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phänomenologische skizzen: leib und architektur<br />
Freier Blick ist Macht, versperrter Blick ist Ohnmacht.<br />
Beide Motive werden in der Architektur gelegentlich heraufbeschworen.<br />
Das Versperren des Blicks wird am verwinkelten<br />
Eingang des klassischen Pekinghauses deutlich demonstriert<br />
und häufig auch magisch gedeutet: Es verhindert den Eintritt<br />
böser Geister, die sich offenbar wie der Blick bewegen: geradlinig.<br />
Es kommt aber auch vor, dass ein ganzes Bauwerk einem<br />
einzigen Ausblick gewidmet ist. Blicktürme, zum Sehen<br />
oder zum Gesehenwerden, ähnlich wie die Leuchttürme,<br />
die Funktürme, die Kontrolltürme der KZs und der Gulags,<br />
sie heben das Auge eines Menschen oder ein Gerät über<br />
eine Grenze, ein Terrain, um es zu beherrschen.<br />
Ausblick und Einblick ohne körperliche Berührung,<br />
das ist Macht ...<br />
Das kompositorische Prinzip des Blicköffnens und<br />
Blickverschließens ist auch zur Grundlage bedeutender<br />
Landschaftsarchitekturen geworden. Im romantischen<br />
englischen Garten zum Beispiel winden sich die Wege,<br />
wie die kompositorische Blickfolge es verlangt. Durch die<br />
Wendungen, Hebungen und Senkungen des Körpers entsteht<br />
eine Folge von Bildern, die ihrerseits in bestimmten Blicktiefen<br />
erscheinen wie auch die Motive der zeitgenössischen Tafelmalerei.<br />
Oder die philosophischen Gärten Chinas, etwa die<br />
in Souzhou bei Shanghai. Für die Regie der Aufmerksamkeit<br />
hat man Labyrinthe von Wänden eingeführt, denen man auf<br />
dem Weg durch verschiedenartige räumliche Gartentypen<br />
folgt. Fenster- und Türöffnungen darin, offen oder gitterartig<br />
verschlossen, bieten Ausblicke und Durchblicke an, die jeweils<br />
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