Gew¨ohnliche Differentialgleichungen und Dynamische Systeme

Gew¨ohnliche Differentialgleichungen und Dynamische Systeme Gew¨ohnliche Differentialgleichungen und Dynamische Systeme

19.11.2013 Aufrufe

1 Einleitung Unter einer Gewöhnlichen Differentialgleichung verstehen wir eine Relation ẋ = f(x, t) (1) mit x = x(t) ∈ R d und f : U × I ⊂ R d × R → R d mit U offen und I ein Intervall. Die Variable t ∈ I wird als die Zeit bezeichnet. Der Raum R d heißt der Phasenraum. Ist f stetig in U × I, so heißt eine stetig differenzierbare Funktion x : Ĩ ⊂ I → Rd , welche (1) erfüllt, Lösung der Gewöhnlichen Differentialgleichung im Intervall Ĩ. Für lokal Lipschitz-stetiges f ist die lokale Existenz und Eindeutigkeit der Lösungen von (1) wohlbekannt. Theorem 1.1 (Satz von Picard-Lindelöf [KK74]) Für gegebenes x 0 ∈ R d und t 0 ∈ R sei die Funktion f auf der Menge Q = {(x, t) | |t − t 0 | ≤ α, ‖x − x 0 ‖ R d ≤ β} stetig in t und Lipschitz-stetig in x, d.h. es gibt ein L > 0 so dass ‖f(x 1 , t) − f(x 2 , t)‖ R d ≤ L‖x 1 − x 2 ‖ R d für alle (x j , t) ∈ Q, (j = 1, 2). Weiter möge mit M = max (x,t)∈Q ‖f(x, t)‖ R d die Beziehung αM ≤ β gelten. Dann existiert eine eindeutige auf [t 0 − α, t 0 + α] definierte Lösung x = x(t) der Gewöhnlichen Differentialgleichung (1) mit x| t=t0 = x 0 . Wir wollen in den ersten beiden Kapiteln voraussetzen, dass dieser Satz gilt und diesen erst in Kapitel 3.1 beweisen. Für die Lösung x zum Zeitpunkt t mit der Anfangsbedingung x| t=t0 = x 0 schreiben wir im folgenden x = x(t, t 0 , x 0 ). Ist die Differentialgleichung (1) autonom, d.h. hängt f nur von x ∈ R d , d.h. f = f(x), so ist x eine Funktion von t − t 0 und nicht von t und t 0 . Lemma 1.2 Für autonome Differentialgleichungen (1) ist mit x = x(t, t 0 , x 0 ) auch x = x(t − s, t 0 − s, x 0 ) für alle s ∈ R eine Lösung von (1). Beweis: Folgt sofort durch Einsetzen. Damit können wir für autonome Differentialgleichungen stets t 0 abkürzend x = x(t, x 0 ) für x(t, 0, x 0 ). Es gilt } i) x(0, x 0 ) = x 0 , ii) x(t + s, x 0 ) = x(t, x(s, x 0 )). □ = 0 wählen und schreiben (2) 4

Im nichtautonomen Fall lautet dies i) x(t, t, x 0 ) = x 0 , ii) x(t + s + t 0 , t 0 , x 0 ) = x(t + s + t 0 , s + t 0 , x(s + t 0 , t 0 , x 0 )). } (3) Im folgenden interessieren wir uns weniger dafür, unter welchen Voraussetzungen an f Lösungen von (1) existieren, als vielmehr für die Frage nach dem qualitativen Verhalten der Lösungen bei hinreichend glattem f. 3 Heute ist die Theorie der Gewöhnlichen Differentialgleichungen ein wichtiger Teil der Theorie der Dynamischen Systeme. Unter einem Dynamischen System verstehen wir eine einparametrige Abbildung { I × X → X x : (4) (t, x 0 ) ↦→ x(t, x 0 ) einer Menge X (der Phasenraum) in sich mit I = R (kontinuierliches D.S.) oder I = N (diskretes D.S.), welche (2) erfüllt. Gewöhnliche Differentialgleichungen gestatten Entwicklungsprozesse zu untersuchen, die determiniert, endlichdimensional und differenzierbar sind. Dynamische Systeme finden sich fast überall in der Natur. Beispiele sind: a) Mechanische Systeme: Ein Teilchen mit dem Ortsvektor x(t) ∈ R d , (d = 1, 2, 3) der Masse m bewegt sich im Kraftfeld F (x). Die Abbildungsvorschrift wird durch die gewöhnliche Differentialgleichung mẍ = F (x) definiert. Schreiben wir dies in der Form (1), so sehen wir, dass der Phasenraum durch (x, ẋ) ∈ R 2d gegeben ist. b) der Aktienkurs einer Firma oder die Bewegung eines Moleküls in einer Flüssigkeit: Ein Molekül am Ort x(t) ∈ R d bewegt sich unter einer äußeren Kraft f(x) und stochastischen Störungen g(x)ξ(t), d.h. ẋ = f(x) + g(x)ξ(t), bzw. in der Schreibweise der stochastischen Differentialgleichungen dx = f(x)dt + g(x)dW (t), wobei formal die zeitliche Ableitung des (i.a nur stetigen) Wienerprozesses W (t) das weiße Rauschen ξ(t) ergibt. Siehe [Arn73, Oks98]. c) die Strömung einer Flüssigkeit: Das Geschwindigkeitsfeld U(x, t) ∈ R 3 am Ort x ∈ Ω ⊂ R 3 zum Zeitpunkt t einer strömenden Flüssigkeit wird beschrieben durch die Navier-Stokes- Gleichungen, eine partielle Differentialgleichung, ∂ t U = ν∆U − ∇p − (U · ∇)U, (ν ≥ 0), div U = 0, U| ∂Ω = 0. 3 Der Satz von Peano [Pea90] garantiert bei stetigem f die Existenz von Lösungen von (1). Die Eindeutigkeit der Lösungen kann in diesem Fall nicht erwartet werden. Der Beweis beruht auf einem Fixpunktargument für kompakte Abbildungen. 5

1 Einleitung<br />

Unter einer Gewöhnlichen Differentialgleichung verstehen wir eine Relation<br />

ẋ = f(x, t) (1)<br />

mit x = x(t) ∈ R d <strong>und</strong> f : U × I ⊂ R d × R → R d mit U offen <strong>und</strong> I ein Intervall. Die Variable<br />

t ∈ I wird als die Zeit bezeichnet. Der Raum R d heißt der Phasenraum.<br />

Ist f stetig in U × I, so heißt eine stetig differenzierbare Funktion x : Ĩ ⊂ I → Rd , welche (1)<br />

erfüllt, Lösung der Gewöhnlichen Differentialgleichung im Intervall Ĩ.<br />

Für lokal Lipschitz-stetiges f ist die lokale Existenz <strong>und</strong> Eindeutigkeit der Lösungen von (1)<br />

wohlbekannt.<br />

Theorem 1.1 (Satz von Picard-Lindelöf [KK74]) Für gegebenes x 0 ∈ R d <strong>und</strong> t 0 ∈ R sei<br />

die Funktion f auf der Menge Q = {(x, t) | |t − t 0 | ≤ α, ‖x − x 0 ‖ R d ≤ β} stetig in t <strong>und</strong><br />

Lipschitz-stetig in x, d.h. es gibt ein L > 0 so dass<br />

‖f(x 1 , t) − f(x 2 , t)‖ R d ≤ L‖x 1 − x 2 ‖ R d<br />

für alle (x j , t) ∈ Q, (j = 1, 2). Weiter möge mit M = max (x,t)∈Q ‖f(x, t)‖ R d die Beziehung<br />

αM ≤ β gelten.<br />

Dann existiert eine eindeutige auf [t 0 − α, t 0 + α] definierte Lösung x = x(t) der Gewöhnlichen<br />

Differentialgleichung (1) mit x| t=t0 = x 0 .<br />

Wir wollen in den ersten beiden Kapiteln voraussetzen, dass dieser Satz gilt <strong>und</strong> diesen erst in<br />

Kapitel 3.1 beweisen.<br />

Für die Lösung x zum Zeitpunkt t mit der Anfangsbedingung x| t=t0 = x 0 schreiben wir im<br />

folgenden x = x(t, t 0 , x 0 ).<br />

Ist die Differentialgleichung (1) autonom, d.h. hängt f nur von x ∈ R d , d.h. f = f(x), so ist x<br />

eine Funktion von t − t 0 <strong>und</strong> nicht von t <strong>und</strong> t 0 .<br />

Lemma 1.2 Für autonome <strong>Differentialgleichungen</strong> (1) ist mit x = x(t, t 0 , x 0 ) auch x = x(t −<br />

s, t 0 − s, x 0 ) für alle s ∈ R eine Lösung von (1).<br />

Beweis: Folgt sofort durch Einsetzen.<br />

Damit können wir für autonome <strong>Differentialgleichungen</strong> stets t 0<br />

abkürzend x = x(t, x 0 ) für x(t, 0, x 0 ).<br />

Es gilt<br />

}<br />

i) x(0, x 0 ) = x 0 ,<br />

ii) x(t + s, x 0 ) = x(t, x(s, x 0 )).<br />

□<br />

= 0 wählen <strong>und</strong> schreiben<br />

(2)<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!