1996 Band XLVI - Bayerische Numismatische Gesellschaft
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Buchbesprechungen, Jb. f. Num. u. Geldgesch. 46, <strong>1996</strong> 243<br />
Poseidon und Apollon demonstrierten auf den Münzen von Ilion jene Concordia, die in der<br />
Reichsprägung der Handschlag von Marc Aurel und Lucius Verus zur Darstellung bringt.<br />
Der triumphierende Hektor oder Herakles, der die troische Königstochter Hesione rettet,<br />
unter Septimius Severus geprägt, seien eine Huldigung an den siegreichen Bürgerkriegssieger<br />
Septimius Severus, der mit Herakles bzw. Hektor identifiziert wurde. Es ist nicht zu<br />
leugnen, daß in einigen Fällen, kleinasiatische Städte bei der Auswahl von bestimmten Szenerien<br />
ihrer städtischen Mythen durchaus von der zeitgenössischen kaiserlichen Propaganda<br />
— etwa von der der Reichsprägung und der an städtische Gesandte verschenkten Medaillone<br />
— beeinflußt wurden; Beispiele für derartige Beeinflussungen ließen sich auch aus anderen<br />
Münzstätten Kleinasiens beibringen. Zusammen mit direkten Typenübernahmen widerlegen<br />
alle diese Fälle die völlig unsinnige Behauptung M.H. Crawfords (Roman imperial<br />
coin typen and the formation of public opinion, in: Studies in numismatic method presented<br />
to Ph. Grierson, Cambridge etc. 1983, 47-64), daß die Rückseiten-Bilder der Reichsmünzen<br />
nicht rezipiert worden seien. Ich glaube allerdings, daß in den meisten Fällen die<br />
römische bzw. kaiserliche Propaganda eher die Auswahl der Szenerien beeinflußt hat, als<br />
daß die Honoratioren bewußt Propagierungen des Reiches in so schwer faßbarer und umständlicher<br />
Weise den Benutzern des städtischen Geldes nahebringen wollten. Zur Realisierung<br />
solcher Absichten gab es für die städtischen Eliten schneller zu handhabende und<br />
wirksamere Medien; vor allem ist an Festreden zu denken. Die Überschätzung des von<br />
R. Lindner richtig gesehenen Phänomens halte ich für ebenso schädlich wie dessen Leugnung.<br />
So führt die Überbetonung dieser Sinnebene von städtischen Münzen die Verf. dazu,<br />
immer wieder krampfhaft konkrete Zeitbezüge zu suchen, so z. B. im Falle der ilischen Ganymed-Prägungen,<br />
die sich angeblich auf Antinoos beziehen und eine Huldigung an den<br />
frühverstorbenen Liebling des Kaisers darstellen sollen. Die Richtigkeit von R. Lindners<br />
Interpretation hängt zunächst von einer exakten Datierung der Münzen dieses Typus ab,<br />
denn eine erste Prägung dieser Geldstücke vor dem Tod des Antinoos würde ihrer Deutung<br />
den Boden entziehen. Die genaue Zeitstellung der von Ilion unter Hadrian ausgebrachten<br />
Münzen, so auch der Ganymed-Prägungen, ist jedoch mit Hilfe des Typencorpus von Bellinger<br />
nicht zu bewerkstelligen; Ergebnisse hätte vielleicht eine aufwendige Stempeluntersuchung<br />
bringen können. Die Bemühungen der Verf. um eine exakte Chronologie (S. 75 ff.)<br />
sind kläglich. Der Beweis, daß die Ganymed-Typen erst nach dem Tod des Antinoos geprägt<br />
wurden, ist ihr nicht einmal ansatzweise gelungen; sie kann nicht ausschließen, daß Ganymed-Münzen<br />
schon vor dem Tod des Antinoos emittiert wurden. Gegen den von R. Lindner<br />
unterstellten Zeit- und Personenbezug spricht vor allem, daß verschiedene Typen dieser<br />
Thematik kontinuierlich bis in die Zeit des Septimius Severus geprägt wurden; für Ilion<br />
dürfte es kaum einen Grund gegeben haben, einer umstrittenen Randfigur der Reichsgeschichte<br />
wie Antinoos noch achtzig Jahre nach seinem Tod mit Münzen zu huldigen. Es ist<br />
auch nicht zu erwarten, daß die Ilier einige Jahrzehnte nach dem Tod des Antinoos und des<br />
Hadrian Ganymed-Prägungen mit Antinoos in Verbindung brachten; für sie war Ganymed<br />
jener städtische Heros, dessen Heiligtum in ihrer Heimatpolis stand.<br />
Ein grundlegendes Problem des Ansatzes von R. Lindner ist, daß sie die Existenz eines<br />
„mythologischen Bildprogramms" für städtische Münzen, die während der Regentschaft eines<br />
Kaisers in Umlauf gebracht wurden, unterstellt. Grundsätzlich wäre erst zu beweisen,<br />
daß die Regierungszeit eines Kaisers von den Prägeherren der Städte tatsächlich als eine ihre<br />
Münzprägung bestimmende oder gar konstituierende Phase angesehen wurde. Für mehr<br />
als zweifelhaft halte ich die Annahme, daß in den Vorstellungen der Prägeherren wie der<br />
Benutzer dieser Geldstücke die Kategorie des „mythologischen Münzbildes" existiert hat<br />
und sich solche Münzen von anderen Typen, etwa von Götterdarstellungen, absondern lassen.<br />
Über die ‚Programmatik' der Münzen eines wie auch immer fixierten Zeitraumes läßt<br />
sich nur dann etwas aussagen, wenn alle (bekannten) Typen — nicht nur die von uns als<br />
Mythenszenen klassifizierten — in die Überlegungen einbezogen werden. Für die Interpretation<br />
Lindners wäre es wichtig gewesen, auf die Bedeutung der kontinuierlich geprägten