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phänomenologische skizzen: leib und architektur<br />
Nicht erst seit der griechischen Antike ist bekannt,<br />
wie man das Bewegungsgefühl im architektonischen Raum<br />
der Magie des Tanzes annähern kann, d. h. dem Schwellen<br />
und Schrumpfen rhythmischer Empfindungen. Schon in den<br />
Hochkulturen an Euphrat und Tigris gibt es Zeugnisse dafür.<br />
In Palästen und Tempeln wurden Serien von Pfeilern,<br />
Säulen, Konsolen usw. so hintereinander und nebeneinander<br />
angeordnet, dass die Elemente und ihre Zwischenräume<br />
ein gestaltetes, feierliches Gehen herausfordern: a-b-a-b-a-b<br />
oder etwa aab–aab–aab etc. Die Herrscher, die Priester<br />
und ihre Besucher waren durch diese Formserien – besonders<br />
gut ablesbar auf Treppen, Rampen und Prozessionsstraßen –<br />
aufgefordert, räumliche Gestalt in Bewegungsgestalt<br />
umzusetzen. Spannung und Entspannung, Schwellung und<br />
Schrumpfung des Leibes sind in diesen steinernen Formen<br />
mathematisiert. Der Architekturraum wird als choreografische<br />
Partitur lesbar, er verlangt nach einer zeitlichen Deutung.<br />
Die Eigenart der Elemente und Zwischenräume entscheidet<br />
über die Eigenart der rhythmischen Stimmung, die beim Gehen,<br />
Schreiten, Steigen usw. entsteht, die Höhe der Stufen,<br />
das Steigungsverhältnis, die Dichte der Wiederholungen usw.<br />
Aber nicht nur die Beinarbeit nimmt diese Stimmung auf,<br />
sondern auch das tastende Auge. Auch entfernte Säulenstellungen<br />
und nicht begehbare Folgen von Öffnungen,<br />
Mauervorlagen, Strebebögen usw. regen ganz analog ein<br />
Spüren des Leibes an, der Körper korrespondiert auch dann<br />
mit der Pulsation in den Dingen. Es kann ja auch der leere,<br />
nicht genutzte Raum die Empfindung von Festlichkeit<br />
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