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Handreichungen zu den Empfehlungen zur - individuelle Förderung

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Die oben aufgelisteten „Beeinträchtigungen“ bzw. „Abweichungen“ sind allerdings nicht unmittelbar<br />

gleich<strong>zu</strong>setzen mit Wahrnehmungsstörungen. Sie dürfen <strong>zu</strong>nächst einmal nur als von uns Außenstehen<strong>den</strong><br />

beobachtbare und häufig sonderbare Verhaltensweisen bzw. Reaktionen gewertet wer<strong>den</strong>,<br />

von <strong>den</strong>en dann auf eine subjektiv andersartige Reizverarbeitung geschlossen wer<strong>den</strong> kann.<br />

Zur Erklärung all dessen bedarf es <strong>zu</strong>nächst der Untersuchung bzw. Bewusstmachung, was Wahrnehmung<br />

im Sinne von etwas „wahrnehmen“ eigentlich bedeutet, um so mehr Verständnis <strong>zu</strong><br />

schaffen für subjektiv andersartige Wahrnehmungseindrücke und -reaktionen von Kindern und<br />

Jugendlichen mit autistischem Verhalten, d.h. für Verhaltensweisen, die von der Norm abweichen<br />

und Alltagserwartungen <strong>zu</strong>widerlaufen.<br />

4.1.2. Wahrnehmungsförderung als „sinngebende Verarbeitung von Reizen“<br />

Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass Säuglinge bereits vor der Geburt auf taktile<br />

Stimulation reagieren, in <strong>den</strong> ersten Lebenstagen bzw. -wochen schon in der Lage sind, geschmacklich<br />

zwischen süß und sauer <strong>zu</strong> unterschei<strong>den</strong>, eine akustische Reizauswahl <strong>zu</strong> treffen<br />

oder die Umwelt optisch in ihrer dinglichen Gliederung und angenähert richtigen Größe und Form<br />

perzipieren können. Daraus allerdings darf nicht abgleitet wer<strong>den</strong>, dass bereits eine Wahrnehmung<br />

im Sinne eines „Gewahrwer<strong>den</strong>s“ bzw. einer bedeutungshaltigen Verarbeitung von Reizen möglich<br />

sei, <strong>den</strong>n dem Säugling stehen noch keinerlei sinnvollen Signale als bewusste Erfahrungen <strong>zu</strong>r<br />

Verfügung, die eine Orientierung in seiner dinglichen und sozialen Wirklichkeit <strong>zu</strong>ließen. Dass<br />

„Wahrnehmung“ erst einer aktiven Erarbeitung bedarf, auf Erfahrungsaneignung angewiesen ist,<br />

soll durch folgendes Beispiel in Anlehnung an Rohracher (1963) veranschaulicht wer<strong>den</strong>: Wenn ein<br />

Kleinkind einen Apfel „sieht“, so ist er vermutlich, sofern er fixiert wird, die ersten Male nichts anderes<br />

als ein gelblich-rötlicher Fleck oder ein diffuses, rundes Etwas, das sich kaum als Figur von<br />

einem Hintergrund abhebt. Er muss betastet wer<strong>den</strong>, und dabei verbindet sich die Empfindung des<br />

Rundlichen und Glatten <strong>zu</strong> derjenigen des Gelblich-Roten. Dann wird er in <strong>den</strong> Mund gesteckt;<br />

neuerlich entstehen die Empfindungen „glatt“ und „rundlich“, ferner „hart“ und beim Abschlecken<br />

„geschmacklos“. Hat sich dies mehrere Male wiederholt, so ist der Apfel für das Kind nicht mehr<br />

nur ein gelblich-rötlicher Fleck, sondern bereits ein Gegenstand, mit dem es allerdings noch nicht<br />

viel an<strong>zu</strong>fangen weiß; er hat in der Welt des Kindes noch keine besondere „Bedeutung“. Bekommt<br />

es einen geschälten Apfel in die Hand, so ist dieser nach der Untersuchung durch Tasten und<br />

durch <strong>den</strong> Mund <strong>zu</strong>nächst einmal ein ganz neues Ding, das <strong>zu</strong> dem früher untersuchten keine Beziehung<br />

hat: Er ist durch die Empfindung „rundlich“, „feucht“, „abnagbar“, „süß“ charakterisiert. Erst<br />

wenn es einmal gelungen ist, einen Apfel mit Schale an<strong>zu</strong>beißen und fest<strong>zu</strong>stellen, dass dadurch<br />

aus ihm das „Feuchte“ und „Süße“ wird, wird aus <strong>den</strong> zwei Dingen ein einheitliches „essbares“<br />

Ding. Damit ist in der Welt des Kindes der Apfel entstan<strong>den</strong> - ohne dass es einen Namen dafür<br />

hat, weiß es nun, was ein Apfel ist. Der runde, gelb-rote Fleck hat eine bestimmte „Bedeutung“ in<br />

der Welt des Kindes bekommen. Von nun an kann es nie mehr in seinem Leben beim Sehen des<br />

Apfels nur die wenigen Empfindungen haben, die es beim ersten Anblick hatte. Treten die Empfindungen<br />

auf, welche durch seine Wirkung auf die Netzhaut erzeugt wer<strong>den</strong>, so vereinigen sie sich<br />

sofort <strong>zu</strong> dem ganzen Komplex von Seh-, Tast- und Geschmacksempfindungen, der die Wahrnehmung<br />

„Apfel“ ausmacht.

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