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1996 Band XLVI - Bayerische Numismatische Gesellschaft

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242 Buchbesprechungen, Jb. f. Num. u. Geldgesch. 46, <strong>1996</strong><br />

RUTH LINDNER, Mythos und Identität. Studien zur Selbstdarstellung kleinasiatischer<br />

Städte in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 1994, 212 S., 24 Tafeln.<br />

Das Buch von Ruth Lindner ist die „wenig veränderte Fassung" einer unter der Betreuung<br />

von Erika Simon entstandenen Habilitationsschrift. In ihm soll es, wie der Titel<br />

sagt, im weitesten Sinne um die Selbstdarstellung kleinasiatischer Städte in der Römischen<br />

Kaiserzeit durch den Mythos gehen. In der wenig stringent formulierten Einleitung, die<br />

dem Leser kaum vermitteln kann, was denn die genauere Fragestellung der Untersuchung<br />

ist und wie das methodische Vorgehen aussehen soll, stellt die Verf. zunächst heraus, daß<br />

die Städte des Ostens kontinuierlich mit Mythen argumentierten. Ihre Ansprüche auf einen<br />

bestimmten Rang innerhalb der Städtegemeinschaft begründeten Poleis der Antike mit Mythen<br />

von bekannten und vornehmen Gründern, von Göttergeburten oder göttlichen Erscheinungen;<br />

sollten Kontakte zu anderen Städten aufgenommen werden, spielte oft die<br />

Argumentation mit mythischen Verwandtschaften eine große Rolle.<br />

Da die literarische Überlieferung städtischer Mythen weitgehend verloren ist und auch<br />

inschriftliche Zeugnisse für derartiges mythisches Argumentieren äußerst selten sind,<br />

stützt die Verf. für ihre Untersuchung sich auf städtische Münzen und Bauplastik, insbesondere<br />

auf die Theaterfriese. Letztere haben, darauf weist R. Lindner mit Recht hin, in<br />

diesem Zusammenhang noch längst nicht die Beachtung gefunden, die sie verdient hätten.<br />

Allerdings scheint die Verf. sich zu wenig der Tatsache bewußt zu sein, daß Münzen und<br />

Bauplastik nur der erhalten gebliebene Teil einer weitaus umfangreicheren mündlichen und<br />

schriftlichen Mythenargumentation und -verwendung in den Städten waren. Die stärkere<br />

Beachtung der Existenz von Traditionen, die nicht direkter Gegenstand der Archäologie<br />

sind, wäre für die Einschätzung der Rezepionsbedingungen der Bildwerke hilfreich gewesen.<br />

Besonders schmerzlich ist, daß Menander Rhetors grundlegende Äußerungen zum<br />

Stadtlob in dieser Arbeit nicht konsequent herangezogen und für die Interpretation der<br />

bildlichen Stadtpanegyrik genutzt wurden.<br />

R. Lindner konzentriert sich in ihrem ersten Hauptteil auf mythisches Argumentieren<br />

der Stadt Ilion bei der Ausgestaltung ihres Verhältnisses zu Rom. Ihre Untersuchung will<br />

darlegen, wie die bedeutendste Polis der Troas Mythen dazu verwandte, Nähe zu Rom<br />

bzw. zum Kaiserhaus zu konstatieren oder gar zu schaffen. Während es aufgrund der besonderen<br />

Situation Ilions erahnbar ist, weshalb die Autorin sich im ersten Teil ihrer Habilitationsschrift<br />

gerade den Münzen dieser Stadt zuwendet, ist die Auswahl des Theaterfrieses<br />

von Nysa als Untersuchungsgegenstand des zweiten Teils der Arbeit aus methodischer<br />

Sicht überhaupt nicht klar; eine Begründung fehlt. Es ist zwar ein nicht zu unterschätzendes<br />

Verdienst der Verfasserin, ein schon lange bekanntes, aber noch immer unpubliziertes<br />

wichtiges kleinasiatisches Monument zugänglich und zitierbar gemacht zu haben, doch<br />

wird durch Titel und Einleitung der Anspruch formuliert, nicht das, sondern viel mehr leisten<br />

zu wollen. Das Fehlen jeglicher Darlegung der Kriterien ihrer Materialauswahl läßt<br />

bereits erahnen, daß es der Verf. weniger um die Behandlung einer konkreten Fragestellung<br />

als um die kommentierende Darbietung zweier Materialkomplexe geht.<br />

R. Lindner beschränkt ihre Untersuchung der Münzen Ilions auf die Mythenbilder der<br />

Zeit von Hadrian bis Septimius Severus; weshalb die nachseverischen Münzen keine Berücksichtigung<br />

finden, bleibt ein Rätsel. Die Verf. diskutiert vor allem jene Typen, die<br />

Hektor, die Flucht des Aineas, Poseidon und Apollon beim Bau der Mauern Troas oder<br />

Ganymed zeigen. Bei der Behandlung dieser Bildthemen geht es ihr vor allem darum, die<br />

Auswahl der Bilder aus dem städtischen Mythenkreis als zeitbedingt herauszustellen: Mit<br />

der Entscheidung für spezifische Mythenbilder reagierten nach R. Lindner die Ilier auf<br />

kaiserliche Propaganda, griffen sie die großen Themen der Reichspolitik auf. So bringt die<br />

Verf. z. B. die Entrückung des troianischen Königssohnes Ganymed mit dem Antinoos-<br />

Kult in Verbindung; die Gruppe von Hektor, Andromache und Astyanax reflektiert ihrer<br />

Meinung nach die Fecunditas- bzw. Euteknia-Propaganda Marc Aurels und Faustinas;

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