.) geht.<br />

Mitbestrafte Angehörige<br />

Professor Dr. Heinz Müller-Dietz<br />

(Thesen zum Vortrag auf der Jahrestagung<br />

der Evangelischen Konferenz für<br />

Gefängnisseelsorge am 1.5.2000;<br />

Manuskript) beschreibt die Drittwirkungen<br />

des Freiheitsentzuges auf mitbestrafte<br />

Angehörige in mehreren<br />

Bereichen:<br />

„- auf kommunikativem Gebiet –<br />

Trennung und Gefahr der Entfremdung<br />

vom Lebenspartner und Vater;<br />

- <strong>im</strong> psychisch-seelischen Bereich –<br />

Trennung, Risiko der Entfremdung,<br />

Gefühl des Alleingelassenwerdens mit<br />

familiären Sorgen und Nöten-oder<br />

auch die Angst davor;<br />

- auf ökonomischem Gebiet – Verlust<br />

des Lebensunterhaltes und daraus<br />

entstehende Zwänge;<br />

- auf sozialemGebiet – Gefahr<br />

gesellschaftlicher Ausgrenzung und<br />

Risiko wachsenden Drucks, sich vom<br />

Inhaftierten zu trennen.“<br />

Für unser Thema „Sexualität“ ist<br />

bedeutsam, dass die Partner, mit denen<br />

Sexualität, Zärtlichkeit und Geborgenheit<br />

vor der Inhaftierung gelebt wurden,<br />

durch die Einschränkungen des<br />

Haftvollzugs nicht nur in ihren Rechten<br />

beschnitten werden, sondern<br />

gleichzeitig „draußen“ unter verschärften<br />

Lebensbedingungen leben. Die<br />

Situation ist häufig von Überforderungen<br />

gekennzeichnet, dazu kommen<br />

nicht selten (häufig berechtigte,


ULMER ECHO 2007<br />

manchmal heftige) Vorwürfe an den<br />

gefangenen Angehörigen. Das schafft<br />

Spannungen, Sprachlosigkeiten, Konflikte<br />

und gefährdet das Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Partnern ebenso wie<br />

zwischen Vätern und Kindern. Vertrauen<br />

aber scheint mir DIE wesentliche<br />

Basis zu sein dafür, dass ein<br />

Mensch sich bei einem anderen aufgehoben<br />

fühlen kann; es ist auch die<br />

Basis für erfüllte Sexualität. Nicht nur<br />

Inhaftierten, sondern auch ihren Partnerinnen<br />

und – für mich von ganz<br />

besonderer Bedeutung! – ihren Kindern<br />

werden durch Mangel an Vertrauen<br />

und Geborgenheit wichtige Lebensd<strong>im</strong>ensionen<br />

beschnitten. Unter<br />

Umständen löst das bei Kindern erhebliche<br />

Störungen aus. Und wer jemals<br />

mit einer Frau gesprochen hat, die sich<br />

be<strong>im</strong> Besuch hin und her gerissen fühlte<br />

zwischen beobachtenden neugierigen<br />

Blicken Dritter und ihrem Bedürfnis<br />

nach körperlicher Nähe; wer einmal<br />

sich hat erzählen lassen, wie entwürdigend<br />

die Prozedur des Besuches<br />

gerade von liebenden Frauen empfunden<br />

wird, wird ein klein wenig nachempfinden,<br />

wie einschneidend die<br />

Auswirkungen der Inhaftierung auf<br />

Familienmitglieder sind.<br />

Privatsphäre und Vertrauen<br />

Sexualität, Vertrauen, Geborgenheit,<br />

Zärtlichkeit: für mich gehört das<br />

in den Bereich einer sowieso schützenswerten<br />

Privat- und Int<strong>im</strong>sphäre.<br />

Ohne Int<strong>im</strong>sphäre kann von einer<br />

Wahrung der Menschenwürde nicht<br />

gesprochen werden. Wenn diese für<br />

Gefangene beschnitten wird, sind<br />

unbeteiligte Dritte mitbestraft; sie werden<br />

mitgeschädigt, denn auch ihnen<br />

wird ein Übel zugefügt. Obwohl (nach<br />

Prof. H. Müller-Dietz; s.o.) diese Mitbetroffenheit<br />

seit dem 19. Jh bekannt<br />

ist, wurde sie bis vor Kurzem nur als<br />

Sozialproblem gehandhabt. Erst seit<br />

den 70er Jahren hat das Bundesverfassungsgericht<br />

die negativen Auswirkungen<br />

des Freiheitsentzuges auf die<br />

Kommunikation zwischen Angehörigen<br />

und Inhaftierten in den Blick<br />

genommen: aus der Verpflichtung, Ehe<br />

und Familie zu schützen, wurden Konsequenzen<br />

für familienfreundlichere<br />

Sexualität <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Regelungen des Brief- und Besuchsverkehrs<br />

gezogen.<br />

Papier ist geduldig<br />

Wenn ich allerdings, mit den Augen<br />

dessen, der Vollzug tagtäglich erlebt,<br />

lese, was das BVerfG auf der Grundlage<br />

von Grundgesetz Art. 6 (Verpflichtung<br />

des Staates, Ehe und Familie zu<br />

schützen) an Grundsätzen entwickelt,<br />

bleibt angesichts der bestehenden Praxis<br />

nur Kopfschütteln. Ich lese: „Eine<br />

auf Personalknappheit gestützte<br />

Begrenzung der Besuchszeiten in den<br />

JVAen ist nicht ohne weiteres hinzunehmen.“,<br />

und weiß, dass fehlendes<br />

Personal natürlich eine wichtige Ursache<br />

tatsächlicher Einschränkungen ist.<br />

Ich lese: „Im Falle einer beträchtlichen<br />

Entfernung zwischen Familienwohnsitz<br />

und der Vollzugsanstalt müssen<br />

Familienangehörigen Wochenendbesuche<br />

gestattet werden.“, und weiß,<br />

wie schwer das in der Praxis unserer<br />

JVA durchzusetzen und zu regeln ist.<br />

Ich lese, dass aus dem Grundgesetz<br />

Art. 2 (Schutz der freien Entfaltung der<br />

Persönlichkeit) in Verbindung mit Art.<br />

1 (Schutz der Menschenwürde) die<br />

Pflicht des Staates resultiert, die Int<strong>im</strong>sphäre<br />

des Einzelnen zu respektieren –<br />

und dass diese Pflicht durch die Verfassungsgarantie<br />

von Ehe und Familie<br />

noch verstärkt wird, und frage mich,<br />

ob diese hehren Grundsätze auch nur<br />

irgend etwas damit zu tun haben, dass<br />

in unserer JVA jeder, aber auch jeder<br />

Brief entweder vom Gericht oder von<br />

Bediensteten gelesen oder überflogen<br />

wird. Und ich weiß, dass das z.B. der<br />

Frau eines Inhaftierten sehr wohl<br />

bewusst ist: wie sehr verändert das die<br />

Schreibweise von Briefen? Wie viel<br />

Int<strong>im</strong>ität geht dadurch verloren?<br />

25<br />

Sippenhaft vermeiden!<br />

Natürlich bin ich froh, wenn nach<br />

Möglichkeiten zur Vermeidung von<br />

„Sippenhaftung“ gesucht wird, wenn<br />

Studien über die Situation von Angehörigen<br />

gemacht werden. Noch mehr<br />

freue ich mich, wenn auf Grund des<br />

verfassungsgemäßen Schutzes von<br />

Ehe und Familie ein Inhaftierter in<br />

eine he<strong>im</strong>atnahe JVA verlegt wird und<br />

wenn wenigstens in manchen Langstrafenanstalten<br />

Langzeit– und Int<strong>im</strong>besuche<br />

möglich sind.<br />

Prof. Müller-Dietz skizziert Überlegungen,<br />

dass z.B. ein unterhaltspflichtiger<br />

Straftäter entweder nur in<br />

den offenen Vollzug kommen solle<br />

oder aber andere Sanktionen gefunden<br />

werden müssten, damit die Sanktion<br />

Freiheitsstrafe und damit die Verhinderung<br />

von Unterhaltszahlungen nicht<br />

erneut zu Unrecht gegenüber Ehefrau<br />

und Kindern führen. „Zu rechtfertigen<br />

sind die nachteiligen Wirkungen des<br />

Strafvollzuges auf die unterhaltsberechtigten<br />

Angehörigen von Inhaftierten<br />

i.d.R. nur dann, wenn ... vor einem<br />

gefährlichen Täter zu schützen ist...“<br />

(S. Götte, Die Mitbetroffenheit der<br />

Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen,<br />

S. 256). Solche Überlegungen<br />

zeigen, dass vermehrt in den Blick<br />

kommt, was bisher meist ausgeblendet<br />

blieb: das „Sonderopfer“, das die<br />

Gesellschaft den Angehörigen Inhaftierter<br />

aufbürdet.<br />

Gedankenspiele – oder<br />

Zukunftsvisionen?<br />

Bisher sind das bloße Gedankenspiele.<br />

Dabei fehlt in der Vollzugspraxis<br />

noch so viel, was praktisch machbar<br />

wäre! Das bedaure ich vor allem, weil<br />

ich weiß, wie wichtig für den Selbstwert<br />

eines Menschen Int<strong>im</strong>sphäre, Liebe,<br />

Vertrauen und Sexualität sind. •<br />

* Es mag verziehen werden, wenn ich<br />

ausschließlich von männlichen Inhaftierten<br />

spreche. Für die viel kleinere<br />

Gruppe inhaftierter Frauen stellen<br />

sich die Dinge z. T. gleich, in Manchem<br />

aber auch frauenspezifisch sehr<br />

verschieden dar.<br />

Aus UE 2/2000


26 Besondere Härten: B-Zelle<br />

Es ist ca. 23 Uhr an irgend einem<br />

Abend des Frühjahrs <strong>im</strong> B-Flügel.<br />

Ich höre deutlich, wie irgendwo in<br />

einem Flur über mir die Ruftaste<br />

gedrückt wird. Vielleicht eine halbe<br />

Stunde später höre ich einen Bediensteten<br />

durch den Gang trotten. Mit dem<br />

Charme eines deutschen Beamten<br />

knallt sein Schlüssel gegen die betreffende<br />

Tür. „Wat iss?“ Ich kann wohl<br />

eine St<strong>im</strong>me antworten hören, aber<br />

nichts verstehen. Verstehen kann ich<br />

nur den auf dem Flur<br />

antwortenden Beamten,<br />

der ein „Jetzt nicht,<br />

morgen.“ als Antwort<br />

knurrt und weitergeht.<br />

Eine Viertelstunde später<br />

ist wieder das<br />

„Klack“ des Relais’<br />

einer Ampel zu hören<br />

und abermals eine relativ<br />

lange Zeit keine<br />

Reaktion. Das Ritual<br />

wiederholt sich: wieder<br />

knallen die Schlüssel<br />

gegen eine Tür. „Wat<br />

iss?“ - „Aber jetzt doch<br />

nicht! Schlaf, Ölauge!“<br />

UE-Foto: Regina Düllmann<br />

Wieder verschwinden die Schritte in<br />

Richtung Zentrale.<br />

Legale<br />

Beruhigung<br />

Eine Stunde Ruhe. Dann wiederum<br />

ein „Klack”, dem erneut lange nichts<br />

folgt. Jetzt aber wird mein Leidensgenosse<br />

ungeduldig. Man hört ein fast<br />

verzweifeltes, w<strong>im</strong>mernd klingendes:<br />

„Hallo, hallo!“ Wahrscheinlich klopft<br />

er zur akustischen Motivationsverstärkung<br />

für den öffentlichen Dienst mit<br />

einem Löffel gegen die Tür. Das nervige<br />

Geklopfe und Gezeter n<strong>im</strong>mt kein<br />

Ende, bis ich schließlich die Schrittgeräusche<br />

mehrerer Füße vor dem Unruheherd<br />

enden höre. Ein unverständlicher<br />

Wortwechsel entbrennt: „Nein,<br />

Du bist wohl ...“ „Bitte ...“ Ich höre,<br />

wie der Riegel der Tür zurückgezogen<br />

und die Zelle aufgeschlossen wird,<br />

dann das Getrampel eines Tumultes,<br />

Tumult in der Nacht<br />

Chronik einer B-Zellenverlegung *<br />

die Geräuschkulisse eines Handgemenges<br />

und <strong>im</strong>mer wieder das flehende<br />

„No, no!” „Bitte...“ und „Aua ...“<br />

des „Bewerbers“ auf die „Beruhigungsmaßnahme“.<br />

Deutlich höre ich,<br />

wie ein angefangener Satz unter Schlägen<br />

abbricht und nur noch ein geradezu<br />

erbärmliches W<strong>im</strong>mern übrig<br />

bleibt. Zuletzt höre ich noch das metallene<br />

Zuknallen des Ganggitters, dann<br />

nichts mehr.<br />

Ein renitenter Gefangener wurde<br />

Selten: Foto einer B-Zelle in Deutschland<br />

gemäß § 88 StVollzG legal „beruhigt“<br />

und in die B-Zelle gebracht.<br />

Unter Ausschluss der<br />

Öffentlichkeit<br />

Inhaftierte werden meist auf Grund<br />

der Entscheidung eines einzelnen<br />

Beamten unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

in die B-Zelle gebracht. Ohne<br />

jeden Zweifel ist da Missbrauch möglich.<br />

Auch wenn in den letzten Jahren<br />

neue Vorschriften für mehr Sicherheit<br />

sorgen, bleibt die Frage, ob das so hinzunehmen<br />

ist. Oder sollte durch eine<br />

zumindest begrenzte Öffentlichkeit<br />

veruscht werden, die Missbrauchsgefahr<br />

weiter zu verringern?<br />

Passiert <strong>im</strong> Haus irgend etwas, was<br />

auch nur den Verdacht einer aufkommenden<br />

gewaltsamen Konfrontation<br />

unter Inhaftierten oder zwischen einem<br />

Inhaftierten und einem Bediensteten<br />

erregt, wird unverzüglich ein Haus-<br />

ULMER ECHO 2007<br />

alarm ausgelöst. Alle Inhaftierten, die<br />

sich dann zufällig auf einem Gang aufhalten,<br />

werden stehenden Fußes von<br />

plötzlich agilen Beamten, wo sie gerade<br />

sind, in eine x-beliebige Zelle oder<br />

einen anderen Raum eingeschlossen.<br />

Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen,<br />

dass sich Inhaftierte mit einem<br />

Randalierer solidarisieren könnten<br />

oder ein Vorkommnis zu einer Schlägerei<br />

eskaliert. Aber gerade der Versuch,<br />

die ohnehin eingeschränkte Öffentlichkeit<br />

auszuschließen,<br />

ist Quelle<br />

von Misstrauen und<br />

Spekulationen.<br />

Gegen unangemessene<br />

Härte?<br />

Ich möchte keinesfalls<br />

den Eindruck<br />

erwecken, als käme es<br />

hier in der JVA Düsseldorf<br />

regelmäßig oder<br />

unregelmäßig zu vertuschten<br />

gewaltsamen<br />

Übergriffen. Mir persönlich<br />

ist kein einziger<br />

Beamter bekannt,<br />

dem ich es zutrauen würde, wehrlos<br />

gemachte Gefangene zu treten oder zu<br />

schlagen. Wir müssen aber deutlich<br />

erkennen, dass eine Verbringung in die<br />

B-Zelle ein potentieller Auslöser für<br />

unangemessene Härte bei der Anwendung<br />

legalen unmittelbaren Zwangs<br />

sein kann. Aus Sicherheitsgründen<br />

verfügt heute jede Provinztankstelle<br />

mit Nachtbetrieb über eine Videoüberwachungsanlage.<br />

Was läge also näher,<br />

als die Gänge der Zellentrakte durch<br />

Videokameras mit Weitwinkelobjektiven<br />

zu überwachen? Zur Gewalteskalation<br />

kommt es häufig auf den Gängen,<br />

zumindest aber sind Entwicklungen<br />

auf den Gängen sowie in den Eingangsbereichen<br />

der Hafträume meist<br />

recht klar erkennbar. Wichtig wäre,<br />

dass die Videobilder aufgezeichnet<br />

werden; käme es zu einem Zwischenfall<br />

oder eine Beschwerde über einen<br />

Übergriff bzw. über einen „Treppen-


ULMER ECHO 2007<br />

Besondere Härten: B-Zelle<br />

27<br />

Grundlage für eine B-Zellen-Verlegung ist § 88 Strafvollzugsgesetz,<br />

der besondere Sicherungsmaßnahmen regelt.<br />

Außerdem gilt:<br />

* Wird ein Gefangener in der B-Zelle gefesselt (angekettet), muss ständig<br />

ein Bediensteter in Sitzwache präsent sein. Diese Regelung ist in den<br />

letzten Jahren entstanden und hat deutlich beigetragen, dass das Instrument<br />

der Fesselung deutlich weniger angewandt wird.<br />

* Ein Sanitäter kommt in jedem Fall sofort zu einem in die B-Zelle Verbrachten;<br />

ein Arzt wird unverzüglich dazu geholt, ggf. noch nachts, spätestens<br />

am nächsten Morgen.<br />

* Über den Verbleib in der B-Zelle entscheidet der Abteilungsleiter nach<br />

Voten von Arzt und Psychologe. Wenn eine Person 72 Stunden in der B-<br />

Zelle ist, muss der Vorgang der vorgesetzten Behörde gemeldet werden.<br />

* Im letzten Jahr gab es in der <strong>Ulmer</strong> Höh’ keinen B-Zellen-Aufenthalt,<br />

der länger als 72 Stunden dauerte. Zwe<strong>im</strong>al blieben Inhaftierte länger als<br />

48 Stunden in der B-Zelle.<br />

auch mehr Sport und Besuch, Wohngruppenvollzug,<br />

leichterer Zugang zu<br />

Telefonaten ... – also alles, was deeskalierend<br />

wirkt. Auch die Verbesserung<br />

der Kommunikation der Bediensteten<br />

zu den Gefangenen (Zeit für Gespräche<br />

statt für die zunehmende Büroarbeit)<br />

sowie Fremdsprachenkenntnisse<br />

be<strong>im</strong> Personal würden manche B-Zellen-Verlegung<br />

verhindern. Der Weg<br />

müsste dahin gehen, auf das archaische<br />

Instrument „B-Zelle“ in Zukunft ganz<br />

verzichten zu können. Leider noch ein<br />

Wunschtraum. •<br />

* Hermann S. UE 2/1997;<br />

Überarbeitung 2007 [wm/ws]<br />

sturz“, wäre dann ein Dokument vorhanden,<br />

das einerseits Legendenbildungen<br />

und andererseits Gefälligkeitsaussagen<br />

vorbeugt.<br />

Meist psychische Probleme<br />

Offizielle Begründungen, jemanden<br />

berechtigterweise in die B-Zelle<br />

zu verlegen, sind neben erkennbarer<br />

Selbsttötungs- oder Selbstverletzungsabsicht<br />

Tobsuchtsanfälle oder tätliche<br />

Angriffe auf Bedienstete oder Mitgefangene.<br />

Die Ursachen sind also entweder<br />

auf psychische Ausnahmesituationen<br />

zurückzuführen – oder der<br />

Empfänger dieser Behandlungsmaßnahme<br />

ist definitiv psychisch krank.<br />

Der Umgang mit solchen schwierigen<br />

Situationen ist sicher eine Herausforderung<br />

für das Vollzugspersonal.<br />

Häufig wäre wohl angemessen, die<br />

betroffenen Personen möglichst frühzeitig<br />

an die Psychiatrie übergeben.<br />

Traum: ganz ohne B-Zelle<br />

Empfehlenswert wäre natürlich<br />

Die B-Zelle ist <strong>im</strong>mer ein heißes<br />

Thema. Auch jetzt tauchen wieder Fragen<br />

und Hinweise auf: werden wir den<br />

Bediensteten gerecht, die sich um Konfliktvermeidung<br />

und agressive Inhaftierte<br />

bemühen? Was ist mit den beabsichtigten<br />

baulichen Veränderungen,<br />

die B-Zellenverlegungen zu vermeiden<br />

helfen sollen? Was mit den Kriseninterventionsteams?<br />

... Wir werden uns<br />

dem Thema in der nächsten Ausgabe<br />

2/2007 journalistisch widmen!<br />

John wurde nach „Bambule”<br />

in die B-Zelle eingesperrt<br />

Nach mehreren Konflikten mit seinem<br />

Zellengenossen kam es eines<br />

Tages <strong>im</strong> Haftraum zu einer handfesten<br />

Auseinandersetzung. Der Abteilungsbeamte<br />

wurde aufmerksam und<br />

rief den Sanitäter und einen Psychologen.<br />

In Begleitung der beiden sowie<br />

eines weiteren Beamten wurde die Zellentür<br />

geöffnet. Nach einer kurzen verbalen<br />

Auseinandersetzung wurde entschieden,<br />

John bis auf Weiteres in die<br />

B-Zelle zu verlegen, weil er gewalttätig<br />

geworden und nicht zu beruhigen<br />

sei. Zwei Bedienstete übernahmen in<br />

unsanfter Art den Transport, da John<br />

versuchte, sich gegen diese Entscheidung<br />

mit Händen und Füßen zu wehren.<br />

Nachdem ihm zunächst Ohrring,<br />

Ringe und Uhr abgenommen wurden,<br />

Aufenthalte in der B-Zelle<br />

Nicht untypische Verlegungen in den „Bunker”<br />

musste er sich bis auf die Unterwäsche<br />

entkleiden. Durch die Unterbringung<br />

in der B-Zelle litt John noch Wochen<br />

später unter Alpträumen in Folge der<br />

Isolation.<br />

Im O-Ton:<br />

„Ich bin froh<br />

um jede B-Zellenverlegung,<br />

die uns erspart bleibt! Wir<br />

mühen uns und ringen um<br />

jeden einzelnen Fall.”<br />

Harald Soodt, Leiter Aufsichtsdienst<br />

der JVA Düsseldorf<br />

Peter verschwand nach einem<br />

Suizidversuch in der B-Zelle<br />

Nachdem Peter nachts blutüberströmt<br />

von seinem Zellengenossen<br />

gefunden wurde, verbrachten ihn drei<br />

Bedienstete nach kurzer Untersuchung<br />

und Behandlung durch einen Sanitäter<br />

in die B-Zelle. Durch hohen Blutverlust<br />

war er benommen. Er musste sich<br />

bis auf die Unterwäsche ausziehen.<br />

Als Peter später wieder einigermaßen<br />

bei Sinnen war, fühlte er sich nach<br />

eigener Aussage „wie in einer mittelalterlichen<br />

Folterkammer.“ Wegen fehlendem<br />

Tageslicht verlor er jedes Zeitgefühl.<br />

Die ständig eingeschaltete<br />

Neonleuchte sorgte dafür, dass die aufsichtsführenden<br />

Beamten ihn mittels<br />

einer Videokamera unentwegt beobachten<br />

konnten. Ein Sanitäter und einmal<br />

ein Arzt kontrollierten seinen<br />

Gesundheitszustand. Nach 48 Stunden<br />

war sein Martyrium beendet, Peter<br />

wurde auf seine Abteilung zurück verlegt.<br />

•<br />

* Aus UE 2/1997; überarbeitet 2007


28 Besondere Härten: U-Haft<br />

Ängstlich, verwirrt und eingeschüchtert<br />

wurde ich von zwei<br />

Polizeibeamten in die JVA Düsseldorf<br />

gebracht. Zuvor musste ich über zwölf<br />

Stunden in einer Ausnüchterungszelle<br />

<strong>im</strong> Polizeigewahrsam (PG) verbringen.<br />

Die anschließende Vernehmung<br />

dauerte recht lange, weil mein Erinnerungsvermögen<br />

arge Lücken aufwies<br />

und der nicht gerade sympathisch wirkende<br />

Vernehmungsbeamte versuchte,<br />

mir angeblich hilfreiche Tipps zum<br />

Geständnis zu geben.<br />

Schließlich wurde ich ohne Handschellen<br />

zum Auto ge-führt und ab<br />

ging die Fahrt in ungewisses „Neuland“.<br />

Erste Kontakte<br />

Nun gelangte<br />

ich in die<br />

Zugangskammer.<br />

Dort musste ich<br />

mich beschämt<br />

entblößen und<br />

bekam Anstaltskleidung<br />

verpasst.<br />

Lediglich meine<br />

Rauchutensilien<br />

ließ man mir. Die<br />

Privatsachen werden<br />

in der Kammer<br />

eingelagert<br />

und können per<br />

Antrag ausgehändigt<br />

werden. Der<br />

Umgangston mancher<br />

Beamter ist<br />

für mich <strong>im</strong>mer<br />

noch sehr gewöhnungsbedürftig.<br />

Als mir daraufhin noch Bettzeug,<br />

Geschirr, weitere Unterwäsche und<br />

Waschzeug in die Arme gedrückt wurden,<br />

war ich regelrecht sprachlos.<br />

Dann bekam ich die so genannte Zellenkarte.<br />

„Jetzt bin ich nur noch eine<br />

Nummer auf dem Papier“, dachte ich<br />

noch, wurde aber schon abfertigungsmäßig<br />

in die Aufnahme gebracht, wo<br />

ein Vollzugsbeamter alle zu meiner<br />

Warten auf den Tag der Abrechnung<br />

Von der Einlieferung bis zur Verurteilung<br />

Von Ralf S.<br />

Person wichtigen Daten aufnahm.<br />

Ausgestattet mit allem Notwendigen<br />

gelangte ich hungrig und müde in den<br />

für mich vorgesehenen Haftraum, in<br />

der sich schon ein Häftling befand.<br />

Mein vorläufiges Zuhause<br />

Ich war sehr aufgeregt. Nach minutenlangem<br />

Kampf mit der schmutzigen<br />

Schaumstoffunterlage, die wie von<br />

Ratten angeknabbert aussah, hielt es<br />

mein Zellenkollege nicht mehr aus und<br />

bezog mir komplett das Nachtlager.<br />

Außer dem doppelstöckigen Bett<br />

befanden sich in der Zelle Klosett,<br />

Waschbecken, ein kleiner Tisch, zwei<br />

Stühle, ein Ra-dio und anstelle eines<br />

Schrankes ein aus Stein oder Beton gefertigter<br />

offener „Klotz“ mit einigen<br />

Erster Blick in die JVA-Düsseldorf: der Kammerflur<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Fächern. Durch ein hochliegendes<br />

kleines Fenster war es sogar möglich,<br />

Kontakt mit Mutter Natur aufnehmen<br />

zu können. Zu meinem vollkommenen<br />

Glück müssten lediglich die Gitterstäbe<br />

entfernt werden, da diese mir doch<br />

die Sicht ein wenig einengten. Die<br />

Wände waren beige und schmutzig,<br />

hie und da hingen von unseren Vorgängern<br />

noch Poster mit wenig bekleideten<br />

Frauen.<br />

Zu Beginn meiner Haftzeit wurde<br />

ich auch noch vom Anstaltsarzt<br />

gefragt, ob alles in Ordnung sei. Ich<br />

bejahte das. Es wurden noch zwei weitere<br />

Fragen gestellt und dann war die<br />

Untersuchung beendet. Dies war dann<br />

die gründliche ärztliche Untersuchung.<br />

Sprechen konnte ich mit kaum einem<br />

hier. Erst nach Wochen wurde zu einigen<br />

Häftlingen eine etwas persönlichere<br />

Beziehung aufgebaut.<br />

Denken nicht erwünscht<br />

Die internen Abläufe lernte ich<br />

schnell: sechs Uhr Frühstück, zwölf<br />

Uhr Mittagessen und siebzehn Uhr<br />

Abendessen. Die Zelle wird von einem<br />

Beamten aufgeschlossen, dann gehen<br />

die Mithäftlinge<br />

vorbei, die<br />

das Essen austeilen<br />

und<br />

anschließend<br />

wird die Zelle<br />

von einem<br />

anderen Beamten<br />

wieder<br />

zugeschlossen.<br />

M a n c h e<br />

Beamte sagten<br />

gar nichts,<br />

anderen ließen<br />

sich wenige<br />

Worte entlokken.<br />

Zwe<strong>im</strong>al<br />

pro Woche sei<br />

es erlaubt, zu<br />

duschen und<br />

Unterwäsche<br />

zu wechseln.<br />

Die Temperatur des Wassers ist vorgegeben.<br />

Alles wird hier vorgegeben,<br />

hier trägst du keine Verantwortung.<br />

Wenn ich etwas möchte, muss ich<br />

ein Antragsformular ausfüllen: sei es<br />

für ein Gespräch be<strong>im</strong> Sozialarbeiter,<br />

Anfragen zur Arbeit, oder die Bitte um<br />

Teilnahme am Sport. Teilweise musste<br />

ich erleben, dass meine Anträge überhaupt<br />

nicht berücksichtigt wurden.


ULMER ECHO 2007<br />

Besondere Härten: U-Haft<br />

29<br />

Das für mich Schl<strong>im</strong>mste war zu<br />

Beginn der Geldmangel; länger als<br />

zwei Monate war ich mittellos. Als<br />

Untersuchungsgefangener hatte ich<br />

keinen Anspruch auf Taschengeld von<br />

der Justiz. Bis meine Anträge ans Sozialamt<br />

bewilligt wurden, musste ich<br />

<strong>im</strong>provisieren. Das hieß für mich z.B.<br />

in den Aschenbechern Zigarettenkippen<br />

sammeln.<br />

Kopfkino<br />

Erst mit der Zeit merkt der Neuling,<br />

dass es sich <strong>im</strong> Gefängnis in allem um<br />

eine eigene Welt<br />

handelt. Be<strong>im</strong><br />

täglichen einstündigen<br />

Hofgang<br />

konnte ich ein<br />

bisschen „Freiheit“<br />

genießen,<br />

obwohl meine<br />

Gedanken ständig<br />

rasten. „Was hast<br />

du nur getan?“<br />

„Warum melden<br />

sich meine Freunde<br />

nicht?“ „Wird<br />

meine Freundin<br />

jetzt noch zu mir<br />

halten?“ „Wie<br />

lange muss ich<br />

hier bleiben?“<br />

Verlegung<br />

Plötzlich wurde ich verlegt. Nach<br />

gut zwei Wochen kam ich von meiner<br />

Zelle in der Zugangsabteilung <strong>im</strong> „A-<br />

Flügel“ in den „B-Flügel“. In der<br />

neuen Zelle war auch schon ein Häftling<br />

anwesend. Aber die Zelle war sehr<br />

sauber, besaß einen Schrank und sogar<br />

ein TV-Gerät. Die Haftbedingungen<br />

wurden besser. Ich hatte derweilen<br />

viele Ratschläge bekommen, meine<br />

Anträge wurden bewilligt und manch<br />

ein Beamter ließ mich sogar die wichtigsten<br />

Telefonate machen. An der<br />

Sportgruppe durfte ich neuerdings teilnehmen<br />

und sogar Bücher und CD’s<br />

ließ man mir zukommen<br />

Nur eine Nummer<br />

Jedoch beschlich mich des öfteren<br />

das Gefühl, nicht menschenwürdig<br />

behandelt zu werden. In der Besuchsabteilung<br />

hörte ich gleich den Befehl<br />

„Geh’ da rein!“ In der Kammer kam<br />

und komme ich mir <strong>im</strong>mer wie ein<br />

Bettler vor, wenn ich (nachdem ich<br />

natürlich vorher einen Antrag stelle)<br />

etwas aus meiner Privathabe möchte<br />

und verächtlich angeschaut werde.<br />

„Können Sie überhaupt lesen?“ und<br />

Ähnliches musste ich mir schon anhören.<br />

Speziell zu Beginn der Haft, in der<br />

ich als Neuling die internen Abläufe<br />

noch nicht kannte, wurde ich oft schikaniert:<br />

„Setzen!“, „Mach hin, Jung.“.<br />

Ein bisschen „Freiheit“: Freistunde auf dem Hof<br />

Auch als ich z.B. Zahnschmerzen hatte<br />

und mir ein Arzttermin genehmigt<br />

wurde, bekam ich dies zu spüren. Nach<br />

langer Wartezeit und eigentlich geringer<br />

Behandlungszeit wurden und werden<br />

die Pa-tienten erneut in ein abgeschlossenes<br />

„Wartez<strong>im</strong>mer“ geschickt<br />

und müssen dort mitunter nochmals<br />

lange warten, bis sie auf die Abteilung<br />

gehen können – alles in Begleitung<br />

eines Beamten.<br />

Privilegien des Arbeiters<br />

Nach über vier Monaten bekam ich<br />

eine Arbeit als Mitarbeiter in der Redaktion<br />

zugeteilt und als Arbeiter erhielt<br />

ich außerdem eine Einzelzelle. Zu dieser<br />

Zeit setzte sich sogar ein Beamter<br />

für mich ein, dass ich ein „Sozialfernsehgerät“<br />

bekam. Von manchen Beamten<br />

(und sicherlich auch Beamtinnen –<br />

entschuldigen Sie bitte, meine Damen)<br />

wurde ich jetzt auch wieder als<br />

Mensch betrachtet und hier und da auf<br />

dem Flur freundlich mit meinem<br />

Namen gegrüßt. So langsam stieg mein<br />

Selbstwertgefühl wieder an.<br />

Haftprüfung<br />

Aber die Angst wegen meiner<br />

Zukunft kehrte zurück. Der Haftprüfungstermin<br />

stand an. Be<strong>im</strong> ersten<br />

Kontakt mit der zuständigen Haftrichterin<br />

bekam ich das Menschenunwürdige<br />

zu spüren.<br />

Mir wurden<br />

Handschellen so<br />

eng angelegt, dass<br />

sie sich arg in<br />

mein Fleisch<br />

bohrten. Als ich<br />

um Lockerung<br />

bat, bestrafte man<br />

mich obendrein<br />

noch mit Nichtachtung,<br />

als hätte<br />

ich überhaupt<br />

nichts gesagt.<br />

Morgens um sieben<br />

Uhr dreißig<br />

wurde ich zusammen<br />

mit anderen<br />

Häftlingen zum<br />

hiesigen Amtsgericht<br />

gebracht und<br />

erst nach Mittag wieder in die Anstalt<br />

zurückgebracht. Das Gespräch mit der<br />

Richterin betrug davon ca. eine halbe<br />

Stunde, den „kläglichen Rest“ verbrachte<br />

ich in der Wartezelle. Die Haftprüfung<br />

war für mich negativ und ich<br />

musste in U-Haft verbleiben.<br />

Tag der Abrechnung<br />

Schließlich, nach einem halben<br />

Jahr Aufenthalt in der <strong>Ulmer</strong> Höh’,<br />

kam dann der Tag der Abrechnung.<br />

Bevor ich mit anderen Häftlingen in<br />

den Justizbus einstieg, wurden wir<br />

gebeten, sämtliche mitgeführten<br />

Gegenstände auf einen Tisch zu legen.<br />

Danach wurden wir abgetastet und<br />

zum Bus gebracht. In diesem musste<br />

ich zusammen mit einem Kollegen in<br />

einer kleinen Transportzelle Platz neh-


30 Besondere Härten: U-Haft<br />

ULMER ECHO 2007<br />

men. Der Bus fuhr in eine kleine, extra<br />

für den Bus vorgesehene Halle ein, die<br />

sich seitlich vom Haupteingang des<br />

Amtsgerichtes befindet. Wieder musste<br />

ich in der Wartezelle des Gerichts,<br />

dieses Mal „nur“ ca. neunzig Minuten,<br />

warten.<br />

Handschellen blieben mir Gott sei<br />

Dank erspart. Von einem uniformierten<br />

Paar eskortiert, wurde ich in den<br />

Gerichtssaal gebracht, indem sich<br />

außer uns dreien noch niemand befand.<br />

Peu a peu fanden sich die Beteiligten<br />

ein. Zuerst musste ich einen Lebenslauf<br />

abliefern, der Richter stellte hierzu<br />

Fragen und die nett anzusehende<br />

Staatsanwältin verlas darauf die<br />

Anklageschrift. Dann wurde Satz für<br />

Satz das von mir Ausgesagte geprüft.<br />

Ich sagte aus, dass nicht alles von mir<br />

stamme, sondern dass bei der Vernehmung<br />

der zuständige Polizist vieles<br />

formuliert habe. Nur dunkel erinnere<br />

ich mich an den Tathergang!<br />

Raub mit Körperverletzung<br />

Ich will nur kurz darlegen, weswegen<br />

ich angeklagt wurde. Ich soll<br />

einer älteren Dame die Handtasche<br />

geraubt und sie dabei so geschubst<br />

haben, dass sie fiel und sich das<br />

Schambein brach. An den körperlichen<br />

Kontakt kann ich mich nicht mehr<br />

erinnern, weil ich zum Zeitpunkt der<br />

Tat sehr betrunken war. Auch jetzt<br />

kann ich mich nicht entsinnen. Zeugen<br />

sollen mich jedoch identifiziert haben,<br />

daher habe ich mich schuldig erklärt.<br />

Bei der Verhandlung wurde mir<br />

gesagt, dass es der älteren Dame besser<br />

ginge und sie sich nun <strong>im</strong> Pflegehe<strong>im</strong><br />

befinde. Ich habe ihr geschrieben und<br />

möchte ihr den Schaden wo möglich<br />

ersetzen und die Tat „irgendwie“ wieder<br />

gut machen. Von der Tasche fehlt<br />

jede Spur und ich weiß auch nicht, wo<br />

sie ist. Jedenfalls hatte ich die Tat nicht<br />

geplant. Ich bekam auch schon von<br />

anderen Gefangenen zu hören: „Wenn<br />

das meine Oma wäre ...“ Ich habe<br />

einen großen Fehler gemacht. Noch<br />

nie hatte ich Derartiges getan.<br />

Das Urteil<br />

Der hiesige Gutachter gab sein Statement<br />

mit Stellungnahme zum § 64<br />

StGB ab (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt).<br />

Daraufhin wurden<br />

noch zwei Zeugen gehört, bis sich die<br />

Staatsanwältin zum Plädoyer erhob<br />

und unter Berücksichtigung der besonderen<br />

Härte der Tatausführung ein Jahr<br />

und zehn Monate nach § 64 forderte.<br />

Abschließend erläuterte mein Rechtsanwalt<br />

noch dies und das, dann zog<br />

sich das Gericht zur Beratung zurück.<br />

Nach zwanzigminütiger Wartezeit<br />

sprach der Richter das Urteil: zwei<br />

Jahre und zwei Monate Unterbringung<br />

in einer Entziehungsanstalt nach § 64.<br />

Ich durfte als Angeklagter das letzte<br />

Wort haben und schloss mit den Worten,<br />

„dass sich solch ein folgenschweres<br />

Verbrechen niemals wiederholen<br />

dürfe“. Der Richter erwähnte noch die<br />

ULMER ECHO<br />

nicht <strong>im</strong>mer nett, aber<br />

alles <strong>im</strong> Internet<br />

möglichen Rechtsmittel (von denen<br />

ich sowieso keinen Gebrauch machen<br />

wollte), wünschte mir leicht mahnend<br />

gutes Gelingen bei der Maßnahme und<br />

schloss die Verhandlung.<br />

Von den beiden Uniformierten<br />

wurde ich wieder in die Wartezelle<br />

gebracht. Zwischendurch wurde mir<br />

auf blechernem Essenstablett ein Mittagessen<br />

gereicht, welches ich in der<br />

nicht gerade einladenden Räumlichkeit<br />

mit einem Löffel (aus Sicherheitsgründen<br />

gibt es kein anderes Besteck) zu<br />

mir nehmen durfte. Nach einer weiteren<br />

Stunde wurde ich in einem Kleinbus<br />

zurück in die <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />

gebracht.<br />

Geduld und Maul halten<br />

Seit diesem Zeitpunkt sitze ich <strong>im</strong><br />

<strong>Knast</strong> und warte auf die Unterbringung<br />

in der Klinik. Ich kann nur hoffen, dass<br />

es dort menschenwürdiger zugeht, als<br />

zu Beginn meiner U-Haft hier. Manches<br />

an den Haftbedingungen ist<br />

sicherlich hart. In Freiheit hörte ich<br />

mal den Spruch: „Schau mal, Alter, das<br />

elende Alki-Schwein lebt ja <strong>im</strong>mer<br />

noch.“ Im <strong>Knast</strong> will jeder nur überleben,<br />

auch ich. Sicher, ich habe etwas<br />

Menschenunwürdiges getan. Aber<br />

muss ich deshalb auch von Manchen<br />

menschenunwürdig behandelt werden?<br />

Reicht denn die Strafe nicht? Es heißt<br />

doch: „Vor dem Gesetz sind alle<br />

gleich.“ •<br />

* Überarbeitung 2007 [ws]<br />

www.ulmerecho.de<br />

Alle Ausgaben – seit 1997!<br />

Riesiger Themenbereich u.a.m.


ULMER ECHO 2007<br />

Im normalen Leben setzen<br />

Geschäftstermine entsprechende<br />

organisatorische Vorbereitungen voraus.<br />

Sind Übernachtungen vorgesehen,<br />

müssen rechtzeitig Hotelz<strong>im</strong>mer<br />

gebucht werden. Wer der He<strong>im</strong>at nicht<br />

länger als notwendig fern bleiben will,<br />

wird sich um opt<strong>im</strong>ale Terminplanung<br />

bemühen. Müssen Gefangene aus<br />

NRW jedoch einen Gerichtstermin<br />

z.B. in einer süddeutschen Stadt wahrnehmen,<br />

sind sie einer Tourplanung<br />

ausgesetzt, die jede Normalität<br />

sprengt.<br />

17 Tage für 15 Minuten<br />

Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen<br />

eines Zeugentermin in Ellwangen.<br />

Meine Vorbereitungen für diese „Weltreise“<br />

beginnen<br />

drei Tage vor der<br />

geplanten Abreise.<br />

Ich habe mein<br />

gesamtes Zelleninventar<br />

zusammen<br />

zu packen. Das in<br />

den zurückliegenden<br />

neun Monaten<br />

Angesammelte<br />

verpacke ich akribisch<br />

in vier große<br />

Kartons. Fraglich,<br />

ob ich nach Rükkkehr<br />

meine in<br />

den vergangenen<br />

Wochen mehr oder<br />

weniger liebevoll<br />

eingerichtete Zelle<br />

wiederbekomme.<br />

Ich weiß nicht einmal,<br />

ob mir durch<br />

meine mehrtägige<br />

Abwesenheit sogar<br />

mein Job, um<br />

den ich wochenlang<br />

gekämpft habe, verloren geht.<br />

1000 Gedanken dieser Art schießen<br />

mir durch den Kopf, als mir ein<br />

Bediensteter die nicht gerade erfreuliche<br />

Nachricht übermittelt, dass ich mit<br />

einer Reisedauer von ca. 16 Tagen zu<br />

Besondere Härten: Transport<br />

JVA-Tours<br />

Zweieinhalb Reisewochen für eine Aussage: eine Tour wird zur Tortour<br />

JVA<br />

TOURS<br />

Von Wolfgang M. *<br />

rechnen habe. Ich befürchte eine „Tour<br />

der Leiden“, an die Übernachtungen in<br />

Transporterzellen fremder Knäste darf<br />

ich gar nicht denken. 16 Tage Reisestress<br />

für eine Zeugenaussage? Darf<br />

mir die Justiz so etwas zumuten? Mir<br />

hilft nur der Ratschlag meiner Frau:<br />

„Augen zu und durch!“<br />

Im „Panoramabus“ quer<br />

durch Deutschland<br />

Im Gegensatz zum Intercity, der<br />

mich in sechs Stunden an mein Ziel<br />

bringen würde, verbringe ich nun mehrere<br />

Tage in einem Zwe<strong>im</strong>annverschlag,<br />

der in einen justizeigenen<br />

„Panoramabus“ integriert ist. Bei verschlossener<br />

Tür auf einem Holzsitz<br />

kauernd werde ich durch die Republik<br />

Wir buchen .<br />

Sie fluchen ...<br />

geschaukelt. Gott schütze mich, dass<br />

kein Unfall passiert! In der qualvollen<br />

Enge schlafen <strong>im</strong>mer mir wieder die<br />

Beine ein; in gebückter Haltung versuche<br />

ich, das Kribbeln wieder los zu<br />

werden. Durch das Seitenfenster, das<br />

31<br />

in seiner Größe einer Schießscharte<br />

gleicht, erhasche ich hier und da einen<br />

Blick in die Freiheit. Das gelingt allerdings<br />

nur, wenn ich meinen Kopf zwischen<br />

den Schultern einziehe und mich<br />

nach vorne beuge. Ansonsten sehe ich<br />

lediglich Wagendächer der an uns vorbeiflitzenden<br />

Autos.<br />

Hoffnung auf ein<br />

nahrhaftes Abendessen<br />

Wir kommen zur ersten Umsteigestation,<br />

dem <strong>Knast</strong> in Köln-Ossendorf.<br />

Als mir dort eine unappetitliche, wässerige<br />

<strong>Knast</strong>suppe als Mittagessen<br />

angeboten wird, versuche ich, meine<br />

Hungergefühle zu unterdrücken. Nach<br />

4-stündigem Aufenthalt heißt es<br />

Umsteigen in einen Anschlussbus, der<br />

mich über Koblenz<br />

nach Mainz,<br />

meinem ersten<br />

Nachtquartier,<br />

transportiert. Gegen<br />

18 Uhr durchgeschwitzt<br />

und mit<br />

schmerzendem<br />

Hinterteil dort<br />

angekommen,<br />

werde ich zunächst<br />

auf unerlaubte<br />

Gegenstände<br />

durchsucht.<br />

Sind die total irre<br />

hier? Wie hätte ich<br />

mir unterwegs<br />

irgendwas aneignen<br />

können? Meine<br />

Hoffnung auf<br />

ein nahrhaftes<br />

Abendessen vernichtet<br />

der Hausarbeiter<br />

mit vertrockneten<br />

Brotscheiben,<br />

Radieschen<br />

und einer Tasse lauwarmem Tee.<br />

„Schl<strong>im</strong>mer geht´s n<strong>im</strong>mer!“, glaube<br />

ich so lange, bis mir als Schlafstätte<br />

ein Etagenbett in einer Zwölfmann(!)-<br />

Zelle zugewiesen wird, die Krönung<br />

meines ersten Reisetages. Aber es soll-


32 Besondere Härten: Transport<br />

ULMER ECHO 2007<br />

te noch schl<strong>im</strong>mer kommen.<br />

Wie Schlachtvieh?<br />

Mainz ist eine karnevalistische<br />

Hochburg. Diese Lebensart hat den<br />

<strong>Knast</strong> (inzwischen durch den Neubau<br />

in Rohrbach ersetzt) allerdings nicht<br />

erreicht. Laute Stöhn- und Schnarchgeräusche<br />

meiner Leidensgenossen<br />

bringen mich um den erhofften Schlaf.<br />

Noch vor dem Frühstück versuche ich<br />

dem Schweißgeruch und Gestank des<br />

Mannschaftsquartiers durch die einen<br />

Spalt geöffnete Eisentür durch Flucht<br />

auf den Flur zu entrinnen, doch barsch<br />

weist mich ein Mitglied der „grünen<br />

Trachtengruppe“ zurück in den miefenden<br />

Käfig. Zum Glück werde ich<br />

einige Minuten später<br />

wieder in die<br />

Sammelzelle abkommandiert.<br />

Die (Tor-<br />

)Tour geht weiter. In<br />

gebückter Haltung<br />

erkenne ich aus meinem<br />

rollenden Zelle<br />

heraus die Autobahn-<br />

Ausfahrten Schifferstadt,<br />

Frankenthal<br />

und Ludwigshafen.<br />

Da zweigt unsere<br />

Käfigkutsche plötzlich<br />

nach rechts ab.<br />

Ich schaue auf meine<br />

Armbanduhr: 12.15<br />

Uhr erreichen wir<br />

das Mannhe<strong>im</strong>er<br />

Staatshotel, wo uns eine Schnittbohnensuppe<br />

aus einem riesigen Blechtrog<br />

gereicht wird; so etwas kennen Bauernhöfe<br />

als Schweinetrog. Steckdosen<br />

betrachtet man hier als Sicherheitsrisiko,<br />

so reichen mir die Etagenboys heißes<br />

Wasser zur Kaffeezubereitung.<br />

Zwei endlose Tage und Nächte<br />

kostet der Zwangsaufenthalt in dieser<br />

Herberge, bevor meine grüne Minna<br />

die nächsten Autobahnkilometer in<br />

Richtung Bruchsal, Karlsruhe und<br />

Pforzhe<strong>im</strong> frisst. Gegen 20.30 Uhr in<br />

He<strong>im</strong>ershe<strong>im</strong> angekommen lasse ich<br />

mich todmüde und erschlagen auf die<br />

mir zugewiesene Schaumstoffunterlage<br />

fallen. Zum Glück schauen mir <strong>im</strong><br />

heutigen Wohnklo nur zwei Büßer<br />

dabei zu, wie ich krampfhaft versuche,<br />

hinter einer ca. 120 cm hohen Schamwand<br />

auf einem Bello ohne Brille<br />

mein tägliches Geschäft zu verrichten.<br />

Über Stammhe<strong>im</strong> zum Ziel<br />

nach Ellwangen<br />

5 Uhr in der Früh: „Abteilung Aufstehen!“<br />

Um 6 Uhr Einrücken in den<br />

Käfig der grünen Minna und Abfahrt<br />

quer durchs Schwabenländle. Stuttgart-Stammhe<strong>im</strong><br />

ist die nächste Haltestation,<br />

die mich an die höchst eigenartigen<br />

Geschehnisse um einige „Weltverbesserer“<br />

der RAF in den 70er Jahren<br />

erinnert. Irgendwie überfällt mich<br />

be<strong>im</strong> Anblick dieses Gemäuers ein<br />

Schauer. Gefühle wegschieben, meine<br />

„Luxus-Panoramabus“<br />

volle Konzentration gilt der letzten<br />

Etappe meines „Ausflugs“, die mich<br />

über Schwäbisch-Gmünd nach Ellwangen<br />

führt. Mittags ist das Endziel<br />

erreicht. Ein ungewöhnlich leckeres<br />

Mittagessen gibt mir den Mut und die<br />

Hoffnung, die nächsten sechs Tage<br />

hier locker überstehen zu können,<br />

zumal mir eine Zwe<strong>im</strong>ann-Behausung<br />

mit abgetrennter Nasszelle zugewiesen<br />

wird. „Ein <strong>Knast</strong>-Traum!“, denke ich.<br />

Wenn nur nicht zum Mittagessen die<br />

Menagen durch Türklappen zugeschoben<br />

würden: bei der Entgegennahme<br />

der ersten Essensration schalte ich zu<br />

spät, der mit Schirmmütze und Schulterklappen<br />

uniformierte Mensch draußen<br />

schließt die Klappe vehement, und<br />

ich darf mein Wurstgulasch scheibchenweise<br />

vom Boden des Appartements<br />

löffeln. Wie ich später von Vollzugsgenossen<br />

erfuhr, erfreuen sich<br />

diese von der Genfer Konvention<br />

angeblich längst verbotenen Türklappen<br />

in Baden-Württemberg nach wie<br />

vor großer Beliebtheit. Doch vom<br />

ersten Mal gewarnt, brauche ich nicht<br />

noch einmal vom Boden essen. So<br />

wird mir der siebentägige Aufenthalt<br />

<strong>im</strong> verträumten Ellwangen lediglich<br />

durch den militärisch-unwirschen Ton<br />

der „Schließer“ verleidet.<br />

Alles für 15 Minuten<br />

Zeugenaussage<br />

Der vom Ellwanger Gericht angeordnete<br />

Zweck der ganzen<br />

Sache ist meine Zeugenaussage<br />

in einer Verhandlung<br />

gegen jemand,<br />

mit dem ich beruflich<br />

mal zu tun hatte. Als ich<br />

dann tatsächlich <strong>im</strong><br />

Gerichtssaal stehe,<br />

beschränkt sich meine<br />

Aussage auf einen Zeitraum<br />

von 15 Minuten.<br />

Ob das den Aufwand<br />

einer 17-tägigen Reise<br />

quer durch die Republik<br />

rechtfertigt? Wen interessiert<br />

das schon? Ich bin<br />

ja nur ein Gefangener<br />

und habe mich Justizias<br />

Rechtssystem zu beugen.<br />

Das Martyrium der Rückreise zu<br />

meiner geliebten „Ulm“ startet in<br />

umgekehrter Reihenfolge am Tag nach<br />

meiner Aussage; allerdings wird ein<br />

„Kurzurlaub“ von 6 Tagen in der wohlbehüteten<br />

He<strong>im</strong>ershe<strong>im</strong>er Anstalt eingeschoben.<br />

Dort sind alle herzlich<br />

bemüht, mich von allen schädlichen<br />

äußeren Einflüssen wie Fernsehen und<br />

Radio fern zu halten. Endlich, nach 17<br />

Tagen, findet meine Odyssee ihr Ende<br />

dort, wo sie begonnen hat, auf der<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh’ in Düsseldorf. Ich freue<br />

mich, endlich wieder „dahe<strong>im</strong>“ zu<br />

sein. •<br />

* Aus UE 3/1997<br />

überarbeitet 2007 [ws]


ULMER ECHO 2007<br />

Im Justizdeutsch: „Belegungsausgleich“.<br />

Praktische Folge: es geht<br />

Hals über Kopf von Düsseldorf nach<br />

Essen. Morgens bei der Kostausgabe<br />

sagt der Beamte mit einem Lächeln<br />

das Zauberwort „Packen“. Für jeden<br />

Knacki ein Vergnügen, dieses Wort zu<br />

hören. Dann heißt es, binnen kürzester<br />

Zeit Hab und Gut zu verpacken.<br />

Von Kammer zu Kammer sind es<br />

30 km, aber mit Zwischenstop in Gelsenkirchen<br />

werden neun Stunden daraus.<br />

In Essen angekommen, werde ich<br />

überschwänglich willkommen geheißen<br />

und darf mich <strong>im</strong> Beisein der<br />

Kammerarbeiter komplett<br />

ausziehen. Ich werde durchsucht<br />

und erstmal nackt stehen<br />

gelassen. Nach etwa 20<br />

Minuten bin ich dann traumhaft<br />

blau/ h<strong>im</strong>melblau eingekleidet.<br />

„Adieu“ Privatkleidung<br />

und ab in einen der<br />

beiden Karton, in die mein<br />

Hab und Gut geschmissen<br />

wird. Ordentlich einräumen,<br />

dafür ist keine Zeit.<br />

Neuer <strong>Knast</strong>,<br />

neues „Glück“<br />

Mein Weg geht zu meiner<br />

neuen Zelle auf der Zugangsabteilung.<br />

Zwei-Mann-Notgemeinschaft: in<br />

jeder JVA die gleiche Not? Wieder ein<br />

neuer Typ, auf den ich mich einstellen<br />

muss.<br />

Nach zwei Wochen auf Zugang<br />

(superschön: täglich 23 Stunden auf<br />

Zelle und eine auf dem Hof) die Nachricht:<br />

„Packen! Umzug in den C-Flügel.“<br />

Hier liegen nur Strafgefangene.<br />

Wieder erwartet mich eine Zweier-<br />

Zelle. Oh Wunder, diese Zelle ist nicht<br />

acht, sondern 14 qm groß. Welch eine<br />

Verschwendung für zwei Gefangene.<br />

Als nach vier Wochen endlich auch<br />

mein Geld den Weg von Düsseldorf<br />

aufs Essener <strong>Knast</strong>konto gefunden hat,<br />

freue ich mich auf den nächsten Einkauf,<br />

der ein bisschen „Luxus“ bringt.<br />

Ungewohnt, wie viele mir nur mit<br />

einer Tüte oder einem kleinen Karton<br />

Besondere Härten: Verlegung<br />

Einmal JVA Essen und zurück<br />

Verlegung: Umzug von <strong>Knast</strong> zu <strong>Knast</strong><br />

entgegen kommen. Essen ist ein armer<br />

<strong>Knast</strong>, Strafer ohne Arbeit und<br />

Taschengeldparagraph sind in die<br />

Mehrheit. Dementsprechend ist das<br />

Einkaufsangebot nicht besonders, nur<br />

Grundbedürfnisse werden gedeckt.<br />

Vitamin B und Blessuren<br />

In Düsseldorf hatte ich es geschafft,<br />

zu arbeiten und zwe<strong>im</strong>al wöchentlich<br />

an Sport teilnehmen zu können. Jetzt<br />

fängt alles wieder von vorne an, Sport<br />

und Arbeit sind auch in Essen Mangelware.<br />

Im Vollzug lerne ich vor allem<br />

Geduld. Ich bemerke, wie wichtig es<br />

Hausarbeiter verteilt Essen<br />

ist, in der JVA Essen die richtigen<br />

Leute zu kennen, um nicht so viele<br />

Umwege zu laufen; auch öffnen sich<br />

dann die Türen eher.<br />

Am Abend nach meinem Einkauf<br />

habe ich auf einmal fünf ungeladene<br />

Gefangene, die ich nicht einmal kenne,<br />

zum Umschluss auf meiner Hütte. Kaffee<br />

und Kuchen, das zieht an wie Licht<br />

die Motten. An einem der folgenden<br />

Tage werde ich be<strong>im</strong> Duschen nett<br />

gebeten, be<strong>im</strong> nächsten Einkauf Tabak<br />

zu besorgen, ich sei ja ein guter Gastgeber.<br />

Da ich mich diesem Wunsch<br />

verwehre, muss ich handfesten Argumenten<br />

trotzen. Mein Körper erinnert<br />

mich die folgenden zwei Wochen an<br />

die Methode der anderen Vier, ihre<br />

Argumente zu begründen.<br />

Erstaunlicher Weise (weil ich Deutscher<br />

bin?) fragt mich ein Beamter, ob<br />

33<br />

ich ein bisschen „Musik machen“<br />

wolle. Also ist Revanche angesagt, ich<br />

kann Einer gegen Einen in der Zelle<br />

eine Unterhaltung führen. Nachdem<br />

sich meine Argumente diesmal als die<br />

besseren erwiesen haben, holt mich der<br />

Beamte heraus und sperrt mich in<br />

meine eigene Zelle.<br />

Wie die Made <strong>im</strong> Speck<br />

Mir scheint, dass dem schon<br />

erwähnten Beamten mein Rückgrat<br />

gefällt und eine Woche später bin ich<br />

einer von fünf deutschen Essensträgern.<br />

Endlich eine Arbeit; aber unter<br />

welchen Umständen! Ich<br />

erlebe, was es heißt, <strong>im</strong><br />

Schlaraffenland zu sein.<br />

Essensträger und Hausarbeiter<br />

sind in der Lage, wie die<br />

Maden <strong>im</strong> Speck zu leben.<br />

Das Zauberwort „Nachschlag“<br />

scheint in der JVA<br />

Essen aus dem Wortschatz<br />

der Beamten gestrichen zu<br />

sein, Profiteure sind auf<br />

Kosten der anderen Gefangenen<br />

Essensträger und Hausarbeiter.<br />

Wer als Hausarbeiter<br />

in Essen über zwei Teller<br />

oder Schüsseln verfügt,<br />

bekommt diese einmal auf der Abteilung<br />

und ein zweites Mal in der Küche<br />

gefüllt.<br />

Und noch einmal: Geduld<br />

Keiner weiß warum: aber eines<br />

Tages erfahre ich, dass ich wieder nach<br />

Düsseldorf verlegt werde. Es heißt also<br />

wiederum Abschied zu nehmen und<br />

das ganze Prozedere einer Verlegung<br />

über mich ergehen zu lassen. Hier in<br />

Düsseldorf beginnt nun alles wieder<br />

von vorne: Wohnen mit einem fremden<br />

Zellengenossen, Beamte kennen lernen,<br />

bis zum Einkauf ist mein Geld<br />

noch nicht hier, ich stelle Antrag auf<br />

Arbeit, auf eine Sportkarte, auf Teilnahme<br />

an Freizeitgruppen. Geduld,<br />

Geduld. •<br />

Aufgeschrieben nach der Erzählung<br />

eines Betroffenen [bb/ws]


34 Besondere Härten: Prozess<br />

ULMER ECHO 2007<br />

In Eisen gelegt<br />

Entwürdigende Begleitumstände verursachen Nachteile be<strong>im</strong> Prozess<br />

In meiner Zeit als Gast dieser reizenden<br />

Zitadelle stand mir ein<br />

Zivilprozess ins Haus. Für mich ging<br />

es dabei um viel Geld: wichtig für<br />

Opferentschädigung, Anwaltskosten<br />

und Neustart nach der Haft. Um meine<br />

Rechte zu wahren, begehrte ich die<br />

Teilnahme am Prozesstermin. So ging<br />

es eines Morgens um 7 Uhr 30 hinein<br />

in den üblichen Justizbus, in dem ich<br />

gemeinsam mit einem weiteren Probanden<br />

in ein Behältnis gesperrt<br />

wurde, das einem stehendem Doppelsarg<br />

nicht unähnlich ist. Nach kurzer<br />

unidyllischer Reise mit Halt am Düsseldorfer<br />

Gericht ging es schließlich<br />

nach Neuss.<br />

Öffentliche Zurschaustellung<br />

Dort wurde der „Sargdeckel“<br />

geöffnet und wir wurden auf dem<br />

Gang des Busses als Zeichen der<br />

Verbundenheit aneinander gekettet.<br />

Be<strong>im</strong> Verlassen des Busses<br />

stand ich <strong>im</strong> wahrsten Sinne des<br />

Wortes auf der Straße, mitten in<br />

der Innenstadt vor dem Haupteingang<br />

des Gerichts. Um weiterer<br />

Zurschaustellung zu entgehen,<br />

strebten wir zügig dem Gebäude<br />

zu. Dort ging es in den Keller zur<br />

Verwahrzelle. Nach etwa 20<br />

Minuten wurde mein Leidensgenosse<br />

abberufen. Ein halbes<br />

Kreuzworträtsel später war ich an<br />

der Reihe. Vor der Zelle bekam ich<br />

recht schwere, starre Handschellen<br />

verpasst, die mir das Blättern<br />

in den Prozessakten unmöglich<br />

machten. Außerdem war mir die<br />

Chance genommen, meine Lesebrille<br />

<strong>im</strong> Innern des Sakkos zu<br />

erreichen. Ich wurde, von zwei<br />

„Grünen“ eskortiert, ins Erdgeschoss<br />

quer durchs Gebäude vor<br />

den Sitzungsraum geführt und dort<br />

gebeten, Platz zu nehmen.<br />

Urteil und Vorurteil<br />

Wie bei Zivilprozessen üblich,<br />

w<strong>im</strong>melte es auf dem Gerichtsflur von<br />

Von Dieter D.<br />

Anwälten nebst Mandanten. Ich war<br />

peinlich berührt, der Veranstaltung so<br />

deklassiert und gedemütigt beiwohnen<br />

zu müssen; alle Augen starrten mich<br />

an. Nach schier endlosen zwanzig<br />

Minuten wurde „meine“ Sache von<br />

einer jungen Richterin aufgerufen. Mit<br />

zwangsläufig vorgestreckten Händen<br />

(eine umschloss das Schriftgut) trat ich<br />

vor den Richtertisch, registrierte den<br />

Blick der Richterin, die zügig zur<br />

Sache überging: „Spruchtermin am<br />

soundsovielten ...“<br />

Sind vor dem<br />

Gesetz<br />

alle gleich?<br />

Fesselung<br />

ohne Rechtfertigung<br />

Mir drängte sich die Frage auf, ob<br />

nun eventuell ein Vorurteil nach dem<br />

Motto „Der kann eh nichts mehr verlieren“<br />

dieses Urteil beeinflussen<br />

würde.<br />

Hätten mir die Handschellen nicht<br />

wenigstens <strong>im</strong> Gerichtssaal abgenommen<br />

werden können? Meine Vorgeschichte<br />

vermochte die dauerhafte Fesselung<br />

kaum zu rechtfertigen: keine<br />

Aggression, kein Fluchtversuch, kein<br />

Widerstand, schon die Kripo hatte<br />

zuletzt von derartig entwürdigenden<br />

Maßnahmen abgesehen. Erst der Haftrichter<br />

wollte mich unbedingt wieder<br />

in „Eisen“ sehen. Vielleicht ist das ja<br />

eine persönliche Marotte von ihm. Zu<br />

einem noch ausstehenden Zivilprozesstermin<br />

habe ich nun dem Gericht<br />

mein Nichterscheinen angekündigt, da<br />

mir die Rahmenbedingungen menschenunwürdig<br />

vorkommen.<br />

Das Gesetz<br />

auf Seiten des Gefangenen?<br />

Dies wird vermutlich dazu führen,<br />

dass ich den Zivilprozesses durch ein<br />

Säumnisurteil verliere. Vor dem<br />

Gesetz sind alle gleich? Wenn<br />

ich meine Menschenwürde<br />

wahren will, werde ich damit<br />

leben müssen. Zwar sollen<br />

einem U-Gefangenen laut<br />

Gesetz durch die Untersuchungshaft<br />

keine Rechtsnachteile<br />

entstehen, aber das scheint<br />

mir mehr einem opt<strong>im</strong>istischen<br />

Wunschdenken als deutscher<br />

Justizrealität zu entspringen.<br />

Vielleicht entschließt sich ja das<br />

Gericht <strong>im</strong> Rahmen der Gleichbehandlung,<br />

alle in Eisen legen<br />

zu lassen, so dass ich nicht<br />

sonderlich auffalle? Vielleicht<br />

sind ja auch die „Robenträger“<br />

gebrandmarkt, denn erst Friedrich<br />

der Große hatte nach<br />

einem verlorenen Prozess<br />

wütend verfügt, das eben jene<br />

(die Advokaten) künftig in<br />

schwarze Roben zu stecken<br />

seien, damit man die Halunken<br />

sofort erkenne. •<br />

* Aus UE 4/1998;<br />

überarbeitet 2007 [ws]


ULMER ECHO 2007<br />

Arbeit: Bücherei<br />

Der „Bücherwurm“<br />

Arbeitsplätze in gesiebter Luft: Büchereiarbeiter<br />

35<br />

Ich kann mich noch an den Tag<br />

meiner Inhaftierung aus der heutigen<br />

Sicht noch <strong>im</strong>mer sehr gut erinnern.<br />

Die Ankunft in der <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />

war mit so vielen Fragezeichen und<br />

Vorurteilen versehen. Jedoch wurde<br />

ich noch am selben Tag meiner<br />

Ankunft von einem Mitarbeiter der<br />

Bücherei in die Abläufe hier in der<br />

JVA eingewiesen.<br />

Da es zu diesem Zeitpunkt auf der<br />

Zugangsabteilung noch keine Fernseher<br />

gab haben mir die Bücher, die ich<br />

mir damals aus der Bücherei ausgeliehen<br />

habe, geholfen über die vier<br />

Wochen auf dieser Abteilung hinwegzukommen.<br />

Damals habe ich den Entschluss<br />

gefasst, mich in der Bücherei zu<br />

bewerben und den anderen Inhaftierten<br />

das Lesen näher zu bringen. Zum Einstellungsgespräch<br />

hat mich dann Herr<br />

Pick mit vier weiteren Inhaftierten in<br />

die Bücherei eingeladen. Alle Bewerber<br />

saßen auf der einen Seite eines<br />

Tisches und die Büchere<strong>im</strong>itarbeiter<br />

sowie Herr Pick saßen auf der anderen<br />

Seite dieses langen Tisches. Es war ein<br />

Bewerbungsgespräch, dass ich so noch<br />

nie geführt hatte. Uns wurden verschiedene<br />

Fragen gestellt und jeder<br />

hatte die Möglichkeit diesen, unter den<br />

Inhaftierten so sehr begehrten Job in<br />

der Bücherei, zu bekommen.<br />

Nun, da ich diesen Artikel hier<br />

schreibe, könnt ihr euch vorstellen,<br />

dass ich von den Bewerbern diesen Job<br />

bekommen habe und seit mehr als<br />

einem Jahr hier die Medien an euch<br />

austeile.<br />

Ich möchte hier versuchen einen<br />

kleinen Überblick in die Bücherei<br />

gewähren und hoffe, dass sich der eine<br />

oder andere auf diese Weise zum<br />

Lesen inspirieren lässt.<br />

Der Anfang<br />

Der Inhaftierte sollte nach Möglichkeit<br />

vom zuständigen Büchere<strong>im</strong>itarbeiter<br />

einen Bücher- oder CD-Katalog<br />

ausleihen und sich eine Wunschli-<br />

Von U.A.<br />

ste mit Büchern und CDs zusammen<br />

stellen. Alle Medien werden auf jeder<br />

Abteilung einmal in einer Woche<br />

getauscht. Die sogenannte Zugangsabteilung<br />

kann jedoch jeden Tag Bücher<br />

tauschen.<br />

Herr Pick, Chef der Bücherei<br />

Der Tagesablauf<br />

Unser Arbeitstag beginnt hier um<br />

06.00 Uhr morgens mit dem Aufschluss<br />

bei der Morgenkostausgabe.<br />

Wir sammeln die Medien, die ihr an<br />

den Tauschtagen vor die Zelle legt,<br />

noch bevor die anderen Arbeiter ausrücken<br />

ein. Mit dem zuständigen<br />

Abteilungsbeamten gleichen wir dann<br />

unsere Listen ab und nehmen die<br />

Anträge für die Bücherei entgegen.<br />

Anschließend buchen wir euch die<br />

neuen Medien nach den Wunschlisten<br />

und geben euch noch am selben Tag<br />

die neuen Bücher und CDs.<br />

Die Wunschliste<br />

Dies ist das Zauberwort der Büchere<strong>im</strong>itarbeiter.<br />

Denn wer keine<br />

Wunschlisten erstellt,der bekommt leider<br />

auch nicht die gewünschten<br />

Medien. Es gibt <strong>im</strong>mer wieder „Knakckis“,<br />

die ihren Ruf gerecht werden<br />

wollen und keine Listen erstellen aber<br />

trotzdem die neuesten Hip-Hop CDs<br />

haben möchten. Wenn diese „Klientel“<br />

dann anstatt Hip-Hop oder Rap auf<br />

einmal „Schlagermusik“ bekommen,<br />

dann erstellen sie auch wieder<br />

Wunschlisten. Jedoch ein kleiner Tip<br />

an dieser Stelle: Wer zwei Bushido und<br />

eine 50 Cent CDs in die Wunschliste<br />

aufn<strong>im</strong>mt, der sollte sich nicht wundern,<br />

wenn er auf diese CDs dann entsprechend<br />

lange warten und dafür sich<br />

mit anderen CDs begnügen muss.<br />

Also, mindestens 30-40 CDs aufschreiben,<br />

dann ist best<strong>im</strong>mt auch die<br />

richtige CD für euch mit dabei.<br />

Die Medien<br />

Wer schon einmal ein Buch oder<br />

eine CD der Bücherei in den Händen<br />

hielt, der kann sich vorstellen, was für<br />

eine Arbeit dann doch da hinter steht.<br />

Wir verfügen zur Zeit über 6.500<br />

Bücher und ca. 1.650 CDs in der<br />

Bücherei. Wir haben ein sehr breites<br />

Spektrum an Literatur sowie an Sachmedien.<br />

Alleine der Fremdsprachenkatalog<br />

umfasst 22 verschiedene Sprachen<br />

mit 2.000 Werken. In den nächsten<br />

Wochen werden wir auch mit der<br />

Ausleihe von DVDs sowie Hörbüchern<br />

beginnen. Alle Medien werden<br />

von uns in den Computer aufgenommen<br />

und erhalten eine Verzeichnisnummer.<br />

Aufgrund dieser Daten werden<br />

auch die einzelnen Kataloge erstellt.<br />

In diesen Katalogen sind sowohl<br />

eine kurze Beschreibung der Bücher<br />

als auch Titel und Interpreten aller<br />

CDs enthalten. Die Bücher und CDs<br />

werden hier durch uns, bevor diese<br />

ausgeliehen werden, foliert und gestempelt.<br />

Bei den CDs wird ein zusätzliches<br />

Sicherungsetikett aufgebracht.


36 Arbeit: Hausarbeiter<br />

ULMER ECHO 2007<br />

„Bücherwurm” bringt<br />

Medien zu den Zellen<br />

Umstände einen reduzierten Wortschatz<br />

erhalten und die Möglichkeit<br />

einer anständigen Konversation fehlt,<br />

empfehle ich jedem von euch Bücher<br />

auszuleihen und diese auch zu lesen.<br />

Aller Anfang ist sehr schwer und vielleicht<br />

ist es schon Jahre zurück, dass<br />

ihr das letzte Buch in den Händen hattet,<br />

aber ihr werdet sehen, dass der eine<br />

oder andere Autor euch in eurer Fantasie<br />

aus dem <strong>Alltag</strong> der JVA befreien<br />

wird.<br />

Die Ausleihzahlen<br />

Jeder Inhaftierte kann sich bis zu 5<br />

Medien in der Woche ausleihen. Bei<br />

einer Ausleihe von bis zu 40.000<br />

Medien <strong>im</strong> Jahr, könnt ihr euch ja vorstellen<br />

was das für ein Aufwand<br />

bedeutet.<br />

Da wir hier <strong>im</strong> <strong>Knast</strong> aufgrund der<br />

Der neue Katalog<br />

Ein Blick in die neuen Kataloge<br />

lohnt sich auf jeden Fall. Wir bieten<br />

demnächst als DVD best<strong>im</strong>mt auch<br />

den Klassiker von Clint Eastwood<br />

„Flucht von Ulmcatraz“ an. Bis dahin<br />

könnt ihr „Papillion“ oder von Alexander<br />

Dumas den Graf von Monte Christo<br />

lesen. •<br />

Die erlösende Nachricht wird<br />

mir nach dem Mittagessen als<br />

Dessert serviert, als der Abteilungsbeamte<br />

mir sagt, ich möge sofort meine<br />

Sachen packen und in eine andere<br />

Zelle umziehen. Zum Abendessen<br />

könne ich bereits meinen Dienst als<br />

Hausarbeiter antreten. Das trifft mich<br />

<strong>im</strong> positiven Sinne wie ein Blitzschlag,<br />

denn sofort wird mir klar, dass meine<br />

Leidenszeit beendet ist.<br />

Untätiges, wochenlanges Hocken<br />

auf der Zelle, oftmals 23 Stunden am<br />

Tag, ließ mich langsam depressiv werden.<br />

Die Wände des Haftraums schienen<br />

<strong>im</strong>mer näher auf mich zuzukommen.<br />

Das schlechte Gewissen meinen<br />

Eltern gegenüber plagte mich. Sie versorgten<br />

mich nämlich jeden Monat mit<br />

Bareinzahlungen, damit ich zum<br />

Wohlstand unseres Anstaltskaufmanns<br />

beitragen konnte. Alles Vergangenheit.<br />

Putzen, schleppen, Essen verteilen ...<br />

Der Hausarbeiter, ein Job mit Vor- und Nachteilen<br />

Von Wolfgang M.<br />

„Etagenboys” bei der Arbeit<br />

Ich bin's, euer Etagenboy<br />

Ab jetzt gab's eine Lohnabrechnung<br />

und dazu noch eine meist geöffnete<br />

Zellentür und das von morgens bis<br />

abends. Luxuseinkauf <strong>im</strong> Anstaltsshop<br />

vom erarbeiteten Hausgeld. Eine neue<br />

Perspektive eröffnet sich mir <strong>im</strong> <strong>Knast</strong>.<br />

Ab sofort zähle ich zur arbeitenden<br />

Bevölkerung, sei es auch nur, dass ich<br />

als Etagenboy meine Kollegen bewirten<br />

darf. Nach einer unruhigen Nacht,<br />

<strong>im</strong>mer in Gedanken daran, was mich<br />

morgen an meinem ersten Arbeitstag<br />

wohl erwartet, stehe ich bereits um<br />

5.30 Uhr gewaschen, rasiert und ange-


ULMER ECHO 2007<br />

Arbeit: Hausarbeiter<br />

37<br />

zogen in meiner Zelle. Mit Beginn des<br />

RTL Frühmagazins öffnet sich Punkt<br />

sechs Uhr meine Zellentür und ich<br />

beginne als „Weißjacke” meinen<br />

Dienst. Muckefuck um 6.10 Uhr zum<br />

Frühstück an ca. 100 Häfenbrüder*<br />

auszuschenken: von dem Job habe ich<br />

schon <strong>im</strong>mer geträumt. Nun ist der<br />

Traum Realität. Nachdem der diensthabende<br />

Beamte die letzte der 66 Zellentüren<br />

aufgeschlossen hat, ist mir der<br />

Appetit auf das anschließende eigene<br />

Frühstück endgültig vergangen.<br />

Die nächtlichen Ausdünstungen<br />

meiner Mitbewohner legten sich infolge<br />

geschlossener Zellenfenster wie ein<br />

Nebel auf meine Atemorgane. Es gibt<br />

ohnehin keine Zeit zum Luftholen,<br />

denn direkt <strong>im</strong> Anschluss an die Frühstücksausgabe<br />

habe ich die Abfalle<strong>im</strong>er<br />

meiner Zellengenossen von deren<br />

Inhalt zu entsorgen. Dann endlich ist<br />

Zeit für eine selbstgebrühte Tasse<br />

Tchibo Gold. Der weitere Verlauf des<br />

Vormittags ist best<strong>im</strong>mt durch die Reinigung<br />

der Flure beider Abteilungen.<br />

Mir steht zwar die Teilnahme an der<br />

täglichen Freistunde zu, aber das<br />

schlechte Gewissen plagt mich, meine<br />

Arbeit rechtzeitig fertig stellen zu können.<br />

So verzichte ich auf Frischluftzufuhr.<br />

Und gleich der erste Ärger<br />

Der Uhrzeiger bewegt sich langsam<br />

auf die 12 zu, als ich in weißer Arbeitskleidung<br />

gemeinsam mit meinen drei<br />

Kollegen die Behälter entgegen<br />

nehme, in denen die Küchenarbeiter<br />

das heutige Mittagessen portioniert<br />

haben. Meine Aufgabe besteht darin,<br />

die gekochten Kartoffeln zu verteilen,<br />

und das möglichst gleichmäßig. Und<br />

da beginnt das erste Problem, denn<br />

bereits bei der dritten Zelle pöbelt<br />

mich ein südländisch aussehender<br />

<strong>Knast</strong>bruder mit übelsten Sprüchen an<br />

und droht mir mit Schlägen, wenn ich<br />

seine Kartoffelportion nicht verdopple.<br />

Um Repressalien zu vermeiden, lege<br />

ich eine Kelle nach, in der Hoffnung,<br />

auch für die letzten Zellen noch Kartoffeln<br />

übrig zu haben. Meine Portionierung<br />

geht Gott sei Dank auf.<br />

Nachdem ich nun selbst meine<br />

inzwischen kalt gewordene Bratwurst<br />

mit der dazugehörigen Portion Kartoffeln<br />

degustieren durfte, bahnt sich der<br />

nächste Zellenrundgang an: Milch<br />

muss verteilt werden. Die Tetrapacks<br />

werden unseren <strong>Knast</strong>kollegen lediglich<br />

vor die Zellentür gestellt.<br />

Der Nachmittag verläuft relativ<br />

ruhig. Zeit zum Relaxen bietet sich<br />

mir, um zur Ausgabe des Abendessens<br />

wieder fit zu sein. Schonkost scheint<br />

heute angesagt, oder wie sollen meine<br />

teilweise 90 bis 100 kg schweren<br />

Häfenbrüder, die regelmäßig in der<br />

Muckibude Eisen stemmen, von einer<br />

kleinen Portion Gurkenquark satt werden?<br />

Die Packungen sind abgezählt, so<br />

dass sich mir keine Möglichkeit bietet,<br />

doppelte Portionen ausgeben zu können.<br />

Hoffentlich erlebe ich den Durchgang<br />

stressfrei. Um 17.45 Uhr neigt<br />

sich mein erster Arbeitstag endlich<br />

dem Ende zu. Nach dem Umschluss,<br />

den ich mit meinem Arbeitskollegen<br />

zum Kartenspielen nutze, wird auch<br />

meine Zellentür von außen verschlossen.<br />

Mädchen für alles<br />

Wer glaubt, die Tätigkeit eines<br />

Hausarbeiters beschränkt sich auf das<br />

Verteilen der Mahlzeiten, irrt. Zu meinen<br />

weiteren täglichen Pflichten zählt<br />

das Leeren der Mülltonne unserer<br />

Abteilung auf dem Hof und das Aushändigen<br />

von Reinigungsmaterialien<br />

an meine Mitgefangenen zum Putzen<br />

ihrer Hafträume. Toilettenartikel wie<br />

z.B. Rasierutensilien, Zahnpasta, Klopapier<br />

usw. lagern auf meiner ohnehin<br />

beengten Zelle, um sie je nach Bedarf,<br />

insbesondere an den beiden Duschtagen<br />

pro Woche, an meine <strong>Knast</strong>brüder<br />

aushändigen zu können.<br />

Die auch mir zustehende täglich<br />

Freistunde nutze ich selten, da ich<br />

gemeinsam mit meinen Kollegen auch<br />

noch ständig die Flure, Treppen, Türen<br />

und vor allen Dingen das Büro unseres<br />

17 Uhr <strong>im</strong> B-Flügel:<br />

Abendkostausgabe<br />

Abteilungsbeamten zu reinigen haben.<br />

Der mir übertragene Job eines<br />

Hausarbeiters ist sicher nicht jedermanns<br />

Sache. Er garantiert mir jedoch,<br />

außer einem „Trinkgeld” als Lohn,<br />

gewisse Freiheiten in dieser elenden<br />

Umgebung, die ich mir natürlich selbst<br />

ausgesucht haben. •<br />

* Häfenbrüder = österreichisch für<br />

<strong>Knast</strong>brüder


38 Arbeit: Wäscherei<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Lieber schmutzige Wäsche waschen, als arbeitslos sein<br />

Ein Arbeitstag in der Wäscherei<br />

Während der zurückliegenden<br />

sieben Monate in dieser<br />

trostlosen Umgebung wurde der stupide<br />

Tagesablauf lediglich durch die tägliche<br />

Freistunde und dem abendlichen<br />

Umschluss mit meinem Zellennachbarn<br />

unterbrochen. Das sollte sich nun<br />

grundlegend ändern.<br />

Als ich bereits jegliche Hoffnung<br />

auf einen Arbeitsplatz aufgegeben<br />

habe, da erreicht mich unerwartet die<br />

Nachricht unseres Abteilungsbeamten,<br />

dass ich mich am nächsten Tag pünktlich<br />

um 7.00 Uhr zum Dienstantritt in<br />

der Wäscherei zu melden habe. Die<br />

Zeit meines Junggesellendaseins ging<br />

mir durch den Kopf, als ich in Ermangelung<br />

einer Waschmaschine wöchentlich<br />

in einem Waschsalon aufkreuzte,<br />

um meine schmutzige Wäsche zu<br />

waschen. Ein wenig Vorkenntnisse<br />

waren also für meine neue Tätigkeit<br />

vorhanden. Aber reichten diese aus,<br />

um gleich als vollwertige Arbeitskraft<br />

einspringen zu können?<br />

Von Wolfgang M.<br />

Die Waschautomaten fassen bis zu<br />

60 kg Trockenwäsche. Das entspricht<br />

in etwa einer Menge von ca. 300 Frotteehandtüchern.<br />

Im Verhältnis zum<br />

Hausgebrauch würde diese Menge<br />

15mal eine normale Waschmaschine<br />

füllen. Dieses gesamte Volumen wird<br />

von uns in 60 Minuten gewaschen und<br />

getrocknet.<br />

Bettwäsche und Geschirrtücher<br />

werden nach dem Waschen in einen<br />

separaten Mangelraum gebracht. Fünf<br />

Mitgefangene bedienen die monströse<br />

Heißmangel, um den regelmäßig<br />

anfallenden riesigen Berg an Bettwäsche<br />

pünktlich wieder geglättet und<br />

zusammengefaltet an die Abteilungen<br />

zurückgeben zu können.<br />

Arbeitstages wurden <strong>im</strong>merhin rund<br />

1700 Wäschestücke geglättet und<br />

gefaltet. Wir versorgen <strong>im</strong>merhin acht<br />

verschiedene JVA's mit sauberer<br />

Wäsche, davon entfällt natürlich der<br />

Löwenanteil der Waschleistung mit<br />

fast fünf Tonnen pro Woche auf die<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh' selbst.<br />

Mit Nadel und Faden<br />

Zerschnittene oder zerrissene<br />

Wäschestücke werden von drei meiner<br />

Arbeitskollegen, die irgend wann einmal<br />

in ihrem früheren Leben die<br />

Arbeitsweise einer Nähmaschine kennen<br />

lernten, geflickt und instandgesetzt.<br />

Nicht selten kommt es allerdings<br />

vor, dass ein Arbeitshemd in leichter-<br />

Ein professioneller Waschbetrieb<br />

Die Vorstellung der maschinellen<br />

Einrichtung unserer Wäscherei durch<br />

den diensthabenden Beamten übertrifft<br />

alle meine Erwartungen. Ich fühle<br />

mich wie in einer Waschfabrik, umgeben<br />

mit Maschinen, die in ihrem<br />

Umfang und Größe alles mir bisher in<br />

dieser Richtung bekannte überragen.<br />

Gerade in diesem Augenblick wird<br />

Wasser in eine der riesigen Waschmaschinen<br />

eingelassen, verbunden mit<br />

einem Geräuschpegel, der mich an<br />

eine Übung der Freiwilligen Feuerwehr<br />

erinnert. Der Maschinenraum<br />

wird ausgefüllt mit zwei übergroßen<br />

Trocknern, in denen die gereinigten<br />

Wäschestücke in Minutenschnelle<br />

getrocknet werden. Eine Bügelpresse<br />

dient uns zum Glätten der Jacken und<br />

Kittel meiner Vollzugskollegen und<br />

der Bediensteten aus den Arbeitsbereichen<br />

Bäckerei, Küche und Sanitätsrevier.<br />

Die undankbarste Tätigkeit auf<br />

meiner neuen Arbeitsstelle ist die der<br />

„Maschinisten”. Die Hände in Handschuhe<br />

verpackt sortieren diese wahren<br />

Helden der Arbeit die verschmutzte<br />

Wäsche, die täglich in großen Säkken<br />

angeliefert wird. Jeden Tag von<br />

Neuem kämpfen sie mit den Gerüchen.<br />

Besser haben es dabei die Mangelarbeiter.<br />

Stoische Ruhe hilft dabei,<br />

stundenlang wiederkehrenden Handgriffe<br />

zu tätigen, denn am Ende eines<br />

Ein Blick in die Wäscherei<br />

Sommerausführung ohne Ärmel angeliefert<br />

wird. Oft mutieren auch Frotteehandtücher<br />

zu Waschlappen. In diesem<br />

Fall kann auch der beste <strong>Knast</strong>schneider<br />

keine Wunder vollbringen und die<br />

durch Wut und Hass zerstückelten<br />

Kleidungs- und Wäschestücke in den<br />

Urzustand zurückversetzen.<br />

Ich bilde mir ein, mich als Neuling<br />

in der Abteilung „Falte” schon recht<br />

gut eingearbeitet zu haben, obwohl<br />

meine lieben Arbeitskollegen


ULMER ECHO 2007<br />

Arbeit: Kammer<br />

39<br />

zwischendurch meine Zurechnungsfähigkeit<br />

und Arbeitsmoral in Frage stellen.<br />

Sehen die in mir etwa einen Konkurrenten,<br />

der bestrebt ist, durch gute<br />

Leistung auf sich aufmerksam zu<br />

machen? Dabei will ich nur meine<br />

Ruhe haben und bin glücklich, von der<br />

„Hütte” zu sein.<br />

Die Uhr zeigt 15.30, Feierabend.<br />

Mein erster Arbeitstag ist geschafft.<br />

Ich werde mich zukünftig bemühen,<br />

<strong>im</strong> Strom meiner 17 Arbeitskollegen<br />

mitzuschw<strong>im</strong>men, um weder positiv<br />

noch negativ aufzufallen. Jedenfalls<br />

wünsche ich allen arbeitswilligen Mitgefangenen<br />

einen Job, denn dann lässt<br />

sich der Aufenthalt in unserem<br />

Zwangsasyl <strong>Ulmer</strong> Höh' viel leichter<br />

ertragen. •<br />

Aus UE 04/199;,<br />

überarbeitet 8/2007 [rs]<br />

Ich geh' so unwahrscheinlich gern<br />

in den Waschsalon, sangen einst<br />

die Softrocker von BAP. Dieses Lied<br />

erinnert mich noch an die Zeit, als ich<br />

noch keine Waschmaschine besaß und<br />

mich in best<strong>im</strong>mten Abständen meist<br />

ungehalten auf den Weg machen musste.<br />

Allerdings besserte sich<br />

meine Laune erheblich, als ich<br />

die gut riechende Wäsche aus<br />

dem Trockner zog und sorgsam<br />

zusammenlegte. Diese Arbeit<br />

sollte mir bald schon - leider<br />

unfreiwillig - erspart bleiben.<br />

Wäschetausch be<strong>im</strong><br />

Duschen<br />

Als ich in die „Ulm” umzog,<br />

beschrieb mir der Kammerarbeiter<br />

in der Dusche freiwillig seine<br />

Tätigkeit. Bei dieser Arbeit handelt<br />

es sich hauptsächlich um<br />

das Tauschen von Wäsche.<br />

Innerhalb der Dusche befindet<br />

sich eine „Durchreiche” zu<br />

einem ehemaligen Zellenraum.<br />

Hier werden Unterwäsche, T-<br />

Shirts, Taschentücher, Socken und<br />

Handtücher gelagert. Diese können<br />

be<strong>im</strong> Duschen zwe<strong>im</strong>al in der Woche<br />

getauscht werden. Folglich muss der<br />

„Kammerknecht” dafür sorgen, dass<br />

<strong>im</strong>mer genügend Tauschwäsche für die<br />

Gefangenen vorhanden ist. Nach dem<br />

Wäschetausch wird ein Meldezettel für<br />

Der „Herr der Socken”<br />

Pflichten des Kammerknechts an der Dusche<br />

Von Ralf S.<br />

den Kammerverwalter erstellt; womit<br />

erfasst wird, wie viele Wäschestücke<br />

gewechselt wurden. Dann werden<br />

diese zur Zugangskammer oder zur<br />

Wäscherei gebracht. Dort wird saubere<br />

Wäsche abgeholt, die über die Hauptkammer<br />

geht und schließlich als<br />

Sockenausgabe in der Dusche<br />

Tauschwäsche für das nächste<br />

Duschen zur Verfügung steht.<br />

Zuerst die Materialausgabe<br />

Der Tag beginnt um 6.15 Uhr in der<br />

Hauptkammer, wo den Kollegen bei<br />

ihren Vorbereitungen für die Materialausgabe<br />

geholfen wird. Dann gibt der<br />

Kammerverwalter die außerplanmäßigen<br />

Dienstanweisungen für den Tag<br />

bekannt. Es wird in zwei Schichten in<br />

der Kammer gearbeitet von 6.15 Uhr<br />

bis 15.00 Uhr und die Zweite Schicht<br />

fängt um 10.00 Uhr an und endet ca.<br />

gegen 18.30 Uhr.<br />

Nun geht es los. Bis 9.00<br />

Uhr muss Schmutzwäsche in<br />

der Zugangskammer abgegeben<br />

werden, damit diese und<br />

zugleich die von den Hausarbeitern<br />

getauschten Handtücher<br />

aus den Zellen in die<br />

Wäscherei gebracht werden<br />

können. Der Gang zur<br />

Wäscherei wiederholt sich<br />

häufiger, damit nach deren<br />

Reinigung wieder frische<br />

Wäsche zur Verfügung steht.<br />

Darüber hinaus gehört<br />

auch die Säuberung des Flurbereiches<br />

und der Zugangszellen<br />

zu den Pflichten des<br />

„Kammerknechtes”. Diese<br />

Arbeit erfolgt <strong>im</strong> weiteren<br />

Verlauf des Tages. Leider<br />

sind jene Zellen meist in desolatem<br />

Zustand und manch einem Kammerarbeiter<br />

graut es schon, an die Reinigung<br />

der Transporter- und Zugangszellen zu<br />

denken. Schließlich werden noch<br />

defekte Kleidungsstücke aussortiert<br />

und um ca. 17 Uhr gelangt die letzte<br />

Fuhre Schmutzwäsche vom Arbeiter-


40 Arbeit: Revier<br />

ULMER ECHO 2007<br />

duschen zur Zugangskammer.<br />

Es können aber schon<br />

mal Arbeitstage länger werden,<br />

denn an den Transportertagen<br />

(Dienstag u. Donnerstag)<br />

verlängert sich die<br />

Arbeitszeit schon mal bis<br />

18.30 Uhr. Auch in der<br />

Woche sind mache Arbeitstage<br />

mit Überstunden behaftet,<br />

wenn vom Amtsgericht<br />

und dem normalen Umlauf<br />

noch Zugänge kommen.<br />

Zusätzliche Arbeiten<br />

Gelegentlich werden<br />

„Möbelrückaktionen” durchgeführt,<br />

die vom Kammerverwalter<br />

angeordnet werden. Wir haben zwei<br />

Lagerräume <strong>im</strong> CK Arbeiterbereich<br />

mit feuerfesten Materialien,<br />

z. B. Matratzen für die Verstärkt-<br />

GesicherteHaftraum (VGH) Abteilung.<br />

Des weiteren einen Lagerraum<br />

<strong>im</strong> AK mit Möbeln sowie ein<br />

Kleidungslager <strong>im</strong> E-Flügel.<br />

Gegen 17.15 Uhr endet der normale<br />

Arbeitstag eines Kammerarbeiters.<br />

Diese Arbeit mag zwar etwas<br />

stupide anmuten, doch hilft sie mir<br />

wohl, die hiesige Haftzeit etwas<br />

abwechslungsreicher zu gestalten.<br />

Und ganz nebenbei bekomme ich<br />

sogar Geld dafür. •<br />

Aus UE 02/1997, überarbeitet<br />

2007 [rs]<br />

Zwei zum Aufwischen<br />

Die Revierhausarbeiter sind Mädchen für alles <strong>im</strong> Sanitätsrevier<br />

Unsere Arbeit beginnt morgens<br />

um sechs Uhr.<br />

Die Behandlungsräume werden<br />

gesäubert, Müllbeutel ausgetauscht<br />

und genügend Mineralwasser zur Verfügung<br />

gestellt. Das Bad wird vorbereitet,<br />

um eine saubere Umgebung zu<br />

schaffen. Dann werden die schmutzigen<br />

Handtücher und Laken des Vortages<br />

gewechselt, so, dass sich der Sanitätsbereich<br />

bis ca. sieben Uhr <strong>im</strong> einwandfreien<br />

Zustand befindet. Danach<br />

pausieren wir ein wenig.<br />

Im weiteren Verlauf des Vormittages<br />

muss die gebrauchte Beamtenwäsche<br />

sortiert, gebündelt und zur<br />

Wäscherei gebracht werden. Dort<br />

bekommen wir frische Tauschwäsche,<br />

die <strong>im</strong> Revier in die für jeden Beamten<br />

vorhandenen Fächer einzusortieren ist.<br />

Manchmal stehen diverse Pakete für<br />

den Sanitärbereich (z.B. Medikamente)<br />

zur Abholung an der Außenpforte<br />

bereit, die wir dann in den Sanitätsbereich<br />

bringen. Auch pflegen wir, die<br />

Pflanzen und das Aquarium, ein grüner<br />

Daumen hilft <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> tristen <strong>Knast</strong>alltag.<br />

Das dient dazu, dem ganzen<br />

Bereich eine etwas angenehmere und<br />

nicht ganz so sterile Atmosphäre zu<br />

Von Ralf S.<br />

vermitteln. So gibt es also <strong>im</strong> Laufe<br />

des Vormittages <strong>im</strong>mer wieder etwas<br />

zu erledigen.<br />

Mittags beginnt die eigentliche<br />

Arbeit <strong>im</strong> 1. Obergeschoss:<br />

der Behandlungsraum des<br />

Arztes muss mit einer speziellen<br />

Lösung gesäubert und<br />

desinfiziert werden. Frische<br />

Laken kommen auf den<br />

Behandlungstisch und alles,<br />

einschließlich des Bodens,<br />

wird gründlich desinfiziert.<br />

Anschließend wird diese Prozedur<br />

mit dem gegenüberliegenden<br />

Gips- und Desinfektionsraum<br />

wiederholt. Nun<br />

wird auch das Bad mit einer<br />

Desinfektionslösung vorbereitet,<br />

die wir ca. 1 Stunde<br />

einwirken lassen, um dann<br />

die Wanne, das Duschbecken<br />

und die Fliesen gründlich<br />

abzuwischen und mit viel<br />

Wasser alles wieder von der<br />

Desinfektionslösung zu<br />

befreien. Dann werden die<br />

beiden Büros der weiblichen Sanitätsbediensteten<br />

und des Doktors gesäubert,<br />

sowie bei Bedarf das Labor und<br />

die Krankenzelle.<br />

Jetzt kommen wir zu unserem Problembereich,<br />

den beiden Wartezellen.<br />

Es sollte selbstverständlich sein, dass<br />

Revierhausarbeiter ...<br />

man diesen neutralen Wartebereich<br />

nicht mutwillig verschmutzt. Vielleicht<br />

überprüft der eine oder andere ja doch


ULMER ECHO 2007<br />

Arbeit: gibt’s zu wenig<br />

41<br />

einmal seine Einstellung dazu.<br />

Für einige der hiesigen Inhaftierten,<br />

scheinen wir beide eine eher belästigende<br />

als nützliche Erscheinungen zu<br />

sein. Zu diesem Thema vielleicht noch<br />

ein kurzer Hinweis: wer krank ist und<br />

Behandlung durch die Sanitäter oder<br />

Ärzte braucht, wünscht vernünftigen<br />

Rat und Hilfe. Er sollte sich daher<br />

bewusst sein, dass Rauchen in ärztlichen<br />

Praxen und Krankenhäusern<br />

grundsätzlich nicht erlaubt ist. Warum<br />

sollte es hier also anders sein?<br />

Der Raucher sollte sich mal in<br />

Gedanken vorstellen, der Arzt würde<br />

bei seiner Behandlung z.B. einer offenen<br />

Wunde rauchen? Ein angenehmer<br />

Gedanke!<br />

Nun geht es weiter auf der unteren<br />

Ebene. Dort werden die Aufenthaltsräume<br />

des Personals gereinigt, der<br />

Behandlungsraum der Sanitäter, die<br />

... bei der Arbeit<br />

Bedienstetentoilette, der Warteraum<br />

und bei Bedarf die Apotheke und das<br />

Büro des Sanitätsleiters. Dienstags und<br />

donnerstags muss dann der Zahnarztbehandlungsraum<br />

genauso wie der<br />

Arztraum gereinigt und desinfiziert<br />

werden. Damit ist dann die eigentliche<br />

Tagesarbeit abgeschlossen. Bei Notfällen<br />

werden wir auch außerhalb der<br />

normalen Arbeitszeit gerufen.<br />

Der Samstag ist der Großkampftag<br />

<strong>im</strong> gesamten Bereich, wobei dann alles<br />

nochmals gründlich, einschließlich der<br />

Fenster und Fußböden, nass gereinigt<br />

wird. Dazu ist an diesem Tag die beste<br />

Gelegenheit, da nur wenige Patienten<br />

ins Revier kommen und die Arbeiten<br />

daher ungestört vonstatten gehen.<br />

Vielleicht hilft es dem einen oder<br />

anderen über diesen kurzen Bericht<br />

etwas mehr Verständnis für die Arbeit<br />

von uns zu gewinnen und mehr Entgegenkommen<br />

hinsichtlich des Rauchverbots<br />

aufzubringen. •<br />

Aus UE 03/1998;<br />

überarbeitet 8/2007 [rs]<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh’: viel zu wenig Arbeit für viel zu viele Gefangene<br />

Ohne Arbeit kein Einkauf und weniger Kontakt<br />

Erst gestern sah ich <strong>im</strong> Fernseher,<br />

dass engagierte Beamte in<br />

Hessen es geschafft haben, eine Kaffeerösterei<br />

in ihr Gefängnis zu holen.<br />

25 Cent pro Pfund Kaffee sollte sogar<br />

noch dem weißen Ring für Opfer von<br />

Gewalttaten zugute kommen.<br />

Mehr als 75% ohne Arbeit<br />

In unserer JVA gibt es kaum 130<br />

Arbeitsplätze für manchmal über 600<br />

Inhaftierte. Es scheint sich niemand<br />

zuständig zu fühlen, zusätzliche<br />

Arbeitsplätze zu beschaffen.<br />

Oft wird der Wert der Arbeit für die<br />

Resozialisierung betont. Ganz sicher<br />

macht <strong>Knast</strong> ohne Arbeit – sprich:<br />

ohne Regelmäßigkeit, ohne Anforderungen<br />

usw. – noch viel mehr kaputt.<br />

Aber die Möglichkeit, zu arbeiten,<br />

bedeutet auch sozialen Kontakt und<br />

ein Stück Normalität während der<br />

Arbeitszeiten; Arbeit durchbricht die<br />

eintönige Ödnis der <strong>Knast</strong>tage und<br />

baut Agressionen und Frustrationen<br />

ab. Für einen Inhaftierten gibt es nichts<br />

Von Alex B., Wolfgang Sieffert OP und Uzo<br />

Schl<strong>im</strong>meres, als 23 Stunden am Tag<br />

„auf Zelle” eingeschlossen zu sein.<br />

Das ist dann kaum mehr als ein Vegetieren:<br />

Daueraufenthalt in der Zelle<br />

wirkt sich so schädlich aus, dass in<br />

Aus Johannes - Verlag Bärmeier<br />

anderen Ländern einem Gefangenen<br />

jeder Tag ohne Arbeit mit drei Tagen<br />

auf die Haftzeit angerechnet wird.<br />

Arbeit hat viel Vorteile<br />

Wer keine Arbeit hat, kann auch<br />

nicht einkaufen. U-Gefangene betteln<br />

dann Angehörige und Freunde um<br />

etwas Geld an, oder warten wochenund<br />

monatelang auf das be<strong>im</strong> Sozialamt<br />

beantragte Taschengeld; Strafer,<br />

die unverschuldet ohne Arbeit sind,<br />

bekommen auf Antrag von der Anstalt<br />

1,48 € pro Tag.<br />

Ein Rest von „Ich bin Ich”<br />

Einkauf bedeutet nicht nur, dass ich<br />

mir gegenüber Anstaltsshampoo und<br />

Zahncreme einen Rest von Individualität<br />

bewahren kann, vielleicht Rauchwaren<br />

oder etwas Süßes einkaufen<br />

kann. Einkauf bedeutet auch, dass ich<br />

einem Mittellosen helfen kann oder<br />

dass ich Mitgefangene zum Umschluss<br />

auf eine Tasse Tee oder Kaffee einladen<br />

kann; so entstehen die gerade hier<br />

so wichtigen sozialen Kontakte!<br />

Aus diesen Gründen sollte in den<br />

Justizvollzugsanstalten für alle Häftlinge<br />

ein ausreichendes Arbeitsangebot<br />

vorhanden sein oder geschaffen werden,<br />

um den schädlichen Auswirkungen<br />

des Verwahrvollzuges entgegenzutreten.<br />


42 Integration / Migration: Ausländerbeauftragter<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Die Bedeutung des Ausländerbeauftragten<br />

Hauptaufgabe ist die Koordination der internen und externen Vernetzung der JVA<br />

Das <strong>Ulmer</strong> <strong>Echo</strong> befragte den<br />

Ausländerbeauftragten der<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh´ über seine Tätigkeit. Herr<br />

Rukaj erfüllt diese Aufgabe neben<br />

anderen Tätigkeiten <strong>im</strong> Feld des Allgemeinen<br />

Vollzugsdienstes. Das <strong>Ulmer</strong><br />

<strong>Echo</strong> dankt Herrn Rukaj für die Auskünfte<br />

und sein Engagement!<br />

Interne Vernetzung<br />

Der Ausländerbeauftragte steht den<br />

übrigen Bediensteten der JVA Düsseldorf<br />

in Fragen der Betreuung ausländischer<br />

Gefangener zur Verfügung, initiiert<br />

neue Angebote und koordiniert<br />

sämtliche angebotenen Maßnahmen.<br />

Er ist dem Gefängnisbeirat bekannt<br />

und dient als Ansprechpartner. Der<br />

Ausländerbeauftragte kooperiert mit<br />

dem Oberlehrer und sorgt für ein ausreichendes<br />

Angebot an Sprachkursen,<br />

in Zusammenarbeit mit der GMV und<br />

dem Freizeitkoordinator wirkt er darauf<br />

hin, dass ausländische Gefangene<br />

die Möglichkeit erhalten, eigenen kulturellen<br />

Interessen nachzugehen. Er<br />

n<strong>im</strong>mt an der Koordinierungskonferenz<br />

teil, um die Interessen der ausländischen<br />

Inhaftierten zu vertreten.<br />

Bis zur Inhaftierung fühlte ich<br />

mich als deutscher Bürger in<br />

einem „freien“ Deutschland. Jetzt wird<br />

mir nur allzu deutlich, dass ich mich<br />

arg getäuscht habe. Nach einem einmaligen<br />

Verstoß gegen geltende deutsche<br />

Gesetze (BtmG) will mich dieses<br />

Land hinauswerfen, und das obwohl<br />

ich hier seit meiner Geburt lebe, und<br />

nicht einmal die Sprache meines „auf<br />

dem Papier angegeben“ He<strong>im</strong>atlandes<br />

spreche.<br />

Im Duden wird He<strong>im</strong>at wie folgt<br />

definiert: „He<strong>im</strong>at, subjektiv von einzelnen<br />

Menschen oder kollektiv von<br />

Gruppen, Stämmen, Völkern, Nationen<br />

erlebte territoriale Einheit, zu der<br />

Externe Vernetzung<br />

Der Ausländerbeauftragte ist<br />

Ansprechpartner für Ausländer und<br />

Arbeitsämter, Zentrale Anlaufstelle für<br />

Asylbewerber, Konsulate, Ausländerbeirat<br />

der Stadt, Aussiedlerbeauftragter,<br />

deutschausländische Kultur- und<br />

Hilfsvereine, externe Betreuer und<br />

Vernetzungspartner. Er führt eine Liste<br />

mit Rechtsanwälten, die sich auf Ausländerrecht<br />

spezialisiert haben, kooperiert<br />

mit dem Anwaltsverein und organisiert<br />

bei Bedarf eine regelmäßige<br />

Sprechstunde eines Rechtsanwalts.<br />

Der Ausländerbeauftragte erstellt eine<br />

Liste mit den Mitarbeiterin, die nach<br />

Die moderne Variante der Verbannung<br />

Abschiebung und Ausweisung um jeden Preis<br />

von Darius M.<br />

ein Gefühl besonders enger Verbundenheit<br />

besteht.“<br />

Meine He<strong>im</strong>at ist hier, denn<br />

hier lebt meine Tochter<br />

Meine He<strong>im</strong>at war und ist Deutschland.<br />

Hier sind meine Verwandten,<br />

meine<br />

Schwestern,<br />

Eltern und<br />

Großeltern,<br />

meine Freundin<br />

und meine<br />

Tochter. Hier<br />

habe ich meine<br />

Kindheit verbracht,<br />

bin hier zur Schule<br />

vorheriger Rücksprache und in Krisenfällen<br />

ihre Fremdsprachenkenntnisse<br />

zur Verfügung stellen, hält Kontakt zu<br />

Vertretern der Kirchen und Glaubensgemeinschaften,<br />

ist bei fremdländischen<br />

Selbsthilfegruppen bekannt und<br />

initiiert bei Bedarf ein Angebot in der<br />

JVA Düsseldorf.<br />

Der Ausländerbeauftragte informiert<br />

in der Zugangsabteilung die ausländischen<br />

Gefangenen über die speziellen<br />

Hilfs- und Behandlungsangebote<br />

in der JVA Düsseldorf.<br />

Er leitet und organisiert die „Vernetzungsgruppe<br />

JVA Düsseldorf”.<br />

Er sorgt dafür, dass sowohl Broschüren<br />

und Informationsmaterial zum<br />

Ausländer- und Asylrecht vorhanden<br />

und für die ausländischen Inhaftierten<br />

zugänglich sind, als auch der Informationsfluss<br />

an ausländische Gefangene<br />

durch die Übersetzung der wichtigsten<br />

Informationen in die gängigen Sprachen<br />

opt<strong>im</strong>al geschieht. •<br />

Aus: UE 02/2004<br />

überarbeitet 09/2007<br />

gegangen. Hier war es, wo ich meine<br />

erste Ausbildung mit Erfolg gemeistert<br />

habe und mich heute sogar <strong>im</strong> Studium<br />

der Informatik befinde. Hier habe ich<br />

meinen Führerschein gemacht und bin<br />

ich mein erstes Auto gefahren. Hier<br />

habe ich meine erste<br />

Liebe kennen<br />

F r e m d i m K n a s t : und<br />

krank: ein Mann geht in´s Sani-Revier<br />

und versucht dem Sani, der damit völlig<br />

überfordert ist, klar zu machen, was ihm fehlt.<br />

Wenn der Sani Zeit hat und bereitwillig ist,<br />

wird er vielleicht versuchen, jemanden zu<br />

finden, der übersetzen kann. Vielleicht<br />

...<br />

gelernt und<br />

n i c h t<br />

zuletzt ist<br />

auch hier<br />

meine<br />

Tochter<br />

geboren<br />

worden. Und<br />

jetzt soll ich alles


ULMER ECHO 2007<br />

Integration / Migration: Sport<br />

43<br />

zurücklassen und ins Ungewisse, also<br />

ins sog. „kalte Wasser“ geworfen werden.<br />

Es wird von mir verlangt, dass ich<br />

all das aufgebe und zurück in mein<br />

Herkunftsland gehe, wie es juristisch<br />

ausgedrückt wird. Was ich<br />

dabei empfinde,<br />

wie<br />

meiner<br />

deutschen<br />

Freundin, meinen hier<br />

lebenden Eltern und Verwandten, insbesondere<br />

wie meiner kleinen Tochter<br />

dabei zu Mute ist, interessiert niemanden.<br />

Dass Besuche nur noch unter<br />

größtmöglichen Entbehrungen und<br />

größten Schwierigkeiten möglich sein<br />

werden, wenn ich gezwungen werde,<br />

dieses Land zu verlassen,<br />

F r e m d i m K n a s t : die meisten<br />

U-Gefangenen müssen be<strong>im</strong> Besuch deutsch<br />

sprechen, auch wenn die Besuchenden der deutschen<br />

Sprache nicht mächtig sind ... Für Personen, die ausschließlich<br />

wegen Fluchtgefahr eingesperrt sind, ist das so<br />

blödsinnig wie unbegründet. Die richterliche Erlaubnis, auf<br />

die akustische Besuchsüberwachung zu verzichten und<br />

sich auch in anderen Sprachen unterhalten zu<br />

dürfen, wird nur selten erteilt.<br />

scheint der ausweisenden<br />

Behörde auch<br />

egal zu sein.<br />

Dass dieses<br />

eine enorme<br />

„Mitbestrafung“<br />

meiner<br />

Angehörigen<br />

ist, fällt ebenfalls<br />

nicht ins<br />

Gewicht. Für mich ist<br />

das eine neue Qualität von<br />

Deportation. Resignierend bleibt mir<br />

nur, festzustellen: „Deutschland hat<br />

Auszug aus der Rheinischen<br />

Post vom 03.03.2004:<br />

„Mangelnde Kenntnisse der Landessprache<br />

sind eine Barriere, die<br />

eine Teilnahme am gesellschaftlichen<br />

Leben verhindert.” (Fritz Behrens,<br />

SPD)<br />

noch <strong>im</strong>mer nichts dazu gelernt“.<br />

Zitat aus meiner<br />

Ausweisungsverfügung:<br />

„Zudem muss davon ausgegangen<br />

werden, dass Sie aufgrund des Besitzes<br />

der mittleren Reife und der Fachhochschulreife<br />

Englischgrundkenntnisse<br />

haben, die bei weitem ausreichen,<br />

sich auch in ihrem He<strong>im</strong>atland<br />

zu verständigen.” •<br />

Aus UE 2/2004<br />

Probleme zwischen Menschen<br />

unterschiedlicher Nationen gibt<br />

es überall und sie machen auch vor den<br />

<strong>Knast</strong>mauern nicht Halt.<br />

Anlass sind sicher auch<br />

kulturelle Eigenheiten,<br />

wenn sie ohne Rücksichtnahme<br />

auf anders denkende<br />

oder glaubende Mitgefangenen<br />

ausgelebt werden.<br />

Meines Erachtens ist der<br />

Wille zur Integration hier<br />

<strong>im</strong> Gefängnis bei Manchen<br />

sehr gering. Den Hauptgrund<br />

für diese Verweigerung<br />

sehe ich <strong>im</strong> Einsperren<br />

durch die deutsche<br />

Justiz. Die hier freiwerdenden<br />

Emotionen führen<br />

manches Mal zu überzogenen<br />

Reaktionen. Wenn der<br />

“Nachbar” zur Linken am<br />

Abend die Lieder seiner türkischen<br />

He<strong>im</strong>at in überhöhter Phonzahl konsumiert,<br />

antwortet der “Nachbar” zur<br />

Rechten mit einschlägigen Liedern<br />

rechts angehauchter Musikgruppen.<br />

Eine Verständigung zwischen Deutschen<br />

und ausländischen Gefangenen<br />

ist so sicherlich nicht zu erreichen.<br />

Es lebe der Sport!<br />

von Dieter S.<br />

Extremer Nationalismus oder religiöser<br />

Fanatismus ist <strong>im</strong>mer auf mangelhaftes<br />

Geschichtswissen zurückzuführen<br />

und einem vernünftigen Miteinander<br />

abträglich. Sehr aufreibend<br />

ist es, wenn nationale Querelen am<br />

Arbeitsplatz ausgefochten werden.<br />

Glücklich, die Gefängnistristesse<br />

durch einen der wenigen Jobs durchbrechen<br />

zu können, sorgt der Gedanke<br />

an solche Konfrontationen für ein<br />

unwohles Gefühl auf dem morgendlichen<br />

Weg zur Arbeit.<br />

Fußball überwindet<br />

die Unterschiede<br />

Lediglich bei einer Aktivität scheint<br />

dieses Verhaltensmuster seine Gültigkeit<br />

zu verlieren: be<strong>im</strong> Sport. Be<strong>im</strong><br />

Fußball ist die Nationalität einzelner<br />

unwichtig. Hier zählt einzig und allein<br />

das gemeinsame Ergebnis, der Sieg.<br />

Plötzlich werden Individuen ein Team<br />

und es ist unerheblich, ob der eine des<br />

anderen Sprache beherrscht. Als<br />

Zuschauer sehe ich, wie ein bunt<br />

zusammengewürfelter Haufen als<br />

Mannschaft agiert, ohne ausländerfeindliche<br />

Parolen zu gebrauchen. Ein<br />

ähnliches Phänomen ist be<strong>im</strong> Fitnesstraining<br />

zu beobachten. Hier trainiert<br />

der Pole mit dem Afrikaner, der Iraner<br />

mit dem Eifelbauern – und dies mit<br />

einer Selbstverständlichkeit, dass der<br />

Eindruck entstehen könnte, es existiere<br />

gar keine Ausländerfeindlichkeit.<br />

Jeder hilft jedem, Ziel ist nur der<br />

gemeinsame Erfolg. Hier zeigt sich <strong>im</strong><br />

Grunde, wie einfach Verständigung<br />

zwischen Menschen verschiedener


44 Integration / Migration: Abschiebehaft<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Herkunft sein kann.<br />

Die durch den<br />

Sport gemeinsam<br />

erfahrenen<br />

positiven<br />

Erlebnisse<br />

haben<br />

natürlich<br />

auch Auswirkungen<br />

auf das<br />

F r e m d i m K n a s t :<br />

Wer Ausländer ist, für den wird selbst<br />

dann, wenn er einen festen Wohnsitz,<br />

Arbeit und soziale Bindungen hat, allzu<br />

schnell ein U-Haftbefehl wegen Fluchtgefahr<br />

erlassen. Ohne Zweifel eine<br />

Benachteiligung!<br />

weitere Zusammenleben <strong>im</strong><br />

<strong>Knast</strong>. Sie tragen<br />

wesentlich zur<br />

Erleichterung des<br />

täglichen Miteinanders<br />

bei.<br />

Ich schreibe<br />

das hier auch, weil<br />

<strong>im</strong>mer wieder Sport<br />

ausfällt oder das<br />

Gerücht umgeht, der von einigen<br />

Beamten als lästige Belastung empfundene<br />

Sport am Samstag solle abgeschafft<br />

werden. Sport fördert Verständnis<br />

und Miteinander; es gibt wohl<br />

kaum ein anspruchsvolleres Ziel, als<br />

die Verständigung der Menschen<br />

untereinander. •<br />

Aus: UE 02/1997<br />

Dieser Skandal ist politisch zu verantworten<br />

Abschiebehaft: was legal ist, ist noch lange nicht legit<strong>im</strong><br />

Mitten in der Neusser Innenstadt,<br />

und dennoch vor den<br />

Blicken der Öffentlichkeit fast verborgen,<br />

liegt das Hafthaus für Frauen, die<br />

aus Deutschland abgeschoben werden.<br />

Die Grünstraße ist eine stille Wohnstraße.<br />

Das große Tor zum Gefängnis<br />

liegt zurückgesetzt. Dahinter verbergen<br />

sich 80 Haftplätze, von denen<br />

meist 30 bis 50 belegt sind. Die Frauen,<br />

die hier zwischen einigen Tagen<br />

und langen Monaten verbringen,<br />

kamen aus allen möglichen Ländern<br />

dieser Welt.<br />

Land zahlt zwei Fachfrauen<br />

In den Abschiebehaftanstalten<br />

bemühen sich viele, aus der Situation<br />

das Beste zu machen. Es gibt keinen<br />

psychologischen Dienst, aber eine<br />

Sozialarbeiterin des Sozialdienst Kath.<br />

Frauen und eine Fachfrau der Frauenberatungsstelle<br />

Düsseldorf sind – aus<br />

Landesmitteln finanziert – hier engagiert.<br />

Außerdem sind acht ehrenamtliche<br />

Betreuerinnen bemüht, die<br />

menschlichen Nöte aufzufangen so gut<br />

es geht. Jeden Werktag ist eine von<br />

ihnen da und spricht mit den Frauen,<br />

beantwortet Fragen, erklärt die Situation.<br />

von Wolfgang Sieffert OP<br />

Verwirrung und Depression<br />

Die Betreuerinnen tragen Verwirrung<br />

und Haftdepression der Inhaftierten<br />

mit und stehen in den Ängsten vor<br />

der Abschiebung bei; sie kümmern<br />

sich um die Sicherstellung von Kleidung<br />

und Geld der meist ganz unvermittelt<br />

festgenommenen Frauen. Auch<br />

die Justiz und die meisten der hier<br />

beschäftigten Justizbediensteten<br />

mühen sich, den Frauen die Haft leichter<br />

zu machen. Statt alle zwei Wochen,<br />

dem vorgeschriebenen Min<strong>im</strong>um,<br />

haben die Frauen jede Woche die Möglichkeit,<br />

Besuch zu empfangen. Die<br />

Zellen sind mehrere Stunden täglich<br />

geöffnet, manchmal bis zu acht Stunden.<br />

Auf dem Hof haben Bedienstete<br />

in Eigenarbeit ein Federballnetz und<br />

eine Tischtennisplatte montiert, die aus<br />

Mitteln einer Stiftung bezahlt wurden,<br />

genauso wie die Satellitenanlage, die<br />

den Frauen die Wahl unter mehreren<br />

Programmen auf den kleinen justizeigenen<br />

Fernsehgeräten ermöglicht.<br />

Einer der Justizbeamten äußerte sich<br />

über seinen Dienst: „Wir mussten<br />

umlernen, als wir hier Abschiebehaftanstalt<br />

wurden. Schließlich sind wir<br />

für den Umgang mit Strafgefangenen<br />

oder Untersuchungshäftlingen ausgebildet.<br />

Jetzt versuchen wir, die Möglichkeiten,<br />

die sich uns hier bieten, für<br />

einen menschenwürdigen Vollzug zu<br />

nutzen.“ So wird den Frauen z.B. bei<br />

schönem Wetter die Gelegenheit gegeben,<br />

viele Stunden täglich <strong>im</strong> Freien zu<br />

verbringen. Eine kleine und willkommene<br />

Erleichterung der Haft, die den<br />

Bediensteten Umstände und Arbeit<br />

macht, wozu sie von keiner Vorschrift<br />

ermuntert werden.<br />

Asylrecht faktisch aufgehoben<br />

Doch die Möglichkeiten in einem<br />

Gefängnis sind sehr begrenzt. <strong>Knast</strong><br />

bleibt <strong>Knast</strong>. Und Menschen einzusperren,<br />

ohne dass der Inhaftierung ein<br />

strafbares Delikt zugrunde liegt, bleibt<br />

in unserem demokratischen Rechtsstaat<br />

ein Skandal, der dessen grundlegende<br />

Normen beleidigt. Grundsätzlich<br />

haben das unsere PolitikerInnen<br />

zu verantworten. Sie haben das neue,<br />

von Kirchen und Sozialverbänden<br />

vielfach kritisierte Ausländergesetz<br />

geschaffen, sie haben das Asylrecht so<br />

weit eingeschränkt, dass es faktisch<br />

abhanden gekommen ist. Aber auch<br />

Ausländerämter und Haftgerichte stehen<br />

in der Verantwortung. Zu oft werden<br />

unnötig Haftbefehle von den<br />

Ämtern beantragt und von Gerichten<br />

unterschrieben. Eine kontrollierte Aus-


ULMER ECHO 2007<br />

Integration / Migration: Abschiebehaft<br />

45<br />

Kr<strong>im</strong>inalprävention durch Integration<br />

Auch der Periodische Sicherheitsbericht (PSB), der von den<br />

Bundesministerien der Justiz und des Innern seit 2001 gemeinsam<br />

herausgegeben wird, thematisiert Kr<strong>im</strong>inalität jetzt in Bezug<br />

auf den Aufenthaltsstatus und die Lebenslage von deutschen und<br />

ausländischen Migrantinnen und Migranten. So heißt es S. 306<br />

<strong>im</strong> Ersten Periodischen Sicherheitsbericht: „Die Thematisierung<br />

‘Zuwanderung und Kr<strong>im</strong>inalität’ stellt auf mögliche Folgen des<br />

unterschiedlich sicheren Aufenthaltsstatus für Lebensverhältnisse,<br />

Integration und Kr<strong>im</strong>inalität ab, anstatt auf Nationalitätenzugehörigkeit.”<br />

Und S. 411 <strong>im</strong> zweiten PSB: „Insofern die Deliktbegehung<br />

stark mit dem Aufenthaltsstatus und dessen Folgen für die<br />

Integrationschancen zusammenhängt, ist Prävention vor allem<br />

auch durch Integration und ... mittels Bildungsförderung zu erreichen“.<br />

reise wäre auch anders machbar. Zu oft<br />

auch bildet die Haft selbst in den<br />

Augen neutraler Beobachtender eine<br />

unzumutbare Härte: <strong>im</strong>mer wieder<br />

sind hier Schwangere und kranke<br />

Frauen inhaftiert.<br />

Inhaftierung ohne Straftat:<br />

ein Skandal<br />

Die die Haft durchführende Justiz<br />

und das eigentlich verantwortliche<br />

Innenministerium tun viel zu wenig,<br />

um die Sicherstellung der Abschiebung<br />

durch Inhaftierung zu einer<br />

humanen Angelegenheit zu machen.<br />

„Warum überhaupt müssen die Frauen<br />

in ein Gefängnis gesperrt werden?“<br />

fragt eine der Betreuerinnen. „Zur<br />

Sicherstellung einer geregelten Ausreise<br />

ist das völlig unnötig!“ Haftgrund<br />

ist die Sicherstellung der Ausreise der<br />

Betroffenen aus Deutschland, nur zu<br />

diesem Zweck darf die Haft dienen.<br />

Wozu dann aber die vielen Stunden<br />

täglich hinter verschlossenen Türen?<br />

Wozu dann die vielen Hindernisse in<br />

der Kommunikation mit der Außenwelt?<br />

Auch bei einem Besuch pro<br />

Woche, auch dann, wenn nach jahrelangen<br />

Kampf Kartentelefone installiert<br />

wurden: ein ungehinderter Kontakt<br />

ist aus dem Gefängnis heraus be<strong>im</strong><br />

besten Willen nicht zu machen.<br />

Kommunikation n<strong>im</strong>mt viel Druck<br />

aus der Atmosphäre <strong>im</strong> Hafthaus.<br />

Die vielen Beschränkungen sind<br />

durch den Inhaftierungsgrund nicht<br />

gedeckte Einschränkungen der Freiheits-<br />

und Persönlichkeitsrechte von<br />

jährlich über eintausend Frauen <strong>im</strong><br />

Hafthaus Neuss allein. Ein Gesetz, das<br />

diesen Freiheitsentzug regeln würde,<br />

gibt es nicht.<br />

Haft für Wochen und Monate<br />

Die Haftlänge darf eine für die Ausländerbehörde<br />

angemessene Frist zur<br />

Vorbereitung der Abschiebung durch<br />

die Behörden nicht überschreiten. Das<br />

bedeutet faktisch meist eine Dauer von<br />

ein bis vier Wochen, doch viele warten<br />

bis zu sechs Monate, bevor sie abgeschoben<br />

oder freigelassen werden. In<br />

seltenen Fällen wird es auch noch länger,<br />

theoretisch sind bis zu 18 Monaten<br />

in der Abschiebehaft möglich. Die so<br />

sehr unterschiedliche Dauer<br />

der Haft ergibt<br />

sich aus der<br />

Tatsache,<br />

dass<br />

manchen<br />

Frauen<br />

die Personalpapiere<br />

fehlen, die für den<br />

Grenzübertritt nötig sind. Wenn dann<br />

ein Ausländeramt überlastet ist oder<br />

schlampig arbeitet und/oder die Botschaft<br />

des Herkunftslandes kooperationsunwillig<br />

ist, dauert es manchmal<br />

Wochen und Monate. Die Buchung<br />

eines Fluges kann auch zu Verzögerungen<br />

führen, etwa wenn wegen eines<br />

Bürgerkrieges Flugverbindungen eingestellt<br />

werden.<br />

Opfer von Straftaten <strong>im</strong> <strong>Knast</strong><br />

Viele der Frauen kommen mit der<br />

Tatsache, <strong>im</strong> Gefängnis zu sitzen,<br />

überhaupt nicht zurecht. Andere, die in<br />

ihrer He<strong>im</strong>at Verfolgung befürchten,<br />

sind mit ihrer Angst vor der Deportation<br />

so gut wie allein gelassen. Und<br />

viel zu häufig geschieht es, dass Frauen<br />

inhaftiert werden, die selber Opfer<br />

z.B. von Menschenhandel sind. Manch<br />

einer Frau hier sind die schl<strong>im</strong>men<br />

Erfahrungen ihrer Vergangenheit, sind<br />

Verfolgung und/oder Erniedrigung in<br />

Zwangsprostitution ins Gesicht<br />

geschrieben. Darüber reden tun nur<br />

manche. Zu tief sitzen Angst und<br />

Scham.<br />

Der von den Verantwortlichen in<br />

den Ministerien verbreitete Eindruck<br />

ist meist der, dass es Abschiebehäftlingen<br />

doch eigentlich ganz gut geht.<br />

Manchmal überschlägt sich dann der<br />

Eifer, ein positives Bild herzustellen.<br />

Etwa wenn es in einem Erfahrungsbericht<br />

des Ministeriums von März 1997<br />

folgendermaßen heißt: „Die Vorgaben<br />

der Richtlinien, von der<br />

Beantragung<br />

von<br />

F r e m d i m K n a s t :<br />

Was es bedeutet, als „Fremder” <strong>im</strong><br />

Gefängnis zu sitzen? Fehlende Sprachkenntnis macht<br />

das Leben kompliziert. Von der Polizei <strong>im</strong> Gefängnis abgeliefert,<br />

folgt in der Kammer bald die Aufforderung, sich für die obligatorische<br />

Umkleidung auszuziehen. Was, wenn die Anordnung nicht verstanden<br />

wird? Wenn die Beamten die folglich fehlende Kooperation und<br />

die sicher vorhandene Beklommenheit des frisch Eingefahrenen als<br />

aggressiv oder widerständig empfinden? Dann wird es schon in den<br />

ersten Minuten des Aufenthaltes in diesem gastlichen Haus kompliziert.<br />

Von den Gefangenen, die ähnliche Entkleidungsanordnungen<br />

aus anderen Ländern als Vorstufe zu Misshandlungen<br />

mindestens vom Hörensagen kennen, ganz<br />

Abschiebehaft<br />

insbesondere<br />

bei schwangeren<br />

und stillenden Frauen, Kindern und<br />

Jugendlichen unter 16 Jahren, Alleinerziehenden<br />

mit Kindern unter 7 Jahren<br />

und bei Anhaltspunkten für Haft-<br />

zu schweigen.


46<br />

Integration / Migration: Abschiebehaft<br />

ULMER ECHO 2007<br />

unfähigkeit bei körperlicher oder psychischer<br />

Krankheit grundsätzlich<br />

abzusehen, sind <strong>im</strong> wesentlichen ...<br />

beachtet worden. ... Fälle, in denen<br />

ausnahmsweise aus besonderen Gründen<br />

dennoch ein Haftantrag für eine<br />

Person aus dem genannten Kreis<br />

gestellt wurde, sind nicht bekannt<br />

geworden.“ Das ist dreist. Wieso ist<br />

den Verantwortlichen nicht<br />

bekannt, dass sehr wohl und<br />

<strong>im</strong>mer wieder Schwangere und<br />

sogar eindeutig psychisch Kranke<br />

inhaftiert werden? Ein Gegenbeispiel<br />

war G. Aus einem der ärmsten<br />

osteuropäischen Länder stammend<br />

und 28 Jahre alt, war sie <strong>im</strong> siebten<br />

Monat schwanger, als sie nach 26<br />

Tagen Abschiebehaft mittellos in ihr<br />

Herkunftsland abgeschoben wurde.<br />

Dort, wo sie keinerlei Angehörige<br />

mehr hat, durfte die Hochschwangere<br />

erst mal eine Wohnung suchen, ihren<br />

Lebensunterhalt sichern (?) usw. ...<br />

Eine Straftat, die nur eine<br />

Ausländerin begehen kann<br />

Sicher, G. kam nicht unvermittelt in<br />

Abschiebehaft, sie war nämlich „kr<strong>im</strong>inell”<br />

und befand sich vorher in U-<br />

Haft, weil sie, statt nach der Ablehnung<br />

ihres Asylantrages der Ausreiseverpflichtung<br />

nachzukommen, untertauchte<br />

und unter falschem Namen<br />

erneut Asyl beantragt hat. Das nennt<br />

das Strafrecht mittelbare Falschbeurkundung.<br />

Die Frau tat es, weil sie<br />

schwanger ist und der Vater ihres werdenden<br />

Kindes, der<br />

sie heiraten<br />

will,<br />

ebenfalls<br />

als Flüchtling in<br />

Deutschland lebt. In der Untersuchungshaft<br />

kam die Frau sogar in die<br />

berühmte B-Zelle: die Akten halten<br />

fest, dass sie freiwillig dorthin mitgegangen<br />

sei, nachdem sie durch Hyperventilation<br />

und den Versuch, sich zu<br />

ersticken, aufgefallen war. Ein Beispiel<br />

für die vielen Frauen, die trotz<br />

der mitmenschlichen Bemühungen<br />

aller direkt Beteiligten Tage größter<br />

Bedrückung in der Neusser Haftanstalt<br />

verbringen, und <strong>im</strong> Ministerium wusste<br />

1997 niemand von den Schwangeren,<br />

von den Frauen mit Kindern, von<br />

der psychisch schwer kranken Frau,<br />

die es entgegen der Richtlinien sehr<br />

wohl und ganz real hier gab.<br />

Elend und Menschenhandel<br />

Viele<br />

Frauen,<br />

F r e m d i m K n a s t :<br />

Mancher Ausländer <strong>im</strong> Gefängnis begreift den<br />

Laden hier überhaupt nicht. Was schon für einen Einhe<strong>im</strong>ischen<br />

schwer ist, die Abläufe und Regeln des Gefängnisses zu begreifen,<br />

wird desto schwerer, je weniger man an mitteleuropäische Verwaltung<br />

und Bürokratie gewöhnt ist. Wer sich zudem noch mangels Sprachkenntnissen<br />

wenig oder gar nicht verständlich machen kann, wer nicht nachfragen kann oder<br />

die Antworten auf eigene Fragen nicht versteht, für den bleibt das Leben <strong>im</strong><br />

Gefängnis eine unhe<strong>im</strong>liche und tückische Angelegenheit. Für Bedienstete ist der<br />

Umgang mit Menschen, mit denen sie sich nicht richtig unterhalten können,<br />

erheblich schwieriger zu gestalten, anstrengender und komplizierter. Konsequenz<br />

ist allemal ein Mehr an Angst und Unsicherheit. Viele<br />

Freistundenhof <strong>im</strong> Hafthaus Neuss<br />

die<br />

hier ihre<br />

Abschiebung<br />

erwarten, kommen<br />

aus Osteuropa. In vielen Ländern der<br />

„zweiten Welt“ herrscht heutzutage so<br />

viel Elend, wie es in unseren Köpfen<br />

kaum für die ärmsten der sog. Entwikklungsländer<br />

vorstellbar ist. Wer will<br />

es den Frauen verdenken, dass sie auf<br />

falsche Versprechungen von Heirat<br />

oder Arbeit <strong>im</strong> „goldenen Westen“ hereinfallen?<br />

Andere suchen selbständig<br />

den Weg zum Geld. Manche darum<br />

wissend, dass Prostitution ihre einzige<br />

Chance ist; andere schaffen es, illegal<br />

in der Gastronomie zu arbeiten. Sehr<br />

unterschiedlich ist, wie viel entwürdigende<br />

Erfahrungen den jeweiligen<br />

Weg bis hierher in den Abschiebeknast<br />

gekennzeichnet haben. Schl<strong>im</strong>m auch,<br />

dass offiziell den Frauen, die über<br />

Menschenhändler und manchmal auch<br />

-händlerinnen nach Deutschland<br />

kamen, geholfen werden „soll“- meist<br />

aber nicht einmal min<strong>im</strong>ale Hilfe möglich<br />

gemacht wird. Diese Frauen, und<br />

das sind nicht gerade wenige, können<br />

entlassen werden, wenn sie gegen ihre<br />

Peiniger aussagen: doch meist fürchten<br />

sie Racheakte und schweigen deshalb.<br />

Aber auch bei denen, die aussagen,<br />

klappt das mit der Haftentlassung nicht<br />

<strong>im</strong>mer. Und die meisten halten schon<br />

deswegen den Mund, weil sie wissen,<br />

dass sie nicht hier in Deutschland bleiben<br />

können: und in ihrer He<strong>im</strong>at warten<br />

schon wieder diejenigen, die sie<br />

bereits einmal mit Locken und Drohen<br />

Rechte des Inhaftierten bleiben durch Unwissenheit und<br />

durch allzu vorsichtiges Verhalten auf der<br />

Strecke


ULMER ECHO 2007<br />

Integration / Migration: Papst<br />

47<br />

drangsaliert haben. Nicht selten wird<br />

die Familie mitbedroht und die<br />

Betroffenen haben große,<br />

begründete Angst vor den<br />

brutalen Machenschaften<br />

der Hintermänner ihres<br />

Unglücks. Diese Frauen<br />

haben keine Chance<br />

zu entkommen, denn<br />

die läge am ehesten<br />

noch in unserem Land<br />

und unter dem Schutz der<br />

deutschen Polizei. Dass aussagebereiten<br />

Opfern von Menschenhandel<br />

kein Bleiberecht<br />

gewährt wird, macht den Menschenhändlern<br />

das Leben so leicht und löst<br />

den Verdacht aus, dass an einer wirksamen<br />

Verfolgung dieser modernen<br />

Form der Sklaverei kein wirkliches<br />

Interesse besteht.<br />

Total legaler Skandal<br />

Andere, die offenen Auges das<br />

Risiko der Deportation auf sich<br />

genommen haben, sei es nun aus Liebe<br />

zu einem Mann, um bei der in unserem<br />

Land lebenden Familie sein zu können,<br />

oder um hier Geld zu verdienen, leben<br />

gemeinsam mit Opfern von Straftaten<br />

<strong>im</strong> Hafthaus Grünstraße 3. Allesamt<br />

für einige Tage, Wochen oder Monate<br />

unter Bedingungen, die Langeweile<br />

und Depression, Ungeduld und<br />

Aggression entstehen lassen. Nur für<br />

einige Frauen gibt es Arbeit, es gibt<br />

viel zu wenig Angebote in der Freizeit,<br />

so dass viele die Tage <strong>im</strong> Bett vergammeln.<br />

Wenn die nordrhein-westfäl-<br />

F r e m d i m K n a s t :<br />

Ausländer, die zwischen 2 und 4 Jahren<br />

Strafhaft zu verbüßen haben, kommen in die <strong>Ulmer</strong> Höh’,<br />

Strafhäftlinge in eine mit Freizeit- und Bildungsmaßnahmen wenig<br />

gesegnete U-Haftanstalt, die zu allem Überfluss nur für jeden dritten<br />

Gefangenen Arbeit hat. Aber bei diesen Gefangenen wird die anschließende<br />

Abschiebung vorausgesetzt (unabhängig davon, ob das hinterher tatsächlich<br />

der Fall sein wird). Heißt das: wer hier in Deutschland gelebt hat, wer hier<br />

straffällig geworden ist und wegen der Höhe des Strafmaßes mit späterer<br />

Abschiebung bedroht wird, für den braucht die gesetzlich vorgeschriebene<br />

Resozialisierung nicht stattzufinden? Auf jeden Fall Haft ohne<br />

berufliche Qualifizierung, ohne Lockerungen wie Ausführung,<br />

Ausgang, Urlaub. Ausländersein ist eben<br />

kein Zuckerschlecken ...<br />

schen AnstaltsseelsorgerInnen<br />

die Abschiebehaft<br />

einen Skandal nennen, ist das<br />

nachvollziehbar. Dieser Skandal ist<br />

nicht <strong>im</strong> Neusser<br />

Hafthaus<br />

gemacht, sondern<br />

in den vornehmeren<br />

Z<strong>im</strong>mern<br />

der Ministerien<br />

und in<br />

den Parlamenten.<br />

Dieser<br />

Skandal muss<br />

nicht sein. Welche<br />

gesellschaftlichen<br />

Auswirkungen<br />

hat es, wenn die<br />

Verantwort-<br />

Eingang zum Hafthaus Neuss<br />

lichen Menschen<br />

in ein<br />

Gefängnis einsperren<br />

lassen, die sich nichts<br />

anderes haben zu Schulden<br />

kommen lassen,<br />

als hier ohne Aufenthaltsstatus<br />

sich aufzuhalten.<br />

Wer<br />

fremd ist,<br />

gehört ins<br />

Gefängnis???<br />

Welche<br />

Botschaft<br />

ist die Praxis der<br />

Abschiebehaft für<br />

das gesellschaftliche<br />

Unterbewusstsein, für die Pflege<br />

von Vorurteilen Fremden gegenüber,<br />

für das (schwindende?) Bewusstsein<br />

einer unveräußerlichen gleichen<br />

Würde aller Menschen? •<br />

Papst Johannes Paul II. 2005:<br />

„Ganz besonders betroffen sind die verwundbarsten unter den<br />

Fremden: Migranten ohne Dokumente, Flüchtlinge, Asylsuchende, die Vertriebenen<br />

der in vielen Teilen der Welt anhaltenden blutigen Konflikte, und die<br />

Opfer - vor allem Frauen und Kinder - des verbrecherischen Menschenhandels. Es<br />

möge uns ermöglichen, in unserem Leben die Menschwerdung und die <strong>im</strong>merwährende<br />

Gegenwart Christi zu bezeugen, der durch uns sein Werk der Erlösung<br />

von allen Formen der Diskr<strong>im</strong>inierung, Zurückweisung und Ausgrenzung<br />

in der Geschichte und in der Welt fortsetzt. Gottes reicher<br />

Segen möge mit all jenen sein, die die Fremden <strong>im</strong><br />

Namen Christi herzlich aufnehmen.”<br />

Aus: „Amtsblatt des Erzbistums Köln“, 09/2003


48 Entlassung: Programmmierter Rückfall?<br />

Wiedereingliederung oder programmierter Rückfall?<br />

Hier geht’s durch für Neuinhaftierte:<br />

der Eingang zur Kammer<br />

Unbestrittenerweise steht einem<br />

entlassenen Strafgefangenen<br />

in Deutschland ein gewisses Instrumentarium<br />

zur Verfügung, um seine<br />

Wiedereingliederung in die sog. normale<br />

Gesellschaft zu unterstützen.<br />

Neben der Sozialgesetzgebung, die<br />

erst für die Zeit nach der Entlassung<br />

von praktischer Bedeutung ist, sind <strong>im</strong><br />

StVollzG (§74/75) Maßnahmen festgeschrieben,<br />

die bereits während der<br />

Inhaftierung <strong>im</strong> Hinblick auf die soziale<br />

Wiedereingliederung greifen sollen.<br />

Wie so oft steht der Anspruch dieser<br />

vom Gesetzgeber vorgesehenen<br />

Hilfestellungen in krasser Entfernung<br />

zur Wirklichkeit.<br />

Sorgfaltspflicht der Anstalt<br />

Die Anstalt unterliegt laut Gesetz<br />

einer umfassenden Sorgfalts– und<br />

Informationspflicht dem Gefangenen<br />

gegenüber. So weist der Gesetzestext<br />

ausdrücklich darauf hin, dass Entlassungsvorbereitungen<br />

bereits mit<br />

Beginn der Inhaftierung einzuleiten<br />

sind, um ihre langfristige Wirksamkeit<br />

zu gewährleisten. Dem Gesetzgeber ist<br />

es auch nicht entgangen, dass sich ein<br />

großer Teil der Entlassungsproblematik<br />

aus den ungeordneten persönlichen<br />

oder wirtschaftlichen Verhältnissen<br />

des Einzelnen ergibt, in die er entweder<br />

zurückzukehren gezwungen ist,<br />

oder die sich oft aus der Inhaftierung<br />

heraus entwickeln. Weiter wird eine<br />

umfassende Beratungspflicht der<br />

Von Klaus H.<br />

Anstalt vorausgesetzt, die sich eben<br />

nicht nur auf die Regelung der o.a.<br />

Sachfragen beschränkt, sondern sich<br />

auch auf die <strong>im</strong> Einzelfall oft wenig<br />

ausgeprägte Fähigkeit zur Lebensbewältigung<br />

und auf Heranführung an<br />

soziale Handlungskompetenz bezieht.<br />

Rückfälle programmiert?<br />

Bei Sichtung der vorliegenden<br />

Gesetzestexte und Broschüren zur<br />

Haftentlassun fällt zunächst auf, dass<br />

die Problematik, mit der sich Haftentlassene<br />

konfrontiert sehen, durchaus<br />

bewusst ist. Der logischen Konsequenz,<br />

die eine Ignorierung der Gegebenheiten<br />

nach sich ziehen würde,<br />

nämlich eine fast zwangsläufig<br />

wiedereintretende Straffälligkeit, wird<br />

versucht, durch das zur Verfügungstellen<br />

sozialer und verwaltungsrechtlicher<br />

Hilfestellungen zu begegnen.<br />

Dass dies oft nur zum Teil oder gar<br />

nicht gelingt, hat vielfältige Ursachen,<br />

die wir in der Folge etwas eingehender<br />

zu beleuchten versuchen, ohne in gängige<br />

Pauschalisierungen zu verfallen.<br />

Fehlanzeige:<br />

persönliches Engagement<br />

Sicher gibt es nicht wenige Gefangene,<br />

die das verfügbare Beratungsund<br />

Betreuungsangebot, zu dem die<br />

Anstalten verpflichtet sind, aus den<br />

verschiedensten Gründen nicht nutzen.<br />

Hierbei spielt das persönliche Engagement<br />

des Einzelnen natürlich eine<br />

ULMER ECHO 2007<br />

große Rolle. Es ist auch klar, dass so<br />

schwer kalkulierbare Dinge wie persönliche<br />

Affinitäten zum Betreuungspersonal<br />

ein nicht unwesentliches Hindernis<br />

<strong>im</strong> Umgang mit den zu lösenden<br />

Problemen darstellen. Ich werde mich<br />

kaum einem Sozialarbeiter gegenüber<br />

öffnen, zu dem ich kein Vertrauensverhältnis<br />

aufzubauen kann.<br />

„Schreiben Sie einen Antrag!“<br />

Das Personal ist auch mit der schieren<br />

Menge an Einzelfällen derart überlastet,<br />

dass es sich der Anzahl von Hilfesuchenden<br />

nur mit einer gewissen<br />

Abwehrhaltung erwehren kann. Jeder<br />

Inhaftierte kennt den Verweis auf<br />

andere Zuständigkeiten oder die<br />

„schreiben–Sie–erstmal-einen-Antrag“-Formel,<br />

mit der scheinbare<br />

Bagatellanfragen gewöhnlich abgeblockt<br />

werden, sofern nicht schon eine<br />

stabile persönliche Basis zwischen<br />

Hilfesuchendem und Adressat besteht.<br />

Hierbei wird oft verkannt, dass ein<br />

Gefangener, der diese Vertrauensbeziehung<br />

zum jeweiligen Betreuer nicht<br />

oder noch nicht hat, oft versucht, über<br />

ein scheinbar belangloses Problem mit<br />

seiner Bezugsperson ins Gespräch zu<br />

kommen, bevor er dann vielleicht die<br />

schwierigere und wichtigere Thematik<br />

zur Sprache bringt, um die es ihm<br />

eigentlich geht. Gelingt dies nicht auf<br />

Anhieb, kommt es oft genug zum<br />

Abbruch jeglicher Bemühungen, das<br />

Betreuungsangebot überhaupt in<br />

Anspruch zu nehmen.<br />

Draußen ist’s nicht besser<br />

In etwa die gleiche Problematik<br />

begegnet dem Haftentlassenen draußen<br />

bei ARGE und Ämtern. Neben den<br />

Folgen, die bei den Mitarbeitenden<br />

dieser Einrichtungen durch Geld- und<br />

Personalmangel in ähnlicher Form wie<br />

in den Anstalten entstehen, existieren<br />

mittlerweile Dienstanweisungen dahingehend,<br />

dass Hilfesuchenden Leistungen<br />

über das allgemein bekannte<br />

Maß hinaus nur auf ausdrückliche<br />

Nachfrage hin gewährt werden. Bitte


ULMER ECHO 2007<br />

Entlassung: Programmmierter Rückfall?<br />

49<br />

also nicht erwarten, dass Sachbearbeitende<br />

in umfassender Form über gesetzlich<br />

vorgesehene Ansprüche aufklären,<br />

sondern sich gut selbst vorbereiten.<br />

Wegweiser für Entlassene<br />

Unbedingt zu empfehlen ist der<br />

aktuell unter Einbeziehung der Hartz-<br />

Gesetze überarbeitete „Wegweiser für<br />

<strong>Ulmer</strong> Höh’: der Ausgang in die Freiheit<br />

Begrenzte Unterstützung für<br />

einen neuen Anfang<br />

Die Mittel, die dort zur Verfügung<br />

stehen, um den auch vom Staat<br />

erwünschten Weg in ein legales Dasein<br />

zu ermöglichen, sind derart<br />

beschränkt, dass viel Geduld und eine<br />

hohe Frustrationsgrenze erforderlich<br />

sind, um auf diese Weise einen neuen<br />

Anfang zu finden. Viele Gefangene<br />

sind in diesen Dingen derart vorbelastet,<br />

dass sie über die Bereitschaft, auf<br />

das Weiterkommen nun auch draußen<br />

noch warten zu müssen, einfach nicht<br />

mehr verfügen.<br />

Gegen alle Vernunft ...<br />

So kann es leicht geschehen, dass<br />

sie sich entgegen aller Vernunft und<br />

allen Erfahrungswerten doch wieder<br />

für das hohe Risiko einer kr<strong>im</strong>inellen<br />

„Karriere“ entscheiden, da diese ihnen<br />

die erwünschten Ergebnisse weit<br />

schneller und umfassender zu garantieren<br />

scheint. Es ist müßig, darüber zu<br />

diskutieren, ob sie damit recht haben<br />

oder nicht – Tatsache ist, dass diese<br />

Entscheidung täglich <strong>im</strong>mer wieder<br />

zugunsten des jeweils nächsten <strong>Knast</strong>aufenthaltes<br />

getroffen wird. Frage<br />

bleibt, warum der Gesetzgeber darauf<br />

bis heute keine für alle Beteiligten<br />

annehmbare Antwort gefunden hat. •<br />

* Aus UE 3/1997, gekürzt und aktualisiert<br />

[ws]<br />

Haftentlassene“, den die Fachkräfte<br />

des Kath. Gefängnisvereins herausgeben.<br />

Hier wird auf so gut wie alle<br />

Eventualitäten, Rechte und Probleme<br />

mit praktisch umsetzbaren Hinweisen<br />

eingegangen. Der Ratgeber ist auch <strong>im</strong><br />

Internet zu finden unter www.gefängnisverein.de.<br />

Bei näherem Hinsehen stellen wir<br />

fest, dass das vorhandene Instrumentarium<br />

zur Bewältigung der Probleme,<br />

die bei der Haftentlassung entstehen,<br />

so schlecht nicht ist, sofern der Einzelne<br />

sich in der Lage sieht, sich eigenverantwortlich<br />

zu informieren, und<br />

seine Ansprüche gegen die Widerstände<br />

in Ämtern und Verwaltung durchzusetzen.<br />

Eine weitere Unterstützung in<br />

diesen Dingen bietet neben der o.a.<br />

Broschüre „Wegweiser“ in Düsseldorf,<br />

die in der Kaiserswerther Str. 286<br />

ansässige Beratungsstelle der Gefangenenfürsorge,<br />

die bei Wohnungs- und<br />

Arbeitssuche, sowie bei allen erforderlichen<br />

Behördengängen mit Rat und<br />

notfalls auch Tat zur Seite steht.<br />

Grundsätzlich bleibt, dass auch<br />

finanzielle Probleme nach der Entlassung<br />

Einzelne abhalten, sich auf die<br />

mühevollen Wege einzulassen.<br />

Die Begleitumstände einer Haftentlassung<br />

habe ich vor ein<br />

paar Jahren erlebt. An die Entlassungsprozedur<br />

innerhalb der Anstalt erinnere<br />

ich mich nicht mehr <strong>im</strong> Detail. Es<br />

zeigte sich allerdings, wie wichtig es<br />

war, dass ich mit Hilfe des Sozialamtes<br />

meine Wohnung behalten hatte. So<br />

hatte ich nach meiner Entlassung<br />

zumindest wieder ein „Zuhause“.<br />

Ich erinnere mich gut an die Empfindungen<br />

und Gefühle, die meinen<br />

<strong>Alltag</strong> in der ersten Zeit nach der Entlassung<br />

prägten. Jedes Klappergeräusch<br />

eines Schlüsselbundes ließ<br />

mich aufschrecken. Überhaupt musste<br />

ich mich erst wieder an die Geräusche<br />

meiner Umgebung gewöhnen. Selbst<br />

das Klingeln eines Telefons, das<br />

Hupen der Autos oder das B<strong>im</strong>meln<br />

der Straßenbahn waren zunächst<br />

fremd. Zum Teil verursachte diese<br />

Vielzahl von neuen bzw. altbekannten<br />

und nun wieder neu zu erlebenden<br />

Geräuschen ein Gefühl des Unwohlseins<br />

bis hin zum Kopfschmerz.<br />

Wirklich entlassen?<br />

Von Reiner J.<br />

Warten auf’s Aufschließen<br />

Ich habe manchmal morgens noch<br />

lange nach dem Ablaufen des Weckers<br />

<strong>im</strong> Bett gelegen und darauf gewartet,<br />

dass jemand die Zellentür aufschließt.<br />

Anfangs habe ich mich von allem und<br />

jedem zurückgezogen. Ich hatte oftmals<br />

den Eindruck, man könne mir<br />

den „Makel“ meiner Inhaftierung<br />

ansehen und ich glaubte zu spüren, wie<br />

Menschen mit dem Finger auf mich<br />

zeigten. Besonders bei Behördengängen<br />

hatte ich das Gefühl, als Mensch<br />

„dritter Klasse“ behandelt zu werden.<br />

Ich meinte die Blicke zu spüren, die<br />

mich musterten. Einbildung oder Realität?<br />

Ich empfand mich als ausgrenzt.<br />

Hatte ich gehofft, mir durch die Verbüßung<br />

meiner Strafe und die Einsicht<br />

über mein Fehlverhalten mir das Recht<br />

erworben zu haben, wieder ein<br />

„ordentliches Mitglied“ der Gesellschaft<br />

werden zu können. •<br />

* Aus UE 3/1997


50 Entlassung: Gewöhnung<br />

ULMER ECHO 2007<br />

Liebes Gefängnis!<br />

Unser erstes Zusammentreffen<br />

vor einem Jahr war schon recht merkwürdig.<br />

Vom ersten Augenblick an<br />

zeigtest Du mir sehr deutlich, dass Du<br />

mich nicht magst. Selbst nett gemeinte<br />

Gesten wurden von Dir ignoriert.<br />

Wegen Dir war ich gezwungen, meine<br />

Freiheiten aufzugeben und war Dir<br />

vom einen auf den anderen Augenblick<br />

bedingungslos ausgeliefert. Doch dieser<br />

Umstand veranlasste Dich nicht<br />

zum geringsten Entgegenkommen. Du<br />

hast mir weder Hilfe angeboten, noch<br />

mir gezeigt, dass selbst bei aller Antipathie<br />

zumindest ein respektvolles<br />

Miteinander möglich sein könnte.<br />

Ich habe besonders am Anfang<br />

unserer Beziehung sehr unter diesem<br />

Umstand gelitten. Vieles war neu und<br />

unbekannt und sicherlich hat die<br />

Unkenntnis über Zusammenhänge und<br />

Abläufe auch Ängste freigesetzt, die<br />

Du mir mit ein wenig gutem Willen<br />

hättest nehmen können. Freiwillig hast<br />

Du mir nur sehr wenig Einblicke in<br />

Dein Tun gestattet und die Aussicht<br />

hast Du mir vergittert. Inzwischen<br />

haben wir, Dank unserer gemeinsamen<br />

Bekannten, sehr viel voneinander<br />

erfahren.<br />

Es mag albern klingen, aber manche<br />

Deiner Reaktionen sind für mich<br />

heute nachvollziehbar geworden,<br />

obwohl ich sie <strong>im</strong>mer noch nicht gutheißen<br />

kann. Doch dass wir beide<br />

keine Gemeinsamkeiten finden können,<br />

liegt schon am Ungleichgewicht<br />

der Positionen in unserer Zwangsbe-<br />

„Auf Dauer sehe ich für uns<br />

keine Chance ...“<br />

„Ich hab’ mich so an Dich gewöhnt!”<br />

Ein Abschieds-Liebesbrief nach der Trennung<br />

Von Christoph D.<br />

Gitterblick auf Kontrollturm<br />

ziehung. Ich räume allerdings ein, dass<br />

ein Miteinander durch die vielen<br />

gemeinsam gemachten Erfahrungen<br />

heute an manchen Tagen mitunter<br />

möglich ist. Auf Dauer sehe ich nach<br />

wie vor keine Chance für uns, doch die<br />

mit Dir und durch Dich erfahrenen und<br />

erlebten Dinge haben mich massiv<br />

geprägt und meine Sichtweisen in vielerlei<br />

Hinsicht stark verändert. Mein<br />

Leben wird zukünftig auch ohne Deine<br />

ständige Bevormundung ganz andere<br />

Maßstäbe und Zielsetzungen haben.<br />

Dir hierfür zu danken, erscheint mir<br />

allerdings pervers.<br />

Diese Erfahrungen hätte ich sicherlich<br />

auch unter glücklicheren Umständen<br />

machen können. Ich muss einräumen,<br />

dass Deine Penetranz und das<br />

durch Dich oftmals provozierte menschenunwürdige<br />

Verhalten diesen Vorgang<br />

enorm beschleunigt hat. Selbst<br />

Dein Eingreifen in meine persönlichsten<br />

Belange lassen unterschiedliche<br />

Auffassungen über deren Berechtigung<br />

zu. Es gab sicherlich Tage, an denen es<br />

hilfreich gewesen ist und ich sogar<br />

froh darüber war, dass Du mir Entscheidungen<br />

abgenommen hast. Doch<br />

ich kann Dir versichern, von diesen<br />

Tagen gab es nur wenige und Du hast<br />

nicht erkannt, wann ich Deine Hilfe<br />

gebraucht hätte oder wann Deine „Fürsorge“<br />

das Korsett meines unfreien<br />

Wollens und Tuns noch weiter eingeschnürt<br />

hat.<br />

Nicht nur aus diesem Grund hast<br />

Du mir an manchen Tagen gestunken.<br />

Nachvollziehen kann dies sicherlich<br />

jeder, der Deine langen und mehr als<br />

hundert Jahre alten Gänge einmal hat<br />

durchschreiten müssen.<br />

„Nicht jeder<br />

hat Dich gesund überstanden.“<br />

Da sich unsere Wege in der nächsten<br />

Zeit trennen, habe ich mich entschlossen,<br />

Dir diese Zeilen zu schreiben.<br />

Nicht jeder hat Dich gesund an Leib<br />

und Seele überstanden. Auch ich kann<br />

mir hier noch kein Urteil bilden, weil<br />

ich hierzu erst wieder das Gefühl der<br />

Freiheit spüren und überhaupt erst wieder<br />

lernen muss, Gefühle zuzulassen<br />

und sie auch zu zeigen. Ich werde wieder<br />

bereit sein müssen, mich dem<br />

Überlebenskampf des täglichen Allerleis<br />

zu stellen, und es wird sich auch<br />

zeigen, wie sehr unsere Beziehung den<br />

Kontakt zu anderen Menschen geschadet<br />

hat oder diesen sogar für <strong>im</strong>mer<br />

zerstörte.<br />

Eines Deiner hochgesteckten und<br />

von Dir <strong>im</strong>mer wieder propagierten<br />

Ziele hast Du meiner Ansicht nach<br />

nicht erreicht: Menschen, welche die<br />

unfreiwillige Beziehung mit Dir eingegangen<br />

sind, zu resozialisieren. Ich<br />

habe vielmehr erlebt, wie durch Dich<br />

viele Beziehungen zu Bruch gegangen<br />

sind, wie Menschen durch Dich nach<br />

und nach alles verloren haben, was<br />

ihnen einmal wichtig war, z.B. Freunde,<br />

Beruf und Wohnung.<br />

Mir bleibt der Eindruck, dass sich<br />

Dein Einfluß negativ auf die Menschen<br />

auswirkt. Der Kontakt mit Dir, und<br />

mag er noch so kurz gewesen sein, haftet<br />

den Menschen wie ein Makel an,<br />

den sie ein Leben lang nicht mehr<br />

abstreifen können. Sie werden von den<br />

Mitmenschen geächtet und nur sehr<br />

wenigen ist es nach den Berührungen<br />

mit Dir möglich, wieder ein von der<br />

Gesellschaft als normal empfundenes<br />

Leben zu führen. Hier möchte ich die<br />

Frage offen lassen, ob dies erstrebenswert<br />

ist oder nicht! Du solltest bereit<br />

sein, Dich selbst einmal in Frage zu<br />

stellen, und den Mut aufbringen, in den


ULMER ECHO 2007<br />

Spiegel zu schauen. Ich bin davon<br />

überzeugt, dass Du Dich selbst<br />

erschrecken wirst, wenn Du bereit bist,<br />

die Augen tatsächlich zu öffnen. Ich<br />

wurde gezwungen, mich mit Dir über<br />

einen längeren Zeitraum auseinanderzusetzen,<br />

und ich würde es sehr begrüßen,<br />

wenn Du auch diese Bereitschaft,<br />

bei der Vielzahl Deiner Beziehungen,<br />

Entlassung: Unterstützung<br />

einmal aufbringen würdest.<br />

„Ich gehe nicht als Freund.“<br />

Ich gehe trotz unserer langen<br />

Beziehung nicht als Freund. Da ich<br />

Dich nun aber kenne, werde ich recht<br />

sensibel mit den Dingen umgehen, die<br />

ich über Dich und Deinen Einfluß<br />

erfahren werde. Meine Erfahrungen<br />

51<br />

haben mir Dein wahres Gesicht und<br />

Deinen verkümmerten Charakter sehr<br />

deutlich gezeigt, und ich werde mich<br />

mit Händen und Füßen gegen die<br />

Leute wehren, die bereit sind, Lobeshymnen<br />

auf Dich zu singen und Deinem<br />

Handeln weiter unkritisch gegenüberzustehen.<br />

•<br />

[vb] Aus UE 3 /1997<br />

Von Oktober 1993 bis Mai 1994<br />

befand ich mich in Untersuchungshaft.<br />

Zuvor hatte ich eine Firma<br />

für Kapitalanlagen betrieben, und<br />

mich somit stets auf einem engen<br />

gesetzlich erlaubten Grat bewegt. Es<br />

genügten einige Verdächtigungen, um<br />

die <strong>Ulmer</strong> Höh' kennenzulernen. Wie<br />

in solchen Fällen oftmals üblich,<br />

wurde auch bei mir das „gelenkte Verfahren“,<br />

angewendet.<br />

Kuhhandel<br />

mit dem Staatsanwalt<br />

So konnte ich damit rechnen, nach<br />

der Hauptverhandlung, wieder auf<br />

freien Fuß zu kommen, allerdings<br />

mußte ich dazu die Berechtigung eines<br />

Teils der Vorwürfe einräumen und eine<br />

Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe<br />

akzeptieren. Mir war das alles egal.<br />

Hauptsache raus aus dem Gefängnis.<br />

Ich war überzeugt, wieder an den alten<br />

Stand der Dinge anknüpfen zu können,<br />

wenn der Aufenthalt in der „Ulm“ bloß<br />

Haft – was dann ?<br />

Von Dieter S.<br />

nicht allzu lange dauern würde. Ich<br />

bemühte vorsichtshalber schon mal die<br />

sozialen Dienste, um mich auf die in<br />

Aussicht stehende Entlassung vorzubereiten.<br />

Von Seiten der Anstalt wurden<br />

mir keine Hilfen angeboten.<br />

Damals war es Herr Peter Ackermann<br />

vom evangelischen Gefangenenfürsorgeverein,<br />

der mir sehr geholfen hat.<br />

Transporterhof mit den Zellen des E-Flügels<br />

Ohne ihn hätte ich nach meiner Entlassung<br />

buchstäblich mit leeren Händen<br />

vor dem Gefängnistor gestanden. Herr<br />

Ackermann erkundigte sich erst einmal,<br />

inwieweit meine sozialen Kontakte<br />

draußen überhaupt noch bestanden.<br />

Das Ergebnis war niederschmetternd.<br />

Meine damalige Verlobte hatte<br />

sämtliche Konten geplündert und alles<br />

zu Geld gemacht. Sie hatte meinen<br />

PKW, die Wohnungseinrichtung, die<br />

Firmeneinrichtung und sogar meine<br />

Bekleidung verkauft. Herr Ackermann<br />

hatte nur eine Woche Zeit, um Dinge<br />

zu organisieren, die unter Normalbedingungen<br />

zumindest vier Wochen<br />

benötigt hätten. Am letzten Verhandlungstag<br />

wurde der Haftbefehl aufgehoben<br />

und gegen 13 Uhr stand ich als<br />

freier Mann vor dem Gerichtsgebäude.<br />

Da ich über kein Bargeld verfügte,<br />

erleichterte ich meinen Anwalt um<br />

seine Barschaft, um ein Restaurantessen<br />

zu finanzieren. So gestärkt begab<br />

ich mich zurück zur <strong>Ulmer</strong> Höh', um<br />

meine Zelle zu räumen.<br />

Nach etwa einer Stunde<br />

Wartezeit erhielt ich meinen<br />

spärlichen Verdienst von<br />

ungefähr 375,- DM. Gegen<br />

15.30 stand ich mit einem<br />

Karton, einem blauen Müllsack,<br />

Fernseher und Radio,<br />

sowie knapp 600,- DM Barmitteln<br />

vor dem Gefängnistor.<br />

Bei der Beratungsstelle<br />

Gefangenenfürsorge,<br />

Ulmenstr. 23, parkte ich erstmal<br />

meine Habe. Da es aus<br />

irgendwelchen Gründen<br />

schon zu spät war, um das<br />

mir zugewiesene Quartier zu beziehen,<br />

übernachtete ich für 27,- DM in einer<br />

Pension. Das Z<strong>im</strong>mer dort war spärlicher<br />

eingerichtet als meine ehemalige<br />

Zelle, aber ich war in Freiheit. Am folgenden<br />

Tag mussten einige Gänge zum<br />

Sozialamt erledigt werden und nachdem<br />

mehrere Amtsträger offensichtlich<br />

wichtige Formulare abgestempelt<br />

hatten, konnte ich meine neue Bleibe<br />

beziehen.<br />

Freiheit mit Hindernissen<br />

Es handelte sich dabei um ein Männerwohnhe<strong>im</strong><br />

für Haftentlassene und<br />

Obdachlose. Das soziale Umfeld von<br />

Übergangswohnhe<strong>im</strong>en erscheint mir


52 Entlassung: Sozialer Abstieg<br />

ULMER ECHO 2007<br />

bedenklich. Im Volksmund sind solche<br />

Häuser auch als „Bullenkloster“<br />

bekannt. Ich fand ein spärlich eingerichtetes<br />

Z<strong>im</strong>mer vor, dessen Standardmobiliar<br />

sehr an die <strong>Knast</strong>einrichtung<br />

erinnerte. Eine Gemeinschaftsküche<br />

auf jeder Etage, am Eingang ein<br />

Pförtner, der einen nur bis Mitternacht<br />

reinlässt, Alkoholverbot und Teilnahme<br />

an sozialen Gesprächen waren<br />

Pflicht. Von meiner spärlichen Sozialhilfe<br />

musste ich für Unterkunft und<br />

An<strong>im</strong>ationsprogramm 97,- DM<br />

monatlich zahlen. Wo waren<br />

hier meine ersehnten<br />

Freiheiten? Manche<br />

SozialarbeiterInnen<br />

in diesem Bullenkloster<br />

hatten<br />

nicht <strong>im</strong> entferntesten<br />

die Motivation<br />

und<br />

Qualifikation<br />

wie Herr<br />

Ackermann.<br />

Sie zeichneten<br />

sich lediglich<br />

durch ausgesprochene<br />

Realitätsferne<br />

aus<br />

und von Hafthilfe<br />

konnte keine Rede<br />

sein. Vermutlich<br />

Eigeninteresse und als<br />

Alibi für ihre eigene Tätigkeit<br />

hemmten sie jegliche<br />

persönliche Entscheidung und<br />

Entwicklung der hier wohnenden<br />

Menschen. Man hatte so manches Mal<br />

den Eindruck, die Insassen seien Versuchskaninchen<br />

für diese Menschen,<br />

die an ihnen neue Sozialprogramme<br />

erproben wollten.<br />

Die nächsten Wochen verbrachte<br />

ich damit, die nötigen Gänge zu den<br />

Ämtern zu erledigen. Auch versuchte<br />

ich, in meinem alten Beruf wieder Fuß<br />

zu fassen, denn schließlich wollte ich<br />

eine Rücckehr zur „Ulm“ vermeiden.<br />

Meine ehemaligen Arbeitgeber, zu<br />

denen ich auch während meiner zuletzt<br />

selbständigen Tätigkeit <strong>im</strong>mer noch<br />

sehr guten Kontakt gehabt hatte,<br />

schätzten zwar meine beruflichen Qualifikationen,<br />

waren aber mehr an genau<br />

der Qualifikation interessiert, wegen<br />

der ich mich in Untersuchungshaft<br />

befunden hatte. Die bestand darin, private<br />

Geldanleger davon zu überzeugen,<br />

Gelder in oder durch ihre Firmen<br />

zu plazieren. Die vielen Bewerbungsgespräche<br />

nahmen alle einen ähnlichen<br />

Verlauf. So zog ich mich in mein<br />

bescheidenes Domizil zurück und zog<br />

Bilanz.<br />

Einsam mit rapidem<br />

gesellschaftlichem Abstieg<br />

Vom einstmals vermögenden<br />

Unternehmer war nichts übrig geblieben.<br />

Ehemalige Freunde und die Verlobte<br />

hatten sich von mir distanziert.<br />

Das derzeitige soziale Umfeld war<br />

unter allem Niveau und die Zukunftsaussichten<br />

miserabel, wenn ich nicht<br />

gewillt war, ein gewisses Risiko einzugeben.<br />

Hier eine Entscheidung zu treffen,<br />

fiel nicht schwer. Denn was sich<br />

der Normalbürger unter einem straffreien<br />

Leben eines Gestrauchelten so<br />

landläufig vorstellt, hätte für mich<br />

bedeutet, erstmal aus dem „Bullenkloster“<br />

nicht herauszukommen, mit allen<br />

damit verbundenen sozialen Negativkonsequenzen.<br />

Also nahm ich eines<br />

der Angebote meiner vormaligen<br />

Arbeitgeber an. In kürzester Zeit<br />

befand ich mich wieder in einer „standesgemäßen“<br />

Wohnung, das Statussymbol<br />

mit dem Stern stand auch bald<br />

wieder vor der Tür und der Geldbeutel<br />

bestand nicht mehr aus Zwiebelleder.<br />

Natürlich musste die Sache bei einem<br />

auf Bewährung Verurteilten schief<br />

gehen und die Konsequenz des Ganzen<br />

ist eben die, dass ich nun<br />

wieder Artikel fürs ULMER<br />

ECHO schreiben kann. Als<br />

Fazit kann ich sagen,<br />

dass ich natürlich<br />

völlig falsche Vorstellungen<br />

über<br />

die Möglichkeit<br />

hatte, wieder in<br />

meiner alten<br />

Umgebung<br />

klarzukommen.<br />

Auch<br />

trägt die finanzielle<br />

und<br />

materielle Situation<br />

entlassener<br />

Inhaftierter nicht<br />

dazu bei, Entscheidungen<br />

treffen zu<br />

können, die ein<br />

zukünftig straffreies<br />

Leben ermöglichen.<br />

Hilfestellungen durch den<br />

<strong>Knast</strong> selber habe ich nicht erfahren.<br />

Lediglich der Sozialdienst der<br />

freien Träger hat mir geholfen. Im<br />

StVollzG und der UVollzO ist festgelegt,<br />

dass das Leben <strong>im</strong> Vollzug dem<br />

draußen so weit wie möglich anzugleichen<br />

ist. Bei mir war´s damals<br />

zunächst umgekehrt: Ich habe den Eindruck<br />

gewinnen müssen, als sollte<br />

mein Leben in Freiheit dem Leben <strong>im</strong><br />

Gefängnis angleichen. •<br />

* Aus UE 3/1997


ULMER ECHO 2007<br />

Gefängnisverein<br />

53<br />

Der Katholische Gefängnisverein Düsseldorf e.V. wurde 1893 zur Unterstützung Inhaftierter und ihrer<br />

Angehörigen gegründet. Seitdem setzt er sich ebenso für konkrete Menschen ein wie für menschliche<br />

Bedingungen <strong>im</strong> Vollzug und für Alternativen zur Sanktion der Freiheitsstrafe.<br />

Über 70 Ehrenamtliche – darunter katholische ebenso wie evangelische, musl<strong>im</strong>ische und religiös ungebundene<br />

Personen – sind über den Verein aktiv: in verschiedenen JVAen leisten sie Einzelbegleitung und<br />

Gruppenarbeit, auch Entlassene und Familien finden Begleitung und Unterstützung.<br />

Der Katholische Gefängnisverein<br />

... ist Mitträger einer Beratungsstelle<br />

... bietet Raum für Frauen Inhaftierter<br />

... unterstützt Familien Inhaftierter<br />

... bildet Ehrenamtliche aus<br />

... vermittelt ehrenamtliche<br />

Begleitungen für Inhaftierte<br />

... und ist Träger des ULMER ECHOS:<br />

er sammelt Spenden<br />

und liefert<br />

die materielle Grundlage<br />

für die Existenz<br />

unseres nicht zensierten<br />

Gefangenenmagazins<br />

Spenden<br />

bitte an: Kath. Gefängnisverein,<br />

Postbank Köln; BLZ 370 100 50<br />

Kto.-Nr. 74558-506, Vermerk: ULMER ECHO


54 ULMER ECHO <strong>im</strong> Internet<br />

ULMER ECHO 2007<br />

w w w . u l m e r e c h o . d e<br />

U L M E R E C H O i m I n t e r n e t<br />

b i e t e t :<br />

-> Konkrete Information aus dem Vollzug<br />

-> Unzensiert: die Sicht der Betroffenen<br />

-> Im Archiv alle Ausgaben seit 1997<br />

-> Ratgeber für Inhaftierte in vier Sprachen<br />

-> Gefängnisverein-Ratgeber für Angehörige<br />

-> Gefängnisverein-Ratgeber für Entlassene<br />

-> Themensuche nach Sachgebieten<br />

-> Foto-Galerien<br />

-> Downloads und PDFs<br />

-> Links zum Thema

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